Nr. 4

Die Gleichheit

vermehrt werden, da überall viel Raum vorhanden ist. Wenn pro Entbindung eine durchschnittliche zehntägige Aufenthaltsdauer ge­rechnet wird, so fönnen 1000 Arbeiterinnen in einem Jahre die Wohltaten dieses Heims genießen. Von feiner Seite ist bisher in Österreich auch nur annähernd Ähnliches geschaffen worden, ob­wohl die schrecklichen Wohnungsverhältnisse Wiens bekannt sind. In kleinen Wohnungen, die höchstens aus einem zweifensterigen Zimmer und einer Küche bestehen das sind die besseren Ver­hältnisse!, werden noch einige Bettgeher gehalten. In dem näm­lichen Zimmer, mit den Eheleuten und Kindern zusammen, und auch in der Küche werden die Schlafgänger untergebracht, die eine Not­wendigkeit sind, damit die Arbeiterfamilie den Zins bezahlen kann. In folcher Umgebung, ohne Pflege, gebären die Frauen der Arbeiterklasse. Wochenbetterkrankungen und Säuglingssterblichkeit sind unvermeid­liche Folgen solcher Zustände. Aber alle die amtlichen Gewalten, die das Elend fennen, sind bis jezt untätig geblieben, es amtlich zu bekämpfen. Es gibt in Wien ein Entbindungsheim, die ,, Lucina", das der Privatwohltätigkeit sein Entstehen verdankt. Verheiratete mittellose Frauen werden dort aufgenommen, unverheiratete schließt das Statut aus; das Heim ist des weiteren natürlich auch viel zu klein, um diejenigen aufzunehmen, die Aufnahme suchen und ,, sittlich" genug sind, verheiratet zu sein. Und das ist alles, was die Zweimillionenstadt Wien den armen Frauen bietet, die Mütter werden. Die von sozialdemokratischen Arbeitern verwalteten Krankenkassen waren es, die auch hier, wie auf so vielen anderen Gebieten, vorangingen und eine Pflicht übernahmen, die längst Staat und Gemeinde erfüllt haben sollten. Im Entbindungsheim der Arbeiterkrankenkassen ist alles vorhanden, was den Wöchne­rinnen den Aufenthalt gesund und angenehm machen kann. Neben jedem Bett befindet sich der Korb für das Kind, der in eine Badewanne umgewandelt werden kann. Wäsche ist für Mutter und Kind reichlich vorhanden, und drei Ärzte sind da, um den Frauen in ihrer schweren Stunde beizustehen. Außerdem gibt es angestellte Hebammen, die ihr Amt ausschließlich im Entbindungs­heim auszuüben haben. Die Wiener Arbeiterfrankenkassen können stolz sein auf ihre prächtige Schöpfung, die den Arbeiterinnen den Wert der Solidarität der Arbeiterklasse zeigt.

a. p.

Wöchnerinnen- und Säuglingssterblichkeit. Wie unzuläng­lich der in der Reichsversicherungsordnung vorgesehene Schutz für Mutter und Kind ist, wie berechtigt die Mutterschaftsforderungen find, die die Sozialdemokratie in beider Interesse seit Jahr und Tag erhebt, das geht mit erschütternder Deutlichkeit aus der Stas tistik der Wöchnerinnen- und Säuglingssterblichkeit hervor. Tausende von Frauen bezahlen die Erwartung auf Mutterglück mit ihrem Leben, Zehntausende fiechen an den Folgen der Mutterschaft, des Wochenbettes dahin, gehen an schleichenden Krankheiten langsam zugrunde, und Legion ist die Zahl der kleinen Wesen, die ver­welfen, noch ehe sie geblüht haben. Doch lassen wir die Zahlen reden, die trockenen, aber steifnackigen Dinger. Nach Professor Franqués Berechnungen sterben in Deutschland etwa 10000 Frauen jährlich an den Folgen der Niederkunft, davon 7000 allein am Wochenbettfieber. Nach vorliegenden Schägungen steigert das Wochenbett die Zahl der Todesfälle an der Proletarierkrankheit, ber Tuberkulose, um 16 Prozent. In Sachsen raffte der Tod 1901 bis 1904 von 623657 Gebärenden im ganzen 4880 dahin, oder 7,82 von 1000. In diesem Zeitraum starben:

Wochenbett steber

In den ersten sechs Wochen Später.

1415

.

Folgen der Sonstigen Entbindung Krankheiten 1915 1304

.

Unbestimmt

30 98

1

4

76

37

Von 1901 bis 1906 fielen in Württemberg als Opfer der Mutter­fchaft 2,4 von 1000 Gebärenden in den ersten acht Tagen nach der Geburt. In Preußen tamen zwischen 1891 und 1900 in den Alters­tlassen von 25 bis 40 Jahren, die die meisten Geburten aufweisen, 11 Prozent aller Todesfälle von Frauen auf Sterblichkeit im Wochen­bette.

Was die Höhe der Säuglingssterblichkeit betrifft, so hat Deutsch­ land den traurigen Ruhm, hierin nur noch von Österreich- Ungarn und Rußland übertroffen zu werden. Deutschland wies von 1890 bis 1900 durchschnittlich eine Säuglingssterblichkeit von zirka 20 bis 21 Prozent auf, in England betrug diese aber für denselben Zeit­raum nur 15,4, in Frankreich 16,2, in Belgien 16,4, in den Nieder­landen 15,8, in der Schweiz 14,9. Nach den Berechnungen des Professors Franqué sterben in Deutschland jährlich 400000 Säug­linge, 80000 davon haben nach der Ansicht dieses Gelehrten den Todesteim infolge von Schädigungen der Mutter während der Schwangerschaft oder bei der Geburt erhalten. Rechnet man dazu noch die 60000 Zotgeborenen, die in Deutschland jährlich zu vers

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zeichnen find, so erhält man 140000 Opfer, die zum großen Teil vermeidbar gewesen wären. Zahlen bestätigen auch die mit Händen zu greifende Tatsache, daß die vom Rapital ausgebeutete Frauen­arbeit die Mütter aufs schwerste an der Gesundheit schädigt und dadurch Säuglingssterblichkeit und Totgeburten zeitigt. Die Gegen­den mit umfangreicher Frauenarbeit sind wahre Brutstätten der Säuglingssterblichkeit. So die sächsischen Industriezentren, die schlesischen Weberbezirke, das schöne Thüringen mit seiner Frauen und Kinder mordenden Heimarbeit. In Chemnitz zum Beispiel werden zirfa 37 Prozent aller Geborenen im ersten Lebensjahr da­hingerafft, in den schlesischen Bezirken Landshut , Waldenburg und Hirschberg sterben 40 Prozent der Säuglinge. Neben Altenburg , ben beiden Reuß, einem nördlichen Teile Böhmens ist auch Bayern mit einem starken Prozentsaz an der Kindersterblichkeit beteiligt. Überall, wo der industrielle Fortschritt" die Frau zur Fabrik­oder Heimarbeit drängt, das heißt wo die Not die Frau unter die kapitalistische Fuchtel zwingt, fallen Opfer hier, weder Lamm noch Stier, aber Menschenopfer ungezählt". Von den Segnungen" dieses Fortschritts" wird die Gesundheit Tausender Frauen zu­grunde gerichtet, sterben und verderben mit ihnen Scharen des neuen Geschlechtes. Wie sollte auch der Körper der Proletarierinnen den Anforderungen an Kraft gewachsen sein, die Schwangerschaft und Geburt an ihn stellen? Er ist ja von klein auf durch harte Fron und Unterernährung geschwächt. Das Wochenbettfieber sucht und findet daher dank der angedeuteten Verhältnisse unter den arbeitenden Frauen die zahlreichsten Opfer. Während der Schwanger­schaft und des Wochenbettes fehlt es den Bedauernswerten an Schonung und Pflege, und das Arbeiterheim entspricht fast nie auch nur bescheidenen hygienischen Anforderungen. Wie sollten aber auch Frauen, deren Schicksal durch die kapitalistische Aus­beutung bestimmt wird, gesunde, lebenstüchtige Kinder zur Welt bringen? Die Statistiken der Säuglingssterblichkeit werden durch die proletarischen Kinder in die Höhe getrieben. Der ungeheure Fortschritt der Hygiene ist auf die Säuglingssterblichkeit fast ohne Einfluß geblieben", tonstatiert Dr. W. Böhmert in seiner Arbeit über die Ursachen der Säuglingssterblichkeit. Wie sollte er es nicht, da der andere Fortschritt", der industrielle, die Frau in das Joch des Ausbeutertums gezwungen hat? Solange die sozialdemokratischen Forderungen eines durchgreifenden Schutzes für die Frauenarbeit, solange ihre Mutterschaftsforderungen nicht erfüllt sind, wird auch weiter der ungeheure Fortschritt der Hygiene" für die prole­tarischen Mütter und Kinder nur eine hohle Phrase bleiben. Das eigene Lebensinteresse und das ihres Kindes drängt daher die ar­beitende Frau zur Sozialdemokratie, die nicht allein vom Rechte der Frau und des Kindes spricht, sondern auch kräftig und energisch darum tämpft. ed.

Frauenstimmrecht.

I. K. Einen Antrag auf Einführung des allgemeinen Wahl­rechts aller Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts bringt die sozialdemokratische Fraktion im sächsischen Land­tag ein. Er wird den bürgerlichen Freunden des Frauenwahlrechts wieder einmal Gelegenheit geben, ihre Unzuverlässigkeit zu erweisen, was natürlich bürgerliche Frauenrechtlerinnen nicht abhalten wird, ihr Vertrauen auf den Flugsand einiger freundlichen Redensarten solcher Herren zu bauen. Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen find wie die bürgerlich Liberalen - bescheiden.

Weibliche Kandidaten bei den letzten Londoner Munizipal­wahlen, die am 1. November stattgefunden haben, wurden 61 in den 28 Gemeinden gezählt, die zusammen die Grafschaft London bilden. Unter den Kandidatinnen befanden sich 12 Sozialistinnen und 4 Vertreterinnen von gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen. Eine Arbeitervertreterin ist die Tochter des Bischofs von Norwich . I. K. Eine Erklärung des dänischen Ministeriums über seine Stellung zum politischen Frauenwahlrecht eröffnet günstige Aussichten für die Einführung dieser Reform. Bekanntlich ist jetzt in Dänemark ein bürgerlich- radikales Ministerium am Ruder, dem es ernst mit der Verwirklichung demokratischer Grundsätze zu sein scheint. Diese Situation nutzte der Dänische Frauenbund" aus, um eine Stellungnahme der Regierung zur Frage des poli­tischen Frauenwahlrechts herbeizuführen, die gleichzeitig Klarheit schaffen und die Agitation fördern sollte. Er entfendete zu diesem Zwecke eine Deputation an das neue Ministerium. Der Minister­präsident Zahle erklärte dieser, daß die radikale Linke im Parla­ment einen Antrag auf zuerkennung des Wahlrechts und der Wähl­barkeit an die Frauen eingebracht habe, der baldigst zur Verhand­lung fommen werde. Die Regierung teile in dieser Frage durchaus die Auffassung der radikalen Linken. Diese Versicherung läßt an­