142 Die Gleichheit Nr. 9 bereits batten. erhalten eine Zulage von 1 Mk.; vom 1. Januar 1911 ab erhöht sich der Mindestlohn um eine weitere Mark. Au&erdem wurden dieAllgemeinen Bestimmungen" über Obliegenheiten, Ar- beitszeit usw. von den Unternehmern anerkannt. DaS bedeutet für die Arbeiterinnen zahlreiche Verbesserungen in bezug auf Uber- stundenbezahlung, Arbeitsverhällnisie und Arbeitszeit. Eine glänzend gelungene Lohnbewegung fand in Stettin   statt; die Unternehmer haben sie natürlich mit scheelen Blicken betrachtet, und ihr Organ hat sie mit Schimpfereien und Verdrehungen der Wahrheit bedacht. Die Verbandsorganisation ist in Stettin   noch jung, wie überhaupt im ganzen Osten PreußenS der Organisationsgedanke sehr schwer Fuß fassen kann. 1908 hatten die Stettiner Buchdruckerprinzipale mit dem Hilfspersonal einen sogenannten Tarif abgeschlossen, der einigen Hilfsarbeitern zwar ganz geringe Lohnerhöhungen ge- währte, aber die Arbeiterinnen fast durchweg leer ausgehen ließ. Dieser Tarif konnte nur zustande kommen, weil die Unternehmer sich die gänzliche Unerfahrenheit deS dortigen Hilfspersonals zu­nutze machten. Als er zur Kenntnis des Zentralvorstandes der Organisation kam, versagte dieser die Anerkennung: der ganze Tarif war ein grober Verstob gegen dieAllgemeinen Bestimmungen". Vor allem entsprach die festgesetzte Arbeitszeit nicht der allgemeinen Vereinbarung, auch fehlten llberstundenzuschläge und viele andere Verbesserungen. Die Prinzipale kehrten sich jedoch gar nicht an die Ablehnung, sondern behielten ihren Tarif bei, der für sie so be- quem und vorteilhaft war. Die Herren erstaunten nicht wenig, als es zu einer Lohnbewegung unter dem Hilfspersonal kam; in ihrer Entrüstung faselten sie vonTarifbruch" und wollten nur mit ihrem Personal verhandeln. Mit der Organisation wollten sie nichts zu tun haben, und den Berliner   Hetzer(den Gauleiter) wollten sie schon gar nicht sehen. Aber ihre Entrüstung legte sich, als die Maschinen standen und das Hilfspersonal geschlossen in den Streik trat. Es kamen fast ausschließlich Frauen und Mädchen in Betracht, die für wahr« Hungerlöhne beschäftigt waren. Verdienten doch die Buchdruckanlegerinnen durchschnittlich nur 9 Mk., die Steindruck- anlegerinnen gar nur bis zu 8,50 Mk. herunter, und Bogenfänge- rinnen konnten mit S Mk. abgespeist werden. Die Stettiner Unternehmer hielten solche Löhne für tarifmäßig! Die Bewegung setzte nicht zu gleicher Zeit in ganz Stettin   ein, sondern ging von einer Druckerei auf die andere über. Nach kaum zwei Wochen hatte der Streik in sechs Druckereien die Bewilligung der Forderungen durchgesetzt, die anderen Firmen anerkannten sie, ohne es erst zum Streik kommen zu lassen. Die Arbeitszeit wurde von 9'/, auf 9 Stunden herab- gesetzt, und die Löhne erfuhren die folgende Regelung: Bogen- fängerinnen 7,50 Mk., Steindruckanlegerinnen 11 Mk., Buchdruck- anlegerinnen 12 Mk. In einer Steindruckerei konnte die Verkürzung der Arbeitszeit nicht durchgeführt werden, weil dort das Buch- bindereipersonal überwiegt und die Arbeiterinnen nicht organisiert waren. Die Lohnbewegung des Hilfspersonals hatte auch den Er- folg, daß zirka 100 Buchbindereiarbeiterinnen für den Deutschen Buchbinderverband gewonnen wurden. Somit ist begründete Hoff- »ung vorhanden, daß mit organisiertem Personal demnächst nach- geholt werden kann, was diesmal versäumt werden mußte. Es darf nicht vergessen werden, zu unterstreichen, daß derVolks- böte", das sozialdemokratische Parteiorgan, die geforderten Löhne schon vor der Bewegung zahlt«. Nun hat er dem Hilfspersonal I Mk. Zulage über sie hinaus gewährt. Auf zwei Jahre ist der Tarif abgeschlossen worden, das bedeutet äußerlich zwei Jahre Ruhe. Für die Arbeiterinnen heißt es: Aufpassen und das Errungene festhalten! Vor allem aber die Organisation stärken, um die Grundsteine zu legen für weitere Erfolge! Gert. Notizenteil. Dienstbotenfrage. Die Forderungen der Dienstmädchen an die Gesetzgebung. Im März 1907 richteten die Dienstbotenvereine Nürnberg  , Fürth  , München  , Frankfurt   a. M. usw. eine Petition an den Reichstag  , in der die Aufhebung der Gesindeordnung und die Gleichstellung der Hausangestellten mit den gewerblichen Arbeitern wie andere nötig« Reformen ge- fordert wurden. DieGleichheit" hat die sechs einzelnen Forde- rungen der Petition seinerzeit veröffentlicht. Daß das Verlangen »ach Regelung der Arbeitszeit, nach Sicherung des freien Sonntags usw. begründet war, wird unter anderem auch dadurch bewiesen, daß die Zahl der Dienenden stark zurück- geht. Von 1839000 im Jahre 1895 ist sie auf 1285000 im Jahre 1907 gesunken. Di« Abnahme beträgt also rund 76 000. Gewiß erklärt sich daS Zurückgehen auch noch aus anderen Gründen, aber unzweifelhaft trägt die unfreie Stellung der Dienstboten, ihr« schlimme Lage am meisten dazu bei. Der Reichstag   hat sich nicht dazu bequemt, die Materie gründlich zu prüfen, und so war am Schlüsse der letzten Session die Frag« deS gesetzlichen Schutzes und der besseren Rechtsstellung der Dienstboten noch nicht einen Schritt vom Fleck gekommen. Am 15. Juli 1909 ward der Vorsitzenden des Nürnberger Dienstbotenvereins vom Reichstag die lakonische Antwort, daß die anliegende Petition infolge deS eingetretenen Sessionsschlusses nicht mehr zur Beratung und Beschlußfassung ge- langen konnte, und daß sie deshalb ergebenst zurückgesandt werde. In ungefähr zwei Jahren hatte also die Volksvertretung im Reichs- Parlament keine Zeit für die Hausangestellten. Natürlich! ES war wichtiger, neue Steuern für den Lebensbedarf der Waffen zu fabrizieren. Auch der bayerische   Landtag hatte im Oktober 1907 die gleiche Petition erhallen. Im September 1903 erhielten die Dienstbotenvereine die Antwort, daß der Landtag ein« Umfrage unter den Hausangestellten über Arbeitszeit, Lohn, Sonntagsaus- gang, Schlafräume usw. beschlossen habe. Im April 1909 wurden die Fragebogen ausgegeben, die Auskunft über 19 einzelne Punkt« verlangten. Der bayerisch  « Landtag   hat somit schneller gearbeitet als der Reichstag  . Im Reichstag haben seither unsere Genossen von der sozialdemokratischen Fraktion drei Hauptforderungen zu- gunsten der Hausangestellten formuliert. Sie lauten: 1. Auf- Hebung aller für Dienstboten geltenden Ausnahme- g«setze(Gesindeordnungen und sonstige Sondergesetze). 2. Er- richtung besonderer Gerichte in der Art der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte zur schnelleren und billigen Entscheidung von Streitigkeilen, die aus dem Dienstverhältnis entstehen. 3. Aus- dehnung der Reichskrankenversicherung im Anschluß an die Ortskrankenkassen auf alle Dienstboten. Abänderung des Gesetzentwurfes, der die Dienstboten minderen Rechts sein läßt. Um diesen Forderungen mehr Nachdruck zu geben, ist eine plan- mäßige Agitation notwendig. Stark besuchte Dienstbotenversamm« lungen müssen sich in einer Resolution für die obenangesührten Forderungen aussprechen. Der stärkste Widerstand, dem die ge- forderten Reformen begegne», kommt aus dem Landtag und Herren- haus in Preußen. Die Herren, die hier obenauf sind, sind der Mei- nung, daß das Unrecht bis in alle Ewigkeit erhalten werden müsse, das vor 100 Jahren und noch länger zurück durch die Gesetzgebung geheiligt worden ist. Und der Reichstag   wird bekanntlich von den reaktionären Preußenhäusern aus gelenkt. Solange sich aber der Reichstag   nicht zu einem Vorwärts entschließt, sind auch die süd« deutschen Landtage an durchgreifenden Beschlüssen zur Verbesserung der Lage der Hausangestellten gehemmt. In wichtigen Dingen können sie über daS Reichsgesetz nicht fort. Daher muß ein« kräf- tige, systematische Agitation für die Forderungen der sozialdemo« kralischen Reichstagssraktion entfaltet werden. AuS je mehr Orten eine Resolution für sie dem Reichstag zugeht, desto stärker ist de» Rückhalt, den unsere Vertreter bei der Begründung ihreS Antrag» haben. Auf also zur Agitation für die Freiheit, das Recht der Dienenden! Helene Grünberg. Ländlich-LittlicheS auS Pommern  . Die pommerschen Junker können die Sittlichkeit auf dem Land« nicht genug rühmen, können nicht genug vor den Gefahren warnen, die jungen Mädchen in den Großstädten drohen. Wie die Sittlichkeit auf dem Laude aber in Wirklichkeit aussteht, daS zeigt« wieder einmal eine Gerichtsver- Handlung vor dem Schöffengericht zu Kolberg  . Ihr lag fol- gender Tatbestand zugrunde. In der Nacht vom 18. zum 17. April 1909 zechten verschiedene Stützen von Thron und Altar in einem Gasthof zu Nehmer bei Kolberg  . Nachdem die Herren genügend Alkohol vertilgt hatten, überkam den Bauernhofbesitzer Möller und seinen Freund P i e t sch die Luft, dem Dienstmädchen auf einem Bauernhof in Nehmer einen nächtlichen Besuch abzustatten, weil st« wußten, daß die Schlafkammer deS Mädchens unverschließbar war. Möller ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Di,Heilig- keil der Ehe" hielt ihn nicht im geringsten ab, mit seinem Freund« zusaminen in der dritten Morgenstunde in die Echlaskammer de» Dienstmädchens St. einzudringen. Während der Freund Wache stand, versucht« er das Mädchen im Bette zu vergewaltigen. Durch den Lärm erwachte der Hausherr und setzte dem verbrecherischen Vorhaben ein Ziel. Der Herr Staatsanwalt sah das versucht» Verbrechen mit sehr milden Augen an und stellte nur Strafantrag wegentätlicher Beleidigung". Stach gewöhnlichem Pommern  - verstand handelte eS sich dabei mindestens um einenNotzuchts- versuch". Auch das Schöffengericht war voll einsichtsvoller Mild» und verurteilt« Möller nur zu 50 Mk. Geldstrafe oder vier Tagen Gefängnis. Die bedrohte Ehr« eines Dienstmädchens ist offenbar nach bürgerlichen Begriffen ein sehr billige? Ding. 11. T