92
Die Gleichheit
heit drastisch durch die Tatsache gezeigt. Bei der Gründung des scharfmacherischen Arbeitsnachweises versicherte der Oberbürger meister von Mannheim feierlich, daß die Institution niemals unlauteren Zwecken dienen werde. Die politischen Landsknechte der Industriellen im Reichstag werden also hahnebüchen schwindeln müssen, wenn die dort eingebrachte Interpellation fie zwingt, flipp und flar zu sagen, wie es mit dem Nachweis der Zechenritter werden soll. Die Regierung wird das Drängen der hochmögenden Kapitalisten nach Maßregelungsbureaus unterstützen. Der Handels minister hat die Eingaben der Bergarbeiterverbände bereits ablehnend beantwortet. Das sagt genug. Von der Regierung eines tapitalistischen Klassenstaats ist nichts anderes zu erwarten. Im Proletariat, besonders unter den Bergarbeitern, herrscht begreiflicherweise eine starke Aufregung und Erbitterung, die zur Abwehr der schändlichen Neuerung durch den Streit drängt. Die wert tätigen Massen stehen am Vorabend wichtiger Ereignisse und Entscheidungen, die wie immer sie ausfallen werden von größter Tragweite auf die weitere Gestaltung ihrer Arbeits- und Existenzbedingungen sein müssen. Die Regierung eines Landes mit vorgeschrittenster Sozialreform fönnte dem aufziehenden Sturm wohl vorbeugen. Aber nur alte Kinder könnten Deutschland für ein solches Land halten. So müssen sich die Lohnsflaven des Grubenfapitals und mit ihnen alle deutschen Proletarier überhaupt in der überzeugung befestigen, daß sie dem nahenden Ungewitter aus eigener Kraft Trotz bieten müssen. Sie müssen die Umstände flug wägen, solange das möglich ist, und sie müssen entschlossen wagen, wenn es eines Tages nicht mehr anders geht. Zur Stunde heißt es fieberhaft Aufklärungsarbeit leisten und die Reihen schließen, um die Organisation zu stärken, die wegweisend und führend zu Schutz und Truß vorangeht.
Im Malergewerbe nehmen jetzt die örtlichen Verwaltungsstellen zu dem neuen Reichstarifvertragsmuster Stellung. Viele haben dem Tarifmuster zugestimmt und ihm einige besondere Wünsche in bezug auf die noch zu erfolgende Regelung der Lohnverhältnisse und der Arbeitszeit beigefügt. Eine start besuchte Versammlung der Maler in Berlin hat sich indessen gegen die Vorschläge erklärt.
Eine Aussperrung der Stettiner Konfektionsschneider und schneiderinnen hat anfangs des Monats begonnen; sie soll fich auf 7000 bis 8000 Personen ausdehnen. 1896 und nicht lange zurück, 1907, haben die Stettiner Konfektionsarbeiter schwere Kämpfe durchführen müssen. Es fehlt ihnen also nicht an Erfahrung. Der ausgebrochene Kampf hat folgende Veranlassung. Der 1906 abgeschlossene Tarif lief im Ottober durch Kündigung der Arbeiterfchaft ab. Die Arbeitgeber wollten die Situation ausnügen, um Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen durchzudrücken. Es kam dann zu keinem neuen Abschluß, so daß nun ohne Tarif gearbeitet wurde. Die Unternehmer versuchen jedoch, die Anerkennung ihres Tarifvorschlags durch Aussperrungen zu erzwingen. Die Arbeiter wehren sich nicht allein gegen die ihnen zugedachte Lohnkürzung, sondern sie wollen, daß der Tarif auch auf Bügler und Nähe rinnen ausgedehnt wird, eine Forderung, die ihrer Einsicht und ihrem Gerechtigkeitssinn alle Ehre macht.
#
Aus der Textilarbeiterbewegung. Die organisierten Textilarbeiter und arbeiterinnen sind jetzt an zahlreichen Orten mit der Neuregelung der Arbeitsverhältnisse ab 1. Januar 1910 beschäftigt. Es machen sich durch die neue Gewerbeordnungsnovelle Anderungen der Arbeitsordnungen bezüglich der Pausen, des Bes ginns und Endes der täglichen Arbeitszeit, der Arbeitszeit an Sonnabenden usw. nötig. Es gilt, vorhandene Kautschutbestimmungen aus den Arbeitsordnungen herauszubringen, die 1½ stündige Mittagspause einzuführen und sonstige Wünsche der Arbeiter und Arbeite rinnen zur Geltung zu bringen. So hat sich die Ortsverwaltung des Verbandes in Gera mit einer trefflichen Eingabe an den Unternehmerverband gewandt. Die dortige Arbeiterschaft erwartet die Gewährung der 98% stündigen Arbeitszeit. Desgleichen stehen die Arbeiter von Glauchau und Meerane durch ihre Neunerfommission in Verhandlungen, und in Grimmitschau und anderen Drten haben die Organisationsverwaltungen die Wünsche der Proletarier den Unternehmern unterbreitet. Die Bewegung der Bandwirker des Wuppertals ist nunmehr beendet. Die beabsichtigte Lohnreduktion wurde abgeschlagen. Die Unternehmer hatten dort bekanntlich vor etwa sieben Monaten den Bandwirkermeistern( Hauswebern) eine Lohnreduktion aufgezwungen. Die Lohnliste der Bandwirkermeister war bis dahin die Grundlage der Lohnberechnung für die Fabrifweber. Der Lohn der letzteren betrug für gleiche Artikel 45 bis 50 Prozent des Lohnes der ersteren. Nachdem der Lohn der Hausweber reduziert worden war, sollten die Fabrikweber nun auch die entsprechenden Prozentsätze der reduzierten Hausweberlöhne erhalten. Also auch eine Lohnreduktion
H
Nr. 6
für die in der Fabrik Arbeitenden. Lange Verhandlungen führten nicht zum Ziel. Es kam zum Streik und zur Aussperrung in Barmen, Elberfeld, Ronsdorf , Wermelskirchen . Auf Ver anlassung leitender Personen des Bandwirtermeisterverbandes fanden sodann am 12. November unter Vorsitz des Ronsdorfer Bürgermeisters und im Beisein der Gewerberäte Verhandlungen zwischen den streitenden Parteien statt. Man einigte sich auf sofortige Wiederaufnahme der Arbeit zu einer bis spätestens den 27. November neu zu vereinbarenden Lohnliste". Die Arbeit wurde am 18. November wieder aufgenommen, und die neue Lohnliste, die einige Tausend Positionen umfaßt, war nach langwierigen Verhandlungen bis zum bestimmten Tage fertiggestellt. Die Lohnreduktion ist abgewendet und eine Tariflommission eingesetzt, aus den drei in Frage kommenden Organisationen entnommen. Die Berliner Stickerarbeiter und arbeiterinnen haben die seit einigen Monaten vorherrschende Hochkonjunktur zu umfassenden Lohnbewegungen ausgenutzt. Es gibt in Berlin in der Stickerei und Häkelei 1303 Betriebe mit 3407 Arbeiterinnen und 1015 Arbeitern. Dazu kommen noch die in den Vororten beschäftigten Personen. Erfolge wurden überall erzielt. Der Neunstundentag tann als durchgeführt gelten.
Genossenschaftliche Rundschau.
bj.
Wir haben vor einiger Zeit an dieser Stelle Näheres über das Wesen und die Bestrebungen der Gartenstadtbewegung mitgeteilt. Der Geschäftsbericht über das letzte Geschäftsjahr der Deutschen Gartenstadtgesellschaft bringt interessante Angaben über den Stand und die Tätigkeit dieses eigenartigen Unternehmens. Die Zahl der einzelnen Mitglieder stieg von 559 auf 1500, darunter auch eine große Anzahl wichtiger Organisationen. Die Gesellschaft hat im letzten Jahre in 25 Städten Fuß gefaßt, so auch in den Großstädten Köln und Frankfurt a. M. Was zur praktischen Verwirklichung der Idee der Gartenstadtbewegung in Deutschland gefchehen ist, zeigen nachstehende Angaben. In der Gartenstadt Hellerau bei Dresden sind die ersten Häuser ferliggestellt und am 1. Oftober bezogen worden. Die Fabrik der deut schen Werkstätten für Handwerkskunst, die in Hellerau angelegt wird, ist im Außenbau vollendet. Die Gartenstadt Karlsruhe hatte eine Anzahl Schwierigkeiten zu überwinden, doch soll im Frühjahr mit dem Bau begonnen werden. In Magdeburg haben sich zwei Gartenstadtgesellschaften bereits genügendes Gelände gesichert, um im Frühjahr ihre Bautätigkeit beginnen zu können. überraschend hat fich die Gartenstadt Nürnberg entwickelt, die am 1. September 1908 gegründet wurde und heute schon über 1500 Mitglieder zählt, die bereits mehr als hunderttausend Mark auf Geschäftsanteile eingezahlt haben. Auch in Königsberg , Chemnitz und Rastatt stehen Gartenstadtprojekte vor ihrer Verwirklichung. Der Bericht des Vorstandes erwähnt auch ein großes Unternehmen, das von der Ortsgruppe in Hamburg geplant wird, bei dem es sich um die Bebauung von ungefähr 3000 Hektar handelt. An der sozialen Studienreise, die die Gartenstadtgesellschaft in diesem Jahre nach England veranstaltete, haben sich 206 Personen beteiligt, die alle Mitglieder der Gesellschaft wurden. Im Anschluß an die Generalversammlung der Gartenstadtgesellschaft fand eine Versammlung von Vertretern von Gartenstadtunternehmungen statt, in der beschlossen wurde, einen Verband solcher Vertreter zu gründen, der die gemeinsamen Interessen der ihm angeschlossenen Gartenstadtunternehmungen nach außen und innen wahren soll. Dieser Verband soll auch die Bes schaffung von Baumaterialien, Möbel und dergleichen organisieren, Außerdem ist die Schaffung einer Kreditgenossenschaft projektiert, die den angeschlossenen Genossenschaften Kredite und Hypotheken vermitteln soll.
Ein Lieblingsprojekt der Mittelständler ist die Sonderbesteue rung der Warenhäuser und Konsumvereine. Besonders in Sachsen verfolgen die Herren dieses Ziel mit einer Energie, die einer besseren Sache wert wäre. Sie möchten speziell eine landesgesetzliche Umsatzsteuer, da die Gemeindeverwaltungen immer mehr ein Haar in der Suppe finden und wenig geneigt sind, solche Steuer einzuführen. Kürzlich sind nun abermals Vertreter der mittelständ lerischen Korporationen beim neuen Minister des Innern gewesen, um ihn für eine Landesumsatzsteuer zu begeistern. Die Regierung hat zwar wiederholt das Anfinnen abgelehnt. Aber was schadet es; steter Tropfen höhlt den Stein, denken die Rückwärtser. Bei der jetzigen Zusammensetzung der Zweiten Kammer ist freilich an eine Mehrheit für das Steuermonstrum nicht zu denken, und die Erste Kammer hat sich bereits in der vorigen Session strikt ablehnend gegen die Forderung verhalten. Es war unter solchen Um ständen ganz selbstverständlich, daß der Minister Graf Bistum von