Nr. 6
Die Gleichheit
derartigen Amte gewählt werden. Ein Richter des Stadtgerichts entschied aber zugunsten der Sozialisten. Eine weitere sozialistische Kandidatin für ein hervorragendes Amt war Genoffin Harriet Dorsay aus Lynn , Massachusetts ; der Kongreß der Partei in diesem Bundesstaat stellte ihre Kandidatur für das Amt des Staatsfekretärs auf. Genossin Dorsay ist seit vielen Jahren eine treue Kämpferin für den Sozialismus. Sie ist die glückliche Mutter von sechs Kindern, wovon zwei Söhne bereits erwachsen sind und am Wahltage für ihre Mutter gestimmt haben. Obgleich unsere fandidierenden Genossinnen noch keine Aussicht hatten, gewählt zu werden, waren ihre Kandidaturen doch in jeder Beziehung ein vorzügliches Agitationsmittel. Meta L. Stern, New York .
Frauenstimmrecht.
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I. K. Ein kommunales Dameuwahlrecht im Staate Virginia ist in Ginter Part eingeführt worden, einem Vorort von Richmond , in dem die reichen Fabrikanten und Geschäftsleute dieser Stadt wohnen. Es ist die Karikatur eines Rechts, eine Verhöhnung der Ansprüche der Massen, ein Vorrecht für den Grundbesitz und die Raffe. Die Wahlrechtsbestimmung der neuen Gemeindeordnung lautet:„ Das Wahlrecht soll allen Männern und Frauen zuerkannt werden, die das 21. Lebensjahr erreicht haben, von weißer Hautfarbe sind und in Ginter Park Grundeigentum besitzen." Also Besizlose und jene, die das„ Unglück" haben, von schwarzer Hautfarbe zu sein, mit einem Worte die Angestellten und Arbeiter beider Geschlechter jener vornehmen Villenbewohner in Ginter Park, find von vornherein vom Wahirecht ausgeschlossen. Die bürgerlichen Frauenrechtsorgane, das„ Womens Journal" in Boston und die in New York erscheinende Monatsschrift The American Suffragette", bringen es trotzdem fertig, dieses seltsame Frauenwahlrecht als einen Sieg der Frauenbewegung zu begrüßen. Die amerikanischen Genossinnen hingegen erkennen hinter diesem scheinbaren Fortschritt eine Befestigung der Macht des Besizes. Unsere Südstaaten bilden ja überhaupt in sozialer wie in politischer Beziehung die Hochburg der Reaktion in diesem Lande. Dort floriert die Kinderarbeit in ihrer schlimmsten Form; dort gibt es noch infolgedessen die größte Anzahl von Analphabeten; dort bestehen einstweilen so gut wie gar feine Arbeiterschutzgesetze, und dort ist man erfolgreich damit beschäftigt, den schwarzen Mann politisch zu entrechten und mit ihm den armen weißen Mann. Darum liegt die Befürchtung nahe, daß in den Südstaaten ein beschränktes Frauenwahlrecht eingeführt werden soll, um die Macht der herrschenden reaktionären Elemente zu stärken. Wir glauben daher, daß das Beispiel von Ginter Part bald in anderen südlichen Gemeinwesen Nachahmung finden wird. Es wird die Aufgabe unserer Parteiorganisationen in den Südstaaten sein, dieser reattionären Richtung mit aller Macht entgegenzutreten und weit eifriger als je zuvor für die Einführung des einzig demokratischen Wahlrechts, des allgemeinen, unbeschränkten Wahlrechts für alle Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts zu wirken.
Für die Einführung des kommunalen Frauenwahlrechts im Staate Illinois wird eine lebhafte Agitation entfaltet. Besonders eifrig sind die Frauen von Chicago an der Arbeit, um volles Recht als Gemeindebürgerinnen zu erlangen, weil in dieser Stadt eine Revision der Gemeindeordnung bevorsteht. Den gesetzgebenden Körperschaften- Senat und Abgeordnetenkammer von Illinois , die in Springfield ihren Siz haben, liegen Anträge vor, welche fordern, daß in allen Gemeinden den Frauen das Wahlrecht zuerkannt wird. Als der Senat über den einschlägigen Antrag verhandelte, führten Extrazüge Tausende von Frauen von Chicago nach Springfield, die für ihr Bürgerrecht agitieren und demonstrieren wollten. Die Senatstommission, welche über die Anträge zum Frauenwahlrecht zu entscheiden hatte, hat sich einstimmig für die Reform erklärt. Das Plenum des Senats empfahl der Abgeordnetenkammer, den Anträgen ebenfalls zuzustimmen.
Verschiedenes.
Ihr führt ins Leben uns hinein, Ihr laßt den Armen schuldig werden, Dann überlaßt ihr ihn der Bein; Denn alle Schuld rächt sich auf Erden. Goethe.
Kindesmörderinnen. Vor dem Schwurgericht des erzkatholischen frommen Glatz stand am 13. November die 27 jährige Dienstmagd Anna Werner aus Steinwitz bei Glaz. Selbst ein uneheliches Kind, hat fie bereits drei uneheliche Kinder geboren, zwei davon jedoch durch den Tod verloren, obwohl sie sie nach Kräften gepflegt hatte. Ihrem Jüngsten aber gab sie mit eigener Hand den Tod, nicht weil es ihr an mütterlicher Empfindung für das arme Würmchen
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fehlte, sondern weil die von Gott gewollte Ordnung" es so be stimmte. Weder die Pflegemutter, noch die Großmutter in Glaz wollten das Kind behalten. Umsonst versucht die arme Mutter das Hleine Wesen unterzubringen; niemand will es ihr selbst gegen Bezahlung abnehmen. Und wo sich eine Pflegestelle findet, dulden die Gemeindevorstände nicht, daß das Kind dableibt, aus Furcht, es könne der Kommune zur Last fallen. So hezten die Ge meindevorsteher verschiedener Dörfer die arme Mutter von Ort zu Ort. Endlich brachte sie das Kind gegen ein monatliches Pflege geld von 10 Mt. in Glatz unter. Ihr Lohn betrug monatlich 11 Mt. 50 Pf., und vom Vater des Kindes fonnte sie feine Unterstützung erhalten, da er zurzeit im Gefängnis saß. Wie mag nun die Arme erleichtert in dem Bewußtsein aufgeatmet haben, ihr Kindchen endlich versorgt zu wissen! Aber die Ruhe sollte nicht lange dauern. Die Polizei forderte, daß das Kind binnen 24 Stunden aus Glaz entfernt würde! Umsonst bittet die Mutter den Vormund, bei dem Bürgermeister Fürsprache für sie einzulegen, umsonst fleht sie selber den Bürgermeister an, das Kind doch in Glatz belassen zu wollen. Aus vier Orten gehetzt wie ein wildes Tier, weiß die Unglückselige nicht mehr, wohin mit ihrem Kinde, fie tötet es. Als das Verbrechen vor Gericht kam, wurde bei der Vernehmung der Zeugen ein Gemeindevorsteher befragt, warum denn das Kind abgeschoben worden sei, da der Kommune doch keinerlei Kosten aus seiner Anwesenheit erwachsen wären. Der brave Mann erklärte darauf, ein uneheliches Kind verursache viel Scherereien, um diesen aus dem Wege zu gehen, schiebe man stets, dem Gefeß entsprechend, Personen ab, von denen man befürchtet, sie tönnten unterstützungsbedürftig werden. Der Waisenrat, an den sich der Vormund des Kindes einmal um Rat gewendet hatte, meinte:„ Man muß es den ledi gen Personen nicht so leicht machen, sonst kommen sie fortwährend mit Kindern!"
Die unglückliche Mutter, die die Erbarmungslosigkeit frommer Leute zur Kindesmörderin gemacht hat, wurde von den Geschworenen zum Tode verurteilt! Zwar reichten sie sofort ein Gnadengefuch an den König ein, aber was hilft es der armen, zur ver zweifelten Tat getriebenen Mutter, wenn sie hinter Kerfermauern lebenslang dahinſiechen muß? Sie bleibt das Opfer der grauenvollen Barbarei, deren sich heute noch die Frömmsten, und diese gerade am allermeisten, gegen ledige Mütter und ihre Kinder schuldig machen. Kürzlich wurde in Berlin ein ähnlicher Jammer enthüllt. Ein 21 Jahre altes Mädchen, das auf einem Gute in Holstein in Dienst ist, wird von dem Inspektor verführt. Damit die Folgen ihres Fehltrittes in der Heimat nicht bekannt werden, fährt die Arme nach Berlin und kommt hier nieder. Ihre wenigen Ersparnisse find rasch aufgezehrt. Der Vater ihres Kindes hat sie sißen lassen; er ging nach Amerika , ohne sich im geringsten darum zu kümmern, was aus Mutter und Kind werde. Anfangs nährte die junge Mutter ihr Kindchen selbst, wobei es gut gedieh, aber als die Not fie zwang, einen Erwerb zu suchen, mußte sie es in Pflege geben. Und nun beginnt die bekannte Tragödie. Das Kind verträgt die veränderte Nahrung nicht, wird frank und elend. Die Haltefrau will das Kind nicht in ihrem Hause sterben lassen, wohl aus Furcht, die Kundschaft anderer armer Mütter zu verlieren; außerdem soll ihr der Armenarzt gesagt haben, die Mutter möge das Kind nur selber nähren, dann werde es schon wieder gesund. Die Verhand lung wird wohl ergeben, wie weit es mit dieser Außerung des Arm enarztes seine Richtigkeit hat. Sie ist unter den gegebenen Verhält niffen schlechterdings unverständlich, da das Kind doch gerade deshalb in Pflege gegeben worden war, weil die Mutter einen Dienst annehmen mußte, um für sich und das Kind den Unterhalt zu er= werben. Wie hätte sie es da selber nähren können? Die Haltefrau bringt das franke Kind nach der Dienststelle der Mutter. Voller Angst, die Herrschaft könnte etwas merten und sie wegjagen, weiß die Armste sich nicht anders zu helfen, als das Kind zu erdrosseln. Auch diese Mutter wird zum Tode verurteilt werden, der herrschenden Anschauung gemäß, daß Mord nur durch Mord ge= sühnt werden kann. Die Moralischen im Lande werden es an Ausdrücken ihrer Verachtung für die Kindesmörderin, für die„ Gefallene" nicht fehlen lassen wohlverstanden für die arme„ Gefallene"! Die Töchter der zahlungsfähigen Moral" haben genügend Geld und Verbindungen, um sich den Folgen eines Fehltritts" zu ent ziehen. Wozu würde denn sonst in den besten bürgerlichen Zeitungen ,, Rat und Hilfe in diskreten Fällen" von erfahrenen Hebammen und Ärzten" angepriesen? Nach der Badereise" reicht's immer noch zu einer gut bürgerlichen Hausehre", vorausgesetzt daß die Mitgift groß genug ist, den Schandflect" auzudecken. Der Armut aber bleibt die Schande, die Verzweiflung und die, wie es so schön heißt, alles ausgleichende ewige Gerechtigkeit".
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m. w,