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Die Gleichheit
gesichts der gegenwärtigen Lage die Hoffnung zu, daß die Regie rung ihren Einfluß tatkräftig zugunsten eines wirklich demokras tischen Frauenwahlrechts geltend machen werde. Das regierende Ministerium ist aus der radikalen Linten hervorgegangen, und diese Partei hat sich auf ihrem Gründungstongreß 1905 zu Odense au einem Programm bekannt, das die entschiedene Demokratisierung von Staat und Gemeinde fordert und im Zusammenhang damit ausdrücklich das allgemeine, gleiche und direkte Frauen. wahlrecht. Die dänische Sozialdemokratie hat, wie unfere Leserinnen wissen, ebenfalls dieses Recht in einem Antrag geheischt. Die radikale Linke und die Regierung können daher für die Vers teidigung dieser Forderung wie aller ernsten politischen und sozialen Reformen auf energische Unterstützung durch unsere Bruderpartei und die hinter ihr stehenden Massen rechnen.
Als offene Feinde des allgemeinen Frauenwahlrechts in Norwegen haben sich die Konservativen auf Grund des Ergebs nisses der letzten Storthingswahlen bekannt. Das konservative „ Aftenblad" schreibt:„ Eine Lehre haben die Wahlen gebracht, nämlich die, daß feine Partei außer den Sozialisten Nuzen davon haben wird, daß man das Frauenwahlrecht allgemein macht. Aber daß nur der Sozialismus irgendwie Nuzen von einer Ausdehnung des Wahlrechts auf die mehr oder minder nicht wirtschaftlich selbständigen Frauen ziehen kann, bedeutet eine Gefahr für das Land. Ein unbeschränktes Wahlrecht für Männer wie Frauen wird bei uns auf staatlichem und tom munalem Gebiet auf weniger Schranken stoßen als in einem anderen Lande Europas ." Vor Tische las man's anders. Da leugneten die Konservativen, Feinde des allgemeinen Frauenwahlrechts zu sein. Sie erklärten, aus wohlerwogenen Gründen dafür gewesen zu sein, daß diese demokratische Reform nicht mit einem Male, wohl aber schrittweise eingeführt werde. Nachdem 1907 der erste Schritt mit der Einführung des beschränkten Frauenwahlrechts geschehen sei, liege kein Grund vor, das allgemeine Frauenwahlrecht abzuweisen. Die Partei der Rechten werde im neuen Storthing dafür eintreten. Nun ist natürlich feine mehr davon. Die alte Geschichte vom Wolf im Schaispels
An den be enden Wahlen zum Parlament vor Viktoria werden die Frauen zum ersten Male als Wählerinnen teilnehmen, denn dieser Staat war der letzte von den sech austra lischen Kolonien Englands, der dem weiblichen Geschlecht polles Bürgerrecht eingeräumt hat. Die weiblichen Wahlberechtigten werden aller Wahrscheinlichkeit nach in großer Zahl zur Urne gehen und dadurch das Philistergeschwät zuschanden machen, die Frauen hätten fein Interesse für die Politik. Wenigstens haben sich bereits so viele Frauen in die Wählerlisten eintragen lassen, daß die Registrierungsbureaus mit Überstunden arbeiten mußten. Eine neue Zeitung " The Women Voter"(" Die Wählerin") belehrt über das Frauenwahlrecht und agitiert für Reformen der Schule, der Arbeiterschutzgesetzgebung, des Gefängniswesens usw.
Eine neue Kampforganisation für das Wahlrecht aller Großjährigen in England ist in der People's Suffrage Federation ( Verband für Volkswahlrecht) erstanden. In ihr haben die„ Frauengewerkschaften", die„ Gilde der Frauengenossenschaften", die„ Liga erwerbstätiger Frauen" und die Gilde der weiblichen Eisenbahnangestellten" Bertreterinnen. Die parlamentarische Arbeiterpartei" hat den Bestrebungen des Verbandes ihre Sympathie ausgesprochen.
Frauenbewegung.
Über Prostitution, Mutterschutz und Raffenhygiene sprach die Schriftstellerin. Frau Meisel- Heß in einer Versammlung zu Berlin , die der Bund für Mutterschutz " veranstaltet hatte. Es erübrigt sich auf den Vortrag-felbst einzugehen, der sich im allgemeinen auf dem durchschnittlichen Niveau bürgerlich- frauenrechtlicher Auffassung hielt. Er übte scharfe und berechingte Kritit an Einzelerscheinungen, ließ dennoch aber ein tieferes Eindringen in die behandelten Fragen vermissen, wie es nur durch ein gründliches Stu dium der Gesellschaftswissenschaft ermöglicht wird. Von besonderem Interesse war dagegen die Diskussion. Gewiß nicht wegen des Kohls, den einige anwesende bürgerliche Herren servierten. Wohl aber wegen der Aufnahme, die eine nicht bloß besonders bumme, sondern auch ungewöhnlich dreiste Debattenrede fand. Ein Herr der behauptete nämlich, daß die Prostitution ihre Ursache in Genußsucht, der Begehrlichkeit der Arbeiterinnen habe. Trotz ihrer niedrigen Löhne wollten diese das Leben genießen und setzten daher den Lockungen reicher Männer feinen Widerstand entgegen. Keine der anwesenden Damen fand es nötig, im Interesse der Wahrheit und der Ehre der„ Schwestern" im Arbeitstittel das Wort zu
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ergreifen und die Beleidigung zurückzuweisen. Diese selbstverständliche Pflicht wurde von einem Genossen erfüllt, der sich in der Versammlung befand. Dieser fragte den Herrn, ob er feine Weizheit über die„ unsittlichen" Arbeiterinnen vielleicht aus seinen Ers fahrungen über die Dämchen gewonnen habe, die nicht Arbeite rinnen sein wollen, sich für einen Zuschuß zu ihrem Taschengeld ausbeuten lassen und dadurch die Löhne drücken. Der Redner nahm die Gelegenheit wahr, auf die geäußerten Bedenken zu antworten, woher die Gesellschaft die Mittel zu ausreichender Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge nehmen solle. Er verwies auf die tolle Verschwendung, die für Militarismus, Marinismus und Kolonialpolitik, für Fürstenempfänge und ähnliche Rinferligchen getrieben wird. Den Schluß seiner Ausführungen bildete der Nachweis, daß die Prostitution mit der kapitalistischen Gesellschaft stehe und falle, daß sie nur mit der Aufhebung der Klassengegen fäße verschwinden werde, für welche die Sozialdemokratie fämpft. Die Versammlung hat den unüberbrückbaren Gegensatz gezeigt, der auch den Fragen der geschlechtlichen Moral bürgerliche und sozialistische Auffassung trennt.
Verschiedenes.
H.
Betrügerin and Mutterliebe. Ein zwanzigjähriges Mädchen hat mit einem Gärtnerburschen, den sie seit ihrer Kindheit kennt, ein Liebesverhältnis. Beide fronden unermüdlich, können aber in der besten der Welten nicht so viel fparen", wie nötig wäre, zu heiraten und einen Hausstand zu gründen. Da wird das Mädchen Mutter, und der Mann verliert seine Arbeit ohne eigene Schuld. Weder Arbeit noch Brot! Das Kind erkrankt, weil es nur unge nügend ernährt werden kann. Der Mann versucht sich zu töten. Der Armenarzt empfiehlt der Mutter, dem Kinde die beste Säug lingsmilch zu geben, sonst werde es sterben. In ihrer Verzweiflung weiß die unerfahrene junge Mutter teinen Rat. Sie greift zum äußersten Mittel. Sie bestellt auf den Namen ihres Geliebten Säuglingsmilch, die sie nicht bezahlen kann. Als der Milchfahrer fie mahnt, erklärt sie, ihr Mann arbeite außerhalb und habe noch fein Geld geschickt. Schließlich, als es mit dem Bezahlen zu lange dauert, flagt der Besizer der Milchturanstalt. Aus Furcht vor den Folgen ihrer Tat versuchen die beiden Unglücklichen ges meinsam in den Tod zu gehen, werden aber daran verhindert. Vor Gericht( Landgericht I Berlin ) erklärt die junge Mutter mei nend, sie habe nur ihr Kind retten wollen. Und dieser entseylichen Tragödie gegenüber fand der Staatsanwalt den trau rigen Mut, zehn Tage Gefängnis zu beantragen. Das Gericht urs teilte etwas menschlicher und erkannte auf die niedrigste Strafe von 3 Mt.
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Wahrscheinlich wird es nun nicht an Wohltätigkeitsvereinen fehlen, die sich der armen Mutter und des elenden Kindes an nehmen. Sie werden erklären, daß dem Mädchen geholfen worden wäre, wenn es sich an sie gewendet hätte. Aber gerade das be weist, daß unter den herrschenden Verhältnissen der Arme in Not und Elend verfommt, wenn er nicht um Almosen betteln gehen will und was noch dazu gehört, aber nicht immer eintritt- Erfolg dabei hat. Arbeitslosenunterstügung sei eine Prämie auf die Faul heit, fagen die Nuznießer der fapitalistischen Ordnung. Gesell schaftliche Fürsorge für ledige Mütter und uneheliche Kinder wird von den Bekennern der zahlungsfähigen Moral als eine Prämie auf die Unsittlichkeit" betrachtet. Die Sozialdemokratie läßt sich durch dies Gezeter nicht beirren, für diese Forderungen zu kämpfen. Hunderte, Tausende befinden sich in der gleichen traurigen Lage wie das junge Paar und wissen teinen anderen Ausweg als Selbstmord oder Notlüge. In ihrer Seele hat der Gedante des Sozia lismus noch nicht Wurzel geschlagen; sie stehen uns fern, oftmals feindselig gegenüber. Sie fämpfen nicht gegen die sie erdrückende Ausbeutung und Entrechtung, in ihrer Verzweiflung erliegen fie ihr. Aber Mütter, die den Mut haben, für ihre Kinder ihr Leben, ihre Ehrlichkeit aufs Spiel zu setzen, werden auch den Weg betreten, der sie und ihre Kinder aus wirtschaftlicher und politischer Knecht schaft und Unterdrückung führt. An uns ist es, ihnen diesen Weg dahin zu weisen durch unermüdliche Agitations- und Organisations
arbett.
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m. w.