Nr. 8

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Die Gleichheit

Bewunderung abzwingt. Doch nicht bloß den Geißelhieben der Not, auch förperlichen Mißhandlungen durch die Büttel des Unternehmer­tums sind die New Yorker Heldinnen ausgesetzt. Es vergeht kein Tag, an dem Arbeiterinnen nicht beim Streifpostenstehen von Poli­zisten oder von den Strolchen blutig geschlagen werden, welche die amerikanischen Rapitalisten eigens zum Zwecke der Niederknüttelung , meuternder" Lohnsllaven mieten. Ist auch das Streitpostenstehen dem Gesetze nach erlaubt, so mißbrauchen doch die Polizeirichter ihre Amtsgewalt, um es faktisch zu vereiteln. In den ersten fünf Wochen wurden nicht weniger als 2500 Mädchen wegen Streit­postenstehens verhaftet, und verhältnismäßig nur wenige dieser " Verbrecherinnen" sind straflos davongekommen. 2000 Arbeiterinnen wurden verurteilt. Sie mußten die Erfüllung ihrer Pflicht mit dem Arbeitshaus büßen oder mit Geldstrafen von 2 bis 20 Dollar. Vergeblich protestierten sie gegen das ungefeßliche dieser Ent scheidungen, wie gegen die polizeilichen Mißhandlungen. Die Richter des Klassenstaats hatten für die Beschwerden nur Hohn. Sie bewahrten nicht einmal jenes geringe Maß von formalem Recht, das sie männlichen Proletariern gegenüber respektieren. Als die Arbeiterinnen einsahen, daß von seiten der Richter kein Recht zu erwarten war, zogen sie demonstrierend und protestierend in einer Zahl von zehntausend durch die Hauptstraßen von New York , zum Rathaus. Das wirkte. In einer Riesenversammlung im Hippodrom, das die oben genannte Millionärin für die Streifenden gemietet hatte, sprachen neben Gewerkschaftlerinnen und bürgerlichen Frauen­wahlrechtstämpferinnen auch unsere Genossinnen Pastor- Stotes und D. Reilly. In einer anderen Massenversammlung, die von der Streifleitung einberufen war, redeten der Gewerkschaftsführer Mitchell und Genosse Hillquit . Letzterer entfesselte einen wahren Entrüstungssturm, als er den wahrhaft teuflischen geheimen Plan der organisierten Fabrikanten enthüllte, unter die kämpfenden Mädchen Mißtrauen gegen ihre Führerinnen zu säen, um sie gegen diese aufzuwiegeln. Zu diesem Zwecke wollten die edlen Herren versuchen, einzelne Streifführerinnen zu bestechen oder sie falls dies nicht gelingen sollte der Bestechung zu verdächtigen. Noch aufreizender wirkte die vom Genossen Hillquit gebrachte Kunde, daß die Kapitalisten die Absicht hätten, ein gerichtliches Verbot gegen die Fortsetzung des Streits durchzudrücken. Wenn alle Stricke des Verrats und der Niedertracht reißen, wollen also die Herren Ausbeuter zur ungeschminkten und unverhüllten Gewalt greifen. Die kämpfenden Blusenmacherinnen werden hoffentlich auch diesem Schlage zu begegnen wissen, sollte er auf sie niedersausen. Arbeits­haus und Gefängnis haben ihre Schrecken für diese Tapferen ver­loren, nachdem sie den Weg betreten haben, von dem es fein Rücks wärts, sondern nur ein unerschrockenes, unermüdliches Vorwärts gibt. In die Fußstapfen der New Yorker Blusennäherinnen sind bereits ihre ausgebeuteten Schwestern in Philadelphia getreten. Auch ihre Lage wurde immer unerträglicher. Von 7½½ Uhr morgens bis 6 Uhr abends mit einer halbstündigen Mittagspause fronen sie bei einem Lohne, der in den letzten fünf Jahren von 10 Dollar ( 42 Mark) auf 7 Dollar( 30 Mart) gesunken ist. Ein Verdienst, ber bei den hohen Kosten der Existenz in Amerika zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben ist. Außerdem machten die Unternehmer noch allerlei Nebengeschäftchen am Trinkwasser, für das die Mädchen bezahlen mußten, an der Lieferung von Nadeln, Garderobe und dergleichen. Durch den Kampf in New York gewißigt, hat eine Firma, die 400 Mädchen beschäftigt, schon am ersten Tage nachgegeben; eine zweite bewilligte die Forderungen der Arbeiterinnen tags darauf. Vierzig andere Unternehmer wären einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht abgeneigt, allein sie wollen die Hauptforderung: Anerkennung der Organisation, nicht hinunterwürgen. Die Arbeiterinnen wissen jedoch, daß Organi sation die Waffe ist, Errungenschaften zu behaupten und neue zu ertrogen. Sie halten aus, und der Kampf dauert in Philadelphia wie in New York fort. Möchte sich erfüllen, was wir herzlich wünschen: möchte das tapfere, opferfreudige Ausharren den Sieg bringen.

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Aus der Bewegung.

ed.

Von der Agitation. In den Agitationsbezirken Frankfurt und Hessen- Nassau sprach die Unterzeichnete im November v. J. in 18 Versammlungen, und zwar in folgenden Orten: Obers bach bei Weilburg , Limburg, Wirges und Höhr auf dem Westerwald , Schierstein , Sonneberg , Wiesbaden , Mar­ burg , Fulda , Rödeheim und Frankfurt a. M. In Frank­ furt a. M. fanden sechs gut besuchte Frauenversamm Iungen statt, in denen das Thema behandelt wurde: Die Stel­lung der Frauen und Mädchen im Klassenkampf." Diese Versamm

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lungen dienten insbesondere der Agitation für das aktive und passive Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbe und Kaufmannsgerichten. Die in letter Nummer mitgeteilte Resolution fand einstimmige Annahme. In Wiesbaden und Sonneberg lautete das Thema:" Rochtopf und Politit." Von 150 Personen, die in Wiesbaden der Versammlung beiwohnten, waren die Hälfte Frauen. In Sonneberg fand die Versammlung am Bußtag statt. Während die Männer feierten, standen die Frauen am Waschfaß, um die Wäsche für die Wiesbadener Herrschaften zu waschen. Nur wenige Frauen waren daher in der Versammlung anwesend, doch wurden wie in Schierstein die ersten weiblichen Mitglieder für die Partei gewonnen. Die Frau im Klassenkampf" lautete die Tagesordnung der gut besuchten Versammlung in Wirges , einem Glasmacherdorf. Hier zählt die Partei schon 80 weibliche Mitglieder. In Höhr behandelte die Referentin das Thema: Das arbeitende Bolt und der Steuerraub." Bis auf den legten Platz war das Versammlungslokal von Angehörigen aller Bevölkerungsschichten besett, jedoch nur von Männern. Die Frauen standen draußen hinter den Fenstern, weil Vorurteil und Pfaffen­herrschaft sie vom Besuch der Versammlung abhielten. Erst nach dem Schlusse derselben wagten sich einige Frauen in das Lokal und erklärten, Mitglieder der Partei werden zu wollen. In Limburg und Diez ist unsere Parteiorganisation noch jung. Hier fanden Mitgliederversammlungen statt, zu denen Gäste eingeladen worden waren. In beiden Orten nahmen Frauen an der Veranstaltung teil., Manche der Anwesenden hörten zum erstenmal vom Sozialis­mus. Start besuchte öffentliche Versammlungen, an denen Frauen teilnahmen, fanden in Marburg und Fulda statt. In der Zentrumsdomäne Fulda, die durch den Finanzkünstler Müller im Reichstag vertreten ist, werden die frommen Schäfchen durch die katholische Geistlichkeit sorgsam behütet. Mit Beichtstuhl, Bettel­suppen und Androhung der Strafen des Jenseits kämpft sie gegen die Sozialdemokratie. Armut und Fusel sind die Verbündeten des Zentrums. Da hält es schwer, die Ausgebeuteten zum Klassen­bewußtsein zu erwecken. Und doch ist der Anfang dazu gemacht worden. Seit kurzer Zeit steht unserer Partei in Fulda ein Vers sammlungslokal zur Verfügung. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, in die Dunkelfammer der Zentrumspolitik hineinzuleuchten. Eine Zentrumsversammlung und eine Volksversammlung der sozialdemo= fratischen Partei, welch ein Gegensatz! Davon konnte man sich in Fulda überzeugen. In der Volksversammlung wurde an das eigene Urteil der Anwesenden appelliert. Die Zwischenrufe und Beifalls­bezeugungen der Anwesenden bewiesen, daß Verständnis für poli­tische Fragen vorhanden ist, und daß das Klassenbewußsein der Arbeiter erwacht. Nach der Versammlung meldeten sich mehrere Personen zum Eintritt in die sozialdemokratische Partei und be stellten die Volfsstimme". Am Abend fand im katholischen Ge­sellenhaus eine Zentrumsversammlung statt. Der Reichstagsabge ordnete Müller sprach über die Reichsfinanzreform und behauptete frisch, fromm, fröhlich, frei, daß alle Reden von der Volksfeindlich­keit des Zentrums eitel Verleumdung seien. Das Zentrum wolle nur das Beste des Volkes! Die Politik des fonservativ- liberalen Blocks habe das Vaterland in arge Gefahren gebracht, aus denen das brave, patriotische Zentrum ihm heraushelfen müsse. Auf Herrn Müller folgte Landtagsabgeordneter Diehl als Redner, zuletzt sprach Matthias Erzberger . Er war schamlos unverfroren ge­nug, für seinen Kollegen Müller einen besonderen Dant wegen seiner hervorragenden Mitarbeit an der Reichsfinanzreform einzu fordern. Wenn man die Redner hörte, so müßten die Arbeiter auf den Knien dafür danken, daß das Zentrum infolge seiner klugen, vaterländischen Steuerpolitik wieder ausschlaggebende Partei im Reichstag geworden ist. Denn es ist die Partei der größten Spar­samkeit und Arbeiterfreundlichkeit. Kurz die Berichte der Herren erinnern auf das lebhafteste an das Hereneinmaleins in Goethes Faust. Die frommen Zentrumswähler aber glauben den Rechen tünsten des Herrn Müller und den Mätchen des Herrn Erzberger. Außer von einem Bravo " oder einem Sehr richtig" wurden die Ausführungen höchstens von einem Gelächter unterbrochen, wenn Herr Erzberger ein Späßchen zum besten gab. Am Schlusse gab es natürlich Beifallsklatschen. Der Versammlung lag eine Reso­lution vor, in der die Zustimmung zur Haltung der Zentrums fraktion ausgesprochen wurde. Sie galt als angenommen, als nach der Verlesung einige Personen" Bravo " riefen. Von einer Dis fussion war nicht die Rede. Mit einem Hoch auf Wahrheit, Frei­heit und Recht, die Parole des Zentrums, schloß die Versamm­lung, in der es feinen Meinungsaustausch gab, sondern nur ein Anhören. Wie sticht davon das geistig selbständige Leben in den sozialdemokratischen Versammlungen ab. An dem Granit des Zentrumsturmes wird sich noch mancher den Schädel einrennen