410 Die Gleichheit Nr. 26 boykott aufforderte; sie befürwortete außerdem noch die Reso- lution, die zur weiteren Gründung und Förderung der Kinder« schutzkom Missionen aufruft. Diese nämliche Sache wurde auch von Genossin Lehmann eindringlich zur Unterstützung empfohlen. Genossin Baader sprach unter lebhaftem Beifall über die Be- stimmungen des Organisationsstatuts, welche die Mitglied- schaft und die Rechte der Frauen in der Partei regeln. Die be- sondere Bedeutung der V e rs i ch erun g s g esetzg e b un g für die proletarischen Frauen würdigte Genossin Baumann in trefflichen Worten. Der Parteitag wählte wieder Genossin Zietz als Bei- sitzerin in den Parteivorstand und Genossin Zetkin   in die Kontroll- kommission. Es gibt in Deutschland   keine einzige große politische Partei, in welcher die Frauen in dem gleichen Umfang zu allen Arbeiten und Aufgaben herangezogen werden wie in der Sozial- demokratie. Die Berliner   Genossinnen freuen sich, daß die Ende Oktober stattfindenden Berliner   Ersatzwahlen zum preußischen Landtag ihnen Gelegenheit geben, der reaktionären Sippschaft eine Quittung für ihr volksfeindliches Verhalten auszustellen. Wenn auch felbstver- ständlich die Wiederwahl unserer Genossen die Macht der Gegner im preußischen Landtag nicht brechen kann, so zeigt doch gerade ihr krampfhaftes Bemühen, uns die Mandate zu entreißen, wie unbequem ihnen das Eindringen der Sozialdemokratie in die der Herrschast des Kapitalismus geweihten Räume des Dreiklassen- Parlaments ist. Die Erbitterung über die neueste Verteuerung der notwendigsten Lebens- und Genußmittel, die die gesamte Arbeiter- klaffe beherrscht, ist für unsere Frauen ein neuer Antrieb, mit aller Kraft bei diesen Wahlen im Dienste der Partei mitzuarbeiten. Fehlt uns Frauen auch noch die Waffe des Stimmzettels, so können wir, wenn auch nicht wählen, so doch wühlen, und das soll trotz des Zetergeschreis über Terrorismus in einer Weise geschehen, daß dem mandatshungrigen Berliner   Freisinn über die Stimmung der Berliner   klassenbewußten Arbeiterschaft endlich die Augen auf- gehen werden. m. w. Jahresbericht der Genossinnen des achten und zehnte« schleswig  -holsteinischen Wahlkreises. Nachdem im Vorjahr durch das Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes die Schranken für die politische Organisation der Frauen gefallen waren, traten am 1. Juli die Genossinnen des Wahlkreises der Partei bei. Der Ein- tritt der Genossinnen Altona  ? und Wandsbecks geschah ge- schloffen laut Beschluß der bestehenden Frauenwahlvereine. Diese waren anläßlich der preußischen Landtagswahlen gegründet worden und zählten dank einer regen Agitation zirka 1330 Mitglieder. In sechs anderen Orten hatten wir außerdem Genossinnen, die frei- willige Beiträge zahlten. So traten am 1. Juli vorigen Jahres 1526 Frauen als Mitglieder in den sozialdemokratischen Verein ein. Im Berichtsjahr ist ihre Zahl auf 1873 gestiegen, die sich auf 16 Orte verleilen. Die Parteiorganisation hat also 347 weibliche Mitglieder neu gewonnen. Gewiß ein Zeichen dafür, daß auch die Frauen, wenn sie einmal aufgerüttelt sind, den Wert der politischen Organisation schätzen. Die Genossinnen haben an allen Ver- anstaltungen der Partei teilgenommen, jedoch wird in den meisten Orten über schwachen Besuch der Mitgliederversammlungen durch die Frauen geklagt. Besondere Frauenversammlungen sind in diesem Jahre in geringerer Zahl abgehalten worden als im Vorjahr, 17 gegen 26. Das ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß 1903 keine öffentlichen Frauenversammlungen stattgefunden haben, um die Delegierung der Genossinnen zur Generalversamm- lung des Wahlkreises und den Parteitagen vorzunehmen. Weib- liche Delegierte dazu wurden in den Mitgliederversammlungen zu- sammen mit den männlichen gewählt. Soweit Frauenversamm- lungen staltfanden, dienten sie teils der Agitation unter den Massen, teils der Schulung der weiblichen Mitglieder. DieGleichheit" hat leider an Abonnenten verloren. Es werden jetzt 1037, gegen 1137 Exemplare im Vorjahr gelesen. Der Vertrieb geschieht in der alten Weise. In Altona  , Wandsbeck, Sande und Schiffbeck tragen die Genossinnen selbst dieGleichheit" aus. Sie erzielten hierdurch einen Uberschuß von S81,83 Mk. Davon wurden 452 Mk. an die örtlichen Parteikassen abgeführt. 50000 Exemplare des Flug- blatte?:Genossinnen! Arbeilsschwestern!" sind im Kreise ver- breitet worden. In Altona   bestand seit einigen Jahren eine Kinderschutzkommission der Genossinnen, die eine rührige Tätigkeit entfaltete. Int letzten Jahre gelang es in 31 Fällen durch Rücksprache mit den Arbeilgebern und den Eltern lohnarbeitender Kinder, deren ungesetzliche Beschäftigung zu beseitigen. In mehreren Fällen mußte allerdings auch Anzeige bei der Behörde erstattet werden, weil auf gütlichem Weg« nichts erreicht werden konnte- Jetzt sind solche Kommissionen in Altona   und Wandsbeck durch die sozialdemokratischen Verein« eingesetzt worden. Die Genossinnen haben sich an allen Aktionen der Partei beteiligt. In Altona  und Wandsbeck haben sie an der Agitation für die Stadt- verordnetenwahlen teilgenommen, in mehrere» Orten haben sie beim Einkassieren der Beiträge, beim Flugblatt- verbreiten und beim Austragen derLandpost" geholfen. Wenn die Frauenbewegung bei uns auch keine großen Fortschritte gemacht hat, so kann man doch in Berücksichtigung der schweren wirtschaftlichen Krise, unter der die Frau besonders schwer zu leiden hat, mit ihrem gegenwärtigen Stande zufrieden sein. Wir blicken auf den ersten Schritt unter dem Reichsvereinsgesetz zurück. Er muß uns zu nimmerrastender Agitations- und Aufklärungsarbeil an- spornen, damit das neue Recht von größeren Waffen arbeitender Frauen voll ausgenutzt wird. Die gegenwärtige politische Situation eröffnet den Ausblick auf harte Kämpfe, die nur dann erfolgreich sein können, wenn das Proletariat sie geschlossener denn je auf- nimmt. Darum muß alles aufgeboten werden, um die uns noch Fernstehenden zu gewinnen und die Gewonnenen zu schulen. Der proletarische Freiheitskampf erfordert nicht nur ganze Männer, sondern auch ganz« Frauen. Es gilt für uns, alle Möglichkeilen auszunutzen, die uns die Situation bietet. Darum frisch ans Werk! Linchen Baumann. Politische Rundschau« Dem sozialdemokratischen Wahlsieg im pfälzischen Reichstag?- Wahlkreis Neustadt  -Landan haben sich die vorzüglichen Wahlergeb- nisse im sächsischen Reichstagswahlkreis Schneeberg-Stollberg und im pfälzische» LandlagswahlkreiS Neustadt-Edenkoben   wür- dig angeschloffen. Der alte sozialdemokratische Besitz im Erzgebirge  , der bei den Holtentottenwahlen von 1907 dem Ansturm der Gegner siegreich widerstanden hatte, wurde mit 21 190 Stimmen für den Genossen Schöpstin, mit einer Steigerung der Stimmen um 2190 behauptet. Der Stimmenrückgang von 1907 wurde glänzend welt- gemacht und die Stimmenzahl derroten Wahl" von 1903 noch um 1094 üderlroffen. Die vereinigtenNationalen" dagegen er- litten einen Verlust von 5162 Slimmen! Und das trotz einer wüsten Agitation, die mit den niedrigsten Mitteln des Reichsverbandes betrieben wurde; trotz des lebhaften Eintretens der konservativen und landbündlerischen Führer für den nationalliberalen Kandivalen; trotz der verzweifelten Beschwörung dernationalen" Wählerschaft, zum mindesten um des moralischen Eindrucks willen einen Rück- gang der bürgerlichen Stimmen gegen 1907 zu verhüten. Das alles hat das Strafgericht über dienationale" Politik nicht verhindern können, die sich so herrlich bei der Reichsfinanzresorm offenbart hat. Der unverschämte Steuerraubzug auf die Taschen der Ärmsten hat seine Wirkung getan großen Scharen der Wählerschaft sind die Augen aus- und übergegangen, sie haben die bürgerlichen Par- teien ohne Unterschied als die Sachwalter der Besitzenden erkennen müssen. Daß sie nun in dieser Erkenntnis gefestigt und zu über- zeugten Sozialdemokraten gemacht werden, das muß die Sorge der sozialdemokratischen Agitation sein. Die Genossinnen können dabei viel tun, indem sie die indifferenten Frauen über die Gründe der Verteuerung der Genußmittel aufklären. Die bürgerliche Presse sieht entsetzt auf das Resultat der Schneeberg  -Stollberger   Wahl und stellenweise werden Befürchtungen für den Ausgang der koni« wenden allgemewen Wahlen im Jahre 1912 ausgesprochen. Daß diese bürgerliche» Befürchtungen voll erfüllt werden, dafür muß die angespannt« Arbeil der Sozialdemokratie sorgen. Das Feuer, das die neuen Steuern im Volk entzündet haben, darf nicht mehr verlöschen. Dieselbe Sprache, wie die Wahl im Erzgebirge  , redete die Nachwahl zum bayerischen Landtag im pfälzischen Wahlkreis Neustadl-Edenkoben, einem Teil des eben von der Sozialdemokratie eroberten Reichslagswahlkreises Neustadt-Landau  . Der National- liberalismus hat zwar das Mandat noch mit knapp 500 Stimmen Mehrheit behauptet, seine Stimmenzahl ging aber von 6133 auf 4730 und die des Zentrums von 3593 auf 3346 zurück. Die Sozial- demokratie hat dagegen ihre Stimmenzahl mehr als verdoppelt: dies« stieg von 2073 auf 4179. Wenn das bayerische   Landtags- Wahlgesetz nicht schlechter wäre als das Reichstagswahlsystem es entrechtet die Steuerrestanten, die infolge der Krise in der Arbeiter» klaffe ziemlich dicht gesät sind, so hätte schon jetzt der National- liberale dem Sozialdemokraten weichen muffen. Das Zentrum macht verzweifelte Anstrengungen, seine stutzig gewordenen Wählermassen zu halten. Indessen kann es das Er- wachen vieler seiner betrogenen Anhänger nicht mehr ungeschehen machen. An den nackten, fühlbaren Tatsachen prallt der große Ein- fiuß ab, den die Kirche zu seinen gnusten übt, angesichts ihrer ver- fängt die Vorspiegelung von der Gefährdung der Religion nicht mehr, versagt die Kraft der skrupellos verlogenen Agitation und