126 Die Gleichheit Nr. 8 Genossenschaftliche Rundschau« Das Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Kon- sumvereine für das Jahr 190S ist, wie früher, in zwei Bänden herausgegeben worden. Es ist nunmehr bis auf 2000 Seiten (400 mehr als das für 1907) gebracht. Der Inhalt und die An- ordnung des Stoffes sind im wesentlichen gleich geblieben. Es ist dringend zu wünschen, daß die unheimliche Dicke des Werkes nicht noch weiter zunimmt. Sei» Zweck als Hand- und Nachschlagebuch würde dadurch nicht unwesentlich beeinträchtigt werden. Im ersten Bande werden in einzelnen Kapiteln alle wichtigeren Vorgänge im Genostenschafts- und Konsumvereinswesen besprochen, dessen Ent- wicklung das Werk bis ins einzelne widerspiegelt. Soweit Tat- sachenmaterial beigebracht wird, sind Einwendungen nicht zu er- heben; in dieser Beziehung ist die Wichtigkeit und Bedeutung deS Jahrbuchs vielmehr rückhaltlos anzuerkennen. Der Herausgeber täte gut, sich darauf zu beschränken. Er steuert aber stets einen sogenannten theoretischen Teil bei, in dem allerhand Spezialfragen erörtert werden. Dieser Teil ist immer vom politischen wie wissen- schaftlichen Standpunkt aus sehr anfechtbar gewesen. So ist eS auch diesmal wieder. In den ersten Kapiteln wird überTheorie zur Genossenschaftsbewegung" undGenossenschaftliche Kämpfe" manches gesagt, was zur Kritik herausfordert. Solche Ausführungen gehören, wie wir schon früher betonten, nicht in das Jahrbuch, das ein offizielles Werk des Zentralverbandes ist, der für den In- halt auch mehr oder weniger verantwortlich gemacht wird. Es ist sicher, daß sehr viele Konsumgeiwssenschafter mit den Theorien Kaufmanns nicht einverstanden sind, und daß ihnen auch aus Arbeiterkreisen, soweit sie den Konsumvereinen angehören, scharfer Widerspruch entgegengesetzt würde, wüßte man dort mehr davon. Im übrigen ist das Werk jedem zu empfehlen, der sich über die Genossenschaften, besonders über die Konsumvereine unterrichten ivill. Es gibt Auskunft auf jede praktische Frage und über jeden dem Zentralverband angeschlossenen Verein. Auch in Osterreich ist einGenossenschaftliches Jahr- buch für 1910" erschienen. Der Name ist jedoch nicht am Platze, denn es handelt sich um eine recht anspruchslose Broschüre, die noch dazu zu einem Drittel mit Inseraten angefüllt ist, was uns gar nicht gefallen will. Das Büchelchen enthält einen recht inter - essanten längeren Artikel über die Geschichte der Konsumvereine in Deutschland und einen Aufsatz über die genossenschaftliche Eigen- Produktion in Wien . Diese beiden Artikel und sonstige tatsächliche Angaben machen dasJahrbuch" lesenswert. In genossenschaftlichen Blättern veröffentlicht Herr Dr. Totomianz» Petersburg einen Aufsatz überden heutigen Stand der Genoffen- schaftsbewegung in Rußland ". Die Ausführungen über das russische Konsumvereinswesen dürfte auch die Leser derGleichheit" interessieren. Wir entnehmen ihnen folgendes: Unter den ver- schiedenen Genossenschaftsarten, die in Rußland unter dem Einfluß Teutschlands und Englands von der Mitte der sechziger Jahre zu entstehen begannen, nehmen die Konsumvereine die Hauptstelle in Anspruch. Der erste Konsumverein wurde im Jahre 1865 in der Stadt Riga von Schulze-Delitzsch ' Anhängern(es waren Deutsch - Russen) gegründet. Es sind seitdeni kaum 45 Jahre verflossen, und >vir haben jetzt in ganz Rußland (init Ausnahme Finnlands ) un- gefähr 3500 Konsumvereine mit 550000 Mitgliedern. Diese Zahl wird ziemlich groß erscheinen, wenn man bedenkt, daß die Ge- nehmigung eines Konsumvereins bis jetzt von Gouverneuren ab- hängt, die ja nicht immer damit eilig sind, und daß Rußland ein Land von Analphabeten ist. Aber immerhin vermehren sich die Konsumvereine und überhaupt alle Genossenschaften viel schneller nach als vor der Revolution. Ende 1905 waren in Rußland nur 1170 Konsumvereine. Damals machten die bäuerlichen Kon- sumvereine fast die Hälfte aller Konsumvereine aus. Jetzt aber erreichen sie 80 Prozent, und was viel wunderbarer ist es gehen in Rußland die ländlichen Konsumvereine besser als städtische. Es existieren gutgehende und bedeutende städtische Konsumvereine mir in Perm (bis 12000 Mitglieder), Nishnij-Nowgorod , Tscherni- gow, Warschau und noch in ein paar Städten. Eine Erklärung für die rasche Entwicklung der bäuerlichen Konsumvereine ist darin zu suchen, daß in russischen Dörfern faktisch das Monopol eines oder zweier Krämer herrscht. Zweitens ist die moralische Kontrolle der engen Gruppen von Mitgliedern, die einander gut kennen, viel größer als in Städten. Solche Diebstähle, wie sie in dem Peters- burger ArbeiterkonsumvereinTrudovoi Soius" vorkamen, Dieb- stähle, nicht nur von Ladenangestellten ausgeübt, was ja in Ruß- land regelmäßig vorkommt, sondern auch von Mitgliedern, sind in Dörfern fast unmöglich. Außerdem scheiterte teilweis» dieser städtische Konsumverein, der in kurzer Zeit bis 10000 Arbeiter ver- einigte, noch dadurch, daß in ihm Parteizwistigkeiten entstanden sind und die Polizei ihm Schwierigkeilen machte. Der Zahl der Konsumvereine nach nimmt die erste Stell« da? fast ausschließlich landwirtschaftlich« Gouvernement Kiew ein, wo über 400 Konsumvereine funktionieren, von denen nur 26 vor 1905 gegründet wurden. Im Dezember 1908 wurde in Kiew ein Verband gegründet, in welchem zwecks gemeinsamen Einkaufs 107 Konsum- verein« teilnehmen. Die zweite und dritte Stelle nehmen die rein landwirtschajtlichen Gouvernements Poltawa mit 206 und Podolien mit 200 Konsumvereinen ein. Und an vierter Stelle kommt das industrielle Gouvernement Perm mit 165 Konsumvereinen, unter welchen die ältesten von den in Rußland noch bestehenden Konsum- vereinen sich befinden. WaS den russischen Konsumvereinen sehr not tut, sind die lokalen Verbände. Der wirklich allrussische Verband (der gleichzeitig eine Großeinkaufsgesellschaft repräsentiert), der so- genannte Moskauer Verband, wurde im Jahr« 1398 gegründet. Ende 1903 nahmen an ihm 241 Konsumvereine mit 87075 Mit- glieder teil, Mitte 1909 aber gegen 300. Der Umsatz für das erste Semester(vom 1. November 1908 bis zum 1. Mai 1909) erreichte eine halbe Million Rubel. Die russischen Konsumvereine gehören zum Rochdaler Typus, aber sie verkaufen leider sehr oft auf Kredit. Jedenfalls ist das sehr gefährlich, da in vielen Dörfern sich ein Usus jetzt verbreitet, der nur bedingungsweise von großem Nutzen sein kann. Zum Bei- spiel in Sibirien nehmen die Konsumvereine von ihren Mitgliedern anstatt Geld Getreide, Vieh, Fische, Eier usw. Im Gouvernement Poltawa besorgen die Konsumvereine den Absatz der landwirtschaft- lichen Produkte ihrer Mitglieder. Im Gouvernement Saratow und im Gouvernement Moskau gibt es Konsumvereine, die Getreide- fpeicher bauen, Grundstücke pachten und hausindustrielle Produkte ihren Mitgliedern verkaufen. Außerdem dienen die Konsumvereine, besonders im Gouvernement Perm, als Sparkassen, welche sich eben- bürtig an die Seite der Vorschuß- und Sparvereine gestellt haben. Aber nicht nur materielle, sondern auch geistige Vorteile bringen die russischen Konsumvereine mit sich. Von ihren Nrttoüberschüssen geben sie nicht selten Geld für Bibliotheken, Schulen und andere gute Zwecke. Es kommt in den Dörfern auch vor, daß sie Volkshäuser bauen. So hat im Gouvernement Kursk«in Bauern- konsumverein ein großes Volkshaus mit Hilfe des Vorschuß- und Sparvereins gebaut, das zum Mittelpunkt deS geistigen Lebens ge­worden ist. Aus diesen Darlegungen ergibt sich, daß die Konsumvereine in Rußland recht gute Fortschritte machen, daß sie aber ganz anders geartet sind als die deutschen und englische». H. F. Notizenteil. Dienstbotenfrage. Ein HanSfrauenbund zur Beseitigung derDienstboten- not". Die Organisation der Hausangestellten hat sich trotz der großen Schwierigkeiten, mit denen gerade sie andauernd zu kämpfen hat, bisher erfreulicherweise sehr gut entwickelt. Obgleich der Ver- band noch in den Kinderschuhen steckt, hat er doch schon seine Existenzberechtigung und seine Lebenslüchtigkeit vollauf bewiesen. Die Unfreiheit und Rechtlosigkeit, die durch die mittelalterlichen Gesindeordnungen gegeben sind, drängen die Hausangestellten förm- lieh dazu, sich zu wehren und durch festen Zusammenschluß eine Änderung der unwürdigen Zustände zu schaffen. Dazu kommt, daß der Solidaritätsgedanke, der die gesamte klassenbewußte Arbeiter- schaft beherrscht, auch die Dienstboten immer mehr ergreift. Die Erfolge, die sich jene errungen hat, liegen zu klar auf der Hand, und dank der Aufklärungsarbeit der Genossinnen beginnen die Hausangestellten zu begreifen, daß ihre Befreiung niemals durch das Wohlwollen der Herrschaften, sonden, nur durch sie selbst erfolgen kann. Das Erwachen ihres Klassenbewußtseins ist mit Arger, Hohn und Spott, aber auch mit merklicher Beklemmung von den Herrschaften bemerkt worden. Als zum Beispiel vor drei Jahren in Frankfurt a. M. der Verein der Hausangestellten gegründet wurde, rief bereits eine Dame in einem bürgerlichen Blatte ihre Mitschwestern zur Bildung eines Gegenvereins auf den Plan. Die Mitglieder dieser Organisation sollten sich verpflichten, kein«Konkordia-Damen"(in derKonkordia" hatten die ersten Dienstbolenversammlungen getagt) in Stellung zu nehmen. Der Ruf ist damals verhallt. Jetzt aber beginnen sich die Damen zu sammeln, nachdem schon in verschiedenen anderen Städten der Ver- such gemacht worden ist, einen Haussrauenound zu gründen, der die Dienstbotennot mit einem Schlage beseitigen soll. Wohlgemerlt: die Dienstbotennot vom Standpunkt der Herrschaften aus! Das