Nr. 20

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Die Gleichheit

Nationalföderation. Nach ihrem 1902 beschloffenen Statut sollte die Nationalföderation der sozialistischen   Frauen alljährlich eine Landesversammlung abhalten, jedoch haben bisher diese Tagungen nur nach zwei oder drei Jahren stattgefunden. Der letzte Jahres­tongreß wurde zu Weihnachten 1906 abgehalten. Da die Bei träge an die Nationalföderation-10 Centimes( 8 Pf.) pro Mitglied im Jahre sehr unpünktlich eingehen, ist eine ge­naue Abschätzung der Zahl der politisch organisierten Frauen nicht möglich. Sie dürfte jedoch kaum 300 betragen. Lokal gruppen gibt es außer in Brüssel   nur noch in den flämischen Orten Gent  , Ledeberg, Gentbrugge, Antwerpen  , Ronse  , Aalst  , Meenen und Kortryk  . Die einzige Ortsgruppe des wallonischen Landesteils, Wanfercée- Baulet, ist eingegangen. Schon daraus, daß die Organisation nur in Flandern   festen Fuß gefaßt hat, geht hervor, daß der niedrige Bildungsgrad des weiblichen Proletariats nicht der einzige Grund ihrer Schwäche ist, denn gerade in Flandern   ist es mit der Volksbildung am aller schlechtesten bestellt. Dagegen ist hier die Partei- ebenso wie die Gewerkschaftsorganisation relativ stärker, und es herrscht in ihr im allgemeinen, dank dem Einfluß des sprachverwandten Deutschland   und der deutschen Sozialdemokratie, ein befferer Geist als in den wallonischen( Französisch sprechenden) Landes­teilen, die vor allem die Schwächen und Gebrechen des frans zösischen Sozialismus aufweisen.

Die Föderation verfügt über ein flämisches monatliches Organ ,,, De Stem der Vrouw"(" Die Stimme der Frau") und hatte bis zum vorigen Jahre auch ein französisches, La Femme Socialiste", das jedoch sein Erscheinen wegen der zu gering gewordenen Leferzahl einstellen mußte. Die Auflage schwankte immer zwischen 500 und 1000 Exemplaren im Monat, die Abonnentenzahl zwischen 200 und 350. Die Stem der Vrouw" wird durchschnittlich in 1000 Exemplaren aufgelegt.

Wenn der Stand der sozialistischen   Frauenbewegung in Belgien   demnach im allgemeinen nicht gerade glänzend ist, so ist er es am allerwenigsten im Laufe des vergangenen Jahres gewesen. Die Nationalföderation besteht eigentlich nur noch auf dem Papier. Auf dem letzten Kongreß der Arbeiterpartei ist sogar zum erstenmal der übliche Bericht ihrer Sekretärin unter blieben, die Frauenbewegung ist daher dort überhaupt nicht erwähnt worden. Von keiner einzigen Ortsgruppe kann man sagen, daß sie sich eines regen Lebens erfreut. Es fehlt zwar nicht an gutem Willen, aber an geeigneten persönlichen Kräften zur Leitung der Organisation und der Erziehungsarbeit. Die Gruppe in Brüssel   hat sich im Oftober 1908 aufgelöst und den Übertritt ihrer Mitglieder in die allgemeine Parteiorganisation beschlossen, die den weiblichen Mitgliedern besondere Vergünsti­gungen in bezug auf die Beitragsleistung usw. gewährt hat. Aber auch in Flandern   ist die Organisation sehr zurückgegangen, und zwar vor allem deshalb, weil sie unter der Führung des ehemaligen Redakteurs der Stem der Vrouw" ein paar Jahre lang völlig auf die Abwege der bürgerlichen Frauenrechtelei geraten ist. Bei dem Mangel an ernsthafter prinzipieller Er­ziehungsarbeit in der belgischen Arbeiterbewegung überhaupt ist es kein Wunder, daß dies möglich war. Am Ende war die Stem der Vrouw" durch die Los von den Männern- Färbung", die sie unter dem Einfluß einer kleinen Gruppe bürgerlicher

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Reinigung" ist zum allermindesten ein Hindernis aus dem Wege geräumt, das bisher jeden Fortschritt der proletarischen Frauen­organisation unmöglich machte, oder richtiger jeden möglichen Fortschritt in sein Gegenteil umwandelte.

Bedeutende und dauernde Fortschritte der proletarischen Frauenbewegung in Belgien   werden jedoch so lange nicht ver­wirklicht werden können, bis sich in der Arbeiterpartei selber wichtige materielle und geistige Änderungen vollzogen haben. Zunächst in materieller Beziehung: wenn die Agitations- und Erziehungsarbeit unter den Frauen Früchte tragen soll, so müssen dafür Kräfte erhalten und Mittel aufgewendet werden, wie sie allein die Partei- und die Gewerkschaftsorganisation auf­zubringen imstande find, aber auch sie beide erst dann, wenn sie sich von den noch heute vorherrschenden föderalistischen An­schauungen befreit und zentralistisch organisiert haben werden. Viel wichtiger ist es aber noch, daß der Geist unter den Partei­genossen sich ändert. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Jrrungen und Wirrungen wie die der Stem der Vrouw" unmöglich ge­wesen wären, wenn nicht die Mehrheit der Parteigenossen durch ihre Gleichgültigkeit den Vorwurf in der Tat einigermaßen gerechtfertigt hätten, daß die Frauen von den Männern nichts zu erwarten haben", wie das Blatt immer verkündete. Das gilt besonders für die Frage des Frauenwahlrechts. In Belgien  liegen die politischen Verhältnisse infolge einer Menge von Um­ständen, die zu verwickelt sind, als daß wir hier darauf ein­gehen können, heutzutage so, daß die regierende fleritale Partei von dem einen Tag zum anderen in die Lage kommen kann, das Frauenwahlrecht oftrovieren zu müssen, als das einzige Mittel, um ihre ernsthaft bedrohte Herrschaft zu verlängern. Die Klerikalen haben das mehrmals im Parlament und in ihrer Presse als eine Drohung ausgesprochen. Als eine Drohung könnte es auch der Liberalismus auffassen, denn die Frauenstimmen würden auf mehrere Jahre hinaus eine Klerikale Majorität sichern und damit seine Hoffnungen auf die Regierungsherrlich­feit zerstören. Eine Drohung kann das aber niemals für die Sozialdemokratie sein, sondern nur die willkommene Botschaft, daß ihr das Mittel geboten werden soll, um gründlicher und allgemeiner als bisher ihre Mission zu erfüllen: die Erweckung des ganzen Proletariats zum Klassenbewußtsein. Es ist aber ein öffentliches Geheimnis, daß trotz aller einstimmig angenom menen Kongreßbeschlüsse eine große Anzahl unserer Partei­genoffen unter dem Einfluß der bürgerlich- demokratischen Ge dankenwelt die Einführung des Frauenwahlrechts fürchten. Wenn das nicht wäre, so hätte die Partei längst die Situation ausnutzen sollen, die vielleicht mehr als je der Erlangung des Frauenwahlrechts günstig ist; sie hätte eine entsprechende Agi­tation einleiten müssen. Die dringendste Aufgabe der belgischen Frauenbewegung ist jetzt, neben der unentbehrlichen Kleinarbeit zur Stärkung ihrer Organisation und zur Besserung ihrer Presse dafür zu sorgen, daß eine ernste allgemeine Agitation zugunsten des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer und Frauen die Klerikalen möglichst bald zwingt, ihre Drohung" zu verwirklichen. Nur in einem solchen Kampfe kann sie die Kraft erlangen, die ihr bisher gefehlt hat.

1. Aus der Ruhl.

dm.

Ruhla  , furzweg die Ruhl" genannt, ist seit alters her durch seinen Gewerbefleiß bekannt. Das Städtchen zieht sich in einem engen Tale über sechs Kilometer weit hin, durch den Erbstrom  ", einen fleinen Bach, in die weimarische und gothaische ,, Ruhl" ge­trennt, Waffen- und Nagelschmiede machten in früheren Jahr­hunderten die Ruhl berühmt. Albekannt dürfte die Sage vom ,, Schmied von Ruhla" sein. Mit dem Aufschwung der modernen Industrie hat sich auch in der Ruhl gar vieles geändert, wenn

Damen erhalten hatte, eher ein Hemmnis als ein Kampfmittel Arbeiterinnenelend im Thüringer Wald  . für die proletarische Frauenbewegung geworden. Als dann nach dem Internationalen Kongreß zu Stuttgart   die Redaktion dessen Beschlüsse zum Frauenwahlrecht in der flegelhaftesten Weise herunterriß, die Loslösung von der Männerbewegung" und den Anschluß an die allgemeine Bewegung zur Befreiung des weiblichen Geschlechts" predigte, wurde das Spiel unseren Genter Genossen allzubunt: sie machten dem Redakteur und feinem Mitarbeiterinnenstab tlar, daß ihr Platz nicht in der Arbeiterpartei sei, und setzten eine neue sozialistische Redaktion ein. Diese energische, aber leider viel zu spät ergriffene Maß­regel hatte eine bedeutende Steigerung der Leferzahl des Blattes zur Folge und wird hoffentlich auf die Dauer auch einen bes deutenden Fortschritt der Organisation zeitigen, die einstweilen noch ziemlich daniederliegt. Aber immerhin durch die geistige

auch die Rühler" von den alten volkstümlichen Sitten und Ges bräuchen   noch mancherlei bewahrt haben. Wie fast überall in den Tälern des Thüringer Waldes  , so erklingen auch hier an lauen Sommerabenden die alten Volksweisen. Nach getaner Arbeit wan­dern die jungen Mädchen auf den Straßen einher und lassen ihre