Nr. 22

Die Gleichheit

Nach wie vor werden Frauen bevorzugt für Arbeiten, die entweder keiner besonderen Körperkraft oder keiner erheblich langen Vorbildung bedürfen oder aber viel Geduld erfordern und doch dabei mit einer gewissen Genauigkeit ausgeführt werden müssen."

Ebenso weist der Berichterstatter über den Regierungsbezirk Potsdam   darauf hin, daß für gewisse Verrichtungen, zu denen eine leichte Hand- und Fingerfertigkeit gehören, sich Frauen hände besser als Männerhände eignen. In dem Bericht über die Regierungsbezirke Osnabrück   und Aurich   heißt es: Ver­schiedene Fabrikanten sind in denjenigen Abteilungen ihrer Bes triebe zur Beschäftigung von Arbeiterinnen anstatt der früheren Männerarbeit übergegangen, in denen die Geschicklichkeit und nicht die Körperkraft in den Vordergrund tritt." Die Ar­beiterinnen werden zu Arbeiten herangezogen, die zwar keine größere Körperkraft, aber Ausdauer und Gewissenhaftigkeit er fordern"( Kölner   Bericht). Und im Posener Bericht lesen wir: Die stärkere Besetzung der Kleider- und Wäschekonfektion, der Konservenfabriken, der Zigarettenindustrie und der Zigarren.  fabrikation mit Arbeiterinnen ist weniger auf den geringen Lohn zurückzuführen, der von ihnen beansprucht wird, als auf die größere Geschicklichkeit und natürliche Begabung der Frauen für die dabei in Betracht kommenden Arbeiten."

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Eine gründlichere Betrachtung der Entwicklung zeigt aber überall, daß die Betriebsleiter durch den Wunsch, möglichst billige und willige Arbeitskräfte zu erlangen, zur Ein­stellung von möglichst viel Arbeiterinnen getrieben werden. In einer Lampenfabrik des Regierungsbezirkes Liegnig wurden die Arbeiterinnen sogar direkt als Streitbrecherinnen ver wendet. Als vor zehn Jahren in dieser Fabrit die Klempner streiften, wurden Arbeiterinnen zu Lötarbeiten herangezogen. Der Betriebsleiter sah ein, daß das profitabel ist: seither wer­den hier etwa 50 Arbeiterinnen an Stelle der Männer mit Lötarbeiten beschäftigt. Der Berichterstatter führt denn auch an, daß die Arbeitgeber die Frauenarbeit seit längerer Zeit des halb in möglichst weitem Umfang ausnutzen, weil die Löhne für Frauen durchweg viel niedriger als für Männer sind, und zwar auch dann, wenn die Frauen die gleiche Arbeit oder gar noch mehr leisten als die Männer. Ebenso erklärt der Be­richt über den Regierungsbezirk Köslin  : Die Gründe für die Verdrängung der männlichen Arbeitskräfte durch weibliche liegen in erster Linie in dem erheblichen Lohnunterschied und in den wachsenden Ansprüchen der männlichen Arbeiter." In dem nämlichen Sinne äußern sich die Berichte über die Regie rungsbezirke Kassel, Wiesbaden  , Düsseldorf  , Köln  , Aachen  .

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Selbstverständlich können die Betriebsleiter die billigere Frauenarbeit nur zu solchen Arbeiten verwenden, die die Frauen gut und leicht zu verrichten imftande sind. Daher finden wir in der Regel, daß zu Beschäftigungen, für die das zutrifft, die Arbeiterinnen übergehen.

Aus demselben Grunde sehen wir, daß die Betriebsleiter in einigen Fällen die Frauenarbeit wieder abgeschafft haben, nach dem sie erkannt hatten, daß die betreffende Verrichtung für Ar­beiterinnen nicht geeignet ist und von weiblichen Händen" verrichtet deshalb trotz des billigen Lohnes schließlich teurer kommt, als wenn sie männliche Arbeiter dabei verwenden. Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung, daß Arbeiterinnen noch zu vielen Beschäftigungen brauchbar sind, die bisher den männ­lichen Arbeitern vorbehalten waren. Wenn daher eine bes sonders große Nachfrage nach Arbeitskräften die Betriebsleiter veranlaßte, einen Versuch mit Arbeiterinnen bei solchen Ar­beiten zu machen, die bisher von Männern ausgeführt worden sind, dann hat sich oft gezeigt, daß es auch so ganz gut geht, und daß die Arbeit billiger kommt. Ein solches Beispiel findet allmählich immer mehr Nachahmung. Dabei werden sich die Betriebsleiter um so eher zu solchen Versuchen entschließen, je bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen die männlichen Arbeiter sich errungen haben, und je weiter die Arbeiterinnen in dieser Beziehung zurückgeblieben sind. Letzteres ist in manchen Gegen­den in dem Maße der Fall, daß Arbeiterinnen sogar Knaben unter 16 Jahren ersetzt haben.

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Am wichtigsten jedoch ist für die Ausdehnung der Frauen­arbeit die Verwendung besserer Maschinen und neuer Arbeitsmethoden, die die Arbeit so erleichtern, daß die männlichen Arbeiter durch Arbeiterinnen ersetzt werden können. Hierfür enthalten die Berichte eine Reihe von Belegen, auf die im einzelnen wir nicht einzugehen brauchen, da sie schon öfters besprochen worden sind. Es wird genügen, wenn wir die zu­treffenden Ausführungen des Berichterstatters über den Landes­polizeibezirk Berlin   wiedergeben. Er schreibt unter anderem: " Die Industrie ist fortgesetzt bestrebt, wo es irgend angeht, die Massenherstellung einzuführen, eine immer weitergehende Arbeitsteilung auszubilden und in möglichst großem Umfange Spezialmaschinen zu verwenden. Die Arbeitsteilung und die damit zusammenhängende weitere Durchbildung und Einfüh­rung von Spezialmaschinen haben weiter zur Folge, daß in der Herstellung der Erzeugnisse eine Reihe von Zwischenstufen ent­steht, die ein rein mechanisches Arbeiten ermöglichen und weder besondere Vorkenntnisse noch tieferes Nachdenken erfordern." Auf diese Weise sei ein immer weiteres Feld für die Frauen­arbeit eröffnet worden.

Aus dieser Sachlage ergibt sich die Mahnung für die Ar­beiterinnen, aber auch für die männlichen Arbeiter, mit aller Kraft dafür tätig zu sein, daß die erwerbstätigen Proletarie­rinnen immer besser aufgeklärt, daß sie in immer größerer Zah! den gewerkschaftlichen und politischen Organisationen zugeführt und zu zielbewußten Mitkämpferinnen in unserem gewaltigen Klassenkampf herangebildet werden. Je weiter wir damit vor­wärts kommen, je bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen auch die Arbeiterinnen erringen, desto mehr Segen haben sowohl diese selbst von ihrer Arbeit als auch die gesamte Arbeiter­schaft. Denn dann wird es den Betriebsleitern immer häufiger umöglich, die Arbeiterinnen gegen die männlichen Arbeiter aus­zuspielen. Die Arbeiterinnen werden vielmehr gleichberechtigte Mitarbeiter der männlichen Proletarier und gelangen auch zu den Berufsarbeiten, für die sie sich eignen, bei denen sie am leistungsfähigsten sind. Hier ist und bleibt das Feld, auf dem sie ihre Arbeitskraft heute freilich in erster Linie dem Profit­interesse der Kapitalisten mit dem siegreichen Verlauf des Klassenkampfes immer mehr dem Kulturinteresse der Gesamt­heit dienstbar machen können. Neben der aufgezeigten Aufgabe ist es unsere Pflicht, die Arbeiterinnen durch den Druck der Organisationen und den Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung vor solchen Arbeiten zu bewahren, die über die Kraft der Frau hinausgehen oder ihrem Organismus besonders schädlich sind. Nach diesen Zielen gilt es mit allen Kräften zu streben.

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Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. I. Die Zeit.

Die Tiroler Freiheitskämpfe von 1809 fönnen bloß ver standen werden, wenn man sie in den Rahmen ihrer Zeit stellt. Von selber drängt sich so zunächst die Notwendigkeit auf, mit überschauendem Blick die politischen Verhältnisse der napo­leonischen Epoche zu betrachten, zu denen sich der Tiroler Aufstand verhält wie das Kapitel zum Buche.

Als die französische   Revolution den König Ludwig, den sechzehnten dieses Namens, wegen Hochverrats an der Freiheit der französischen   Nation vom Leben zum Tode brachte, fanden die europäischen   Souveräne die Prinzipien ihrer politischen Existenz bedroht. Der Kaiser Franz II.   von Deutschland  - Oster­ reich  * und der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen traten an die Spitze einer frömmelnden Solidarität der Reaktion eines europäischen   Fürstenbundes, der sich gegen die junge fränkische Republik   richtete. Formell begann Frankreich   den Krieg, der sich nicht vermeiden ließ. Nach empfindlichen Nieder­lagen zog sich der preußische König in schmutziger Treulosigkeit gegen Österreich   von der Teilnahme am Krieg zurück. Er be­

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* Seit dem fünfzehnten Jahrhundert waren die Habsburger   fast aus­nahmslos deutsche Wahlkaiser. Bekanntlich war Desterreich bis 1866 mit bem heutigen Reichsdeutschland staatsrechtlich eng verknüpft.