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Die Gleichheit
pflicht, die betreffenden Erwerbstätigen aber nicht, und doch ist unter ihnen in Fällen von Krankheit, Schwangerschaft und Niederkunft die Fürsorgebedürftigkeit so groß wie in jenen Arbeiterschichten, die von der Versicherung erfaßt werden. Und da diese Schichten der Bevölkerung in normalen Zeiten wohl durchweg eine bessere Ernährung, überhaupt eine bessere Lebens haltung haben als der Durchschnittsarbeiter, so würde voraussichtlich ihre Einbeziehung in die Krankenversicherung den Kranken
Lassen nicht einmal erhöhte Ausgaben verursachen, es ist also vorhanden te
fein Grund vorhanden, sie abzulehnen.
unterstützung auf 8 Wochen. Arztliche Untersuchungen haben ergeben und die Erfahrung hat es viel tausendfach bestätigt, daß die Erwerbsarbeit der Schwangeren bis kurz vor der Entbindung gesundheitsschädigend für die Mutter und äußerst schädlich für den Nachwuchs ist.
Fräulein Marie Baum und andere Fabrifinspektorinnen betonen, wie furchtbar es für die Arbeiterinnen ist, in hoch schwangerem Zustand angestrengt schaffen zu müssen, ohne eine andere Möglichkeit, sich von Zeit zu Zeit auszuruhen, als höch stens die, für Minuten auf einen harten Schemel oder eine Bank hinzuhocken. Die Notwendigkeit der geforderten Unterstützung ist also sicher erwiesen, die Möglichkeit ihrer Durchführung sowie die der Wöchnerinnenunterstützung wäre ohne weiteres gegeben. Zunächst durch eine Vereinheitlichung und Bentralisierung der Kaffen, welche bedeutende Ersparnisse bringen würde, dann aber dadurch, daß die Ausgaben der Kassen an Krankengeld für unterleibsleidende Frauen und fieche Kinder bedeutend sinken würden, weil die Unterstützungseinrichtungen prophylaktisch( vorbeugend) wirken.
Ganze Bände könnte man zur Begründung unserer Forderung schreiben:„ Ausdehnung der Wöchnerinnenunterstützung auf 8 Wochen wie sie jetzt erfolgen soll
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und wenn das Kind lebt und die Mutter fähig und willens ist, ihr Kind zu stillen, auf die Dauer von mindestens 13 Wochen." Das endlose traurige Kapitel der Frauenkrankheiten, der Säuglingsfterblichkeit, des Verkommens und des Siechtums vieltausend lebender Arbeiterkinder ist die Begründung. Wieviel Gesund heit und Lebensglück, wieviel junges, knospendes Leben, wieviel Arbeitskraft und nationaler Reichtum wird alljährlich zerstört, weil die Not die jungen Mütter allzufrüh wieder an die Arbeit peitscht! Die Erfüllung unserer Forderung würde in dieser Hinsicht viel Schlimmes verhindern. Namhafte Ärzte gehen in ihren Aussprüchen zum Schuße von Mutter und Kind viel weiter als wir. Sie erklären, daß noch 9 Monate nach der Entbindung Mutter und Kind eine physiologische Einheit bilden sollten, daß also 9 Monate lang der Säugling seine Nahrung lediglich von der Mutter zu erhalten hätte. Sie begründen ihre Ansicht damit, daß in die Muttermilch gewisse Eiweißverbindungen des Blutes übergehen, die für alle Lebensprozesse von ganz hervor ragender Bedeutung sind, und die selbst durch die sorgfältigste Ernährung mit Tiermilch nicht im entferntesten ersetzt werden fönnen. Wenngleich die chemische Untersuchung ergibt, daß Menschen- und Tiermilch aus den gleichen Substanzen zusammen gesetzt sind, und daß die einzelnen Bestandteile nur in verschiedenen Verhältnissen in der einen und in der anderen sich vorfinden, so ist doch ihre Einwirkung auf den lebendigen Organismus des Kindes eine verschiedene. Die Eiweißverbindungen, die außer dem Milcheiweiß in der Muttermilch enthalten sind, begünstigen und erleichtern die Assimilierung, das heißt die Aufsaugung und Verarbeitung der ernährenden und aufbauenden Substanzen der Milch durch den Säugling. Bei Ernährung durch Kuhmilch dagegen, die noch dazu bei der Abkochung eine Verände rung ihrer chemischen Substanzen erfährt, muß der Organismus des Kindes die Verdauung und Aneignungsarbeit allein be sorgen. Dazu reichen oft die Kräfte nicht aus, und Krankheit und Tod find die Folgen davon. Vor allem aber gehen durch die Muttermilch die sogenannten Schutzstoffe in das Blut des Säuglings über. Sie machen die ins Blut gelangenden Bak terien unschädlich oder schwächen mindestens ihre Einwirkung ab und erschweren fie. Ferner ist das Urteil der Ärzte ein
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stimmig darin, daß die Ernährung durch Muttermilch auf das Kind auch über das Säuglingsalter hinaus gesundheitlich günstig wirft, indem sie der Blutarmut, der Rachitis und der Strofu lose hemmend entgegentritt. Das Angeführte allein läßt so große Vorteile der Ernährung des Säuglings durch Muttermilch erkennen, daß dringend gefordert werden muß, diese wenigstens für 13 Wochen dem Neugeborenen zu sichern.
Als Wöchnerinnenunterstützung fordern wir den ganzen durchschnittlichen Taglohn, statt nur ½ bis 3 desselben.
Die Frau, die aus Not lohnarbeiten muß, kann den Verdienst
am wenigsten entbehren, wenn sie im Wochenbett liegt, wenn außer den laufenden Ausgaben noch besondere Aufwendungen für die eigene Pflege und die des Säuglings auftreten, wenn sie mit ihrer Haushaltungskunst nicht ordnend und sparend eingreifen tann, sondern einer fremden Person alles überlassen muß.
Unsere Forderung: Obligatorische, freie Gewährung der Hebammendienste und freie ärztliche Behandlung der Schwangerschaftsbeschwerden bedarf keiner besonderen Begründung. Was wir fordern, ist nach allem bereits Ausgeführten einleuchtend und bildet einen so unablösbaren Teil der Krankenfürsorge, daß schon heute die Kassen die betreffenden Maßnahmen ergreifen können. Jedoch das, was heute nur fakultativ mancherorts eingeführt ist, muß zur bindenden Verpflichtung für alle Klassen gemacht werden.
Selbstverständlich ist ebenso unsere Forderung, daß die Schwangeren- und Wöchnerinnenunterstützung, sowie der freie Hebammen- und. Arztdienst gleichfalls den Frauen der Kaffenmitglieder obligatorisch gewährt werden sollen. Viele Tausende von Arbeiterfrauen, die aus irgend welchen Gründen keine verficherungspflichtige Erwerbsarbeit leisten, sind in der schweren Zeit der Schwangerschaft, sowie als Wöchnerin und Stillende überaus fürsorgebedürftig. Es mangelt in ihren Familien oft genug geradezu an allem: an Wäsche, an Lebensmitteln, an Pflegepersonal wie an Pflegematerial. Höchstens von der Hebamme und von einer mitleidigen Nachbarsfrau wird nebenher nach dem rechten gesehen. Die meiste Zeit liegt die Wöchnerin von aller Welt verlassen oder gar von einer lärmenden Schar Kinder umgeben. Nach ein paar Tagen steht sie auf, weil alles auf ihre ordnende und sorgende Hand wartet und- schwere Gesundheitsschädigungen sind die Folge. Aber just diese Frauen mit dem ohnehin geschwächten Organismus bedürfen einer längeren Ruhezeit, damit die inneren Organe sich rückentwickeln können.
Das Obligatorium bei all unseren Forderungen muß vor allen Dingen betont werden. Wird es von der Gestaltung des Statuts abhängig gemacht, was an Schwangeren- und Wöchnerinnenunterstützung gewährt werden soll, so wird die Durchführung des Mutterschutzes erfolgen oder auch unterbleiben, je nachdem das soziale Verständnis im Vorstand und in der Verwaltung stark oder schwach ist. Wird das Obligatorium gesezlich festgelegt, so ist ferner der Staat verpflichtet, eventuell, wenn es sich als nötig erweist, Zuschüsse zu leisten.
Ist die Reichsversicherungsvorlage erst Gesez geworden, so ist für Jahre, ja für Jahrzehnte hinaus keine Weiterentwicklung des Mutterschutzes in der Versicherungsgesetzgebung zu erwarten. Unsere Genossinnen mögen daran ermessen, wie wichtig es iſt, daß sie aktiv und kräftig in den Kampf mit eintreten, den die Gesamtarbeitertlasse zu führen hat, um ihre Forderungen auf dem Gebiet der Versicherungsgesetzgebung durchzusetzen. Agitieren, unsere Forderungen propagieren, damit der Wille der proletarischen Massen einen gewaltigen Ausdruck erhält: das ist deshalb auch in dieser bedeutsamen Sache unsere Losung. Luise Ziez.
Der Schutz der Heimarbeiter in der Reichstagskommission.
II.
gh. Die weitere Beratung der Kommission betraf zwei befonders wichtige Fragen. Zunächst die, wie die Kontrolle über