Nr. 18

Die Gleichheit

gage jährlich rund 1200 Mr. Als Beispiel wird die Gage der Naiven in Neustrelitz   und Hannover   angeführt. Je 150 Mt. in sechs Wintermonaten gleich 900 Mt., dazu je 105 Mt. in drei Sommermonaten gleich 315 Mt., Summa 1215 Mt. Da­von erhält der Theateragent 5 vom Hundert gleich 60 Mt. Es bleibt ein Jahreseinkommen von 1155 Mt. 22 vom Hundert dieser Einnahme verschlingt die Beschaffung der Kostüme. Für Gastspielreisen und Reise im Engagement sind, gering angesetzt, 50 Mt. aufzuwenden, sonstige Anschaffungen, ebenfalls gering gerechnet, erfordern 50 Mt., Summa der notwendigen Aus­lagen 355 Mf., bleibt also ein Reineinkommen von jährlich 800 Mt. oder von monatlich 66,66 Mt. zum Lebensunterhalt der Künstlerin.

Gleich herzzerreißend ist die wirtschaftliche Lage der Chor mitglieder. Der Theateralmanach 1905/06 führt im Deutschen Reich   263 Bühnen mit rund 3600 Chormitgliedern auf. Deren 1285 waren an ganzjährigen Hof- und Stadttheatern oder Privatbühnen beschäftigt und bezogen eine durchschnittliche Jahresgage von 1300 bis 1800 Mt. für Herren, von 1100 bis 1200 Mt. für Damen. Von den 2312 Chormitgliedern, die nicht ganzjährige Engagements hatten, waren nicht weniger als 1721 im Sommer 1906 brotlos! Für diese 1721 Personen ist also der Winterverdienst der Jahresverdienst, von dem sie dazu Reisekosten und Garderobe zu zahlen haben. Ein Winterein­tommen bezogen Chormitglieder

männliche

weibliche

243 von 600 bis 800 Mt. 245 von 600 bis 720 mt.

226

M

845

#

975

158

=

86

=

975 1150

=

1170 = 1500

V

224

:

=

156

#

720 845

A

840

S

= 1020

86

=

=

= 1080= 1300#

Auch die technischen Bühnenarbeiter unterliegen der gleichen Troftlosigkeit ihrer Existenz- und Arbeitsbedingungen. Die täg­liche Arbeitszeit der technischen Arbeiter an den Bühnen Berlins  beträgt 15 bis 17 Stunden; außer dem Bußtag ist nur Kar freitag ein Ruhetag, das monatliche Einkommen beläuft sich auf 90 bis 120 Mr.

Pfeiffer zieht auch die Strafen ans Licht, die bei den ge­ringsten Bergehen, Zuspättommen zur Probe usw., in oft be trächtlicher Höhe entrichtet werden müssen. Er geißelt ferner den sogenannten Probemonat, der es dem Theaterunternehmer an die Hand gibt, mit den Existenzen der Bühnenkünstler Fang­ball zu spielen, nagelt fest, daß ein Direktor dagegen im ganzen zehn Ründigungsmöglichkeiten hat, und brandmarkt den berüchtigten Schwangerschaftsparagraphen des Bühnenvereinsvertrags. Es scheint, nebenbei bemerkt, aller Ehren wert, daß ein Abgeord­neter der Zentrumspartei   in diesem Zusammenhang erklärt: " Ich stelle mich nicht ins Lager der Emanzipationsbanner­träger. Aber ich meine, daß man an dem Schrei nach dem Kinde nicht mit odysseeischen Wachspfropfen in den Ohren vor­überschreiten darf. Und meine weiter: Die schlechtesten Mäd­chen sind es nicht, die außer der Ehe Muttersorgen bangend und doch freudig erleben."

Die Broschüre des Herrn Barons zu Putlig, der sich auf dem Titelblatt als Generalintendant der königlich württem­bergischen Hoftheater und als Vizepräsident des Deutschen Bühnenvereins   zu erkennen gibt, ist weiter nichts als ein schwäch licher Versuch, die Anklagen Pfeiffers zu widerlegen. Weit ent fernt von der brutal schnarrenden Schneidigkeit des Theater junkers v. Hülsen in Berlin  , versucht es Herr zu Butlizz mit einem beschwichtigenden: Es ist ja alles nicht so schlimm!" Sein Standpunkt ist mit folgenden Säßen genügend gekenn zeichnet: Es ist ein Märchen, daß die deutschen   Theaterdirek toren auf Rosen gebettet seien. Diejenigen von ihnen, welche imftande find, neben dem, was sie für ihr Leben brauchen, für ihr Alter noch etwas zurückzulegen, gehören schon der Minder­heit an." Ach ja, es ist überhaupt ein Märchen, daß die Kapi­talisten auf Rosen gebettet seien....

Dr. Pfeiffer gibt die Losung aus: Die Schauspieler können ihre Verhältnisse bessern, wenn sie sich vom gewerkschaftlichen Gedanken durchdringen lassen." Ganz zweifellos ist dies der einzige Weg zu einer Berbefferung ihrer Lage, aber wie die

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große bürgerliche Revolution in Frankreich   die gesellschaftliche Gleichberechtigung der vordem geächteten Schauspieler herbei­führte, wird erst die soziale Revolution ihre ökonomische Un­abhängigkeit zur Folge haben. Die viel verlästerte Pariser Kommune   tat schon einen ersten Schritt in dieser Richtung, indem sie in den Theatern an die Stelle der Ausbeutung durch einen Direktor das Genossenschaftsregime treten ließ.

Hermann Wendel  .

Der fünfte Kongreß der Krankenkassen Deutschlands  .

Eine imposante Kundgebung gegen den Entwurf der Reichs­versicherungsordnung war der fünfte Krankenkassenkongreß, der vom 17. bis 19. Mai in Berlin   tagte. 1696 Delegierte, die 1036 Krankenkassen mit 6748622 Mitgliedern vertraten, waren dazu erschienen. Der Ginladung der Einberufer des Kongresses hatten dies­mal auch Regierungsvertreter Folge geleistet. Es waren anwesend: vom Reichsamt des Innern die Herren Ministerialdirektor Gaspar und Geh. Regierungsrat Wiedfeld. Ferner hatten der Präsident des Reichsversicherungsamtes, der Magistrat von Berlin   und das laffen. Von anderen Korporationen hatten Vertreter entsendet: die Statistische Amt der Stadt Berlin   sich auf dem Rongreß vertreten Reichskommission der Krankenkassen Österreichs  , der Verband der Genossenschaftskrankenkassen Wiens  , sowie Krankenkassen aus Wien  und Budapest  . Vertreten waren außerdem die Generalfommission der Gewerkschaften Deutschlands   durch Legien  , Döblin   und Cohen; das Zentralarbeitersekretariat durch Müller; die Berliner   Gewerk­schaftstommission durch Ritter; das Berliner   Arbeiterfekretariat durch Link; der Verband der christlichen Gewerkschaften durch Schiffer, Becker, Behrens und Wiedberg; die sozialdemokratische Reichstagsfraktion durch die Abgeordneten Stadthagen  , Hoch, Molkenbuhr und Robert Schmidt  ; die freisinnige Fraktionsgemein­schaft durch den Abgeordneten Neumann- Hofer; der Generalrat der Hirsch- Dunckerschen Gewerkschaften durch Erkelenz  . Auch der Zentralverband der Krankenkassen- und Bureauangestellten hatte eine Vertretung entfendet.

Beigte schon die starke Beschickung des Kongresses, welche Er­regung der reaktionäre Geist der Regierungsvorlage in den Kreisen der Versicherten hervorgerufen hat, so brachten Referate und Dis­kussion dies noch stärker zum Ausdruck. Nur zwei oder drei unter 484 anwesenden Arbeitgebern stießen mit in das Horn der Reat­tion, die übrigen waren mit den Arbeitnehmern einig in der Ver­urteilung der Berböserungen, wie sie die Vorlage vorsieht. Auch den Resolutionen stimmten sie zu, die den geplanten Verschlechte­rungen die Reformvorschläge der Versicherten entgegenstellen. Er­freulicherweise blieben ferner Giesberts, der Zentrumsabgeordnete, und Erkelenz   von dem Hirsch- Dunckerschen Gewerkverein allein mit ihrer Taktit, durch politisches Wohlverhalten" und Bescheidenheit sich auszeichnen zu wollen. Die Mehrheit war augenscheinlich der unferes Erachtens einzig richtigen Ansicht, daß der Kongreß der Willensausdruck der Versicherten sein sollte, und daß deshalb klar und nachdrücklichst gefagt werden mußte, was diese als Minimum fordern und wogegen sie sich wenden.

Eine andere Taktit wäre in diesem Augenblick eine doppelte Unilugheit, wenn nicht ein Verrat an den Mandatgebern gewesen. Gine flare und präzise Stellungnahme, die rücksichtslos die ge­planten Verböserungen sowie die Unzulänglichkeit des Gebotenen aufdeckte und ihnen das zu Fordernde entgegenhielt, war geeignet, wissend und daher gleichgültig diesen wichtigen Fragen gegenüber die Masse der Interessenten aufzurütteln, die zum Teil noch uns steht, war nötig, um diese Masse aufmerksam zu machen, zu inters effieren, ihren Zorn zu wecken, ihrem Willen die Richtung zu zeigen, in der es gilt, vorwärts zu streben, damit das Gewollte erreicht wird. Dies das eine. Zum anderen aber waren Regierungsvertreter an­wesend, die nach den Worten des Ministerialdirektor Gaspar erschienen waren, um sich über die Wünsche der Versicherten zu infor­mieren. Der Reichsbeamte versprach auch, daß diese Wünsche ein. Würdigung im Ministerium finden würden. Wir geben nicht allzu­viel auf Worte der Minister und ihrer Vertreter, zumal die Herren tommen und gehen wie die Tauben eines Taubenschlags. Jeden falls aber sollen sie, wenn sie zu einer Tagung erscheinen, nicht den billigen Vorwand bekommen, sagen zu können, von weiter= gehenden Wünschen der Versicherten hätten sie dies und jenes und ein drittes nicht gehört. Der Ministerialdirektor Caspar erklärte weiter, daß die Regierung an teine Vernichtung der Selbstverwal­tung der Kassen denke. Andererseits betonte er aber auch. die