Nr. 20

Notizenteil. Dienstbotenfrage.

Die Gleichheit

Der Pfarrer als Gesindeprügler. In dem Dorfe Sachwitz

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bel Breslau waltet ein Pfarrer feines frommen Amtes, der ein Streiter" eigener Art für das Friedensreich Gottes zu sein scheint. In feinem früheren Pfarrsprengel hat er sich die Sympathien feiner Gemeindemitglieder in so hervorragendem Maße zu erobern ge­wußt, daß ihm eines schönen Tages der Ortsbürgermeister die Kirchtür kurzerhand vor der Nase zuschlug, und daß die mit Knüppeln bewaffneten Kirchenältesten ihm den Eintritt in die Kirche gewaltsam verwehrten! Dieser fürtreffliche Hirte seiner Herde hat offenbar seine besonderen Ansichten über die Obliegenheiten eines patriarchalischen Hausvaters. Ihm ist das Zepter seiner Haus­gewalt der Prügel. Um sein Gesinde" in der Zucht des Herrn zu halten, dünkt ihm kein Mittel besser und eines Predigers der Nächstenliebe würdiger als weidliches Prügeln. So bedachte er am letzten Osterfest wahrscheinlich zur höheren Ehre der Auf­erstehung des Herrn- einen Knecht mit einer Ohrfeige von solcher Wucht, daß der arme Teufel weit von ihm wegtaumelte und alle lieben Engelein im Himmel pfeifen zu hören glaubte. Jedoch nicht bloß seine männlichen Dienstboten erfreuen sich solcher Zärtlich­feiten, auch die weiblichen werden von dem edlen Gottesmann nicht vergessen. Diente da bei ihm ein Mädchen von dreißig Jahren, also in einem Alter, in dem man gewöhnlich der Prügel als Er­ziehungsmittel längst entwachsen ist. Aber nur außerhalb des schlägefrohen Pfarrhauses, denn dort gibt es Prügel, und wenn man Methusalems Jahre erreicht hätte. Zunächst trat die Pfarr­wirtin in Aftion. Eines Tages tam sie mit dem Mädchen in Streit, und dieses erhielt von ihr Prügel nach Noten nicht bloß nach den gewöhnlichen weltlichen, sondern gleich nach den dicken großen Kirchennoten. Die Arme flüchtete ins Kloster und ließ sich dort ihre tlaffende blutende Stirnwunde von den Schwestern verbinden, fehrte aber wieder in das Haus des Friedens zurück. Um einer läppischen Kleinigkeit willen nahm sie sich am nächsten Tage der Herr Pfarrer höchst eigenhändig vor. Der geweihte Mann packte das Mädchen am Halse, ohrfeigte es und ergriff schließlich den Händen, die sonst allein gewürdigt sind, den Gott in Brot gestalt zu berühren einen ganz profanen Ochsenziemer. Mit diesem Werkzeug frommer Erziehung erhielt das Mädchen so lange Siebe auf Kopf und Rücken, bis es vor Schmerz zusammenfant. Als der im Schlagen gewandte Gottesstreiter von seinem Opfer ließ, floh die Gemißhandelte und suchte beim Gemeindevorsteher Schuh . Vergebens! Der erklärte, gegen den Herrn Pfarrer könne er nichts machen". Erst der Gendarm nahm sich ihrer an und schärfte ihr vernünftigerweise ausdrücklich ein, sie solle nicht mehr in das pfarrherrliche Prügelheim zurückkehren. Bei mitleidigen Dorfbewohnern, die über ihren famosen Hirten in heller Empörung find, fand das Mädchen vorläufige Unterkunft. Die Aufhebung der Gesindeordnung allein wird gewiß noch nicht jede prügeltolle Herr schaft zu Engelsmilde bekehren. Standalöse Mißhandlungen der Dienenden aber, wie sie in der Sachwitzer Pfarre zur Haus­ordnung gehörten, werden seltener werden und vor allem strengere Ahndung finden als jetzt, wenn sie sich nicht mehr hinter das elter= liche Züchtigungsrecht" verkriechen können, das die Gesindeordnung als überbleibsel der Leibeigenschaft gefeßlich heiligt.

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Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels- und Verkehrswesens.

mit

ek.

Die Erwerbstätigkeit der blinden Frauen und Mädchen ist jüngst gelegentlich des Ersten deutschen Blindentages in Dresden erörtert worden. Die anwesenden weiblichen Blinden hielten eine befondere Beratung über ihre Lage ab, denn auch in ber Nacht dieser Armsten beginnt es bereits zu tagen, und es tommt ihnen zum Bewußtsein, daß ihnen Aufklärung und enger Zusammenschluß als Arbeits- und Leidensgenossinnen not tut. Sie wählten eine fünfgliedrige Kommission, die die Interessen der blinden Frauen vertreten soll. Von der Selbsthilfe durch Pro­duktiv- und Eintaufgenossenschaften und Vertrieb der Produkte, vor allem aber durch eine träftige Organisation versprechen fich die weiblichen Blinden wie ihre Schicksalsbrüder eine Hebung ihrer Lage.

In Deutschland ist die Fürsorge und Erziehung der Blinden meist von den Städten in die Hand genommen worden. Ein großer Teil männlicher und weiblicher Blinden findet in Handwerfer­schulen der städtischen oder auch staatlichen Blindenanstalten wie in einem Fabritbetrieb Beschäftigung. Die Anstalt übernimmt den

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Absatz. Dagegen find blinde Frauen und Mädchen ganz auf die " Freuden" der privaten Wohltätigkeit angewiesen, wenn sie in Orten leben, wo kein Blindeninstitut ihnen Beschäftigung gibt. Die Hungerlöhne, die für weibliche Handarbeiter gezahlt werden, reichen

selbstverständlich zum Unterhalt nicht aus. So kommt es, daß zahlreiche körperlich und geistig normale blinde Frauen, die schaffens­freudig sind, im besten Alter in Siechenhäuser untergebracht werden. Doch vom entwürdigenden Drucke der Wohltätigkeit befreit" fie allmählich das Kapital, indem es ihnen neue Erwerbsgebiete er­öffnet. So find blinde Frauen und Mädchen nicht nur in der Bürstenmacherei und Stuhlflechter ei tätig, sie finden auch Beschäftigung in Emaille und Blech warenfabriken, in der Zigarrenmacherei, den Konservenfabriken, der Knopffabritation usw.

Eine der vielen auf dem Dresdener Kongreß gestellten Forde­rungen verlangt, daß in Blindeninternaten nur schwachsinnige, törperlich sehr zurückgebliebene oder solche Blinden untergebracht werden, die einer besonderen Pflege bedürfen. Alle körperlich und geistig normalen Blinden dagegen sollen in Privatpensionen kom­men, wo sie so lange zu verbleiben haben, bis ihr Unterricht oder ihre Ausbildung beendet ist. Des weiteren forderte der Kongreß, daß für alle bildungsfähigen Blinden gesetzlich geregelter Fort­bildungsunterricht geschaffen werde. Im September 1908 sprach sich ein Blindenlehrerfongreß für gründliche Ausbildung der blinden Mädchen in der Haushaltung aus, um ihnen im Falle ihrer Ver­heiratung die Möglichkeit zu geben, selbst die Wirtschaft zu führen. Dies ist um so notwendiger, als der meist geringe Verdienst der Blinden sie ganz auf sich selbst anweist.

Viele Forderungen sozialer Fürsorge, die der Blindentag in Dresden auch im Interesse der blinden Frau gestellt hat, werden ihre Erfüllung erst finden, wenn die arbeitenden Massen durch Aus­dehnung ihrer politischen Rechte mehr Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten erlangen; andere wird nur der Sozialismus ver­wirklichen. Er wird nicht allein durch eine weitgehende Sozialhygiene die Zahl der Blinden verringern, sondern die Blinden ebenso wie die Sehenden in einem erhöhten Maße an dem Leben der Gesell­schaft, an ihren Kultur- und Glücksgütern teilnehmen lassen. Es ist daher im Interesse der blinden Frauen und Mädchen, sich ihren nicht nur förperlich, sondern auch geistig sehenden Genofsinnen anzuschließen, die in den Reihen der Sozialdemokratie für eine bessere und hellere Zukunft kämpfen. ed,

Kellnerinnenfrage.

Wie Sklavinnen werden die Aushilfskellnerinnen gemustert, ehe sie angestellt werden. Das zeigt ein Fall, der sich in einem Nürnberger Bureau zutrug, das Aushilfskellnerinnen für die Stadt und die umliegenden Ortschaften vermittelt. Im Bureau melden sich wohl immer viel Arbeitsuchende, aber nicht immer zählen sie zu dem feinen auserlesenen Material", das das Bureau liefern soll. An einem Sonntag harrte eine Anzahl Aushilfskellnerinnen im Nachweis, daß die Klingel des Telephons ihnen Beschäftigung melden würde. Endlich ertönte sie. Eine junge Frau es find meist junge Frauen, die der farge Verdienst des Mannes zwingt, des Sonntags als Aushilfstellnerinnen einige Pfennige zu ver dienen war schon hocherfreut, einen Posten zu bekommen. Aber o weh! Die Natur hatte ihr nicht verliehen, was sie dazu be nötigte. Der Restaurateur verlangte eine fesche Kellnerin, die ein großes Herz haben muß". Beschämt mußte die junge Frau zurück­treten, da sie nur ein kleines Herz hatte, und dieses nicht auf­gepolstert war. Eine andere Aushilfskellnerin hatte zwar das ges wünschte große Herz", wurde aber von dem Restaurateur wieder fortgeschickt, weil ihr ein Zahn fehlte. Noch mehr derartige Fälle tönnten angeführt werden. Der Verdienst der Aushilfskellnerinnen steht durchaus nicht immer im Verhältnis zu der Arbeit, die sie zu leisten haben. Wenn das Geschäft drängt, so müssen sie oft Hunger leiden und sich mit einem belegten Brötchen als Mittagsmahl bes gnügen. Hinein in die Organisation, muß es für sie heißen. Nur vereint tönnen sie sich dagegen wehren, daß die Privatvermittle­rinnen ihnen das Geld aus der Tasche ziehen und sie wie Stlavinnen ausmustern, fönnen sie sich dagegen wehren, daß Wirte ein großes Herz von ihnen fordern und sie zu Lockmitteln für die Gäste er­niedrigen.

Verbot des Kellnerinnenberufes. Zu der Notiz in Nummer 19, welche die Kellnerinnenfrage behandelt, fendet uns Frau Camilla Jellinek unter recht überflüssiger Berufung auf§ 11 des Preß­gesetzes folgende Berichtigung:

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Es ist unrichtig, daß ich, wie es in der letzten Nummer vom 21. Juni Ihres Blattes heißt, von der Ansicht ausgehe, daß