Nr. 16

Die Gleichheit

christlichen Heimarbeiterinnen versichernd. Zwar werden die Heim arbeiterinnen faum wissen, für was sie der Kaiserin ihren Dant ausdrücken, da diese bis heute nicht das mindeste getan hat, ihr 203 zu bessern, auch kaum dazu imstande sein dürfte; doch ist dieses Telegramm ein neuer Beweis dafür, wie die Christlichen die Ar beiter zu Silaven des persönlichen Regiments zu erziehen suchen. Freilich, die herrschenden Mißstände können nicht hinwegtelegraphiert werden. Das Referat, das Professor Franke, der Herausgeber der, Sozialen Praxis", über, Submission und Heimarbeit" erstattete, zeigte die Kluft zwischen der foeben betonten Treue für Kaiser und Reich und der Notlage der Heimarbeiterinnen, die das Reich treu­los im Stich läßt. Professor Frante mußte den Behörden den Vorwurf machen, daß sie, anstatt vorbildlich zu wirken, bei der Vergebung von Arbeiten die schlimmste Ausbeutung treiben. Er wies nach, daß bei der Heimarbeit für Heer und Marine nur in wenigen Fällen gute, meist geringe, vereinzelt jammer­volle Löhne( bis zu 6 und 7 Pfennig die Stunde) gezahlt werden", und daß auf die Arbeitszeit gar feine Rücksicht genommen wird, fie baure bis 15 und 16 Stunden, ebensowenig auf andere Arbeits­bedingungen, namentlich auf hygienische Beschaffenheit der Arbeits­räume, Kinderarbeit usw." Professor Frante forderte, daß Staat und Gemeinde ihre hochwichtige sozialpolitische Aufgabe erfüllen und durch Ausmerzung der Rückstände in der Heimindustrie das Gemeinwohl fördern". Aber trotzdem zu einem Protest gegen die bis jetzt von den öffentlichen Körperschaften beliebte Praxis, noch schlechtere Löhne zu zahlen wie ein Privatunternehmer, fonnte sich dieser Kongreß nicht aufschwingen. Das hätte ja hohe und höchste Herrschaften verstimmen tönnen!

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In einem Referat über ,, Die Ausbildung der Heimarbeite rinnen in Pflichtfortbildungsschulen und-Kursen" stellt Fräulein Agnes Hermann, die Vorsitzende des kaufmännischen Verbandes für weibliche Angestellte, die naive Forderung, durch Landesgesetzgebung den Fortbildungsschulzwang für Heimarbeite­rinnen bis zum siebzehnten oder achtzehnten Jahr auszudehnen und den Arbeitgeber zu verpflichten, den dazu nötigen Urlaub zu bes willigen. Als ob der Unternehmer danach fragt, wie die Heim arbeiterin ihre Zeit verwendet, wenn sie ihm nur die verlangte Menge Ware gegen billigen Lohn liefert; wie sie das aber fertig bringt, ist ihm völlig gleich, wenn er nur seinen Profit dabei findet. Das Beste dieser Tagung kam zum Schluß, nämlich die Prokla mation des unbedingten Rechtes auf Streit. Die Sekretärin des niederrheinischen Gauverbandes( M.- Gladbach) führte aus, daß ,, die ursprüngliche Annahme, die Heimarbeiterinnenbewegung könnte ohne ernste Lohnkämpfe gefördert werden, als unrichtig erkannt worden sei", und daß die Arbeitgeber sich den Heimarbeiterinnen vielfach geradezu. feindlich entgegengestellt haben." Und da die Heimarbeiterin und das richtet sich wohl an Bülows Adresse

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fast nie in der Lage sei, Ersparnisse zu machen, müsse sie durch ihren Verband Streitunterstügung in der Höhe von 1 Mark täglich erhalten!

Also auch bei den christlichen Heimarbeiterinnen hat sich endlich Die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß der Streit ein Machtmittel ist zur Erlangung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die Zeit vird lehren, wie weit bei ihnen das Klassenbewußtsein erwacht ist, so daß sie sich vorkommenden Falles mit allen tämpfenden Heim arbeiterinnen solidarisch erklären und ihnen nicht als Streitbrecher in den Rücken fallen.

Wenn auch diese Tagung nichts forderte, was nicht schon seit vielen Jahren zu den sozialpolitischen Forderungen der Sozial demokratie und der freien Gewertschaften gehört, und wenn auch mit feiner Silbe darauf hingewiesen wurde, daß eben diese For derungen noch niemals bei denen eine Wehrheit gefunden haben, auf die die christlichen Arbeiterinnen all ihre Hoffnung sehen, so zeigt sich doch, daß es auch in den Köpfen dieser unaufgeklärten Arbeiterschicht zu dämmern beginnt. Für unsere Genofsinnen muß das ein Ansporn sein, ihre Werbearbeit unter den Heimarbeiterinnen immer stärker zu betreiben, damit deren gesunde Empörung gegen ihre unmenschliche Ausbeutung nicht zur Lammesgeduld verchrist licht" wird.

Genossenschaftliche Rundschau.

M. W.

Die Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine in Hamburg hat fürzlich ihren Geschäftsbericht für das Jahr 1908 herausgegeben. Der Umsay ist gestiegen, aber wesentlich weniger als im Vorjahr. Die Krise im Wirtschaftsleben macht sich stark be mertbar. Die Großeinkaufsgesellschaft ist die zentrale Waren vermittlungsstelle für die Konsumvereine, die Mitglieder dieser aber sind meist Proletarier, die infolge großer Arbeitslosigkeit oder

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start verminderter Arbeitszeit Tonfumtionsunfähiger wurden. Dazu fam die enorme Preissteigerung vieler Waren. Der Warenumfay vermehrte sich von 59866220 Mt. auf 65778227 Mt. oder um 9,9 Prozent. Im Jahre 1907 hatte die Umsatzsteigerung 28,7 Pro­zent betragen. Der Reinüberschuß stellte sich auf 544785,68 M., gegen 504909,97 Mt. im Jahre 1907. Der größte Teil dieses Über­schusses soll zu Abschreibungen und zur Stärkung der Reserven dienen. Wenn die Generalversammlung der Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine in Mainz sich dem Vorschlag der Ge­schäftsleitung über die Verwendung des Reinertrags anschließt, so werden die Reserven im laufenden Jahre fich auf 1275 402,65 Mr. oder 85 Prozent des Stammkapitals von 1 Millionen Wlark be­laufen. Da das Eigenkapital der Gesellschaft noch immer in einem unbefriedigenden Verhältnis zum Umsatz steht, wird der Mainzer Generalversammlung vorgeschlagen, das Kapital der Genossenschaft um eine halbe Million zu erhöhen, wodurch es auf zwei Millionen gebracht würde. Im allgemeinen verlief das Jahr 1908 für die Großeinkaufsgesellschaft ziemlich ruhig. Die drei für sie bedeutungs vollsten Ereignisse: die Schaffung einer eigenen Bankabteilung, die Angliederung der Tabalarbeitergenossenschaft als besonderer Pro­duktivbetrieb und die Errichtung der Seifenfabrit in Gröba in Sachsen , fallen in das Jahr 1909 und werden daher im vor­liegenden Geschäftsbericht nur turz erwähnt. Die Gesellschaft be schäftigt 813 Personen, die sich günstiger Lohn- und Arbeits­bedingungen erfreuen. Im vorigen Jahre wurde die Errichtung eines Unterstützungsfonds beschlossen, der bei außerordentlichen Notfällen eingreifen foll.

Eine lehrreiche übersicht über die Brotproduktion durch Konsum und Produttivgenossenschaftsbäckereien in Deutschland enthält das Jahrbuch des Deutschen Bäcker- und Konditorenverbandes für 1908. Danach hatten 216 solche Bäckereien, die zusammen 1939 Bäcker beschäftigen, im Jahre 1907 einen Brot und Backwarenumsatz von 47310184 Mt. In welch rapidem Maße die genossenschaftliche Brotproduktion fich entwickelt hat, zeigt ein Vergleich mit dem Jahre 1901, in welchem die genossenschaftliche Backwarenerzeugung einen Wert von 8978258 Mt. darstellte; es gab damals nur 36 derartige Betriebe mit 518 Beschäftigten. Die Zusammenstellung weist ferner nach, daß während dieser Zeit auch die Leistungsfähigkeit der einzelnen Arbeitstraft wesentlich gestiegen ist. Das liegt in der Hauptsache daran, daß in den Genossenschafts­bäckereien meist mit den neuesten technischen Hilfsmitteln gearbeitet wird. Arbeitszeit und Lohn ist durchweg bedeutend günstiger als in den Privatbäckereien. Über den Umfang der einzelnen Betriebe geben folgende Zahlen Aufschluß. Es beschäftigten 107 Betriebe 1 bis 4, 58 Betriebe 5 bis 9, 32 Betriebe 10 bis 20, 15 Betriebe 21 bis 50, 1 Betrieb 51 bis 100 und 3 Betriebe mehr als 100 Bäcker. Die lettgenannten drei Betriebe sind die der Konsumvereine Magde burg- Neustadt, Breslau und Leipzig - Plagwiz. Diese Entwicklung der genossenschaftlichen Brotproduttion, an der ja vorzugsweise die Arbeiter sowohl als Produzenten wie als Konsumenten partizipieren, ist zu begrüßen.

Der sechste Genossenschaftstag des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine findet in der Zeit vom 14. bis 16. Juni in Mainz in der Stadthalle statt. Auf der Tages. ordnung stehen außer dem Bericht des Vorstandes und dem Bericht über die Tätigkeit des Sekretariats und die Unterstützungskasse des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine Vorträge über die Auf gaben und Ziele des Internationalen Genossenschaftsbundes, über Produzentenkartelle und Konsumentenorganisationen und über die Errichtung genossenschaftlicher Ferienheime. Ferner steht die Revision der Tarife mit dem Verband der Bäcker, Konditoren und Berufsgenossen und dem Deutschen Transportarbeiterverband zur Verhandlung. Altem Brauche folgend wird die Großeinkaufs gesellschaft deutscher Konsumvereine ihre Generalversammlung im Anschluß an den Genossenschaftstag am 17. Juni gleichfalls in Mainz abhalten, während der Zentralverband deutscher Konsum vereine Konferenzen seiner Funktionäre, des Ausschusses und anderer Korporationen in den Tagen vor Eröffnung des Genossenschafts­tags stattfinden läßt.

In Berlin , wo die Arbeiterkonsumvereine nicht recht vorwärts. fommen wollen, besteht seit längerer Zeit eine sogenannte Pro pagandakommission, deren Aufgabe es ist, die Konsumvereins. bewegung in der Reichshauptstadt zu fördern. Sie erstattete fürzlich Bericht vor einer größeren Anzahl von Gewerkschaftsvertretern. Nach einem Bericht des Vorwärts" über diese Sigungen haben fich bisher die Hoffnungen auf eine schnellere Entwicklung des Berliner Genofienschaftswesens nicht erfüllt. Das soll hauptsächlich an den mangelnden Entgegenkommen der Gewerkschaften liegen, aber auch den Parteiorganen wird bis zu einem gewissen Grade der nämliche