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Die Gleichheit
politischen Gegensätze und die dahinter lauernden Gegensätze der sozialen Schichtung! Die Frauenrechtlerinnen aller Länder, und zumal die deutschen riefen es frohlockend den Sozialdemofratinnen zu, und in ihren Auglein blinkten jene Tränen freus diger Rührung, die dem Menschen so leicht ankommen, wenn das Leben zufällig einmal eine sorgfältig gehegte Lieblingsdummheit zu begünstigen scheint. Ein fnappes Jahr anhalten der Triumphe der„ neuen" Taktik hat hingereicht, den lieblichen Sput illusionsreicher Gefühle in sein praktisches Nichts aufzu lösen. Heute wenden sich die Suffragists unzweideutig gegen die Suffragettes. Ihre frühere Haltung des Nichtmitmachens, aber der wohlwollenden Duldung der„ revolutionären“ Agitationsmethoden hat sich in die entschiedene Verurteilung, ja Bekämpfung derselben verkehrt. Zu großzügigen Ausein andersetzungen über die Frage der Taktik ist es zwischen den ,, einigen Schwestern" allerdings nicht gekommen. In der Praxis aber entladen sich die Gegensätze in einen Froschmäusefrieg, in dem zumal ein Teil der Suffragists ganz Erkleckliches an Gehässigkeit und Tücke leistet.
Am Vorabend des Londoner Kongresses waren daher die Aussichten geringer als je zuvor, daß sich die wichtigsten englischen Frauenstimmrechtsorganisationen in naher Zukunft zu dem einen nationalen Verband zusammenschließen werden, der nach den Satzungen des„ Weltbundes" allein diesem angegliedert sein kann. Aber die Bedeutung der zwei frauenrechtlerischen Vereinigungen, welche hinter der Taktik der Suffragettes stehen, war mit deren Erfolgen gestiegen. Die frauenrechtles rische Internationale fonnte sie nicht übersehen; das um so weniger, als in allen Ländern ein Teil der Frauenrechtlerinnen unverhohlen mit den Suffragettes sympathisiert. Der Erfolg ist ein überzeugender Werber von Bundesgenossen. Eindringliche Befürworterinnen erstanden der Forderung, durch eine Abänderung des Statuts es zu ermöglichen, daß auch die Organis fationen der Suffragettes dem Weltbund" beizutreten vermöchten. Mittel und Wege zur Verwirklichung dieser Forde rung zu finden, ohne unmittelbar in die Zwiftigkeiten der englischen Frauenrechtlerinnen einzugreifen, aber in der Hoffnung und Absicht, sie mildern und überwinden zu helfen: das war eine der organisatorischen und taktischen Hauptaufgaben, welche ber Kongreß zu lösen hatte.
Wir haben bereits in anderem Zusammenhang hervor. gehoben, daß er der Erörterung über die Frage der Taktik selbst feig aus dem Wege ging. Offenbar nach dem berühmten Rezept der Polizei im hellen Sachsen : über Thema darf nicht gesprochen werden." Fräulein Papprit quittiert über diese Enthaltsamkeit im Berliner Tageblatt" mit einem Stoßseufzer barüber, daß die Frage nicht zur Diskussion stand: Wie können wir praktisch arbeiten, um die Sache des Frauenstimmrechts zu fördern?" Aber sie tröstet sich wie andere ihresgleichen mit ber billigen Ansicht, daß die Propaganda der Tat", wie die Suffragettes fie praktizieren, in außerenglischen Ländern der Sache des Fortschritts nur schaden würde". Eine Ansicht, die ein genau so verflucht gescheites Erfassen des Wesens jeder Taktik befundet, wie es ihr Gegenpol tun würde: die Meinung nämlich, daß die„ revolutionären" Kampfesmethoden der Suffra gettes unter allen Umständen überall angewendet werden müssen. Aufgabe des Kongresses wäre es gewesen, aus dem besonderen Fall das allgemein Gültige herauszuschälen: die Betonung der Notwendigkeit, im Hinblick auf das Ziel durch die Beweglichkeit ber Taktik jede Situation voll auszuschöpfen. Das Aussprechen bieser Selbstverständlichkeit hätte aber zu einer Rechtfertigung der Suffragettes geführt. Daher unterblieb es.
Wie die Kämpferinnen für das allgemeine Wahlrecht wegen ihres Bieles, so hat der Kongreß die Suffragettes wegen ihrer Kampfesmethoden meuchlings außerhalb des„ Weltbundes" gestoßen. Und auch bei den schäbigen Praktiken, die diesem schwesterlichen" Beginnen dienten, zeichneten sich wiederum neben den englischen Suffragists die nordamerikanischen Frauen rechtlerinnen unter Führung jener Vertreterin praktischen Christentums" aus, die Fräulein Pappriz' feuertrunkener Blick in der Predigerin Shaw geschaut hat. Es fiel der Antrag, in
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den Ländern, wo zufolge tiefgehender Meinungsunterschiede kein Nationalverband die einzelnen Frauenstimmrechtsorgani sationen zu einen vermag, diese durch ein paritätisch zusammengesetztes Komitee lose zusammenzufassen, welches den Verkehr mit dem„ Weltbund" vermitteln sollte. Damit nicht genug. Den Organisationen der Suffragettes wurde noch durch ein anderes Votum des Kongresses die Tür zu dem„ Weltbund" verrammelt. Es legte im Statut fest, daß diesem nur solche Verbände angegliedert sein dürfen, welche regelmäßige jährliche Beiträge von ihren Mitgliedern erheben. Die stärkste und reichste Vereinigung der Suffragettes die Social and Political Uniontut das nicht. Sie macht die Mitgliedschaft nur von einem einmaligen Eintrittsbeitrag abhängig, da ihr genügend Mittel von konservativer Seite zufließen.
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Die Suffragettes selbst konnten ihre Sache nicht vor dem Kongreß führen. Dafür hatten immer in schwesterlicher Gesinnung"! die Suffragists gesorgt, denen die Vorbereitung und Organisation der Tagung zugefallen war. Wohl hatten schandenhalber die Suffragettes als offizielle Ehrengäste zum Kongreß geladen werden müssen. Jedoch als Ehrengäste, die der Maulforb schmücken sollte. Für ihre Ausführungen waren ihnen nur 10 Minuten Redezeit bewilligt, und auch das nicht bei einem bestimmten Punkt der Tagesordnung, sondern wann es der Leitung des Kongresses beliebte. Unter diesen Umständen taten die Suffragettes das einzig Richtige: sie blieben dem Kongreß fern. Den nichtenglischen Delegierten aber führten sie die Macht und den Erfolg ihres Vorgehens in praxi vor Augen durch eine Reihe von agitatorischen und demonstrativen Veranstaltungen. Sprühendes Leben und Weben war das Gepräge des von ihnen organisierten Riesenmeetings in der Albert- Hall , die 10000 Personen faßt, wie auch der Feier, die am Morgen darauf zu Ehren von 19 Suffragettes stattfand, die aus dem Gefängnis entlassen wurden. Die schwesterliche Liebe" der Suffragists hatte ausgerechnet für den Abend des Meetings sehr verlockende Veranstaltungen getroffen: einen Ausflug nach Stratford- on- Avon , Shakespeares Geburts. ort, und eine Aufführung von Shakespeare- Festspielen. Trotz alledem wohnte wohl die übergroße Mehrheit der nichtenglischen Delegierten der Versammlung in der Albert- Hall bei, und nicht wenige Ausländerinnen jubelten den in die Freiheit, in den Kampf zurückkehrenden Suffragettes zu.
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Aber freilich! All das war mehr der Genuß eines Schau spiels, denn die Betätigung einer ernsten Überzeugung. Noch schwelgten die Damen in der seligen Erinnerung an die„ ele. gante Toilette", in der Mrs. Pethwick- Lawrence, eine Führerin der Suffragettes, ihre zündende Rede" in das Mee ting geschleudert hatte; noch brannten ihre zarten Händchen von dem Klatschen des Beifalls, mit dem sie die 450 frauenrechtlerischen Kämpferinnen gegrüßt hatten, die für ihre Überzeugung hinter die Mauern des verrufenen englischen„ Arbeits Hauses " gegangen waren: und schon erhoben sie auf dem Kon greß feierlich die Schwurfinger gegen die Suffragettes und er flärten:„ Wir kennen diese Menschen nicht." In der Tat, nur die Vertreterinnen von armseligen drei frauenrechtlerischen Nationalverbänden von 21, die am Kongreß teil nahmen stimmten dafür, daß dieser auch den Suffragettes seine Anerkennung für ihre unstreitig opferreiche und mutige Betätigung aussprechen sollte. Das betreffende Amendement zu einer Resolution, die das Wirken der Suffragists über Gebühr lobte, wurde von den russischen mit Unterstützung der deutschen Delegierten eingebracht und nur noch von der bel gischen Delegierten befürwortet. Ja Schlimmeres noch: es foftete einen Kampf, damit das Amendement überhaupt zur Verlesung kommen durfte, und die Beratung blieb ihm gegen die Stimmen der drei genannten Delegationen versagt. Ver geblich hatte Fräulein Augspurg sich bemüht, durch drei geschäftsordnungsgemäße Fragen an die Vorsitzende der Tagung den Dingen eine andere Wendung zu geben. Mrs. ChapmanCatt würdigte sie feiner Antwort. Als Protest verließ Fräulein Augspurg demonstrativ das Podium und nahm ihren Platz statt unter den Mitgliedern des Vorstandes unter den