52sich alles zum lebensprühenden, farbensatten Weltbild ausder Zeit des Dreißigjährigen Krieges zusammen. In seinerWallenstein-Trilogie hat Schiller die herrliche Ernte seiner aus-gedehnten geschichtlichen Studien gegeben, ist er über seine ge-schichtlichen Abhandlungen weit emporgewachsen und zum großenHistoriker geworden. An dramatischem Wurf und künstlerischerGestaltungskraft, an Gedankentiefe und edlem Schwung derSprache den besten Shakespeareschen KönigSdramen ebenbürtig,an historischem Sinn ihnen überlegen, ist die Trilogie ein einzigdastehendes Monument der Weltliteratur. Schillers dramatischeSchöpfungen, von dem unvollendeten„Demetrius" abgesehen,klangen in einer begeisterten Verherrlichung des Kampfes fürdie Freiheit aus: im„Wilhelm Tcll". Und das ist der großeFortschritt geschichtlichen Erkeunens, der zwischen ihm und den„Räubern" liegt: nicht mehr die mächtige Einzelpersönlichkeitist der Held des Dramas, sondern das Volk, das seiner Knecht-schalt müde„ein einig Volk von Brüdern" im Kampfe gegendie Tyrannei zusammensteht. Es bekundet ein feines historischesEmpfinden, daß nicht Tells Verzweiflungstat die Freiheit vonden Bergen niederstcigen läßt, sondern die vereinbarte Aktionder Gesamtheit. Tells Schuß ist nichts anderes als eines jenersynrptomatischen Signalfeuer, welche als unabwendbare undsich rechtfertigende Begleiterscheinungen drückender Tyranneimelden, daß diese das Maß des menschlich Erträglichen längstüberschritten hat. Unser historisch geschulter, kritisch wägenderVerstand mag und muß feststellen, daß die Idylle eines Frei-heitsringens, das keine Klassengegensätze kennt, das an denAusbeutungsverhältnissen nichts ändert, in dem Junker undKnecht sich briiderlich umarmen, ein geschichtliches Unikum ist;daß Tell bei Lichte betrachtet die Züge eines anarchistischenKleinbürgers trägt. Dem Herzen aller Unterdrückten, allerFreiheitssehnsüchtigen wird trotz allem das Drama unendlichteuer bleiben. Solange der Schmerzens- und Empörungsschrei»on Unterjochten und Enterbten an das Himmelsgewölbe schlägt,solange der„Menschheit Odem nach Befreiung lechzt", so langewerden wieder und wieder die stolzen Freiheitsgedanken unddie leidenschaftlichen Freiheilstöne dieses Werkes den Mut, dieTatkraft, die Begeisterung der Kämpfenden befeuern. In„Wik-Helm Tell" hat Schiller mit hinreißendem Pathos den künst-lerisch-moralischen Adclsbrief für die revolutionäre Notwehrdes einzelnen, für den revolutionären Kampf der Unterjochtengeschrieben:„Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht,Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,Wenn unerträglich wird die Last— greift erHinauf getrosten Mutes in den HimmelUnd holt herunter seine ew'gen Rechte,Die droben hange» unveränderlichUnd unzerbrechlich wie die Sterne selbst—Der alte Urständ der Natur kehrt wieder,Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht—Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehrVerfangen will, ist ihm das Schwert gegeben—'Die revolutionären Sänger des deutschen Bürgertums der»ierziger Jahre— die Freiligrath, Herwegh usw.— haben vomFeuergeist dieses Pathos getrunken.(Schluß folgt.)Die ArbeiterbewegunginderPortefeuilleindustrieDeutschlands'3. Die Entwicklung des Portcfeuillerverbandes.Die Offenbacher Lederwarenfabrikanten machten sich denverfeinerten Geschmack des kaufenden und reisenden Publikumszunutze. Wie in der Portefeuilleindustcie, so wollten sieauch in der Reiseeffektenindustrie die ausländische Konkurrenz aus dem Felde schlagen. Der Neid muß es ihnen lassen,daß sie ihre Absicht dank der intelligenten Arbeiterschaft ver«wirklichten. Die Arbeiter hatten jedoch wenig Nutzen von dem* Siehe Nr. 1 und 2 der„Gleichheit".Nr. 4Erfolg. Wie stets und in allen Gewerben mußten sie erst umihren Anteil an der guten Geschäftslage kämpfen. Die Ar-beiter der Reiseeffektenindustrie nahmen diesen Kampf zuerstauf. Sie gehörten in ihrer Mehrzahl schon seit vielen Jahrendem Sattlerverbande an, gingen 1900 geeint vor und erreichtendadurch eiue Erhöhung des Lohnes und vor allem eine Ver-kürzung der Arbeitszeit. Die Portefeuitter, die mit den Sattlernzusamnien in denselben Betrieben arbeiteten, mußten eine halbeStunde früher anfangen nnd eine halbe Stunde länger ar-bellen als diese. Das beleidigte den„Künstlerstolz" der Porte-feuiller, sie wollten den Sattlern nicht nachstehen. Damit er-wachte die Erkenntnis, daß sie ohne Gewerkschaft nie die ver-besserten Arbeitsbedingungen erringen würden, welche die Sattlerdurchgesetzt hatten. Der Deutsche Buchbinderverband, dem da-mals zirka 80 bis 100 Portefeuiller in Offenbach und 120 inBerlin angehörten, zog aus der Gärung keinen Nutzen. In:Gegenteil. Den Berliner Portefeuillern wurde eine Beihilfe zurAgitation verweigert. Ein anderer Umstand noch trug dazu bei,die Beziehungen zwischen dem Verband und den Portefeuillernzu lockern. Die großen Kämpfe im Bnchbindergewerbe machtendie Erhebung von Extrasteuern notioendig. Durch diese Maß-nahmen wurde dem kleinen Hänslein der Portefeuiller, die demBuchbinderverband angehörten, die Agitation für ihn unterder Masse der Unorganisierten erschwert. Plötzlich und unver-mittelt tauchte unter den Portefeuillern der Gedanke auf, eineeigene zentralisierte Organisation zu errichten. Wie wir bereitsanführte», reifte der Gedanke am 11. November 1900 in Offen-bach zur Tat. 200 Bcrufsgenossen traten, einer Einladungfolgend, zu einer Tagung zusammen, welche die Gründungeiner eigenen Organisation für die Portefeuiller und das Er-scheinen eines eigenen Organs beschloß: der„Portefeuiller-Zeitung". Sehr bald schon zählte die„Portefeuiller-Ge-werkschaft" 1000 Mitglieder. Auch in Berlin herrschte Be-geisterung für die Idee. Am 29. Januar 1901 wurde mit300 Mitgliedern ebenfalls eine Portefeuiller- Gewerkschaft ge-gründet. Damit waren die organisatorischen Ansätze für dasZustandekommen einer Zentralisation geschaffen. Auf dem erstenKongreß der Portefeuiller, der zu Ostern 1901 in Offen bachstattfand, vertraten 12 Delegierte 1588 männliche und 59 weib-liche Organisierte. Der Zentralverband trat ins Leben. Erforderte einen Wochenbeitrag von 20 Pf. für männliche, von10 Pf. für weibliche Mitglieder und führte zunächst nur Unter-stütznng für Streitende und Gemaßregelte ein.Die übrigen Gewerkschaften erblickten in der neuen Organi-sation eine Zersplitterin der einheitlichen Arbeiterbewegung, undso kam es, daß ihr der Anschluß an die Geueralkommissionverweigert wurde. Das neue Reis am Baunie der klaffen-bewußten Arbeiterbewegung gedieh jedoch ohne Beihilfe irgendeines anderen Verbandes aus eigener Kraft. Auf dem erstenVerbandstag 1904 vertraten 19 Delegierte 2374 männliche und77 weibliche Mitglieder, das heißt 50 Prozent der Berufsangehörigen. Hier wurde beschlossen, den wöchentlichen Beitragauf 30 resp. 15 Pf. zu erhöhen, eine Erwerbslosenunterstützungeinzuführen und eine Tarifbewegung einzuleiten, die die grüßtenMißstände im Beruf beseitigen sollte. Diese Beschlüsse steigertendie Werbekraft des Verbandes. Seine Entwicklung wie seineTätigkeit bewies den der Generalkomunssion angeschlossenen Gewerkschaften, wie notioendig seine Existenz war. Ein neuer-licher Antrag ans Anschluß an die Geueralkommission wurdeangenommen. Auch organisatorisch ward damit der Porte-feuillerverband der gesamten modernen Gewerkschaftsbewegungeingegliedert.Die beschlossene Tarifbewegung wurde 1905 durchgeführt.Sie brachte einen dreijährigen Vertrag mit den Unternehmern,die sich inzwischen zu einer Vereinigung der Portefeuille- undReiseartikelfabrikanten koaliert hatten. Als Ostern 1907 derzweite Verbandstag der Portefeuiller in Berlin tagte, mustertedie Organisation 3509 männliche und 464 weibliche Mitglieder.Sie harte 79 Prozent der Arbeiter und 35 Prozent der Arbeile-rinnen des Berufs erfaßt, gewiß ein günstiges Verhältnis an-gesichts der Tatsache, daß die Hälfte der Arbeiterschaft in derDie Gleichheit