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Die Gleichheit
Auch außerhalb der eigentlichen Industrie ist die Frauens arbeit sehr stark vertreten, so im Handelsgewerbe mit 48593 und in der Gaft- und Schankwirtschaft mit 59355 Arbeiterinnen. Im Versicherungsgewerbe wurden bloß 52, im Post, Telegraphen- und Eisenbahnbetrieb 549 und im übrigen Verfehrsgewerbe 1033 Arbeiterinnen ermittelt.
In der Textilindustrie kommen auf 1000 als Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigte Personen 600 weibliche, im Reinigungsgewerbe 640, im Handelsgewerbe 624, im Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe 855, in der Landwirtschaft, Gärtnerei und Tierzucht 660. Hohe Zahlen finden sich auch im Be Kleidungsgewerbe, wo 488, in der Papierindustrie, wo 349, in den polygraphischen Gewerben, wo 280, in der chemischen Induftrie, wo 263 unter je 1000 als Arbeiter beschäftigten Personen weiblichen Geschlechts waren. Es sei noch erwähnt, daß unter je 1000 gewerblich tätigen Personen ohne nähere Bezeichnung, soweit sie als Arbeiter zu betrachten waren, sich 323 Arbeiterinnen befanden. Gering ist der Prozentsatz weiblicher Arbeiter im Post- und Telegraphenbetrieb( 1,1 Prozent), im Baugewerbe( 1,5 Prozent), im Bergbau, Hütten- und Salinen wesen sowie in der Torfgräberei( 4,1 Prozent) und in der Industrie der Maschinen, Instrumente und Apparate( 5,5 Prozent).
Ein Rückgang der Arbeiterinnen in der Periode 1895 bis 1907 ist festzustellen im Bergbau und im Hüttenwesen, im Baugewerbe, im Post-, Telegraphen- und Eisenbahnbetrieb, während in allen anderen Berufsgruppen Zunahmen festzustellen waren.
Am bemerkenswertesten erscheint die Vermehrung der Arbeiterinnen um 8357 in der Textilindustrie, weil gleichzeitig die Zahl der männlichen Arbeiter um 93 zurückgegangen ist. Im Bekleidungsgewerbe kommt die gleiche Entwicklung noch schärfer zum Ausdruck, denn die Zunahme der Arbeiterinnen beträgt 24937, während gleichzeitig die Zahl der männlichen Arbeiter um 9055 fant. In der Industrie der Nahrungs- und Genußmittel ist die Zahl der Arbeiterinnen von 1895 bis 1907 um 10587 gestiegen, die Zahl der Arbeiter hat jedoch bloß um weniger als die Hälfte, nämlich nur um 5120 zugenommen. Noch schärfer zeigt sich dieser Vorgang im Handelsgewerbe, wo der Zunahme der weiblichen Arbeitskräfte um 26121 ein Anwachsen der männlichen von bloß 10407 gegenübersteht. Mit aller Schroffheit kommt die Erscheinung zum Ausdruck im Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe, in dem im Jahre 1907 um 20268 Arbeiterinnen und bloß um 1981 Arbeiter mehr gezählt wurden als im Jahre 1897. Wie start das weibliche Geschlecht im Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe vertreten ist, ersieht man aus nachstehenden Zahlen. Unter 1000 Personen der untenstehenden Arbeitergruppen waren
Mithelfende Familienangehörige Kellner
Andere Hilfspersonen
männlich
•
.
•
1907 1895 46 52 263 213
212 216
.
•
.
weiblich 1907 1895 954 948 737 787 788 784
Eine bedeutende Rolle spielt bei der Feststellung der Be rufsverhältnisse der Nebenerwerb. Als Nebenberuf galt bei der Erhebung jede erwerbende Tätigkeit, die neben einem Haupts beruf, sei es zur Zeit der Zählung, sei es zu einer anderen Jahreszeit, ausgeübt wird und einen wesentlichen Teil des Ges famteinkommens liefert. Unter den Frauen war die neben berufliche Tätigkeit stark entwickelt, und zwar bemerkte man eine besonders erhebliche Steigerung derselben seit dem Jahre 1907. In Handel und Verkehr und bei der Lohnarbeit wech selnder Art wie bei den berufslosen Selbständigen überwiegt die Zahl der weiblichen Personen mit Nebenberufen relativ außerordentlich stark die Zahl der männlichen Personen mit Nebenberufen.
Wenn wir auch in unserer Darstellung davon absehen müssen, die Ergebnisse der Berufsstatistik für Bayern , soweit sie die Arbeiterinnen besonders betreffen, erschöpfend zu behandeln, so glauben wir doch scharf dargelegt zu haben, daß die Bedeutung der Frauenarbeit außerordentlich stark wächst, und daß die Frauenarbeit daher in immer steigendem Maße bedeutungsvoll für das Erwerbsleben wird. Die ermittelten Zahlen sagen aber
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auch eindringlich, daß die Frauen das lebhaftefte Interesse haben müßten, mit aller Kraft für die Verbesserung ihrer Lage zu wirken. In immer größerer Zahl sind sie zur Erwerbstätigkeit gezwungen, und besonders die Proletarierinnen werden aus den alten gewohnten Verhältnissen hinausgerissen, ihre Verwendung ist eine stärkere als die der Männer. An der steigenden Anzahl der beschäftigten Personen hat die Frauenarbeit einen erheblicheren Anteil als die Tätigkeit der Männer. Das zeigt uns, wie notwendig für die Arbeiterin die Verteidigung ihrer Interessen, der Kampf um eine Besserstellung ihrer Lage ist.
Kräftiger als die wirksamste Agitationsschrift muß die baye rische Berufsstatistik die Arbeiterinnen lehren, daß sie nicht zögern dürfen, in den Gewerkschaften und in den politischen Organisationen der Sozialdemokratie ihre Interessen zu wahren. Wenn das mit voller Energie geschieht, so können die Arbeiterinnen darauf hinweisen, daß der Wunsch des Unternehmertums, durch die Verwendung der Frauen die soziale Lage des Proletariats zu verschlechtern, nicht in Erfüllung gehen kann, weil sie Schulter an Schulter mit ihren männlichen Klassengenossen für die Hebung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, für die Befreiung der Arbeiterklasse kämpfen und stets kampfs bereit sind. ad. br.
Theaterelend.
In älteren Jahrgängen der„ Fliegenden Blätter " und anderer Wizblätter ähnlich harmlosen Schlags findet man wohl Illustrationen, die den Gegensatz zwischen der Stellung des Schauspielers auf der Bühne und im Leben ins Komische verzerren sollen: hier der König mit Krone, Pupur und Hermelin, der Amiter und Würden verschenkt, dort der arme Schlucker, der mit Gläubigern und Gerichtsvollziehern kämpft; hier der steinreiche Verschwender, der einen glitzernden Regen von Dufaten ausstreut, dort der vor Hunger Verzweifelnde, der an Brotrinden nagt. Daß in solchen Bildern eine wuchtige soziale Satire und Anklage steckte, ahnte wohl weder der Zeichner, noch der Spießbürger, der sich darüber amüsierte; nur in Fachzeitschriften wurde bislang das Theaterelend mit dem Ernst behandelt, den die Sache verdient. Auch die„ Neue Zeit" hat dankenswerte Beiträge* zu dem gleichen Thema veröffentlicht, und die Gleichheit" brachte in Nr. 14 einen Artikel, der das gleißende Elend der Bühnenkünstler, insbesondere aber der Schauspielerinnen darstellte.
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Durch den vor kurzem entbrannten Kampf zwischen Unternehmerverband und Arbeiterorganisation im Bühnengewerbe, dem„ Deutschen Bühnenverein " und der Deutschen Bühnengenossenschaft", ist nun dieses Stück sozialer Gegenwartsmisere in das helle Licht der breiteren Öffentlichkeit gerückt worden. Dieser Kampf geht, wie die Leserinnen wissen, um den neuen Theatervertrag und hat bereits eine stattliche Literatur gezeitigt, die für und wider das revoltierende Bühnenpersonal Partei ergreift und viel wichtiges Material zur Rennzeichnung ihrer Lage beibringt. Zwei solcher Veröffentlichungen seien heute herausgegriffen: Dr. Maximilian Pfeiffer , Theaterelend. Ein Weckruf. Druck und Verlag der„ Bamberger Neueste Nachrichten", Bamberg , 40 Seiten und Joachim Baron zu Putlig, Theaterhoffnungen. Ein Wort zur Aufklärung. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart und Leipzig . Beide Broschüren sind Kampfschriften, die der neuesten Phase der Bewegung entsprungen sind. Die Schrift des Zentrumsabgeordneten Pfeiffer ist eine sehr umfangreiche Materialiensammlung, die dokumentarisch und deshalb unwiderleglich die geradezu grandiose Ausbeutung der Bühnenstlaven durch die Theaterunternehmer bes legt. Nach Pfeiffers Erhebungen haben von insgesamt 25000 Bühnenangehörigen im deutschen Sprachgebiet über 12000 ein jährliches Einkommen von weniger als 1000 Mt., 5000 bis zu 1500 Mt. und nur 2500 über 3000 Mt. An mittleren Stadttheatern und kleineren Hoftheatern beträgt die Durchschnitts
* Siche insbesondere den instruktiven Artikel über die ökonomische Lage der Provinzschauspieler"." Neue Zeit" XX, Band 2, Seite 373.