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Die Gleichheit
die Zeugungskraft überhaupt aufheben. Es ist zweifellos, daß die Arbeiterinnen, die mit solchen Giften arbeiten, die Fähig feit, Kinder richtig auszutragen, verlieren oder überhaupt unfruchtbar werden, und daß die Arbeiter, die derartige Gifte berufsmäßig aufnehmen, einen franken Samen bekommen, durch den eine normale Befruchtung unmöglich ist", schreibt Professor Dr. Lewin. Die praktische Erfahrung bestätigt dieses Urteil des Gelehrten durchaus.
So winzig aber auch der bestehende Schutz der Arbeites rinnen ist, übertreten wird er doch. So werden in Oberschlesien , wo die Arbeiterschutzbestimmungen allerdings nicht einmal auf dem Papier stehen, geschweige denn gehalten werden, die Arbeiterinnen in den chemischen Fabriken nicht nur zu Überstunden, sondern auch zu Nachtschichten, ja sogar zu 18 und 24stündigen Wechselschichten herangezogen. In der Gummiindustrie wird die Bestimmung der Bundesratsverordnung häufig übertreten, nach welcher die Arbeiterinnen beim Bulkanisieren mit Schwefels tohlenstoff nur 2 Stunden hintereinander und nicht länger als 4 Stunden im Tage beschäftigt werden dürfen. Die Wehrlosig keit und Unkenntnis der Arbeiterinnen erleichtern den Unternehmern die Übertretung. Ja, die Not in der Familie, die Sorge um den Arbeitsplatz verleitet die Frauen manchmal zu einer tiefbedauerlichen Nichtachtung der eigenen Gesundheit. So hatte in einer Gummifabrik in Hannover eine Arbeiterin bis zum Tage vor ihrer Niederkunft beim Bulkanisieren gearbeitet, nachts geboren und sich am anderen Tage wieder zur Arbeit gemeldet, nur um ihren einigermaßen bezahlten Arbeitsplatz nicht zu verlieren.
Ein weiteres Mittel, die übertretung der Arbeiterschutzgesetze zu erleichtern, ist das Affordsystem. Nach einer vom Fabrik arbeiterverband aufgenommenen Statiftit arbeiten 42 Prozent der in chemischen Fabriken beschäftigten Arbeiterinnen im Afford. In Gummifabriken wird im Afford vulkanisiert, in Zündholzfabriken werden im Afford Hölzer getunft, in Pulverfabriken werden im Afford Patronen gefüllt, furz, selbst die gefährs lichsten Arbeiten werden im Afford verrichtet. Daß dadurch die ohnehin großen Gefahren noch um das Vielfache gesteigert werden, ist einleuchtend.
Die Arbeitszeit der Arbeiterinnen in der chemischen Industrie ist im Durchschnitt länger als die der Arbeiter, weil für die letzteren teils durch gesetzliche Bestimmungen, teils unter dem Drucke der Organisation die Arbeitszeit für einige be sonders gefährliche Abteilungen auf 8 Stunden herabgedrückt werden konnte. Während von den männlichen Arbeitern 22 Brozent weniger als 10 Stunden täglich arbeiten, find es bei den Arbeiterinnen nur 7 Prozent; länger als 10 Stunden arbeiten 5 Prozent der weiblichen und 7 Prozent der männlichen Arbeiter. Es bedarf hier nicht der besonderen Versicherung, daß die Arbeitszeit in der so gefährlichen Industrie eine Verfürzung dringend erheischt.
Die Entlohnung der Arbeiterinnen ist mehr als dürftig. Nach der schon angezogenen Verbandsstatistik verdienen 22 Pro zent aller Arbeiterinnen weniger als 10 Mt., 60 Prozent über 10, aber weniger als 12 Mt. und nur 18 Prozent mehr als 12 Mt. pro Woche. Das sind gewiß Löhne, die in geradezu schreiendem Mißverhältnis zu den Gefahren der Arbeit sowohl als auch zu den Kosten des Lebensunterhaltes und nicht zuletzt zu den Riesengewinnen der Unternehmer stehen. Dabei sind die Löhne in den letzten Jahren unter dem Einfluß der Organisation schon erheblich gestiegen. Wie weit sie unter dem Durchschnitt in solchen Gegenden stehen, wo die Organisation noch nicht Fuß gefaßt hat, sei hier an einem Beispiel dargetan. Im Statut der Betriebskrankenkasse der chemischen Fabrik vormals Scharff& Co., jetzt Aktiengesellschaft in Zawodzie in Oberschlesien heißt es:„ Der durchschnittliche Taglohn beträgt für Arbeiter über 16 Jahren 1,60 Mt., für Arbeiter unter 16 Jahren und für Arbeiterinnen 0,80 Wit." Das ist gewiß ein trefflicher Beweis für die Rücksichtslosigkeit, mit der die Arbeiter da ausgebeutet werden, wo ihnen nicht eine Organisation schüßend zur Seite steht.
Aber nicht nur die Arbeiterinnen, die selber in den Werkstätten der modernen Alchimisten Dreck und Proletarierschweiß
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in Gold verwandeln helfen, haben unter den Gefahren der chemischen Industrie zu leiden, sondern auch alle diejenigen Arbeiterfrauen, deren Mann in diesen Gifthütten das targe Brot für die Familie erwerben muß. Nicht nur indireft, indem die Arbeit dem Ernährer der Familie Gesundheit und Leben frühzeitig zerstört, sondern auch direkt zieht die chemische Industrie die Familien in den Gefahrenkreis ihrer Betriebe. Auf der Frankfurter Konferenz der Arbeiterschaft der chemischen Industrie wurden mehrere Fälle angeführt, wo Arbeiterfrauen sich beim Reinigen der Arbeitskleidung ihres Mannes Vergiftungen zugezogen haben. Die Frau eines Arbeiters, der in der Chininfabrik von Böhringer in Mannheim - Waldhof beschäftigt ist, erkrankte an Chininausschlag, obwohl sie nur ein einziges Handtuch auswusch, das ihr Mann in der Fabrik benutzt hatte. Einige Betriebe liefern zwar Arbeitskleidung und besorgen auch deren Reinigung, aber auch dadurch ist oft nur wenig gebessert. In diesen Betrieben wird nämlich die Reinigung in der Regel an Arbeiterfrauen als Heimarbeit vergeben. Dadurch wird zwar die Zahl der gefährdeten Frauen verringert, aber die Gefahr für die mit der Arbeit betrauten ist um so größer. Ein Konferenzdelegierter aus Oberschlesien berichtete, daß eine Frau, die für einen Betrieb der Rütgerswerke die Arbeitskleider wusch, fich dabei eine Hautkrankheit zuzog, die ihre volle Invalidität zur Folge hatte. Die Unfallversicherung sowohl als auch die Firma verweigerten der Frau jede Unterstügung.
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Eine weitere Schädigung für die ganze Familie des Arbeiters bilden, wenn auch nicht immer, so doch sehr häufig, die Arbeiterwohnungen. Es ist allgemein bekannt, daß die Besitzer chemischer Fabrifen oft gezwungen sind, größere Landkomplexe in der Nähe ihrer Fabrit aufzufaufen, weil entweder die Gerüche für die Anwohner unerträglich sind oder die Vegetation durch die Dämpfe und Dünste des Betriebs vernichtet wird. Auf solchen Terrains werden aber häufig Arbeiterwohnungen errichtet. Der Unternehmer schlägt dabei drei Fliegen mit einer Klappe. Er verwertet sonst nutzloses Gelände, kommt billig in den Geruch eines Wohltäters und schafft sich in den Bewohnern der Fabrithäuser einen doppelt abhängigen Arbeiterstamm. Es tann aber gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Dämpfe und Dünste, die der Vegetation Tod oder Verkümme rung bringen, dem menschlichen Organismus nicht förderlich sein fönnen. Wenn auch die gesundheitlichen Schäden solcher Wohnungen schwer meßbar sind, ihr Vorhandensein muß ohne weiteres konstatiert werden. Der Konferenz der Arbeiter in der chemischen Industrie lagen denn auch zahlreiche Klagen in dieser Richtung vor. Die Wohnungen der chemischen Fabrik Wohlgelegen" befinden sich so nahe an der Fabrit, daß die Bewohner unter den ausströmenden Oleum- und Sulfatdämpfen schwer leiden. Aus Griesheim wurde berichtet, daß den Bewohnern der Fabrifwohnungen die Vorhänge von den Fenstern fallen, weil sie von den Säuredünsten zerfressen werden; das Bettzeug bleicht, wenn es der Luft ausgesetzt wird; Messer und Gabeln und andere Metallgegenstände oxydieren, und die in den Wohlfahrtsgärten mühsam herangezüchtete Vegetation wird oft in einer Nacht völlig vernichtet. Daß durch solche Fabrikwohnungen die Gesundheit der Arbeiterfrauen und-finder schwer geschädigt wird, bedarf einer besonderen Beweisführung nicht.
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Ein weiteres Blatt im Leidensbuche der chemischen Proletarier ist die Vergiftung der Kinder noch vor der Geburt. Oben wurde schon ein Ausspruch des Professors Lewin angeführt, nach dem es selbstverständlich ist, daß die Arbeiter, die giftige Kohlenstoffverbindungen berufsmäßig aufnehmen, einen franken Samen bekommen. Das gleiche trifft aber, praktischen Erfahrungen zufolge, auch für Arbeiter zu, die mit anderen Giften hantieren. So wird aus zahlreichen Orten berichtet, daß die Kinder solcher Arbeiter, die mit Chromaten in Berührung kommen, häufig bei ihrer Geburt am ganzen Körper mit pockenartigen Geschwüren behaftet sind. Em Arbeiter eines Anilinbetriebes, der 50 Jahre alt, aber seiner eigenen Angabe nach ,, total taputt" ist, berichtet, daß von seinen Kindern sechs am ganzen Körper fast blau gefärbt zur Welt tamen und furz nach der Geburt starben; ein siebentes wurde tot geboren. Da