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Die Gleichheit
zu größerer Achtung vor der erwerbenden Frau erzogen werden. Die Münchener Kellnerinnen waren empört über die Beschimpfung ihres Berufs; sie traten Frau Jellinek entgegen und verwahrten sich dagegen, mit offenen oder versteckten Prostituierten verglichen zu werden. Die Kellnerinnenversammlungen, die in München und Nürnberg stattgefunden haben, protestierten einstimmig gegen die Forderung der Frau Jellinek, den Kellnerinnenberuf abzuschaffen, und forderten: anständige Bezahlung, Abschaffung des unwürdigen Trinkgeldsystems, türzere Arbeitszeit und mehr Arbeiterschutz, nebst Beseitigung der privaten Stellenvermittlung.
Sittlichen Gefahren sind leider fast alle unsere Arbeiterinnen ausgesetzt, denn ohne Schuz müssen sie frühzeitig hinaus in das harte Leben, müssen Geld verdienen, um sich durchzuschlagen. Wie Heldinnen erscheinen sie uns, wenn sie allen Verlockungen zum Trot arm und freudenlos, aber mit reiner Seele und reiner Ehre durch das mühsame Leben gehen. Drum, Frau Jellinek, nicht Aufhebung des Berufs der Kellnerinnen, sondern soziale Reformen und Organisation zu ihrem Schute wie Hebung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiterklasse überhaupt, damit die Proletarier nicht ge= zwungen sind, ihre kaum erwachsenen Töchter sittlichen Gefahren auszuliefern.
Frau Jellinek erhält Briefe, worin es heißt:„ Das Verbot ber weiblichen Bedienung müssen Sie erreichen, und Millionen deutscher Frauen und Männer werden Ihren Namen segnen." Will die Dame uns weismachen, daß Millionen Arbeitsmänner und-frauen ihren Namen segnen werden, wenn es keine Kellnerinnen mehr gibt? Das glaubt Frau Jellinek doch wohl selbst nicht. Der„ Millionenschrei" deutscher Männer und Frauen, der nach Heidelberg gedrungen ist, stammt aus den oberen Gesellschaftsschichten, deren Söhne als Studenten das Leben genießen, deren Männer auch außer der Ehe ihren Gelüsten nachgehen.
Frau Jellinek hat sich zum Sprachrohr dieser Gesellschaft gemacht, wohl in Erwartung des„ Segens der Millionen", und da der„ Segen der Millionen" etwas auf sich warten läßt, sattelt sie schnell um und sendet Berichtigungen in die Welt. Sollte die Heidelberger Frauenrechtlerin anderer Meinung geworden sein und nicht mehr Tausenden von Kellnerinnen ihr Brot nehmen wollen, so sollte es uns freuen, daß sie so schnell gelernt hat. Meine Ausführungen in den Versammlungen wie in diesem Blatte halte ich voll und ganz aufrecht. Helene Grünberg .
Frauenstimmrecht.
I. K. Das Frauenstimmrecht im preußischen Landtag. Das Haus der Dreitlassenschmach hatte sich neulich nochmals mit der Frage des Frauenwahlrechts zu befassen. Aber in welchem Zusammenhang und in welcher Gestalt! Ein Herr v. Deutsch Traubenberg forderte in einer Petition nichts Geringeres, als die Abschaffung des Reichstagswahlrechts und die Einführung eines Pluralwahlrechts, das bis auf das äußerste reaktionär zugespitzt sein sollte. Im Rahmen dieses Vorrechts für den Besiz sollten auch die Frauen das Bürgerrecht erhalten, es jedoch nur vom 45. bis 60. Jahre persönlich ausüben können. Nach der Meinung des edlen Traubenbergers war bis über das Schwabenalter hinaus der Mann zum politischen Vormund der Frau zu bestellen und hatte statt ihrer zu stimmen. Genosse Liebknecht kennzeichnete den Inhalt der Petition zutreffend als den grotesken Ausfluß einer naiv- mittelalterlichen Phantasie und beantragte Übergang zur Tagesordnung. Gerade aber wegen seines reaktionären Charakters überreichten Junter und Junkergenossen diesen Wisch der Regierung als Material.
Der Kampf der englischen Suffragettes für das Damenwahlrecht geht mit ungebrochener Energie weiter. Wir haben bereits in Nr. 18 und 19( Artikel über den Londoner Kongreß des Weltbundes für das Frauenstimmrecht) den Unterschied zwischen den beiden Gruppen bürgerlicher Frauenrechtlerinnen dargelegt, die in England für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Besitzes eintreten: die ältere Gruppe der Suffragistes und die jüngere der Suffragettes. Der eine und der andere Name- das sei nebenbei bemerkt. ist von dem Worte suffrage Stimmrecht abgeleitet. Wir haben am angegebenen Ort auch die treibenden Ursachen bloßgelegt, welche bei vollständiger Übereinstimmung in dem reat tionären Biel - politisches Vorrecht für Besitz und soziale Stellung einen Unterschied in der Taktik der feindlichen Schwestern herbeiführen. Unzweifelhaft haben die Suffragettes den größeren Erfolg auf ihrer Seite. Zwei größere Frauenorganisationen find es vor allem, die sich zu ihrer Taktik bekennen. Die Women's Freedon League"( Liga für Frauenfreiheit), die von Mrs. Despards geleitet wird, einer opferfreudigen bürgerlichen Philanthropin, die
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von unklaren Röpfen wohl auch als Sozialistin angesprochen wird und sich selbst in ehrlichem Selbstbetrug dafür halten mag. Die " Social and Political Union"( Soziale und Politische Union), an beren Spitze die sehr reiche, gut bürgerliche Mrs. PethwickLawrence und die Damen Pankhurst, Mutter und Tochter, stehen, Glieder der bürgerlichen Intelligenz, von bürgerlich radifaler Gesinnung, von Wohlwollen für die arbeitenden Massen und Sympathien für einen verwaschenen gefühlsmäßigen Sozialismus erfüllt, aber ohne Verständnis für die geschichtlichen Bedingungen des proletarischen Befreiungskampfes, ohne theoretische Schulung. Die beiden genannten Organisationen sind durch sachliche wie persönliche Beziehungen eng miteinander verknüpft. Nicht wenige befannte und eifrige Suffragettes gehören der Liga und der Union an. Der Vorstand der Liga besteht aus 12 bis 15 Mitgliedern und ist ein schwerfällig arbeitender Apparat. Die Organisation fann daher nicht jederzeit so rasch und nachdrücklich in den politischen Kampf eingreifen, wie dies die neue Taktik der Suffragettes nötig macht. Ihr Vorgehen wird daher freundnachbarlich unterstützt und ergänzt durch die Aktion der„ Social and Political Union". Sie stellt die eigentliche, jedenfalls aber die stärkste und leistungsfähigste Kampfesorganisation der Suffragettes dar, obgleich sie sehr lose zufammengefügt ist und nicht einmal einen regelmäßigen Mitgliedsbeitrag erhebt. Als Mitglied gilt jeder, der sich zu der Forderung des Frauenwahlrechts bekennt, wie die Suffragettes sie verstehen, und die Union durch einen einmaligen Beitrag unterstützt, mag er groß oder klein sein. Die Organisation hat ihr eigenes Bureau, das 18 Räume umfaßt, in denen 50 besoldete und mehr als 100 unbesoldete ehrenamtlich tätige Funktionärinnen für die Sache des Damenwahlrechts wirken. Das Organ der Suffragettes,„ Votes for Women"( Das Stimmrecht für die Frauen), wird von Mrs. Pethwick- Lawrence und ihrem Gatten herausgegeben.
Die Agitation der Suffragettes erstreckt sich über das ganze Land, hat aber ihren Mittelpunkt in London . Propagandistische Veranstaltungen jeder Art werden ihr nutzbar gemacht: Meetings in der Straße und auf öffentlichen Plätzen, Versammlungen in den größten Sälen und in den entlegensten Bezirken, pompöse theatralische Aufzüge usw. Unter den Kampfesmitteln nimmt das Eingreifen der„ Sozialen und Politischen Union" in die Wahlkämpfe, besonders auch bei den Nachwahlen, einen hervorragenden Platz ein. Und zwar erfolgt es stets und unter allen Umständen für die Kandidaten, die sich für das Frauenwahlrecht unter den gleichen Bedingungen erklären, die für das Männerwahlrecht gelten, und gegen die Kandidaten der liberalen Partei, gegen die Anhänger der jetzigen liberalen Regierung, weil diese bis jetzt die Forderung als eine undemokratische abgelehnt hat. Die Beteiligung der Suffragettes an den Wahlkämpfen ist seither so gut wie ausschließlich zugunsten der Konservativen erfolgt und hat sich wiederholt bewußt auch gegen die Sozialdemokraten und die parlamentarische Arbeiterpartei gerichtet. Eine große Rolle in der Be tätigung der Suffragettes spielt ferner das öffentliche Befragen der Kandidaten zum Parlament, der Abgeordneten und Minister, wie sie sich zur Einführung des beschränkten Frauenwahlrechts stellen. Mehr als einmal sind diese Befragungen in Versammlungen zu leidenschaftlichen Auseinandersetzungen der Frauenrechtlerinnen mit den führenden Politikern geworden. Die Damen haben sich dabei im Gebrauch von Kraftausdrücken, Bedrohungen usw. nichts weniger als zimperlich gezeigt. Das gleiche gilt von ihren Versuchen, ein Empfangenwerden ihrerseits durch den Ministerpräsidenten Asquith zu erzwingen.
Wiederholt ist es bei solch frauenrechtlerischen Haupt- und Staatsaktionen zu äußerst stürmischen Auftritten in den Straßen Londons , wie vor und in dem Parlamentsgebäude gekommen. Die Polizei ist eingeschritten, um mit den„ Damen " gebührendem Respekt die Suffragettes zurechtzuweisen. Wenn trotzdem manch eine dieser Kämpferinnen in ihrer Art für ihre überzeugung blaue Augen in den Kauf genommen hat, so machte auch umgekehrt mehr als ein Polizist intime Bekanntschaft mit den zarten Fäustchen, den wohl gepflegten Nägeln und spißen Hutnadeln der Frauenrechtlerinnen. Nicht daß sie den Grundsay praktizieren, im Kriege gilt Kriegsgebrauch" so wie er in dem Glase Wasser ihrer bürgerlichen Gedankenwelt sich spiegelt, kann man ihnen zum Vorwurf machen. Was aber abstoßend berührt, das ist das übermaß der geschmacklosesten Reklame, des aufdringlichsten Tamtams, mit dem die Suf fragettes ihr Auftreten umgeben; das ist der Widerspruch, daß sie als„ Rämpferinnen" rücksichtslos unter Mißachtung der„ Salon fähigkeit" in das öffentliche Leben eingreifen wollen, gleichzeitig aber verlangen, als„ Damen der besten Gesellschaft" mit ritterlicher Galanterie behandelt zu werden. Der letztere Umstand be weist, daß trotz allen radikalen Gehabes nicht wenige frauenrecht
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