Nr. 16

Die Gleichheit

lichem Streik mußten die Gehilfen die Waffen strecken. Sie setzten nun alles daran, ihre Organisation zu stärken und fuchten auch nach Verbündeten. Solche hofften sie in den im Beruf beschäftigten ungelernten Arbeitern und Arbeiterinnen, dem sogenannten Hilfspersonal, zu finden. Dieses war damals ( das Sozialistengesetz ging gerade seinem Ende zu) noch nicht organisiert, und die Gehilfen trachteten nun sowohl dem eigenen Verband Mitglieder zu gewinnen, als auch das Hilfspersonal zu organisieren. Wie in einigen anderen Druckstädten Deutsch lands, so auch in Berlin . Dort fand am 5. März 1890 eine öffentliche Versammlung der Buch- und Steindruckereihilfs­arbeiterinnen statt, in welcher ein Buchdrucker einen Agitations vortrag hielt, nach welchem die Gründung eines Vereins der Ar­beiterinnen an Buch- und Steindruckschnellpressen" erfolgte. Einen Monat später trat in Berlin auch eine Organisation des männ lichen Hilfspersonals ins Leben, die die gleichen Ziele wie der Schwesterverein erstrebte. Der Verein der Arbeiterinnen ließ sich als erstes angelegen sein, ein Vertrauenspersonensystem zu schaffen, um mittels seiner in den Druckereien die Fühlung mit den Mitgliedern herzustellen und festzuhalten. Die zweite Sorge galt der Arbeitsvermittlung. Diese wurde bisher von einer Privatperson betrieben, natürlich unter all den bekannten Übelständen, die dem privaten Stellennachweis noch heute anhaften. Um die Mitglieder von dieser Misere zu befreien, gründete der Verein kaum ein halbes Jahr nach seiner Konsti tuierung einen eigenen Arbeitsnachweis, dessen Leitung die Vorsitzende übernahm. In der ersten Beit mußten die Arbeite rinnen, welche den Nachweis in Anspruch nahmen, eine geringe Gebühr zahlen, aber schon nach kurzer Zeit geschah die Ver mittlung fostenfrei. Der Arbeitsnachweis erwies sich als ein treffliches Agitationsmittel für den Gedanken des gewerkschaft lichen Zusammenschlusses: schon nach kurzer Zeit zählte der Verein 1200 Mitglieder. Einige partielle Lohnbewegungen, die noch im ersten Jahre seines Bestehens stattfanden, waren von Erfolg begleitet; am Jahresschluß 1890 hatte die Organisation einen Kassenbestand von 528,50 Mt. und wies 1450 vermittelte Stellen auf. Voll Hoffnung konnte der junge Verein in die Zukunft schauen, für die er ein großes Arbeitsfeld vor sich sah.

Die Arbeitszeit des Hilfspersonals war damals sehr un geregelt, sie betrug 10 bis 12 Stunden; Überstunden wurden, wenn es den Firmen darauf ankam, die ganze Nacht gemacht, und Sonntagsarbeit war an der Tagesordnung. Die Löhne waren äußerst gering, Bogenfängerinnen wurden oft nur mit 4 bis 6 M. die Woche entlohnt, Anlegerinnen bekamen 8 bis 10 Mt., Bunttiererinnen im Höchstfall 12 bis 13 Mt. Die hygienischen Zustände der Betriebe spotteten meist jeder Be­schreibung. So war die Lage der Arbeiterinnen des Berufs nichts weniger als rosig, und der Verein mußte die größten Anstrengungen machen, um seinen Mitgliedern allmählich bessere Arbeitsbedingungen zu erringen. In dieser Zeit entstand in Berlin der Städtische Zentralarbeitsnachweis", der sich be­mühte, die private Stellenvermittlung aufzusaugen, aber auch gern für die Buchdruckereien Arbeitskräfte vermittelte. Der Zentralarbeitsnachweis war ein Hindernis für die junge Or ganisation, ein Feind ihres Nachweises, fie bekämpfte ihn daher mit allen Mitteln. Die Mitglieder des Vereins durften bei Strafe des Ausschlusses den Zentralarbeitsnachweis nicht benutzen. Der eigene Nachweis wurde als Rückgrat der Organisation be­trachtet und mußte unter allen Umständen hochgehalten werden. Er bewährte sich auch als Waffe in ihrer Hand, denn durch ihn war es möglich, den Arbeitsmarkt zu übersehen und ent­sprechende Maßnahmen zu treffen.

So war der Herbst 1891 herangekommen. In Mitglieder freisen machten sich energische Bestrebungen nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen geltend. Die Jahre 1890 und 1891 hatten eine Verteuerung der Existenzkosten gebracht, die Mieten und alle Lebensbedürfnisse waren schier unerschwinglich, während die Löhne sich der schlechten Konjunktur entsprechend günstigsten Falle auf der früheren Höhe gehalten hatten. In Anbetracht der außerordentlich ungünstigen wirtschaftlichen Lage wurden jedoch die Mitglieder davon zurückgehalten, Forde

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rungen an die Prinzipale zu stellen. Jedoch im Frühjahr 1892 gab es fein Halten mehr. Es wurde eine Verkürzung der Arbeits­zeit auf neun Stunden verlangt und eine Erhöhung der Löhne für Bogenfängerinnen auf 9 Mt., für Anlegerinnen auf 13 Mt., für Punktiererinnen auf 16 Mt. Die Prinzipale lehnten die Forderungen glatt ab, und es fam zum Streif. Trotz aller Anstrengungen verlief dieser ganz ungünstig. Die Niederlage hatte für den Verein eine Krise im Gefolge: seine Kassenbestände schmolzen zusammen, und die Zahl seiner Mitglieder betrug nach dem Streik nur noch ganze 200. Es hieß die Organi­fierungsarbeit von vorn anfangen, aber die vorher so starke Anziehungskraft des Vereins war geschwunden. Es mußte nach neuen Mitteln gesucht werden, um wieder Mitglieder zu werben. So wurde die Arbeitslosenunterstützung eingeführt. Der Ver­ein zahlte zunächst 3 Mt. wöchentlich für höchstens vier Wochen, wenn das arbeitslose Mitglied vorher mindestens ein Viertel­jahr lang regelrecht seine Beiträge entrichtet hatte. Doch zu­nächst half die Unterstüßungseinrichtung der Organisation nur wenig, erst nach und nach begann sich ihr Mitgliederstand wieder zu heben, die alte Höhe erreichte er aber erst nach vielen Jahren wieder, als der Verein schon längst eine Zahlstelle des später gegründeten Verbandes geworden war.

Im Jahre 1893 wurden von seiten des organisierten männ­lichen Hilfspersonals Unterhandlungen zwecks Verschmelzung der beiden Berliner Vereine angebahnt. Der Verein der Arbeiterinnen. wollte aber seine selbständige Existenz nicht aufgeben, und so ver­liefen die Verhandlungen im Sande. Das Jahr 1896 brachte dem ganzen Buchdrückgewerbe einen fruchtbaren Aufschwung, von dem auch das organisierte Personal seinen Teil verlangte. Die Ge­hilfen waren in eine Tarifbewegung eingetreten und hatten bei den meisten namhaften Firmen ihre Forderungen auch durchgesetzt. Der Tarif brachte als Haupterrungenschaft die neunstündige Arbeitszeit. Der Verein der Buchdruckarbeiterinnen hatte in Voraussicht des Kommenden tüchtig gearbeitet, so daß er wagen fonnte, ebenfalls die neunstündige Arbeitszeit zu fordern, ohne eine Niederlage befürchten zu müssen. Einer Druckerei nach der anderen wurde die Forderung eingereicht, es kam dabei zu einigen kleineren Streits, die aber nur ein paar Tage dauerten und mit dem Siege der Arbeiterinnen endeten. Die Jahre des geschäft­lichen Aufschwungs wurden genutzt. Wenn in großen Betrieben flotter Geschäftsgang eintrat, stellten die organisierten Arbeite­rinnen ihre Lohnforderungen; angesichts der dringenden Auf­träge gaben die Unternehmer nach, selten nur, daß sie es zur Arbeitseinstellung kommen ließen. Der Verein holte durch diese Taktik Jahr für Jahr Zulagen von 50 Pf. bis 1 Mt. pro Woche für seine Mitglieder heraus. Seine Erfolge bes wirkten, daß der Mitgliederstand wieder stieg, und daß er, in sich selbst gefestigt, eine angesehene Stellung gewann.

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Eine noch größere Kräftigung und Stärke erwartete man jedoch mit Recht von der Vereinigung mit den Arbeitsschwestern und brüdern von ganz Deutschland . In verschiedenen anderen Städten Deutschlands waren inzwischen gleichfalls örtliche Dr ganisationen des Hilfspersonals der Druckereien entstanden. Die Entwicklung drängte zu ihrem Zusammenschluß. Nach langen Vorbereitungen fam am 1. Juni 1898 in Berlin ein Kongreß der Buch- und Steindruckereihilfsarbeiter und-arbeite­rinnen zustande, der von zehn Orten beschickt war. Er beschloß die Gründung des Verbandes der in Buchdruckereien und ver­wandten Berufen beschäftigten Hilfsarbeiter und-arbeiterinnen Deutschlands ".. Als Sitz des Verbandes wurde Berlin be stimmt, als Vorsitzende Paula Thiede gewählt. Als der Ver band ins Leben trat, musterte er rund 1200 Mitglieder, meist weibliche, zurzeit zählt er zirka 14000 Mitglieder. Die Orts vereine wurden in Zahlstellen der Zentralisation umgewandelt; der Verein der Arbeiterinnen in Berlin erhielt als älteste und größte Organisation( er hatte zirka 450 Mitglieder) den Namen Bahlstelle I Berlin. Nach 1 jährigem Bestehen des Ver­bandes fam es zwischen seinem Vorstand und der Zahlstelle I zu Streitigkeiten, infolge deren die Zahlstelle aus dem Verband austrat. Ursache davon war, daß die Zahlstelle ihre örtlichen Ausgaben nicht mehr von den Einnahmen bestreiten konnte,