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Die Gleichheit

tende Proletarisierung der Bevölkerung. Die Krankenversiche rung ist bekanntlich eine obligatorische Einrichtung; sobald jes mand eine unselbständige Beschäftigung gegen Lohn oder Gehalt ergreift, tritt für ihn die Versicherungspflicht in Kraft und somit die Notwendigkeit, der zuständigen Kranken­tasse als Mitglied anzugehören. Die auffällige Zunahme der weiblichen Krankenkassenmitglieder weist also ein starkes An­schwellen des weiblichen Lohnproletariats nach. Daß haupt sächlich die erweiterte Erwerbstätigkeit der Frauen das gewaltige Zuströmen weiblicher Mitglieder in die Kassen herbeigeführt hat, geht daraus hervor, daß nur in den sogenannten Zwangstassen der weibliche Mitgliederstand gestiegen ist. Bei den freien Hilfs tassen ist die Zahl der weiblichen Mitglieder absolut, und relativ erheblich zurückgegangen. In den Jahren 1885 bis 1907 verringerten sie sich um 79 Prozent, in dem ersteren Jahre kamen auf 100 männliche Mitglieder 25,3 weibliche, 1907 aber nur noch 19,6. Es soll übrigens nicht verschwiegen werden, daß ein er­heblicher Teil der weiblichen Mitglieder den Zwangskaffen freis willig beigetreten ist. Die Tatsache läßt die wachsende Auf­merksamkeit erkennen, welche die proletarischen Massen der Krankenversicherung   erfreulicherweise zuwenden.

Seit dem Jahre 1885, in welchem das Krankenversicherungs­gesetz in Kraft trat, hat feine solche Ausgestaltung der Kranken­versicherung stattgefunden, die einen stärkeren Zustrom von Frauen zu den Krankenkassen zur Folge gehabt hätte. Die Berufe, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt werden, sind noch von der Krankenversicherungspflicht ausgeschlossen. Es sei nur an die häuslichen Dienstboten, an die Heimarbeiter usw. erinnert. Sofern diese durch die bevorstehende Reform der Arbeiterversicherung in den Kreis der versicherungspflichtigen Personen einbezogen werden, muß natürlich die Zahl der weib­lichen Raffenmitglieder im Verhältnis zu derjenigen der Männer noch weit mehr steigen.

Bemerkenswert ist auch, daß die Beteiligung der weiblichen Personen an der Krankenversicherung   in den einzelnen Teilen des Deutschen Reiches   eine sehr ungleichmäßige ist. Im Jahre 1907 famen zum Beispiel auf 100 männliche Versicherte weib­liche Mitglieder: in Berlin   55,8, Königreich Sachsen 51,1, Baden 50,2, Provinz Sachsen   41,4, Hessen   41,3, Anhalt 40,0, Provinz Brandenburg  ( ohne Berlin  ) 38,2, Württemberg 31,8, Provinz Ostpreußen   24,9, Westpreußen   21,2, Bosen 18,0, Schaumburg- Lippe   9,4. Der verschiedene Umfang, in dem die Frauen an dem Erwerbsleben teilnehmen, tritt recht deutlich in die Erscheinung, wenn man berechnet, in welchem Verhältnis die Zahl der weiblichen Kassenmitglieder zu der der gesamten weiblichen Bevölkerung steht. Es ist ein verschiedenes, je nach dem wirtschaftlichen Charakter einzelner Reichsteile. Der stärkste Prozentsatz weiblicher Kaffenmitglieder entfällt auf die weibliche Bevölkerung unserer Industriezentren. Auf 1000 weibliche Ein­wohner wurden weibliche Kassenmitglieder gezählt: in Berlin  265, Rönigreich Sachsen 203, Braunschweig   190, Baden 168, Hessen   134, Provinz Sachsen   132, Anhalt 122, Elsaß- Lothringen  86, Schleswig- Holstein   85, Provinz Schlesien   73, Pommern   46, Ostpreußen   32, Westpreußen   30, Posen 22, Schaumburg- Lippe   15. Die verzeichnete erhebliche Zunahme der weiblichen Kaffenmit glieder im Verlauf der Vergleichsperiode ist besonders in den ausgeprägt industriellen Wirtschaftsgebieten erfolgt.

Die aufgezeigte Entwicklung läßt hervortreten, daß die weib­lichen Mitglieder der Ortskrankenkassen einen steigenden Einfluß auf deren Verwaltung gewinnen fönnen. Voraussetzung dafür ist, daß sie das attive und passive Wahlrecht ausnuten, das ihnen zu den Vertreterwahlen zusteht. Tun sie das, so ist es den weiblichen Mitgliedern möglich, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften die Statuten zu gestalten, die Leistungen der Kassen im eigenen Interesse und in dem der Familie zu erhöhen. Die Genossinnen sollten allerwärts mit größter Energie dafür wirken, daß die weiblichen Mitglieder der Ortsfrankenkassen die Be deutung der Versicherung erkennen und daher bis zur letzten ihr Wahlrecht ausüben. Das um so mehr, als dieses Wahl­recht das einzige Wahlrecht ist, das in Deutschland   dem weib­lichen Geschlecht zuerkannt worden ist. Fr. Kleeis.

Nr. 8

Amerikanische Blusenmacherinnen im

Kampfe mit ihren Ausbeutern.

Jenseits des Ozeans, im freien" Amerita, wo frei und unge­hindert die strupelloseste Ausbeutung blüht, tobt seit mehreren Wochen ein Kampf, der die Aufmerksamkeit der gesamten Arbeiter welt fesselt. Von 43000 New Yorker Blusenarbeiterinnen haben 40000 ihren Unternehmern den Krieg erklärt und die Arbeit nieder­gelegt, die sie nicht eher aufnehmen wollen, bis ihre Forderungen erfüllt sind. Was sie wollen, ist in erster Linie die Anerkennung ihrer Organisation, Verbesserung der sanitären Bedingungen in den Arbeitsstätten, eine Lohnerhöhung von 15 Prozent für die Tagesarbeiterinnen, 20 Prozent Zulage für die Stückarbeiterinnen und eine Arbeitswoche, die nicht über 52 Arbeitsstunden hinaus­geht. Was diesen Streit in den Vordergrund des Interesses drängt, ist nicht bloß die imposante Zahl der Kämpfenden, sind weniger noch ihre Forderungen, als das Milieu und die Bedingungen, unter denen sich der Kampf abspielt. Die Blusenmacherinnen in New Dort sind eine bunt zusammengewürfelte Arbeitsarmee, die die Proletarierinnen aller Länder und Nationalitäten vereinigt. Hier, in der Neuen Welt", haben diese Zehntausende von Proletarie­rinnen Zuflucht und Rettung gesucht vor der Not und Sklaverei ihrer Heimat, ohne etwas anderes zu finden, als das alte Elend und die alte Knechtschaft. In zahlreichen kleinen Werkstätten, die vor Schmuz starren und wahre Brutstätten für allerlei Krankheiten sind, heckt dieses internationale Arbeiterinnenheer fapitalistischen Mehrwert, füllt es die Taschen von Unternehmern, die es an Brutali­tät, Profitsucht und Herrendünkel jederzeit mit einem rbeliebigen europäischen   Proßen aufnehmen. Räumlich dicht zusammengepfercht, aber getrennt durch die Verschiedenheit der Sprache und Gewohn heiten, durch das Gefühl des Geduldetseins bedrückt, das auf den Proletarierinnen in der Fremde lastet, waren die Bedürfnisse der Blusenarbeiterinnen so gering, daß sich Tausende von ihnen mit 8 Dollar Lohn die Woche begnügten, war ihre Geduld so groß, daß der Ausbruch des Kampfes von 43000 Lohnsflavinnen nur 1000 gewerkschaftlich organisiert fand. Den Unternehmern war natürlich diese Schwäche der Arbeiterinnen nicht unbekannt, und ihr übermut tannte teine Grenzen. Als in einigen fleinen Werk­stätten ein Streit ausbrach, verhöhnten die Fabrikanten die Fordern­den. Das Lachen sollte ihnen bald vergehen. In einer von 4000 Arbeiterinnen besuchten Versammlung fallen die zündenden Worte einer russischen Arbeiterin Klara Lemlich. Wie von einem eleks trischen Strom durchzuckt, erhebt sich das Heer der Blusenmacherinnen, die trennenden Schranken der Nationalität und Rasse sind nicht mehr, ein Kampfruf erschallt, und in fast allen Werkstätten ruht die Arbeit, rattern die Maschinen nicht mehr.... In der proletarischen Ost­seite der Riesenstadt haben die kämpfenden Blusenarbeiterinnen ihr Kriegslager aufgeschlagen. Fast alle Versammlungslokale sind in Streifquartiere verwandelt, in denen sich die Arbeiterinnen aller Geschäfte treffen, Beratung abhalten, Streitposten für die Woche bestimmen, kurz, alle praktischen Arbeiten erledigen. Der Andrang werkschaftsbeamten nicht ausreicht, um die Mädchen einzuschreiben, zu der Organisation ist so groß geworden, daß die Zahl der Ge die ihre ersten Beiträge bringen. In den ersten fünf Tagen allein gewann die Organisation 19000 Mitglieder.

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Nun wissen die Unternehmer, was die Glocke geschlagen hat. Ein Teil von ihnen hat bereits zähneknirschend nachgegeben, 14000 Arbeiterinnen find ihre Forderungen bewilligt worden. Die übrigen Fabrikanten fönnen sich noch nicht mit dem Gedanken abfinden, daß die gestern noch so widerspruchslos ausgebeuteten und unter­drückten Lohnsflavinnen heute ihren Herren" Bedingungen diktieren wollen. Ganz besonders ist es die Forderung auf Anerkennung der Organisation, die das Ausbeutertum in den Harnisch bringt. Die Arbeiterinnen scheinen sich der Wichtigkeit gerade dieser Forderung bewußt, denn sie weigern sich beharrlich, die Arbeit aufzunehmen, solange sie nicht erfüllt worden ist. Die Betätigung von Solidarität und Kameradschaftlichkeit, diese herrlichen Proletariertugenden, geht in diesem Streit bis an die äußerste Grenze des Möglichen. Die kämpfenden New Yorker Blusennäherinnen entbehren, was faum zu entbehren ist, und sehen ihren Stolj darein, auf jegliche Unterstützung seitens ihrer Organisation zu verzichten. Selbst diejenigen, die eine Fa milie zu ernähren haben, weisen die materielle Hilfe der Gewerkschaft zurück. Wie gering erscheint bei Lichte betrachtet neben dieser Opfer­willigkeit der Armsten der Armen, was die Sammlungen ergeben, die die vielfache Millionärin Balmont   unter ihren Klaffengenos­sinnen für die Streifenden veranstaltet hat! Einige tausend Dollar sind als Brosamen vom Tische der Reichen und Reichsten für die Ausgebeuteten gefallen, deren Elend Mitgefühl, deren Heroismus