134Die GleichheitNr. 9Etwas kräftiger haben sich bürgerliche Frauenstimmrechts-organisationen zu dem Entwurf des Einigungsprogramms ge-äußert. Der.Deutsche Verband für Frauenstimmrecht', der.Bayerische Verein für Frauenstimmrecht' und die.OrtsgruppeMünchen' desselben erklärten in einer Resolution:.Ein Liberalismus, der programmatisch nur Wohlwollen fürdie Frauen in Aussicht stellt, ohne sich in klarer, entschiedenerWeise für die gerechten Forderungen der Frauen auszusprechen,wird sich noch viel weniger um Taten für die uneingeschränktestaatsbürgerliche und politische Gleichberechtigung der deutschenFrauen einsetzen und hat seinen Namen nicht verdient. Die Ver-sammlung hegt die bestimmte Erwartung, daß die Parteitag« derFreisinnigen Vereinigung, der Freisinnigen Volkspartei und derSüddeutschen Bolkspartei den Entwurf des Einigungsprogrammsso ändern, daß in bestimmter unzweideutiger Weise die voll«kommen« Gleichberechtigung der Frauen in Staat und Kommunegefordert wird."Daß die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen alles, nur nichtdie Erfüllung dieser.bestimmten Erwartung' zu gewärtigenhaben, dafür spricht außer dem Stuttgarter Parteitag derwürttembergischen Volksparteiler die höhnische Abkanzelung,welche eine Freisinnsleuchte der angezogenen Resolution zuteilwerden ließ. Herr Dr. Ablaß, seines Zeichens Reichstags-abgeordneter, erboste sich über sie im„Boten aus dem Riesen-gebirge' wie folgt:.Da haben wir's also. Die mit Sehnsucht angestrebte großePartei des entschiedenen Liberalismus mit ihrem starken Zugenach links erhält alsbald, noch ehe sie konstituiert ist, von denFrauen, die der bürgerlichen Linken so manches zu verdankenhaben, attestiert, daß sie den Namen Liberalismus gar nichtverdiene. Das ist nicht gerade höflich, aber verständlich, wennman erwägt, daß die Zeiten längst vorüber sind, in denen manmit Frauen über die Fragen der guten Sitte nicht stritt, sondernsich darin von ihnen nur belehren ließ. Seitdem ein Teil derpolitischen Frauen mit den Bestrebungen der englischen Mann-weiber, der Suffragettes, sympathisiert, muß ständig in Ent-rüstung gearbeitet werden. In der Sache selbst bin ich derAnsicht, daß es auch meiner Überzeugung besser entsprochenhätte, wenn das Einigungsprogramm entschiedenere Forderungenfür die staatsbürgerliche und politische Gleichberechtigung derFrauen hätte aufstellen können. Ob es möglich sein wird, nachdieser Richtung hin mehr, als Z K des Entwurfes verspricht,zu erringen, bleibt abzuwarten, soll aber jedenfalls angestrebtwerden. Nur das eine übersieht die Resolution, daß das Pro«gramm ein sogenanntes Mindestprogramm ist. Eine kleineGruppe von Politikern kann sich den Luxus eines möglichstradikalen Programms eher gestatten als eine große Partei, dienach Zusammenfassung aller Kräfte auf liberaler Basis hin-arbeitet. Gerade hierin liegt der große schöpferische Gedanke derneuen Parteibildung. Auf den Boden des Einigungsprogrammskann sich auch derjenige stellen, der weitergehenden demokrattschenForderungen durch zähe Arbeit allmählich die Wege ebnen will.Auch die deutsche Frauenbewegung würde vielleicht gut darantun, im Rahmen der neuen Parteibildung für ihre Ansicht zuwerben, statt sich ihr sofort feindselig gegenüberzustellen."Der.Linksliberalismus", wie er leibt und lebt, offenbartsich in diesem Erguß seiger Jämmerlichkeit, die wohl die be-rechtigten Forderungen der Zeit sieht, nicht aber für sie zukämpfen wagt, die den Zweck einer großen, starken Partei darinerblickt, Mindestforderungen zu stellen. Doch es kommt nochbesser für die Frauenrechtlerinnen, die, wie die Lämmlein dasMäh-Mäh, das Hoffen auf die Verjüngung des Liberalismusnicht lassen können. Der Reichstagsabgeordnete Dr. Ablaß solltein einer Versammlung des fortschrittlichen Vereins„Waldeck"zu Berlin über„das Einigungsprogramm der Linksliberalen"reden. Fräulein Martha Zieh-Hamburg, Vorstandsmitglieddes„Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht' und auchVorstandsmitglied der„Freisinnigen Vereinigung" befand sichzufällig in Berlin. Sie begab sich mit einer Bekannten in dieVersammlung, um die Äußerungen des Herrn Dr. Ablaß übertz 8 des Programms zu beantworten. Noch vor der Eröffnungder Versammlung schickte sie dem Vorsitzenden ihre Karte undmeldete sich damit zur Diskussion. Die Wirkung war verblüffend!Der Vorsitzende erhob sich und verkündete den versammelten3 Weiblein und 30 bis 40 Männlein,.daß sich nicht nur Nicht-Mitglieder, sondern sogar Gegner hier befinden. Daß sich einFeind heimlich hereingeschlichen, und ich ersuche diese, den Saalsofort zu verlassen.' Das freisinnig vereinigte Fräulein Zieh,Vorstandsmitglied einer linksliberalen Partei im Zeichen desbevorstehenden Zusammenschlusses des Liberalismus wurde vordie Tür gesetzt! Das gut bürgerlich gesinnte Fräulein Zietz, dasnicht ermüdete, an dem Grabe jeder Hoffnung noch die Reklame-trommel für den Liberalismus zu rühren, als„Feind" gebrand-markt, der.sich heimlich eingeschlichen' hat, um die entschiedenenFortschrittsmänner zu verschlingen.„Mein Liebchen, was willstdu noch mehr?'Das Gros der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen wird sicher-ltch trotz alledem nach wie vor in dem Liberalismus seineInteressenvertretung erblicken. Die Damen schlucken es hin-unter, daß der Liberalismus ihre Interessen und Forderungenals Frauen verhöhnt und verrät, haben sie doch die beruhigendeGewißheit, daß er ihre Interessen als Angehörige der besitzen-den Klassen gegen den Ansturm der Arbeiter schirmt, daß erin deren Verteidigung immer reaktionärer wird. So werdensie auch nicht die Konsequenzen der letzten Lehren ziehen. DieseKonsequenzen sind klar. Wollen die Frauen nicht länger nurObjekt, sondern auch Subjekt der Gesetzgebung sein, so müssensie sich der einzigen Partei anschließen, die in Teutschland volleGleichberechtigung der Fauen auf allen Gebieten fordert: derSozialdemokratie.Bürgerliche und proletarischeMitleidsmoral.*Wenn einer in der Gefahr des Ertrinkens schwebt, und du bistin der Lage, ihn retten zu können— wirst du ihn da erst noch aus-fragen, wer er sei, welche? sein« Religion, sein« Rasse, sein« Partei?Nein! In derartigen Augenblicken steht lediglich der Mensch demMenschen gegenüber, alles andere Drum und Dran verschwindet.Mit Einsetzung der Gefahr deines eigenen Lebens springst du ineinem solchen Falle selbst dem Feinde bei. Du hörst da nur nochdie Stimm« der Menschlichkeit, nichts als der Mensch in dir redet,der Mensch als Geschöpf der Natur und nicht der Kultur mit ihrenGegensätzen zwischen den Menschen.Wenn nun«in Hungriger zu dir kommt, der dich um eine mild»Gabe anfleht, wirst du da weniger hilfsbereit handeln? Als Prole-tarier kannst du ja am besten nachfühlen, was hungern heißt; wahr-scheinlich warst du selbst schon in der peinlichen Lag«, deine Mit-menschen„anbetteln" zu müssen— als reisender Handwerksbursch«oder gar als sässig gewordener Familienvater, als vergrämte Familien-mutier. Als Familienvater oder Familienmutter hast du die überdich verhängte Schmach besonders schwer empfunden. Du mußtestja zu Leuten gehen, die dich persönlich kannten oder mit denen duspäter einmal in Berührung kommen konntest. Du kennst die Rückenund Tücken der kapitalistischen Wirtschast und weißt, wie unbe-ständig dem Arbeiter das Glück ist, Verdienst zu haben. Da»Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit fühlst du täglich über deinemeigenen Haupte, ständig steht der ungebetene Gast Hunger für dichund die Deinen lauernd vor deiner Tür. Gewiß, es ist dir bekannt,daß es unter den arbeitslosen„Bettlern" auch Leute gibt, die dergute, rechtschaffene Bürger als„arbeitsscheues Gesindel" bezeichnet.Du kennst st«, denen Landstraße, Chausseegraben, Obdach losenasyhPenne usw. Heimat und das Betteln Gewerbe, LebenSberuf ge-worden ist, nicht minder gut wie der behäbige Bürger, der vorEkel die Augen zukneift, wenn er ein solches Exemplar menschlicherNichtsnutzigkeit von fern sieht, und der in weitem Bogen darumherumgeht. Oder vielmehr: du kennst dies« bedauernswerten Opferder kapitalistischen Gesellschaft noch viel besser als er. So tief sieauch gesunken sein mögen, so unrettbar sie für den Kampf de?' Wir find in der behandelten Frag- anderer Anficht als der Verfasser.Wir halten e» mit der Betätigung von Solidarität, die nicht vom Stand-Punkt des organisierten, kämpfenden Proletariers aus nach der„Würdig-keit" d-S leidenden, hilfsbedürftigen Angehörigen seiner Klaffe fragt. Sicerscheint uns als wirksameres Mittel, diesen aufzuklären und für die Organi-sation zu gewinnen, als die hilseversagende,„strafende" Abkehr von ihm.Die Redaktion der„Gleichheit".