Nr. 1

Die Gleichheit

geben und es gibt noch solche, wo die Benennung der Fas milie und die Rechnung der Abstammung nach der Mutter mit der größten Knechtschaft des Weibes Hand in Hand geht. In seiner höchsten uns bekannten Form besagt aber Mutter­recht volle Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, und zwar in einer Gemeinschaft, die sich auf der Geschlechtsver wandtschaft aufbaut und gemeinsame Besizerin des Grund und Bodens ist. Die Überreste solcher kommunistischen Verfassung, solcher Rechtszustände finden wir noch bei manchen indianischen Stämmen, ferner bei einigen Völkerschaften Ostindiens, auf den Südseeinseln der Marianen , der Tonga usw. Spuren dieses Mutterrechts lassen sich auch in unserer alten Welt, in Europa , nachweisen, wie das der Basler Gelehrte J. J. Bachofen zuerst festgeilellt hat.

Das Mutterrecht wich später dem Vaterrecht, der rechtlichen, gesetzlich festgelegten Herrschaft des Mannes. Entscheidend das für waren in lettem Grunde veränderte Bedingungen des wirt schaftlichen Lebens, die zu anderen Formen des Eigentums führten, das Privateigentum entstehen ließen und mit ihm Klaffengegensätze und Klassenherrschaft schufen. Die Frau selbst sant zum Eigentum des Mannes herab. Wie eine Ware konnte sie von ihm gekauft, verkauft, verspielt, verschenkt werden. Der Mann war Herr über ihr Leben und ihren Tod. Die Mutter hatte keine Rechte an den Kindern; Namen und Besitz erbten sich nach der Abstammung von väterlicher Seite fort. Noch heute gilt in China unverändert ein Rechtszustand, nach welchen die Frau kein Eigentum besitzen kann, nicht einmal ihren Schmuck und ihre Kleider, und nach welchem sie natürlich auch während ihres ganzen Lebens unter Vormundschaft steht.

Im klassischen Altertum tritt uns bei den Griechen und Römern eine Gesellschaft entgegen, die auf dem Privateigentum beruht und im Staat eine besondere politische Machtorganis fation zur Daniederhaltung der nichtbesitzenden Klassen hat. Hier gilt Vaterrecht, hier besteht eine Männerherrschaft, die bis zur brutalen Unterjochung der Frau führt. Daneben stoßen wir freilich gerade auch bei den Völkern des klassischen Alters tums noch in später Zeit auf mannigfache Anklänge an die früheren Zustände und Anschauungen.

Das Christentum verhielt sich zur Rechtlosigkeit des weib lichen Geschlechts sehr fühl, obgleich Frauen in der Zeit seiner Entstehung seine treuesten und opferfreudigsten Bekenner waren. Es begnügte sich mit der Gleichheit der Geschlechter vor Gott und ließ die sozialen Ungleichheiten zwischen ihnen unberührt. Als es zu festerer Organisation und zu etwelcher Machtstellung gelangt war, gab es die Weisung: das Weib schweige in der Gemeinde, und ein Konzil im sechsten Jahr­hundert war nahe daran, der Frau den Besitz einer Seele ab­zusprechen. Es ist daher grundfalsch, wenn gelegentlich die wundervolle Poesie des Marienkultus als ein Zeichen der hohen Wertung aufgefaßt wird, welche das Christentum dem weib­lichen Geschlecht gebracht hat. Der Marienkultus verdankt übrigens seinen Ursprung nicht spezifisch christlichen Ideen, sondern heidnischen Gebräuchen; Maria ist die Demeter der Griechen, die Ceres der Römer, die Frigga der alten Germanen.

Die ersten Fortschritte in der zivilrechtlichen Stellung der Frau finden wir in Rom . Sie gehen Hand in Hand mit dem Klassentampf der Plebejer gegen die Patrizier, sie bilden selbst ein Stück dieses Klassenkampfes und erscheinen als bedingt durch dessen Fortschritte und Siege. Als der römische Kaiser Justinian in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts n. Chr. die Geschlechtsvormundschaft abschaffte, hat er eigentlich nur sanktioniert, was schon fast allgemeine Geltung hatte. Von da an war im römischen Reich die Frau bis auf zwei Beschrän­fungen zivilrechtlich völlig frei. Sie durfte nämlich keine Bürg schaften eingehen und in der Regel teine andere Person vor Gericht vertreten. Sie besaß aber volles Recht, ihre eigenen Angelegenheiten vor Gericht zu führen, und ausnahmsweise fonnte sie dort auch für einen nahen Angehörigen plädieren. Sie war dem Manne im Erbrecht gleichgestellt und lebte auch unter einem guten Güterrecht, unter dem heute noch in Osters reich geltenden Dotalrecht.

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Das Justinianische Recht ist für die Rechtsstellung der Frau im Mittelalter von großer Bedeutung geworden. Es wurde nämlich im sechzehnten Jahrhundert in Deutschland rezipiert, das heißt es wurde als geltendes Recht in Deutschland ein­geführt. Damit ist auch das freiere römische Frauenrecht in Deutschland eingedrungen; in vielen Teilen Deutschlands wur­den die Beschränkungen aufgehoben, welche nach den germa­nischen Volksrechten für die Frauen bestanden: die Verfügungs­unfähigkeit und die Geschlechtsvormundschaft. Diese Volksrechte hatten sich in Zeiten herausgebildet, in denen auch bei den alten Germanen das Vaterrecht das frühere Mutterrecht ver­drängt hatte, auf das mancherlei Spuren unverkennbar hinweisen. Gegen das Ende des fiebzehnten Jahrhunderts gelang es wieder altdeutschen Rechtsanschauungen, namentlich solchen, die in dem Sachsenspiegel niedergelegt sind, der aus dem Beginn des zwölften Jahrhunderts stammt, die Rechtsstellung der Frau aufs neue zu verschlechtern. Es griff wieder eine mehr patriarchalische Rechts­gestaltung Platz. Die Frau wurde in ihren Rechten einge­schränkt, insbesondere auf dem Gebiet des ehelichen Güterrechts durch die Verwaltungsgemeinschaft. Es ist dies das Recht, kraft dessen das ganze Frauenvermögen während der Dauer der Ehe in die Hände des Mannes gelangt und der Frau die Verfügungsfähigkeit darüber entzogen wird; das Recht, wonach das Frauengut während der Ehe nicht wachsen und nicht schwinden kann. Mit diesem Güterrecht drangen auch wieder die Unterschiede im Erbrecht und die Geschlechtsvormundschaft in die Gesetzgebung ein.

Die große französische Revolution wirkte auch hinsichtlich der zivilrechtlichen Stellung der Frau bahnbrechend. Durch ein Defret vom 20. Mai 1790 wurden alle privatrechtlichen Vor­rechte des männlichen Geschlechts abgeschafft. Ein weiteres Defret vom August 1792 hob die väterliche Gewalt über alle volljährigen Personen auf, also auch über die Töchter. Die gleiche Erbteilung ohne Unterschied der Geschlechter wurde ein­geführt; die Unfähigkeit der Frau als Urkundszeuge wurde be­seitigt. Durch das Gesetz vom 2. November 1793 wurde be­stimmt, daß den unehelichen Kindern dieselben gesetzlichen Erb­rechte an dem Vermögen des Vaters zustehen sollen wie den ehelichen Kindern. Aber die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Napoleon hat bekanntlich nicht nur die zuletzt erwähnte Bestimmung aufgehoben, sondern sogar die Erforschung der unehelichen Vaterschaft untersagt. Er hat auch die Unfähig­keit der Frau als Urkundszeuge wieder eingeführt; die Auf­hebung der Geschlechtsvormundschaft hingegen und die gleiche Erbteilung hat er bestehen lassen.

Der freie Geist der französischen Revolution machte vor den Grenzpfählen der anderen Länder nicht Halt. In Deutschland brachte schon das preußische Landrecht vom Jahre 1794 in mancher Beziehung Besserungen für die Frauen. Am linken Rheinufer und in Baden wurde das Gesetzbuch Napoleons eingeführt, das zwar, wie wir gesehen haben, nicht gerade eine den Frauen freundliche Auffassung an den Tag legt, aber doch verglichen mit dem Zustand vor der Revolution manchen Fort­schritt verwirklichte. Nach und nach wurde in allen deutschen Staaten, zuletzt 1877 in Wismar , die Geschlechtsvormundschaft beseitigt. Seit dem 1. Januar 1900 gilt für das ganze Deutsche Reich ein einheitliches Zipilrecht, das Bürgerliche Gesetzbuch vom August 1896.

Dieses Gesetzbuch ist das erste große Gesetzeswerk, dessen Abfassung in die Zeit des mächtigen Emporwachsens der Ar­beiterklasse, in eine Zeit großer Veränderungen der wirtschaftlichen und zum Teil auch der politischen Machtverhältnisse fällt. Es wäre deshalb zu erwarten gewesen, daß das neue Recht in weitgehender Weise den veränderten Verhältnissen Rechnung tragen und angesichts des raschen Fortschreitens der gesellschaft lichen Entwicklung für die Zukunft etwas vorarbeiten würde. Leider hat sich diese Erwartung nicht erfüllt. Die Gesetzgeber haben sich im großen und ganzen damit begnügt, unter Aus scheidung des ganz Veralteten Rechtsinstitute und Rechtsan schauungen ehrwürdigen Alters zu konservieren und zu einem mehr oder weniger einheitlichen Ganzen zusammenzufassen. Über­