Nr. 21

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Die Gleichheit

Ierische Heroinen" und Märtyrerinnen" recht weit entfernt von jener geistigen Freiheit sind, von der sie den Mund so voll nehmen, und daß noch eine gute Dosis gewöhnlicher Spießbürgerei in ihres Wesens Kern steckt. So kommt es, daß sie in ihrem Auftreten oft genug mehr als Sportsnärrinnen des Kampfes denn als ernste Rämpferinnen erscheinen. Der reichliche Gebrauch, den sie von weißen Kleidern, Schärpen in den Bundesfarben grün- weiß­purpur, von Fahnen, Abzeichen usw. machen, verstärkt diesen Eindruck. Allein neben der Lächerlichkeit, Verschrobenheit und Feyerei treten in dem Kampf der Suffragettes auch die ernstesten und sympathischsten Züge zutage: unermüdliche Energie, frischer Wagemut, goldene Rücksichtslosigkeit gegen Form und Herkommen, nie versagende Opferfreudigkeit und Hingebung. Hunderte und Hunderte der kämpfenden Frauenrechtlerinnen haben im Laufe der lezten Jahre für ihre Überzeugung nicht nur eine erdrückende Arbeitsbürde getragen, sondern auch Hohn, Spott, Brutalitäten in Hülle und Fülle erduldet; Hunderte und Hunderte von ihnen haben vor den Gerichten gestanden und sind mit Geldstrafen belegt worden oder für Wochen ins Gefängnis gegangen, das berüchtigte englische  Arbeitshaus. Die Durchführung der Taktik, welche die Suffragettes anwenden, erfordert riesige Geldmittel. Nicht mit Zehntausenden, mit Hunderttausenden von Mark muß dabei gerechnet werden. Die Summen werden durch Sammlungen, Schenkungen usw. aufge bracht. Es ist in England ein öffentliches Geheimnis, daß kon servative Kreise es sind, welche den Löwenanteil der Kriegskosten der Suffragettes tragen. Sie können das leichtlich tun, da sie jetzt den meisten Nutzen von der Bewegung haben und für die Zukunft eine noch größere Stärkung ihrer politischen Macht von ihr erhoffen, Die Woche, in welcher der Kongreß des frauenrechtlerischen Weltbundes für das Frauenstimmrecht" in London   getagt hat, ist von den Suffragettes wie wir schon früher kurz mitgeteilt haben in der ausgiebigsten Weise agitatorisch ausgenutzt worden. Unter den mancherlei Veranstaltungen waren zwei besonders wirk­sam und verfehlten ihren Eindruck auch auf die ausländischen Delegierten nicht. Das Riesenmeeting in der Albert- Hall   und der feierliche Empfang von 19 Suffragettes, die nach verbüßter Strafe aus dem Gefängnis entlassen wurden. An dem Meeting nahmen fast 10000 Personen teil, und auf der grün- weiß- purpur dekorierten Plattform der Halle saßen als Ehrengäste in weißen Kleidern, mit der Schärpe in den Bundesfarben geschmückt, Fahnen in den Händen, nicht weniger als 450 Suffragettes, die ihr Tun mit dem Gefängs nis gebüßt hatten. Das Meeting nahm einstimmig eine Resolution an, welche nur aus den drei Worten bestand: Shame, Shame, Shame!( Schande). Sie wendete sich gegen den Mißbrauch der Regierungsgewalt in einem freien Lande, den Frauen das Recht zu verweigern, den Männern gleich den Ministerpräsidenten auf zusuchen und Fragen an ihn zu richten, wie auch die Abgeordneten in politischen Angelegenheiten zu interpellieren". 18000 Mt. wurden in dieser Versammlung allein für die Zwecke der Suffragettes ge fammelt. Daß dieses Geld nicht von den Arbeiterinnen stammt, welche sich leider als Staffage für das Damenwahlrecht miß­brauchen lassen, liegt auf der Hand. Die Einholung der 19 Mär tyrerinnen der guten Sache" war ein Muster jahrmarktsmäßigen Auftretens. Nichts fehlte: Automobile und Equipagen mit suffra­gettistischen Abzeichen und Losungen; Pferde und Kutscher   mit Schutzdecken, auf denen die Inschrift prangte: Das Stimmrecht für die Frauen"; eine Gruppe Reiterinnen auf Schimmeln, über den schwarzen Amazonenkostümen die Bundesschärpe; ein weiblicher Herold hoch zu Rosse mit einem großen Banner; Musikchöre, Fahnen usw. Als Abschluß nach einem fast dreistündigen Marsche durch die Stadt eine wohlbestellte Frühstückstafel für mehrere hundert Personen und die Verteilung der Verdienstmedaille" an die entlassenen Häftlinge: eine Brosche, die ein Gitter darstellt, an dem rechts und links eine zerrissene Kette herabhängt, und die in der Mitte in den Bundesfarben den Regierungsstempel trägt, der allen Gegenständen im Gefängnis aufgeprägt ist.

Der letzte große Vorstoß der Suffragettes erfolgte am 29. Juni. Sie entsendeten eine Riesendeputation an den Ministerpräsidenten Asquith  , um diesem ihre Forderung vorzutragen. Ein Aufruf hatte die Anhängerinnen und insbesondere auch die Anhänger des Damenwahlrechts aufgefordert, durch zahlreiches Erscheinen auf dem Parlaments square die Deputation zu unterstützen. Die Polizei antwortete darauf mit einer Warnung vor Zusammenrottungen vor dem Parlament. Nachdem Asquith   fich geweigert hatte, die frauenrechtlerischen Abgesandten zu empfangen, versuchten die Suffragettes programmgemäß mit Gewalt in das Parlament ein­zubringen. Das Beginnen führte zu tumultuarischen Szenen, die bis 10 Uhr abends dauerten. In ihrem Verlauf versette unter anderem Mrs. Pankhurst eigenhändig einem Polizeiinspektor

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Fauftschläge ins Gesicht, Damenhändchen warfen in dem Admirali tätsgebäude zahlreiche Fensterscheiben ein usw. Die Polizei, welche in einer Stärke von 3000 Mann bereitgehalten worden sein soll, schloß die Tore des Parlaments und verhaftete 108 Suffragettes, brei mußten als verlegt in das Hospital übergeführt werden. Reir Hardie, der Führer der Arbeiterpartei, hat die Regierung über ihr Vorgehen gegen die Manifestanten interpelliert. Er betonte, daß ein Gesetz, welches das Bürgertum Karl II. abgezwungen hat, jedem englischen Untertan das Recht gibt, seine Klagen vor den König oder das Parlament zu bringen. Dieses Recht stehe auch den Frauen zu. Der Vertreter der Regierung antwortete darauf sehr fühl, daß es eine rein formale Frage sei, ob dieses Gesetz noch als zu Recht bestehend betrachtet werden könne. Das Parlament ging über die Interpellation zur Tagesordnung über. Bei den nächsten Wahlen zum Parlament wird das Frauenwahlrecht zweifels. ohne eine bedeutende Rolle spielen. Die Suffragettes tragen ihr redlich Teil dazu bei; an den sozialistischen   und gewerkschaftlichen Organisationen ist es, im Bunde mit dem Verein für das Wahlrecht aller Großjährigen"( ,, Adult Suffrage Society") an Stelle des Damenwahlrechts das allgemeine Wahlrecht in den Vordergrund zu schieben.

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Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

I. K. Von der sozialistischen   Frauenbewegung in den Ver­ einigten Staaten  . Auf dem nationalen Parteitag der sozialistischen  Partei wurde im vorigen Jahre das nationale Frauenkomitee ins Leben gerufen. Es besteht aus nur fünf Frauen, die in verschie denen Teilen des Landes verstreut leben. Diese erkannten bald, daß sie allein nicht imftande sein würden, für die Ausbreitung des Sozialismus unter den Frauen Genügendes zu leisten. Sie be­schlossen also in Verbindung mit den Unterabteilungen der Partei, lokale Frauen agitationskomitees zu bilden. Man hat nun ernstlich mit der Gründung solcher Komitees begonnen, und zwar werden sie nach einem einheitlichen, von dem nationalen Frauenkomitee entworfenen Plan organisiert, um eine systema tische Agitation zu erzielen. Die Aufgabe der lokalen Frauens fomitees ift: Erstens weibliche Mitglieder für die Partei zu ge­winnen; zweitens unter Frauen im allgemeinen Belehrung und Aufklärung über das Wesen des Sozialismus zu verbreiten. Das nationale Frauenkomitee ist jetzt damit beschäftigt, genaues Tat­sachenmaterial über die bestehenden Formen des Frauen­stimmrechts in den Vereinigten Staaten   zu sammeln. Abgesehen von den vier westlichen Staaten( Utah  , Idaho  , Colorado   und Wyo­ ming  ), die ihren Bürgerinnen das volle politische Wahlrecht zuerkennen, und dem einen Staate( Kansas  ), in dem Frauen das munizipale Wahlrecht haben, besitzen die Frauen in 24 Staaten der Union   das Recht, in Schulangelegenheiten mitzustimmen. Diese Tatsache ist aber nicht allgemein bekannt, und viele Frauen, namentlich Frauen der Arbeiterklasse, versäumen es, aus Unkennt­nis der Gesetze von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Das erwies sich unlängst deutlich im Staate Wistonsin. Dort handelte es sich bei den Schulwahlen um einen Kampf zwischen den erz­reaktionären und fortschrittlichen Elementen. Die reaktionären Ele­mente verstanden es, die katholischen Frauen der Stadt Milwaukee so glänzend zu organisieren, daß Tausende derselben zielbewußt zur Wahlurne schritten, während die Arbeiterfrauen und selbst viele sozialistische Frauen es versäumten, ihre Wahlpflicht zu erfüllen. Trotzdem wurde nebenbei bemerkt eine Sozialistin, Frau Meta Berger, in den Schulrat von Milwaukee gewählt. Aber diese Erfahrung hat uns gelehrt, wie notwendig es ist, daß wir überall, wo immer das weibliche Geschlecht Wahlrecht besitzt, sei es noch so unvollständig, vor den Wahlen eine besondere Agis tation unter den Frauen betreiben. Um dies zu ermöglichen, will das nationale Frauenkomitee alles vorhandene Material in bezug auf die bestehenden Wahlgesete sammeln und ordnen und in der Form eines Kalenders herausgeben.-

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Die Socialist Women's Society ist ein Frauenbildungs­verein, der nicht direkt mit der Partei in Verbindung steht, aber wohl im Interesse der Partei wirkt. Er wurde im vorigen Sommer in New York   begründet und im Herbst mit dem schon seit zwölf Jahren bestehenden deutschen sozialdemokratischen Frauenverein verschmolzen. Der Verein hat zurzeit Zweigvereine in den Staaten New York  , New Jersey   und Pennsylvanien, und zwar deutsche, englische und jüdische Organisationen. In Groß- New Yort allein wurden während des verflossenen Winters fünf Zweig­vereine Englisch   sprechender Mitglieder begründet. Die Aufgabe ber Socialist Women's Society ist hauptsächlich eine erzieherische. Einzelne Vorträge sowie Vortragskurse werden veranstaltet,