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Die Gleichheit

Stadtparlament wieder hineinzuwanken, aber die flaffenbewußten Arbeiter haben bei diesen Wahlen gezeigt, daß sie nicht ruhen und rasten werden, ehe nicht auch unter dem herrschenden Wahlunrecht der letzte Freisinnsmann aus der dritten Abteilung verschwunden sein wird. Zu diesem Erfolg haben die Genoffinnen ihr Teil bei getragen, sowohl beim Heranholen der Säumigen zur Wahl, wie bei den notwendigen schriftlichen Hilfsarbeiten. Lebhaft haben sie dabei bedauert, daß nicht auch sie hingehen und durch Abgabe ihrer Stimme für den sozialdemokratischen Kandidaten dem Berliner   Rathaus freifinn zeigen konnten, wie sie sein reaktionäres arbeiterfeindliches Verhalten zu bewerten wissen. Noch gilt es für uns, den heiß umstrittenen zwölften Berliner   Landtagswahlkreis zu erobern. Der Tag der Stichwahl, der 16. November, wird die Berliner   Ges nossinnen wiederum auf dem Poften finden.

m. w.

Jahresbericht der Genoffinnen in Bremen  . Die Bremer   Ge noffinnen haben im Berichtsjahr eine rege Tätigkeit entfaltet. Durch Versammlungen und Festlichkeiten haben sie versucht, die Zahl der weiblichen Parteimitglieder und der Abonnentinnen der Gleichheit" zu vermehren. Auch Hausagitation ist zu dem Zwecke betrieben worden. Der Erfolg blieb nicht aus. Jn der Versammlung im November vorigen Jahres, in der Genoffin Zetkin sprach, wurden 60 Gleichheitleserinnen und 15 Parteimitglieder gewonnen. Unsere Parteiorganisation und unsere Presse hatte auch greifbaren Nutzen von zwei öffentlichen Frauenversammlungen, in denen Genossin Selinger Saalfeld referierte. Jm ganzen wurden unserer Partei organisation im letzten Jahre 167 weibliche Mitglieder neu zugeführt, so daß deren Zahl jezt über 600 beträgt. Die Arbeit der Genossinnen im Dienste der Bewegung ist bestens dadurch gefördert worden, daß in allen Distrikten des Kreises eine Vertrauensperson gewählt wurde, die im Einvernehmen mit den Genossen tätig war. In der Folge hat sich ein Stamm von Genossinnen zusammengefunden, die gemeinschaftlich die Agitationsarbeit erledigen. Damit begann eine rege Betätigung der Frauen. In allen Distrikten fanden Ver­sammlungen statt, in denen Genoffin Reize- Vegesack sprach und in verschiedenen Distrikten wurde eine Hausagitation vorgenommen. Besondere Zusammenkünfte für die Genossinnen der einzelnen Distrikte wurden veranstaltet. Sie dienten laut Beschluß des Nürn­ berger   Parteitags der theoretischen und praktischen Schulung der Frauen. Im Februar fand die erste solche Zusammenkunst statt. Nach einem Vortrag des Genossen Pieck wurde beschlossen, an der Hand des Buches von Bebel Die Frau und der Sozialismus die Geschichte der Frau als ersten Unterrichtsstoff zu wählen. 25 Genossinnen bestellten sofort das Buch, das sie für diesen Zweck von dem Verlag Dieß in Stuttgart   zu halbem Preis erhielten. Es gingen noch Nachbestellungen ein, so daß insgesamt 60 Exemplare des Werkes verbreitet worden sind. Die Unterrichtsabende finden alle 14 Tage statt und sind im Durchschnitt von 35 Genossinnen besucht. Da die Genossinnen überall für diese Abende agitieren, hoffen sie auf einen steigenden Besuch. Genosse Pieck, der die Zusammenkünfte leitet, versteht es meisterhaft, die Frauen in die sozialistische Gedankenwelt einzuführen. Die tätigen Genossinnen sind bestrebt, mit ihrer Werbearbeit immer mehr die Kreise noch indifferenter Frauen und Mädchen zu erfassen. Sie richten zu diesem Behufe ihr Augenmerk auch auf den Frauenchor, der in letzter Zeit entstanden ist und 150 Mitglieder zählt. Leider ist der größte Teil dieser Frauen und Mädchen nicht organisiert und ohne Interesse für den proletarischen Befreiungskampf. Die Genossinnen werden nicht erlahmen, bis in dieser Beziehung ein Wandel ein­getreten ist. Ein Zurück gibt es für sie nicht. Treuer, fleißiger Arbeit wird der Erfolg nicht versagt bleiben. An solcher Arbeit werden es aber die Genossinnen nicht fehlen lassen. Schritt für Schritt werden sie guten Muts vorwärts schreiten, in ihren Be­strebungen tatkräftigst unterstüßt von dem Vorstand der Partei­organisation, der volles Verständnis für die Bedeutung der prole­tarischen Frauenbewegung befundet. Welche Schwierigkeiten auch immer sich den Genossinnen entgegenstellen, ihre Losung bleibt: and Wert!

Politische Rundschau.

Grete Simon,

Wie tief die Erbitterung des Volkes über den Steuerraubzug des Schnapsblocks geht, das hat am 12. November die Reichstags= ersazwahl im brandenburgischen Kreise Landsberg  - Soldin aufs neue schlagend bewiesen. Die Konservativen, die 1907 mit 13828 Stimmen siegten, erzielten diesmal deren nur 9469. Sie haben also 4327 Stimmen verloren, während die Gefolgschaft der Sozialdemokratie von 6470 auf 7555 Stimmen gestiegen ist, mithin um 1085 Stimmen zugenommen hat. Der Freijinn brachte es von feinen 6179 Stimmen im Jahre 1907 nur auf 6377, hatte also

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den minimalen Zuwachs von 198 Stimmen. Die Wahl hat eine ganz besondere Bedeutung, weil sie in einem überwiegend länd­lichen ostelbischen Kreise vor sich ging. In dieser industrieschwachen Gegend begegnet die sozialdemokratische Agitation sehr großen Schwierigkeiten. Es standen der Partei auch während des Wahl­tampfes nur sehr wenige Säle zur Verfügung, und am Wahltag wurden ihre Vertrauensmänner aus zahlreichen Wahllokalen ge­sezwidrigerweise hinausgewiesen. Angesichts dieser Sachlage hat unsere Partei einen nicht gering anzuschlagenden Erfolg erzielt. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß am Wahltermin viele Hun berte proletarischer Wähler als Flößer und Schnitter außerhalb des Wahlkreises weilten. Die kleinen Landwirte, die über die Steuerpolitik der Konservativen empört sind, waren als- wirt­liche oder vermeintliche Interessenten des Privateigentums für die Sozialdemokratie nicht zu gewinnen. Sie demonstrierten durch Wahlenthaltung, die in einigen Ortschaften einen ganz erheblichen Umfang annahm. Der Freisinn hatte auf diese Unzufriedenen unter den konservativen Wählern gerechnet. Das um so mehr, als er einen Rittergutsbesizer als Kandidaten aufgestellt hatte, der sich halb freisinnig, halb nationalliberal gab und sich für Flottenbau, Antipolenpolitik erklärte und auch der Schutzöllnerei einiges Entgegen. tommen bewies. Es hat dem Freifinn alles nichts geholfen, er konnte nur lumpige 198 Stimmen gewinnen und ist weiter denn je davon ent­fernt, die Sozialdemokratie zu überflügeln, die er in dieser Situation bestimmt aus der Stichwahl zu drängen hoffte. Wieder ein Beweis mehr, daß die Wähler auf das Paradestück der freisinnigen Agitation nicht hineinfallen, daß sie das Eintreten der Unentwegten" für die Erbschaftssteuer und ihre schließliche Ablehnung der Reichs­finanzreform nicht höher schäzen, als was diese Taten" wert sind. Gebührend kreiden die Massen den liberalen Helden die Bereit­willigkeit an, 400 Millionen indirekter Steuern zu bewilligen. Be gierig darf man jetzt darauf sein, ob der Freifinn seine Situation noch verschlechtern wird, indem er in der Stichwahl den Kreis den Konservativen ausliefert.

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Den Konservativen muß es bei dieser Wirkung ihrer Politik angst und bange werden. Die Sprache ihrer Blätter verrät es; diese werden nicht müde, den Nationalliberalen zu beweisen, daß es in deren eigenem Interesse liege, die Angriffe auf die Konfer vativen wegen der Reichsfinanzreform einzustellen und sich mit ihnen gegen den Umsturz" zu vereinigen. Das zustimmende Echo in nationalliberalen Blättern wird immer stärker. Allerdings ist die Situation schon danach, die bürgerlichen Parteien ihre Katz­balgereien vergessen zu lassen und sie gegen die Sozialdemokratie zusammenzutreiben. Die sozialdemokratischen Erfolge reißen nicht ab. In Baden hat die Sozialdemokratie bei den Stichwahlen noch zehn Mandate erobert, und zwar nicht nur mit den Liberalen zusammen( auf Grund des Abkommens gegen Zentrum und Kon­servative), sondern auch gegen die Liberalen. Die sozialdemo­fratische Vertretung zieht 20 Mann start als zweitstärkste Fraktion in den Landtag ein. Die Nationalliberalen haben es auf 17, die Demokraten und Freifinnigen auf 7 Mandate gebracht, die sie in der Mehrzahl nur mit sozialdemokratischer Stichwahlhilfe erlangen fonnten. Der Gesamtliberalismus hat in der badischen Kammer nur 24 Mandate gegen 29 des Zentrums und der Konservativen. Er ist also auch hier auf die Unterstüßung der Sozialdemokratie gegen die klerikal konservative Koalition angewiesen. Die sozialdemo­kratische Fraktion ist um 8 Mandate gegen den vorigen Landtag gewachsen.

Noch glänzender hat die Sozialdemokratie in Sachsen   bei den Stichwahlen unterm arbeiterentrechtenden Pluralwahlrecht ab geschnitten. Zu den 15 Mandaten, die im ersten Wahlgang er­obert wurden, gewann sie noch 10 hinzu. Dabei gingen sämtliche bürgerliche Parteien gegen die Sozialdemokratie zusammen. Die freisinnige Parteileitung hatte sich zwar um eine unzweideutige. Parole herumgedrückt, weil sie in einigen Kreisen auf sozialdemo fratische Stichwahlhilfe spekulierte. Jedoch der Vorsitzende der volksparteilichen Organisation, der Reichstagsabgeordnete Günther­Plauen, und verschiedene der durch gefallenen freisinnigen Kandidaten haben dafür um so lauter gerufen: Gegen den Umsturz!" Nur in zwei Oberlausitzer   Kreisen gaben die freisinnigen Parteileitungen direkt die Losung aus:" Gegen die Konservativen", weil in der Nähe ein freisinniger Kandidat nur mit Hilfe der Sozialdemo­tratie gewählt werden konnte. Trotzdem der glänzende sozialdemo fratische Erfolg. Zum Teil ist er darauf zurückzuführen, daß ein Teil der erregten bürgerlichen Wählerschaft den Führern die Ges folgschaft versagte, sich der Wahl enthielt oder gar für den Roten stimmte. Zum anderen Teile aber erklärt er sich dadurch, daß noch starte proletarische Reserven anrückten, die bei der Hauptwahl nicht gewählt hatten, weil sie unterm Pluralwahlrecht keinen Er