Nr. 18 Die Gleichheit 283 Gesellschaft liegt, sondern dieser erst erobernd abgerungen werden muß. Sie werden stets vorangehen, wenn die Losung ertönt: Nückkichtsloser, unversöhnlicher Kampf dem Militarismus. Von der Agitation. Eine Agitationstour durch Obcrschlefkn unternahm die Unterzeichnete von Ende April bis Anfang Mai. Sie referierte in öffentlichen Versammlungen zu Reuthen, Königs- Hütte, Zabrze  , Ratibor  , Zaborze, Gleiwitz   und Kattowitz  über das Thema:Die Reichssinanzreform und die Arbeiter". In Beuthen  , 5tönigshütte, Zabrze   und Kattowitz   wurden außer- dem besondere Frauenversammlungen abgehalten. Am 1. Mai sprach die Unterzeichnete in Königshütte  . Die Versammlungen waren mit Ausnahme der Frauenversammlungen in Beuthen   und Kattowitz  gut besucht. In Beuthen   traf am Tage der Versammlung der Bischof Kopp aus Breslau   ein, und alles Volk wanderte in die Kirche»; dazu goß der Regen in Strömen hernieder. Zu der Frauen- Versammlung in Kattowitz   kamen fast nur die Frauen, die schon einige Tage zuvor der öffentlichen Versammlung beigewohnt hatten. Von den Frauen, die der?.?. 8. angehören, erschien nur eine Ge- nossin. In jkattowitz bestand vor Jahren ein Frauenbildungsverein, der aber zugrunde ging, weil ihn die damalige Vorsitzende ins bürgerliche Lager hinüberlenken wollte. Persönliche Streitereien unter den Genossinnen trugen auch noch zur Zerstörung der Organi- sation bei. In der Versammlung schloffen sich die Frauen und Mädchen, die noch nicht politisch organisiert waren, dem sozial- demokratischen Verein an. Hoffentlich werden auch die noch fern- stehenden Genossinnen einsehen, daß nur die Einigleit der Arbeiter zum Ziele führen kann, und daß sie die Pflicht haben, sich zu organi- sieren und 5kämpserinnen für die Verwirklichung unserer Ideen zu weiden. Daß viele gläubige Katholiken zu uns gehören, bewies die Versammlung in Zaborze. Sie war für Sonnlag mittag um 1 Uhr angesetzt worden. Als wir in das Lokal gingen, sahen wir bei einer Kirche im Orte eine Prozession. Wir fürchteten für den Besuch der Versammlung und fanden den Saal auch wirklich fast leer. Aber unsere Befürchtung wurde nicht bestätigt. Von den Leuten, die aus der Kirche kamen, zogen viele direkt in das Versammlungs- lokal, und nach einer halben Stunde konnte vor mehreren hundert Personen das Referat gehalten werden. In allen Versammlungen traten viele Frauen und Männer der Organisation bei; für die Gleichheit", die in Oberschlesien   fast noch keine Abonnentin hatte, wurden zahlreiche Leserinneri gewonnen. Die Genossen in Ober- schlesien tun ihr möglichstes für die proletarische Frauenbewegung. Wo die politischen Vereine weibliche Mitglieder haben, ist auch .'ine Genossin im Vorstand der Organisation. Nun sollen regel- mäßig Versammlungen für die Genossinnen abgehalten werden. Tie Agitationsarbeit ist in Oberschlesien   sehr schwer. Die Gegner tun alles, um die sozialdemokratische Propaganda zu ver- hindern. In den meisten Orten steht den Genossen kein Lokal für öffentliche Versammlungen zur Verfügung, sie müssen sich Helsen  , indem sie eigene Räume mieten. Bei der Bekanntmachung von Ver- sammlungen sind sie auf die Verbreitung von Handzetteln ange- wiesen, die Benutzung der öffentlichen Anschlagsäulen ist der Sozial- demokratie verweigert. Hinzu kommt, daß der Jndustriebezirk keine eigene Presse hat,»voran der bisherige schlechte Forlschritt der Be- wegung die Schuld trägt. Die Genossen sind auf die Breslauer Volksmacht" angewiesen, die selbstverständlich nicht alles aus der Gegend berücksichtigen kann. Der Stamm tüchtiger Genossen und Eenossinuen, die unablässig bemüht sind, ausklärend zu wirken und der Partei neue Mitglieder zuzuführen, hat einen schweren Stand. Er kann nicht alle Arbeiten bewältigen. Wären mehr tüchtige Kräfte vorhanden, so könnte der harte Boden bald zu einem fruchtbaren werden. Oberschlesien   hat eine riesige Jndustriebevölkeruiig, die schwer unter der Knute des Kapitalismus   seufzt. Nicht überall tritt so kraß wie hier der Gegensatz zwischen dem Unternehmertum und der Arbeiterschaft zutage. Die Besitzer der großen, weit- bekannten Hütten und Gruben und die Herren Direktoren wohnen meist weit ab vom eigentlichen Jndustriegetriebe und vom un- gesunden Dunst der Hüttenwerke in schönen Städten oder auf herrlichen Besitzungen. Die in der Nähe der Betriebe leben, haben schöne Wohnhäuser mit großen Gärten, die zu den elenden Ar- beiterwohnungen einen Kontrast bilden, wie man ihn nicht schreiender denten kann. DieWohltätigkeit" der Werksbesitzer hat für die Arbeiter Häuser erstehen lassen, die schon von außen auf alles andere als aus Komfort schließen lassen. Wie nach der Schablone gemacht stehen sie da, eines so häßlich wie das andere, schwarz verräuchert, ohne jeden Schmuck. So eintönig wie die Häuser sehen auch ihre Bewohner aus. Mit Ausnahme einiger älterer Ortschaften machen die oberschlesischen Städte durchweg einen düsteren, schmutzigen Eindruck. Anhaltender Regen weicht die schlecht-, zum Teil ungepflasterten Straßen völlia auf. Der Rauch der Hüttenschlots hüllt die ganze Gegend in eine schwarze Wolke. Die zum großen Teil aus Polen   bestehende proletarische Bevölke- rung ist so bedürfnislos, daß sie kaum empfindet, unter welch furcht- baren Verhältniffen sie dem Kapital fronden. niuß. Es hält daher schwer, sie aufzurütteln. Die proletarischen Frauen werden in Oberschlesien   in Massen mit Arbeiten beschäftigt, die für sie un- geeignet sind; sie arbeiten auf Bauten, in Bergwerken und an Bahndämmen. Die katholische Kirche  , in deren Banden das ober- schlesisch« Volk noch steckt, benutzt ihre Macht, es in Unwissenheit und Bedürfnislosigkeit zu erhalten. Sie hat es nicht vermocht, der Trunksucht zu wehren, die andere Laster nach sich zieht. Trotz allem lassen jedoch die Fortschritte unserer Bewegung in der letzten Zeit die Hoffnung aufkommen, daß auch in dieser finsteren Gegend bald mehr Licht erstrahlen wird. Frida Wulff. Am Himmelfahrtsfest, den 20. Mai, tagte in Schmidthorst (Rheinland  ) eine öffentliche Volksversammlung, die zumeist von Frauen besucht war. Genossin Gewehr- Elberfeld behandelte das Thema:Die Frau im politischen und wirtschaftlichen Kampfe". Großer Beifall wurde der Rednerin zuteil; die Anwesenden waren mit ihren Ausführungen vollständig einverstanden und wünschten keine Diskussion. Der Vorsitzende forderte die Teilnehmer auf, das Gehörte weiterzutragen, Leserinnen und Leser für dieGleichheit" und die Parteipresse wie Mitglieder für die Parteiorganisation zu gewinnen. In der Versammlung wurden mehrere Aufnahmen für die Partei gemacht. Schmidthorst marschiert im Wahlkreis an der Spitze der proletarischen Frauenbewegung. Mit einem Hoch auf die sozialdemokratische Arbeiterbewegung schloß die imposante Ver- sammlung. Selma Lipp mann Agitation im vierten und neunten ybssischen Wahlkreise. In der Zeit vom 1. bis zum 20. Mai behandelte Genossin Bau- mann-Allona in IS Versammlungen das Thema:Die Frau im politischen Leben". Die Versammlungen fanden statt in Darm- stadt, Eberstadt  , Pfungstadt  , Niederramstadt  , Wix- hausen, Arheilgen  , Büttelbronn  , Ginsheim  , Rüssels- heim, Trebur  , Walldorf  , Niederbeerbach  , Buden- heim, Hechtsheim, Mombach  , Kastel  , Mainz   und Bretzenheim. In vielen dieser Orte ist ein starkes Vorurteil der Frauen gegen ihre Teilnahme am politischen Leben zu bekämpfen Um so erfreulicher war es, daß an allen Versamnilungen Frauen bald in großer, bald in geringerer Zahl teilnahmen. In einigen Orten hatte noch nie eine Frau referiert, so in Büttelbronn und Niederbeerbach. In Büttelbronn   hatte Genossin Jockel eine rege mündliche Agitation für die Versammlung entfallet und da- durch zu dem zahlreichen Besuch der Frauen beigetragen. Sie leitete die Versammlung mit Geschick und sprach in der Diskussion. Ihr mutiges Beispiel muß anderen Frauen zur Nachahmung dienen. In Niederbeerbach  , einem kleinen Orte im Odenwald  , be> suchten zum erstenmal Frauen eine Versammlung. Die Partei- genoffen waren dem Beschlüsse einer früheren Versammlung nach- gekommen, ihre Frauen mitzubringen. Mit größtem Interesse wurden die Ausführungen der Rednerin verfolgt. Durch die Agi- tation sind der Partei neue Mitglieder und derGleichheit" neue Leserinnen gewonnen worden. In einzelnen Orten sind schon Ge- nossinnen mit Eiser für die Organisation der Frauen tätig; dort hat die Bewegung bereits festen Fuß gefaßt. Anderwärts ist jetzt der Anfang zu einer planmäßigen Agitation unter den Proletarie- rinnen dadurch gemacht worden, daß sich Genossinnen bereit er- klärten, gemeinsam mit den Vorständen der örtlichen Parteiorgani- sationen für die Ausklärung und Organisation ihrer Klassengenos- sinnen zu wirken._ L. ß. Politische Rundschau. Immer enger schließt sich die Koalition der Junker und des Zentrums zusammen zur Durchführung deS großen Raubzugs auf die Tasche» des Volkes, offiziell Reichsfinanzreform genannt. Die Beratungen in der Finanzkommisston des Reichstags, die auch während der Pfingstferien des Parlaments>veiterarbeitet, haben kurz vor dem Feste mit einem unerwarteten Knalleffekt abgeschlossen. Konservative und ktlerikale zwangen durch einen frechen Bruch der Geschäftsordnung das liberale Geschwister, Nationalliberale und Freisinnige, sich eigenhändig aus dem Block herauszuwerfen und mit der Sozialdemokratie zusammen in Opposition zu treten. Das heißt wenigstens einstweilen. Was nach dem Zusammentreten des Reichstags sich begeben wird, wenn die liberalen Mannesseelen wieder vollzählig zum Kuhhandel mit der Reaktion versammelt sind, darüber ist schlecht prophezeien angesichts der Tatsache, daß die Hundedemut der Liberalen, die Volksparteiler nicht ausgenommen. bis jetzt noch nie eine Grenze gekannt hat, genau so wie der Haß