Nr. 24
Die Gleichheit
Wih, maßlofe Kühnheit, Geistesgegenwart, Unterscheidungsver mögen in Auge und Hirn. Er war eines der vielen Kinder eines armen Bauern. Eine Zeitlang ertrug's der wilde Bube als Hütejunge; dann lief er weg und wuchs sich zu einem rassigen Wildschützen aus, der mit den Gemsen kletterte und jauchzend die Abenteurerromantik seines Daseins empfand. Nachdem er sich halbwegs ausgerast hatte, nahm er ein Tiroler Mädel, das auf einem hübschen Gut saß, und wurde ein tüchtiger, immer munterer Hauswirt.
An Kraft des Temperaments blieb Haspinger hinter Speckbacher nicht zurück. Aber er war ganz anders. Er trug seine Leidenschaftlichkeit in das Leben des Priesters hinein. Er war die innige Vereinigung des Volksmannes, ja des Volkes selber mit der katholischen Kirche . Haspinger , der aus einer begüterten Bauernfamilie fam, studierte in Innsbruck auf" ein Ding, das man dort Philosophie nannte. Aber die Begriffswirtschaft verdünnte nicht sein Blut. Er war dabei, so oft die Tiroler gegen die Franzosen ausstanden. Wiewohl er in den Kapuzinerorden trat, nahm er die Waffe in die Rechte. Die Linke, die das Kruzifir hielt, wußte nichts davon, was die Rechte tat. Er gab im Kampf Proben einer sagenhaften Bravour; sein Rachebedürfnis im Kloster zu Schlanders war er von Hofstetten aufgehoben worden, seine bis zum abergläubischen Wahnwig eines Moslim erhitzte Frömmigkeit, sein natürliches Vandalentemperament trieben ihn zu unbegreiflichen Kriegstaten. Kein Wunder, daß dies Volk seiner Geistlichkeit vertraute, wenn es den rotbärtigen Mönch erblickte, der, im dichtesten Gewimmel oft bloß mit dem flobigen Bergprügel bewaffnet, die bayerischen Soldaten herkulisch zusammenhieb und die sterbenden Landsleute mit dem Kreuz zu flüchtigem Segen berührte!
Die Galerie der fesselnden Persönlichkeiten des Aufstandes ift fast endlos. Kaum hat je ein Krieg verhältnismäßig so viel charakteristische Einzelfiguren gezeigt, die sich bei aller Individua lität doch so eins fühlten und so leidenschaftlich in der Masse, in der Gemeinschaft aufgingen. Auch Hofer trennte sich im Grunde nicht von der Gesamtheit, wiewohl er den Sonderhelden spielen mußte.
Eine ausgeführte friegsgeschichtliche Darstellung des Auf standes liegt außerhalb der Zwecke dieser kleinen Stizze, die nur einige Hauptlinien bloßlegen will. Überblicken wir ganz rasch die Tafel der Ereignisse.
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Österreich , von Napoleon zu hart zur Erde hinabgepreßt, schnellt 1809 auf und bereitet den Krieg vor. Die Not treibt eine Welle demokratischen Gefühls durch die Regierung. Die verknöchertsten Hofleute fühlen, daß gegen Napoleon nur das Bolf in seiner Breite hilft. Graf Stadion eröffnet eine ebenso notgedrungene als furze liberale Reform. Im deutschen Norden erheben sich Schill, Dörnberg, Braunschweig ; die Hofburg verfucht, sich mit diesen Insurgenten in Fühlung zu setzen namentlich aber nimmt sie die Erbitterung des erregten Tirol wahr. Sie sendet ihm eine Hilfsarmee unter dem Feldmarschallleutnant Marquis Chasteler. Gleichzeitig mit dem österreichi schen Militär- Anfang Anfang Aprilkommen massenhaft Proklamationen ins Land, die anzeigen sollen, daß der Moment der Befreiung da ist. Längst find die Tiroler von bewährten Landsleuten auf den Augenblick vorbereitet. Zwei Tage und Innsbruck ist von 20000 Tirolern eingeschlossen. Die bayeDie baye rischen Zivilbehörden und die bayerische Besatzung sind überrascht. In scharfem Kampfe triumphieren am 12. die Tiroler. Wer von den Gegnern nicht fällt, gerät in tirolische Gefangen schaft. Der französische General Bisson, der gegen den Mittelpunkt der Insurrektion vorrückt, tapituliert mit mehreren Regimentern vor dem fecken tirolischen Insurgentenführer Teimer in der Nähe der Hauptstadt, ohne überhaupt an die Waffen zu appellieren. Gleichzeitig ficht der Deutschtiroler glücklich in Südtirol gegen den Franzosen Baraguay d'Hilliers. The der schon greisenhafte, gemächliche Chasteler überhaupt den Arm erhebt, ist Tirol von Bayern und Franzosen befreit. Aber die Schlacht von Regensburg , in der Napoleon den Erzherzog Karl besiegt, senft mittelbar auch die Chancen der Tiroler. Die
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die
österreichische Hilfsarmee" wird allmählich zur Unterstützung der österreichischen Hauptarmee nötig; mit einem Teil des Hilfskorps nur bleibt Buol- Bärenburg im Lande zurück. Wien gerät in die Hände der Franzosen , und schon rückt ein starkes bayerisches Korps den Inn herauf. Der Insurgentenführer Oppacher verteidigt den Strubpaß mit wahnsinniger Tapferfeit. Chasteler begegnet auf dem Rückweg der Division Wrede und erliegt gegnerischer Übermacht wie eigener Unflugheit bei Wörgl . Raubend und brennend zieht der Sieger im Inntal aufwärts. Aber Erzherzog Karl besteht Napoleon bei Aspern ; die Sache der Bayern in Tirol verliert Glanz und Rückhalt. Am 29. Mai fämpfen die Insurgenten bei Innsbruck mit hervorragender Tapferkeit gegen die Bayern , die sich eilends zurückziehen. Innsbruck fällt abermals in die Hände der Insurgenten. Da gewinnt Napoleon die Schlacht bei Wagram . Abermals fallen die Hoffnungen der Tiroler. Der Waffenstillstand von Znaim vom 12. Juli zwingt wie angedeutet österreichische Regierung, ihre ganze Streitmacht aus Tirol zurückzuziehen, die zwar nichts geleistet, aber doch einigermaßen beruhigt hat. Tirol ist sich selber überlassen. Unter dem erneuten Oberfommando des französischen Marschalls Lefebvre, Herzogs von Danzig , eines etwas grotesten Elsässers, rücken die bayerischen Generale Deroy und Wrede zum zweitenmal in Tirol ein. Österreichische Soldaten desertieren zu den Tiroler Bauernheeren. Lefebvres Vorhut, sächsisches Militär, wird nicht weit von Sterzing in einem Engpaß durch die Kernschüsse und die entsetzlichen Steinbatterien der Tiroler vernichtet. In jammervoller Unordnung erscheint der Marschall in Innsbruck . Am 13. Auguft kämpfen die Tiroler zum drittenmal erfolgreich in der Nähe der Hauptstadt: zum drittenmal wird Tirol von den Feinden befreit. Haspinger , der Kapuziner , wird tollkühn und will direkt gegen Napoleon losziehen; er und der flarere Speckbacher beschränken sich aber darauf, den Feind im Salzburgischen zu beunruhigen. Der Kaiser Franz schickt Hofer eine goldene Gnadenkette goldene Gnadenkette bayerische Publizisten behaupten freilich, es habe sich um eine pfäffische Komödie gehandelt, von der Franz nichts wußte. Am 14. Oktober schließt Franz II . Frieden mit Napoleon . Tirol bleibt Österreich entzogen; durch diesen Frieden von Schönbrunn wird es in drei Teile zerstückelt und Bayern teilweise abgenommen. Aber trotz der väterlichen Ermahnungen, an denen es Franz nicht fehlen läßt, will sich Tirol mit seinem Schicksal nicht beruhigen. Hofer selber allerdings legt auf die Kunde vom Frieden die Waffen gehorsam nieder. Der Aufstand verliert Einheitlichkeit und Kraft. Unter dem Einfluß der verschiedensten Berater wechselt der halt- und urteilslose„ gewöfte Oberkommedant von Diroll", dem jeder überblick über die europäischen Verhältnisse fehlt, nicht weniger als siebenmal die Meinung und die Politik: bald ruft er zu den Waffen, bald fordert er Ruhe. Eine Proklamation des Vizekönigs Eugen von Italien, des Stiefsohns Napoleons , verbietet am 25. Oftober das weitere Tragen von Waffen bei Todesstrafe. Trotzdem kämpft der Wirt Peter Mayr bei Meran im November einen furchtbaren Kampf gegen den französischen General Rusca. Er wird ergriffen und standrechtlich erschossen. Im Dezember klingt die Erhebung mit kleinen Lokalkämpfen aus. Wie Mayrs, so wartet Hofers der Tod wegen Ungehorsams gegen die Proflamation Eugens. Man muß es diesen Männern lassen: sie wissen zu sterben, wie je die Helden des Altertums! Peter Mayr soll geschont werden, wenn er aussagt, er habe die Proklamation Eugens nicht gekannt. Er schätzt den Wert seines Lebens zu hoch, um es gegen eine Lüge einzutauschen, und läßt sich mit stolzem Verzicht auf ein mildes Urteil füfilieren. Auch Hofer erhält Gelegenheit, sich zu retten. Er verschmäht sie. Mit einer wunderbaren Hartnäckigkeit, die moralisch höher steht als politisches Klugsein, bleibt er im„ Landl ", das er mit einem großartig rührenden Heimatgefühl innig umfängt. Wiewohl ihm Freunde für Weib und Kinder einstehen, wiewohl der Tag froher Heimkehr nicht ausbleiben kann, weist Hofer jede Ge legenheit ab, zu entkommen. Seine einzige Schutzmaßregel ist die Flucht auf eine tief verschneite Alm in den Heimatbergen.