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Die Gleichheit

stehenden oder der zu gründenden Kommissionen aufforderten. Die Einrichtung dieser Kommissionen ist noch zu neu, als daß es möglich wäre, heute schon einen Überblick über ihre Wirksamkeit zu geben. Nur von emigen Orten, die schon länger diese Tätigkeit entfalten, liegen Berichte vor über eine sehr segensreiche Wirksamkeit. Hoffent lich können wir im nächsten Jahr von überallher dies fonstatieren.

Gleichzeitig vom Bureau gegengezeichnet und gemeinsam ver­sandt wurde ein Zirfular, welches von der Generalkommission und dem Arbeiterinnenfomitee verfaßt, zur Errichtung von Beschwerde­kommissionen auffordert, Kommissionen, die die Beschwerden von Arbeiterinnen über die Nichtinnehaltung der Arbeiterinnenschutz­bestimmungen entgegennehmen, der Gewerbeinspektion übermitteln und so dem geltenden Recht Beachtung verschaffen. Ferner soll das Butular anregen, daß seitens der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen die Arbeiterinnen über die einschlägigen Gesezes­bestimmungen unterrichtet werden.

So wie auf diesem Gebiet ein gemeinsames Arbeiten angebahnt wird, so ist auch sonst durch die tätigen Genossinnen die gewert schaftliche Organisierung der Arbeiterinnen überall auf das wirk­samste unterstügt.

Um das Interesse der Proletarierinnen für unsere Parteipresse zu wecken und zu fördern, sind vom Bureau aus fast allwöchentlich Artikel an die gesamte Parteipresse gegangen, die sich besonders an die Frauen wandten und grundsäßlich sowie in agitatorischer Form Stekung nahmen zu den aktuellen politischen Tagesfragen.

Vereinzelt sind auch den monatlich erscheinenden Zeitungen für das ländliche Proletariat, sowie einzelnen Voltstalendern Beiträge geliefert, die in erster Linie das Interesse der Frauen für unsere Ideen und unsere Bewegung zu wecken suchten. Ebenso wie für die örtliche Parteipreffe haben die tätigen Genoffinnen die lebhafteste Propaganda entfaltet für die Gleichheit". Trotzdem die Schneider die Gleichheit" für ihre weiblichen Mitglieder abbestellten und dafür das Fachblatt" ausgestalteten, die Hausangestellten sich ein eigenes Organ schufen, und trotz der schweren Krise, die mit bleier­nem Druck auf der gesamten Arbeiterschaft lastete, hatte die Gleich­heit" am Jahresschluß 77 000 Abonnenten.

Das lebhafte Interesse an der Gewinnung und Schulung der Proletarierinnen in der großen Mehrzahl der Bezirke wird illu striert durch den Umfang der Korrespondenz: Es gingen im Ge­schäftsjahr an Briefen und Karten ein 1200; es gingen aus 1424. An Drucksachen gingen ein: 720; aus: 1554.

Der Erfolg dieser Agitation blieb nicht aus. Die Zahl der weiblichen Mitglieder betrug am Jahresschluß 62 259, also Zu­nahme 32 801.

Zur Kenntnisnahme. Wegen Stoffandranges mußten die Be­richte über die Agitation leider zurückgestellt werden.

Politische Rundschau.

Der Ausfall der Reichstagsersahwahl in Neustadt­Landau hat eine Folge gehabt, die für den deutschen Liberalis­mus überaus bezeichnend ist. Verschiedene nicht unbedeutende nationalliberale Blätter werfen entsetzt die Frage auf: Wem nütt die Agitation gegen die neuen Steuern? Und sie müssen feststellen, daß die Sozialdemokratie der lachende Dritte bei diesem Streit in den Reihen des Bürgertums ift. Charakteristisch ist die Forderung, die sie aus dieser Erkenntnis ableiten, und die sie als sehr dring­lich bezeichnen im Hinblick auf die bevorstehenden Reichstagßersah­wahlen in Halle, Stollberg - Schneeberg und anderen Kreisen. Sie lautet: schleuniges Begraben der Streitagt und Abschluß eines Abkommens mit dem Schnapsblock, das zunächst zwar nur für diese Wahlen gelten soll, konsequenterweise aber überhaupt zum Anschluß des Nationalliberalismus an den Schnapsblock führen muß. Die Bassermannsche Tattit, die in der Kampagne um die Reichs­finanzreform eingehalten wurde, wird mehr oder minder deutlich als verfehlt bezeichnet. Vielleicht steht mit dieser Kritik die Meldung in Verbindung, daß Herr Bassermann mandatsmüde sei und bei den nächsten Wahlen nicht mehr kandidieren wolle. Was die Ver­söhnung der Nationalliberalen mit den Junkern und dem Bund der Landwirte anbelangt, so wird sie wahrscheinlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Zu diesem Nationalliberalismus aber fühlt sich der deutsche Freifinn weit mehr hingezogen als zu den ehrlichen Demokraten von der Demokratischen Vereinigung . Und doch träumen einzelne Sozialdemokraten noch immer und gerade jetzt wieder den Traum von einer großen liberal- sozialdemokratischen Linken! Eine Idee, die selbst die Leute von der Demokratischen Vereinigung für mindestens arg verfrüht halten. Das sprach neu lich ihr Führer Breitscheid gegen den Genossen Bernstein unver

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hohlen aus, der die Demokraten zu aggressiv und scharf in ihrer Kritik des Freisinns gefunden hat!

Die Einwirtung, die die kommende Angliederung des National­liberalismus an den Schnapsblock auf die deutsche Sozialpolitik haben muß, ist leicht zu ersehen. Diese wird noch schlechter weg­tommen, als ohnehin schon. So weiß denn auch ein Blatt bereits mitzuteilen, daß in der kommenden Tagung des Parlaments die Gewerbeordnungsnovelle nicht wieder eingebracht werden wird, die in der letzten Reichstagssession beraten wurde, und die namentlich nach ihrer Verbesserung in der Kommission den Arbeitern einige Vorteile gebracht hätte. Der jetzige Reichs­fanzler und damalige Staatssekretär des Innern, Bethmann- Hollweg , hatte freilich die Verbesserungen der Kommission schon als uns annehmbar für die Regierung bezeichnet. Diese gibt nun den wütenden Protesten der Unternehmerverbände ganz nach und läßt das bescheidene Werk fallen.

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Schneller, als sogar die Sozialdemokraten ursprünglich ange nommen hatten, wird sich ihre Voraussage erfüllen, daß auch der neue Steuerraubzug nicht genügen würde, um die Reichs­finanzen dauernd ins Gleichgewicht zu bringen, die durch die stetig steigenden Rüstungsausgaben zerrüttet werden. Schon jetzt liegt flar zutage, daß das Werk des Schnapsblocks selbst vom steuers technischen Standpunkt aus ein Pfuschwert ist, daß die neuen Steuern nicht den Betrag ergeben werden, den die Macher vorauss gesetzt haben. Das laufende Geschäftsjahr des Reiches wird daher troz der Plünderung der Wassen ein gewaltiges Defizit aufweisen. In den folgenden Jahren wird es eher schlimmer als besser werden, denn die Ausgaben wachsen weiter eine neue Flottenvorlage steht sicher bevor. Neue Anleihen und in einigen Jahren aber­mals eine Reichsfinanzreform" winken also in Aussicht. Dringende Ausgaben unterbleiben bei diesem Stande der Dinge. Vorläufig wird jedenfalls die Erhöhung der Soldatenlöhnung daran glauben müssen, die von der Sozialdemokratie beantragt wurde. Die bürgerlichen Parteien haben sie wohl versprochen, aber immer wieder hinausgeschoben. Die Söhne des Volkes im Waffen­rock tönnen weiter auf die paar Pfennige Zulage warten die Herren Offiziere haben ja ihre Gehaltserhöhungen weg. Der Kriegsminister v. Ginem hat zurücktreten müssen; ein General v. Heeringen ist sein Nachfolger. Es ist bezeichnend für den deutschen Militarismus und den Übermut des Juntertums, daß allgemein angenommen wird, dem Herrn v. Einem habe es das Amt gekostet, daß er seinerzeit im Reichstag erklärte, er mißbillige die Bevors zugung des Adels im Offiziertorps und erachte, daß auch geeignete jüdische Bourgeoissprößlinge Anspruch auf Offiziersepauletten hätten.

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Das Zentrum ist womöglich in noch üblerer Lage als der Liberalismus. Die katholischen Arbeiter, der kleinere Mittelstand und teilweise sogar die kleinen Bauern sind mit der infamen Steuer­politik der Partei höchst unzufrieden. In den Versammlungen, wo die schwarzen Abgeordneten sich zu rechtfertigen suchen, machen die Gepreülten absolut feinen Hehl aus ihrer Empörung. Schon kommen Stoßseufzer aus der Zentrumspresse, die jene Abgeordneten, die sich vorsichtig zurückhalten, auf die Schanzen ruft. Auf der anderen Seite gebiert die Not des Zentrums in seiner Presse wahre Orgien der Lüge und des Schwindels. Was diese ehrenwerten Organe ihren Lesern alles zu bieten wagen, wie ungeheuerlich groß sie die Dummheit der Zentrumswähler tagieren, das übersteigt alle Be­griffe. Indes ist anzunehmen, daß der intelligente Teil der Zen­trumswählerschaft das ganze plumpe Lügengewebe doch durchschauen muß. Deshalb ist jetzt die Gelegenheit zur Gewinnung neuer An­hänger für die Sozialdemokratie sehr günstig. Die vielen großen Arbeiterentlassungen aus Tabatfabriken, die jetzt infolge der Tabak­steuererhöhung stattfinden, werden die Steuersünden des Zentrums erneut ins hellste Licht sehen. Die Erbitterung, welche die Not hervorrufen muß, wird aber sicherlich eher angefacht als gedämpft durch die Behandlung, deren die um Unterstüßung aus dem amt­lichen Viermillionenfonds Nachsuchenden durch die staatliche Bureau­fratie so gut wie sicher sind. Es sei denn, daß in Zukunft alle Erfahrungen trügen würden, die wir mit der deutschen Bureaukratie gemacht haben. Das hätte aber eine gewaltige innere Wandlung in dieser Körperschaft zur Voraussetzung, eine solche sozialpolitische Erleuchtung, wie sie nicht über Nacht kommt!

In besonders übler Lage befinden sich die sogenannten Arbeiter, abgeordneten des Zentrum 3. Ihre Wähler sind naturgemäß besonders entrüstet, und die Herren Giesberts, Schiffer und Kon­sorten haben schon die unzweideutigsten Beweise davon erhalten. In ihrer Bedrängnis greifen sie zu einem oft erprobten Mittel, zur Verleumdung der Sozialdemokratie, die an allem Schuld sein soll. Die tollsten, frechsten, handgreiflichsten Lügen, die gewaltsamsten Verdrehungen der Wahrheit sollen die Schäschen besänftigen.