Nr. 3 Die Gleichheit 45 nachmittag, an dem daZ Begräbnis des Ermordeten stattfand, feierten wohl über 40000 Arbeiter und gaben ihm das letzte Geleit. In Ohligs hat sich ähnliches wie in Nürnberg begeben. In dem dortigen Eisen- und Stahlwerk findet«in Streik der Former und Gießereiarbeiter statt. Der Former Becker, der Ctreitposten stand, wurde von einer Stteikbrechergesellschaft über- fallen, geschlagen und schließlich durch«inen Dolchstich an der Lunge verletzt. Die Messerhelden wurden verhastet, aber später wieder freigelassen nnd arbeiten jetzt ruhig weiter. Ob in diesen Fällen Frau Justitia wohl auch so rasch und schneidig arbeiten wird wie bei den geringsten Vergehen Streikender? Justitia heißt auf deutsch : Gerechtigkeit, und da? Deutsche Reich ist ein kapita- listischcr Klassenstaat. ©tu neuer Verband. Am 10. Oktober tagte im Charlotten. bürg er Rathaussaal«ine Versammlung zur Gründung eines Ver- band«? für handwerksmäßig« und fach gew erbli ch e AusbildungderFrau. Schon im Frühjahr war zur Beteiligung daran in einem Zirkular aufgefordert worden, das bekannte Sozial- Politiker, Damen der bürgerlichen Frauenbewegung und Vertreter einiger größeren Firmen unterzeichnet hatten. Der Einladung zur Versammlung hatten neben den Unterzeichnern des Aufrufs Ver- steter der bürgerlichen Frauenvereine, der Handels- und Hand- werkskammern, der Hirsch-Dunckerschen und christlichen Gewerk- vereine und auch der steien Gewerkschaften Folge geleistet. Im Auftrag der Generalkommission der Gewerkschaften wohnten der Veranstaltung bei: der Redakteur desKorrespondenzblattes", Ge- nosse Umbreit, der Vorsitzende des Textilarbeiterverbandes, Ge- »osse Hübsch, und die Genossinnen Tietz und Hanna. Zur FrageDie wirtschaftlichen Folgen der unge- lernten Frauenarbeit" referierte die frühere badische Fabrik- wspektorin Fräulein vr. Baum, der Syndikus der Handelskammer l)r. R ö h l und an Stelle von Or. N a u m a n n, der durch Krankheit »m Erscheinen verhindert war, in seinem Aufstag Frau vr. Heuß- Knapp. Den Referaten lagen folgende Thesen zugrunde: l. Das Bedürfnis der Gewerbe nach billigen Arbeitskräften liefert die Nachfrage nach der industriellen Frauenarbeit, Not und Mangel an Einsicht bei der Arbeiterklasse daS Angebot:»in« ungeheure, im Wachsen begriffene Zahl von Frauen strömt der ungelernten Arbeit zu. Besond-rS stark sind die jüngeren Jahr- gänge vertreten; die Zahl der Verheirateten nimmt zu. 2. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Erscheinung für die Ar- beiterin sind: niedrige Entlohnung, ständiger Stellenwechsel, kein Aufstieg in der Berufsarbeit. 3. Mindestens ebenso«inschneidend wie diese wirtschaftlichen Folgen ist der Einfluß auf da? persönliche Leben der Arbeiterin: die Ausscheidung des erzieherischen Moments der Arbeit während der Jahre der Entwicklung, der Mangel an Arbeitsfreude, an innerer Beziehung zum Beruf bei den Erwachsenen und im Zu- sammenhang hiermit die gering« Lust und Fähigkeit zur Organi- sation. vr. Marie Baum . 4. Gegenüber der Tatsache, daß im Handwerk Frauen als Lehrlinge, Gehilfen und Bestiebsinhaber in ständig wachsender Zahl sich betätigen, ist dringend zu fordern, daß eine geordnete, tüchtige Durchbildung des weiblichen HandwerkernachwuchseS, grundsätzlich der deS männlichen gleich, gesetzlich gewährleistet wird, um so mehr, als die Gewerbeordnung schon jetzt keinen Ge- schlechtsunterschied berücksichtigt. b. Die ungelernte und schlechtbezahlte Frauenenarbeit bereitet dem gelernten Handwerker und Gewerbetreibenden eine Schmutz- konkurrenz und schädigt den Nationalwohlstand schwer. 6. Daraus ergibt sich die sozial« Pflicht des Staates und der Gesellschaft, den weiblichen wie den männlichen Handwerker und Gewerbetreibenden mit einer Ausbildung auszustatten, die ihm den Weg zu einem erfolgreichen Kampf ums Dasein möglichst »bnet. vr. R ö h l. 7. Nachdem das Recht der wechlichen Erwerbstätigkeit zur Anerkennung gelangt ist, handelt eS sich jetzt darum, diese Er- werbstätigkeit zu einer vollswirtschaftlich vollwertigen zu ge- stalten. 8. Solange die überwiegende Mehrzahl der erwerbsfähigen Mädchen und Frauen nur ungelernte oder schnell erlernbar« Arbeit leistet, wird die Kraft der Tüchtigeren unter ihnen volks- wirtschaftlich nicht genügend verwertet. 0. Das Ideal weiblich gelernter Qualitätsarbeit muß von allen Seilen, und nicht am wenigsten von Literatur und Volks- schule, gepflegt werden. vr. Naumann, Mitglied des Reichstags." Über die notwendig erscheinenden praktischen Maßnahmen sprach Fräulein Mleinek. Sie unterbreitete folgende Leitsätze: Soll eine grundsätzliche Reform der Berufsbildung der ge- werblichen Arbeiterinnen herbeigeführt werden, so sind folgende Maßnahmen nötig: 1. Beeinfluffung der Eltern unter Mitwirkung der Volksschule, daß sie ihre Töchter nicht einer ungenügenden Lehre oder wert- losen Kursen, sondern einer gründlichen Lehre zuführen. 2. Anregung der Meister durch Handwerkskammern und In- nungen, damit sie weibliche Lehrlinge annehmen. 3. Strenge Jnnehaltung der Bestimmungen der Reichsgewerbe- ordnung, welche schon jetzt für die gewerbliche Ausbildung einen Geschlechtsunterschied nicht kennt. 4. Errichtung weiblicher Lehrlingsnachweise. b. Einbeziehung der Schneiderei. Wäschenäherei und des Putz- machen? in die Organisation des Handwerkes. 6. Einführung der obligatorischen Fortbildungsschule für ge- lernte und ungelernte Arbeiterinnen. 7. Zulassung der Mädchen zu den gewerblichen Fachschulen für Knaben." Gleich die ersten Sätze der Thesen bekundeten die unverfälscht bürgerliche Auffassung der Referenten. Ein geheimnisvollesBe- dürfniS der Gewerbe nach billigen Arbeitskästen" verursacht nach ihnen die Nachfrage nach der industtiellen Frauenarbeit. Als ob man nicht wüßte, waS hinter diesem Bedürfnis steckt: die nackte Prosttsucht der Kapitalisten. Neben der Not soll der Mangel an Einsicht der Arbeiterklasse ein besonders treibender Faktor des An- gebots weiblicher Arbeitskräfte sein. Als ob der Mangel an Ein- ficht, soweit er überhaupt für daS Problem in Bestacht kommt, etwas anderes wäre alS ein Kind der Not, die von der kapita- listischen Ausbeutung geschaffen wird. Und schließlich auch nicht ein Sterbenswörtchen über die bestimmende, revolutionierende Rolle, welche die Technik für die ganze Frage spielt. Immerhin konnte man nach den Thesen noch der Meinung sein, es handle sich wenigstens um einen ehrlichen Versuch, für die Frauen praktische Ausbildungs- Möglichkeiten zu schaffen. Der Verlauf der Verhandlungen bewies jedoch, daß dies nicht die Absicht der Versammellen war. Was sie forderten, beschränkt sich darauf, die Frau dem Handwerl zuzuführen und ihr«ine mehrjährige handwerksmäßige Lehr« vorzuschreiben. GenoffeUmbreit begründete die Stellung der Generalkommission zu der Frage. Er betonte, daß die freien Gewerkschaften die Not- wendigkeit einer guten beruflichen Ausbildung für beide Geschlechter einsehen, und daß sie nach dieser Richtung hin wirken. Es liege aber keine Veranlassung vor, die Forderung zu unterstützen, auch die Arbeiterinnen zu einer mehrjährigen handwerksmäßigen Lehre zu verpflichten. Dem Handwerk würden durch ihre Verwirklichung nur in höherem Maße und für längere Zeit billig« Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden. Nach den bisherigen Ersahrungen und nach der Entwicklung der Produktion biete die Handwerks- mäßige Lehre keine Garantie für gute Ausbildung und die Aussicht, später ein besseres Fortkommen zu finden. Zu fordern sei die Ausbildung junger Arbeiter und Arbeiterinnen in Fachschulen mit anschließenden Lehrwerkstätten, die paritätisch verwaltet und der Oberaufsicht von Arbeitskammern unterstellt werden müßten. Außer- dem sei der Fortbildungsschulzwang auf alle jugendlichen Arbeiter beider Geschlechter auszudehnen. Das Unzureichend« der Hand- werksmäßigen Ausbildung habe auch Or. Naumann anerkannt. Durch seine Vertreterin ließ er ausdrücklich feststellen, er habe seine Mitwirkung davon abhängig gemacht, daß der Verband die Hand- werksmäßige und fachgewerbltche Ausbildung der Frau erstrebe. Eine rein handwerksmäßige Ausbildung allein für die Frau zu fordern, hieße daS Rad der Zeit zurückdrehen. Genossin Tietz machte in der Spezialdebatt« auf die schweren Schäden aufmerksam, die der Arbeiterschaft durch die bereits vorhandenen staatlich subventio« nierten Fachschulen entstehen. Diese haben sich in der Hauptsache bisher nur für die Unternehmer als vorteilhaft erwiesen. Daß Ver- treter des Handwerks auch auf dieser Tagung den alten Ruf er- schallen ließen:Die Frau gehört WS HauS", sei als Kuriosum nebenbei erwähnt. Gegen diese Losung protestierten selbst Vertreter der Handwerkskammern, von denen wie auch von anderer Seite das Unsinnige der Forderung durch Zahlen bewiesen wurde. Wie nicht anders zu erwarten war, stießen die Ausführungen der Delegierten der Generalkommission auf Widerspruch. Die Thesen der Referenten gelangten mit geringen Änderungen zur Annahm«. Auch die Verbandsgründung wurde mit großer Majorität be­schlossen. Di« Vertreter der Generalkommission stimmten dagegen. nachdem Genosse Um breit vorher noch erklärt halle, daß es zur Propagierung der Forderung auf gute und gleiche Berufsbildung für beide Gejchlechler keines neuen Verbandes bedürfe. Verschieden« Frauenvereine, Einzelpersonen sowie die Hirsch-Dunckerschen und