Nr. 18

Die Gleichheit

in die Stadt entschließen. Als das vorläufig weniger beweg liche und mehr konservative Element der Bevölkerung, als die billigere Arbeitskraft füllen sie die Lücken aus, die durch die Abwanderung der männlichen Arbeiter in die Städte und sonstigen Industriebezirke und Industriebetriebe entstanden sind. Im Jahre 1895 famen in der bayerischen Landwirtschaft noch auf je 1000 tätige Personen 615 Männer und 385 Frauen, das heißt über drei Fünftel; fast zwei Drittel der in ihr damals erwerbstätigen Personen waren männlichen Geschlechts. Im Jahre 1907 da gegen finden wir unter den Erwerbstätigen in der baye rischen Landwirtschaft zum erstenmal die hochbedeutsame Erscheinung des überwiegens der Frauen. Auf 1000 Er werbstätige tamen nun 514 Frauen und nur 486 Männer. In der Industrie sehen wir ebenfalls ein relatives Steigen der Frauenarbeit. Im Jahre 1895 waren dort unter 1000 Erwerbstätigen 191 weiblichen Geschlechts, im Jahre 1907 aber 211. Jm Handel und Verkehr steigt der Anteil der er werbstätigen Frauen in der Periode zwischen den beiden Zäh­lungen von 366 auf 407, im öffentlichen Dienst von 156 auf 200 unter je 1000 Erwerbstätigen der betreffenden Berufs abteilung. Hingegen sinkt bei der Lohnarbeit wechselnder Art von 1895 auf 1907 der Anteil der Frauen unter je 1000 Be rufstätigen von 751 auf 737; auch bei den beruflosen Selb­ständigen finden wir eine, wenn auch unbedeutende relative Minderung des Anteils der Frauen. Vergleichen wir aber die Anzahl der Frauen, die von 1895 bis 1907 in den einzelnen großen Berufsabteilungen hinzugewachsen sind, so ergibt sich bis zum Jahre 1907 für je 1000 in der betreffenden Berufs­abteilung Tätige in der Land- und Forstwirtschaft eine Steigerung um 671, in der Industrie um 378, im Handel und Verkehr um 599, bei der Lohnarbeit wechselnder Art um 394, im öffent lichen Dienst um 499 und bei den beruflosen Selbständigen  um 330. Wir sehen also in allen diesen Abteilungen eine absolute und starte Steigerung, die im Durchschnitt 549 auf je 1000 Erwerbstätige des Jahres 1895 ausmacht. Am stärksten war die Steigerung in der Land- und Forstwirtschaft und im Handel und Verkehr, schwächer als im Durchschnitt in den übrigen Berufsabteilungen, bezeichnenderweise am schwächsten bei den beruflosen Selbständigen  . Die merkwürdige Zunahme der Frauenarbeit innerhalb der Landwirtschaft ist um so be­deutungsvoller, als die Landwirtschaft als Erwerbsgelegenheit für das männliche Geschlecht fortschreitend an Bedeutung verloren hat.

Unser Interesse an der Berufsstatistik fann erst befriedigt werden, wenn wir tiefer in die Zahlen eindringen. Bisher haben wir nur die Hauptgruppen behandelt und die Stellung der Personen im Beruf nicht besonders beleuchtet. Wenn wir uns an die Unterscheidung machen, finden wir, daß in Land­wirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr zusammen 131171 weibliche erwerbstätige Selbständige, 11802 weibliche An­gestellte, aber 1091 323 weibliche Arbeiter beschäftigt werden. Wir sehen in diesen drei Berufsabteilungen, daß unter je 1000 Selbständigen 173 Frauen und Mädchen, unter je 1000 An­gestellten 119 weibliche, aber unter je 1000 Arbeitern 492 Ar beiterinnen gezählt wurden. Das heißt, daß in den günstigeren Positionen der Erwerbstätigkeit die weiblichen Personen von den Männern fast vollständig in den Hintergrund gedrängt bleiben, während bei den reinen Ausbeutungsobjekten, bei den Arbeitern, die weibliche Arbeitskraft nur um einen ganz un bedeutenden Anteil von der männlichen übertroffen wird.

In den Klassen der Selbständigen   und der Angestellten, die zahlenmäßig schwächer sind als die Klasse der Arbeiter, über­wiegt das männliche Geschlecht, und zwar, wenn man lediglich die Erwerbstätigen ins Auge faßt, sehr erheblich. In der Ar­beiterschicht dagegen ist das weibliche Geschlecht stärker ver­treten; faßt man die Erwerbstätigen allein ins Auge, so sind männliches und weibliches Geschlecht beinahe in gleicher Zahl vertreten. Für die innere Stärke der drei Schichten und für ihr Hervortreten im öffentlichen Leben ist jene Tatsache von nicht un­erheblicher Bedeutung. Bugleich zeigen diese Zahlen, von welcher Tragweite die Frauenfrage für die einzelnen sozialen Schichten ist. - Die Stellung der Frau im Wirtschaftsleben wird auch durch

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die nachstehenden Zahlen deutlich charakterisiert. Es famen unter den Erwerbstätigen in der Landwirtschaft auf je 1000 Selb ständige 881 Männer und 119 Frauen, auf je 1000 Angestellte 970 Männer und 30 Frauen und auf je 1000 Arbeiter 347 Männer und 653 Frauen. Auf je 1000 selbständige Erwerbs. tätige in der Industrie entfielen 776 Männer und 224 Frauen, auf je 1000 Angestellte 905 Männer und 95 Frauen und auf je 1000 Arbeiter 784 Männer und 216 Frauen. Im Handel famen auf je 1000 Selbständige 709 Männer und 291 Frauen, auf je 1000 Angestellte 838 Männer und 162 Frauen, endlich auf 1000 Arbeiter 491 Männer und 509 Frauen. Man ersieht hieraus, daß unter den Selbständigen   und auch unter den An gestellten, unter den letzteren noch mehr wie unter den ersteren, der Anteil der Frau noch wesentlich geringer ist als derjenige der Männer, daß aber vor allem in der Landwirtschaft, dann auch im Handel die Arbeit der Frauen ganz erheblich überwiegt, während sie in der Industrie zwar hinsichtlich der absoluten Zahlen sehr bedeutungsvoll ist, aber doch noch sehr weit hinter der der Männer zurückbleibt. In der Landwirtschaft erklärt unzweifelhaft neben der Abwanderung der Männer die starke Beteiligung der mithelfenden Familienangehörigen das besonders kräftige Hervortreten der Frauenarbeit.

Die Zunahme der Frauenarbeit in dem Zeitraum von 1895 bis 1907 ist erwiesen durch die Feststellung, daß in der Land­wirtschaft zu je 1000 Selbständigen 28, zu je 1000 Angestellten 2524, zu je 1000 Arbeiterinnen 739 neue hinzugekommen waren. In der Industrie finden wir dagegen bei den weiblichen Selb  ständigen ein Zurückgehen um 109 auf je 1000, dagegen bei den weiblichen Angestellten eine Zunahme von 3074 auf je 1000 und bei den Arbeiterinnen eine Zunahme von 617 auf je 1000. Jm Handel finden wir auf je 1000 weibliche Erwerbstätige seit 1895 eine Zunahme von 108, auf je 1000 weibliche An gestellte von 2920 und auf je 1000 Arbeiterinnen von 746.

Auch an der Zunahme der weiblichen Krankenkassenmitglieder kann man die steigende Ausbreitung der Frauenarbeit leicht feststellen. Im Jahre 1897 waren in Bayern   218187 Arbeite rinnen gegen Krankheit versichert, im Jahre 1906 aber 312721. Das besagt, daß im Verlauf von 10 Jahren die Zahl der gegen Krankheit versicherten Arbeiterinnen um reichlich/ gestiegen war. Aber nicht nur diese Erscheinung war festzustellen, sondern auch eine raschere Zunahme der weiblichen Mitglieder als der männlichen. Im Jahre 1897 entfielen in Bayern   auf 1000 männliche Versicherte 397 weibliche, im Jahre 1906 aber auf je 1000 männliche Versicherte 438 weibliche. Im Jahre 1897 wurden in den Fabriken und in den diesen gleichgestellten in­dustriellen Anlagen Bayerns   61574 Arbeiterinnen gezählt, während im Jahre 1906 die Fabrik- und Gewerbeinspektoren in diesen Betrieben 96806 Arbeiterinnen ermittelten. Wie man also auch die Arbeiterverhältnisse betrachtet, wo man auch Fest stellungen zu machen sucht, stets gelangt man zu dem wichtigen Ergebnis, daß die Frauenarbeit in einem raschen und bedeutungs­vollen Wachstum begriffen ist, ja, daß sie rascher wächst als die Verwendung männlicher Arbeitskräfte.

Stellen wir nun für das Jahr 1907 die Anzahl der in Bayern   gezählten Arbeiterinnen für einige noch nicht besonders erwähnte Berufsgruppen fest. Es wurden Arbeiterinnen ge zählt: in der Industrie der Steine und Erden 12514, in der Metallverarbeitung 13458, in der Industrie der Maschinen, Instrumente und Apparate 3064, in der chemischen Industrie 5430, in der Industrie der Leuchtstoffe, Fette und Ole 669, aber in der Textilindustrie allein 36667 Arbeiterinnen. In der Papierindustrie ermittelte die Statistik 5049 Arbeiterinnen, in der Lederindustrie 1428, in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe 8191, in der Industrie der Nahrungs- und Genuß­mittel 21989. Die höchste Anzahl der Arbeiterinnen finden wir in der Bekleidungsindustrie, wo die letzte Berufs- und Betriebs zählung deren 35279 nachwies. Jm Reinigungsgewerbe wurden 9104, im Baugewerbe 2087 und in den polygraphischen Ge werben 4423, dagegen in den künstlerischen Gewerben nur 147 und unter den gewerblichen Personen ohne nähere Bezeichnung bloß 427 weibliche Personen gezählt.