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Die Gleichheit
darauf, eine Reinmachefrau zu halten. Die Pfleglinge, die elf Stunden lang im Getöse der Spinnfäle bis zur Erschöpfung geschanzt haben, können abends zu ihrer Erholung die notwendigen Hausarbeiten verrichten. Das ist des öfteren vorgekommen. Durch Arbeit sich von der Arbeit erholen, das scheint überhaupt Grundsatz in allen Heimen zu sein, welche der Wohlfahrt" dienen sollen. Es darf den Arbeiterinnen Teine Zeit zum Nachdenken bleiben, denn Nachdenken verstößt gegen die Interessen der Kapitalisten. Die Interessen der Arbeiterinnen aber wahrzunehmen, ist nicht die Aufgabe solcher Heime! Für die Errichtung des Heims durch die Stadt ist in erster Linie die Rücksicht auf die Herren Textilbarone maß gebend gewesen, nicht das Mitgefühl mit der traurigen Lage der Lohnstlavinnen, die fern von der Heimat ihrem Brot nachgehen. Durch das Heim sollte dem Mangel an Spinnereiarbeitern und-arbeiterinnen in M.- Gladbach abgeholfen wer den. Die engen Beziehungen zwischen der Anstalt und den Unternehmern erhellen daraus, daß diese den Arbeiterinnen das Logisgeld vom Lohn abziehen, und daß die Heiminsassinnen meist als Lohndrückerinnen dienen. Die Interessensolidarität von Kirche und Kapital wird dadurch besiegelt, daß die Arbeiterinnen im städtischen Heim unter der Aufsicht barmherziger Schwestern stehen.
Die Konfession, ob katholisch, ob protestantisch, ändert an dieser Interessensolidarität nichts. Die Spinnerei Krawinkel & Schnabel in Dieringhausen hat ein evangelisches Mädchenheim errichtet, das ebenfalls unter der Leitung frommer Schwe stern und eines Pfarrers steht, der das elterliche Erziehungsrecht besitzt. Dieses Heim wird gleichzeitig auch von der Stadtverwaltung Gummersbach als Fürsorgeerziehungsanstalt be nutzt. Die Folge davon ist, daß es der Firma nie an Arbeitsfräften fehlt. Sie beschäftigt nur Fürsorgezöglinge und fremde Arbeiterinnen und stellt einheimische Arbeiterinnen überhaupt nicht ein. Prospekte rühmen die günstige Gelegenheit für Mädchen, lohnenden Verdienst und christliche Erziehung zu erhalten, und locken die Masse derer an, die nie alle werden. Die Mädchen müssen einen Kontrakt unterschreiben, der für drei Jahre gilt, und nach dem ein Anfangslohn von 1 Mt. pro Tag festgesetzt wird, der in drei Jahren auf 1,60 Mt. steigt. Vom Lohne gehen täglich 80 Pf. für Kost und Logis ab, der Rest wird von den Schwestern verwaltet, die alles für die Mädchen einkaufen. Diese erhalten während der drei Jahre ihres Vertrags feinen Pfennig ihres verdienten Lohnes in die Hand. Dieser wird ihnen erst nach Ablauf der Kontraktzeit abzüglich aller Unkosten und Auslagen ausgezahlt. Die Mädchen müssen abwechselnd die Hausarbeit besorgen und erhalten an den Tagen, wo dies der Fall ist, nur Kost, keinen Lohn. Die bedauernswerten Geschöpfe werden von den Schwestern zur Fabrik geführt und während der Arbeit beaufsichtigt. Am Sonntag geht es ebenfalls in geschloffenem Zuge zweimal unter Führung der Schwestern zur Kirche. Dazwischen fällt ein Spaziergang unter Absingung geistlicher Lieder. So wird dem Bolte die Religion erhalten. Die christliche Nächstenliebe diftiert in dem Heim zu Dieringhausen streng Klösterliche Zucht. Wie es heißt, sollen dabei Kostentziehung und Einsperrung in eine besondere Strafzelle, Dunkelarrest und Prügel als Er ziehungsmittel in Anwendung kommen. Mehr als einmal haben Mädchen versucht, sich der liebevollen Erziehung im Heim durch die Flucht zu entziehen. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich drastisch, warum der Lohn einbehalten wird. Die mittellosen Mädchen werden bald wieder zurückgebracht, der Vertrag verpflichtet sie ja zu dreijähriger Sklavenarbeit bei der Firma. Die barmherzigen Schwestern haben darüber zu wachen, daß diese Zeit in jeder Hinsicht zum Nutzen des ausbeutenden Kapitals voll ausgenutzt wird. Nach Ablauf der drei Jahre sind die Mädchen unter der Zucht des Heims stupid, energielos geworden, stumpfsinniges Ausbeutungsmaterial für das Unter nehmertum.
Die Textilprogen haben es von jeher verstanden, fremde Arbeitskräfte heranzuziehen, ihre Unkenntnis auszunuzen und fie zu billigeren Löhnen als die einheimischen Proletarier zu
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beschäftigen. Ihre besondere Sorge um das„ Seelenheil" an gelockter ausländischer Arbeiterinnen ist noch immer der Deckmantel schonungslosester Auswucherung der weiblichen Arbeitsfraft gewesen.
Geistliche und Schwestern spielen ihnen dabei nur zu oft in die Hand. Dafür ein Beispiel aus einem anderen Teile Deutschlands . Der Trikotwarenfabrikant Jaques Schießer zu Radolfzell in Baden rührte ebenfalls durch Prospekte die Reklametrommel für sein gemeinnüßiges Werk". Dies ge meinnützige Werk" tritt uns entgegen in Gestalt von Mädchenheimen in Radolfzell , Engen und Stockach , wo neben dem leiblichen auch für das geistige Wohl der Pfleglinge bestens gesorgt sein soll. Auskunft an Interessenten erteilten nach dem Prospekt außer den Vorsteherinnen der Schwestern in den drei Heimen auch sieben Pfarrherrcn. Aus der frommen Steiermark bezieht der Herr Fabrikant die meisten Mädchen, welche seine gemeinnützigen" Anstalten füllen. Die Glückseligkeit der Armen besteht darin, bei 12 Pf. Stundenlohn zehn Stunden täglich zu arbeiten und viele und hohe Strafen zu zahlen. Die Mädchen werden natürlich zur Sparsamkeit angehalten, und es wird ihnen begreiflich gemacht, daß sie nicht nötig hätten, in Versammlungen zu gehen, weil es ihnen so gut ginge. Als fünf Mädchen dieser Glückseligkeit entflohen und sich obdachlos meldeten, wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Wirken des edlen Menschenfreundes gelenkt. Es kam zu einem Prozeß. Das Ende vom Liede war aber nicht etwa die Schließung der Heime, sondern nur die Feststellung der Tatsache, daß einige Punkte des Prospektes der Wahrheit nicht ganz entsprächen. Der Prozeß zeigte die Lohn- und Arbeitsverhältnisse der Firma in recht eigenartigem Lichte. Was das Leben und die Verpflegung in den Heimen anbelangt, so bekundeten Zeugenaussagen, was ein Unternehmer unter förperlichem und geistigem Wohl der Arbeiterinnen versteht. Die Be handlung der Mädchen ist unter dem Hund", hieß es da. Freches Ding",„ Saugesellschaft", österreichisches Gesindel", " Lumpenzeug", das waren die Titulaturen, mit welchen die Arbeiterinnen bedacht wurden. Die Behandlung, die diesen zuteil ward, trieb sie fast zur Verzweiflung.
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Die Nähfadenfabrik von Gütermann in Gutach im badi schen Schwarzwald hat unter ihren Wohlfahrtseinrichtungen ebenfalls ein Mädchenheim. Es ist für die italienischen Arbeiterinnen bestimmt, deren Unwissenheit und Rückständigkeit zum höheren Gewinn des Unternehmertums von frommen Schwestern fultiviert wird. In den Seidenwebereien und in den Zwirnereien des Schwarzwaldes arbeiten zu Schund löhnen Tausende von Mädchen, die ebenfalls in Heimen untergebracht sind. Sie werden in der Folge von der aufklärenden Agitation, von der Organisation kaum erfaßt. Jeder Versuch, sie zum Bewußtsein ihrer Lage zu erwecken, scheitert schon an der Hausordnung der Heime.
Richtet euch nach meinen Worten, nicht nach meinen Werken! Dieser Spruch trifft für die meisten Leiterinnen oder Leiter solcher Anstalten zu. Auch in Schweßheim, das durch den letzten christlichen Sieg" so berühmt geworden ist, erweist sich das Heim als eine Geißel für die Arbeiterinnen. Fromme Klosterfrauen walten dort und im Betsaal ihres Amtes, und hinter den Fabriftoren herrscht ein wahres Schreckensregiment. Niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten sind ja überall das Los der erwerbstätigen Proletarierinnen. In der Bindfadenfabrik zu Schwetzheim aber werden die Arbeiterinnen nicht nur ausgebeutet, sondern obendrein noch geprügelt und vom Direktor höchst eigenhändig geohrfeigt. Der übliche Rosenamen für sie ist„ Saumensch". Wehe aber einem solchen„ Saumensch", wenn es der liebenswürdigen Einladung eines Vorgesetzten ins Privatzimmer nicht Folge leistet! Der sofortige Verlust der Arbeitsgelegenheit und der gastlichen Stätte des Heims wäre sicher die Strafe für solche Widersetzlichkeit. Denn zu den keuschen Ohren der frommen Klosterfrauen, die im Dienste des Unternehmers das Heim verwalten, dürften Klagen über Attentate auf die Sittlichkeit der Arbeiterinnen kaum dringen. Sollte das aber doch der Fall sein, so werden die Schwestern eher