Nr. 10

20. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gletchheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post viertelfährlich obne Bestellgelb 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.

Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

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Stuttgart

14. Februar 1910

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August Bebel . Von Klara Zetkin. - Der politische Führer der deutschen Arbeiterklasse. Von Rosa Luxemburg . Bebel als Mitbegründer und Was Förderer der freien Gewerkschaften. Von Helene Grünberg. Bebel den Proletarierinnen gab. Von Luise Zietz , Ottilie Baader und W. Kähler . Bebels Einfluß auf die bürgerliche Frau. Von Mathilde Wurm . Persönliches über Bebel. Von Luise Kautsky . Grüße sozialdemokratischer Frauen aus Desterreich, England, Rußland , Italien , Schweiz , Holland , Dänemark , Finnland und den Vereinigte Staaten . Politische Rundschau. Von H, B. Gewerkschaftliche Rundschau. Die Tarifbewegung in der Holzindustrie. Von fk. Aus der Textil arbeiterbewegung. Von hj.

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August Bebel.

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Manche sind fühn, deren Schwert nicht rot vom Blute aus Feindesbrust.

Ein Feiertag fällt für das kämpfende Proletariat der ganzen Welt inmitten den Ernst der Arbeit, den Schlachtenlärm dieser Zeiten. Eines von jenen Festen, die keine kirchliche Sagung, fein obrigkeitliches Gebot vorgeschrieben hat, die mit der drängen den Gewalt natürlichen Geschehens aus der Seele der einzelnen emporjubeln, die sich zu vielen wissen, zu Millionen, die eins in ihrer Freude find. Solch Empfinden kann nur dann aus gelöst werden, wenn nicht bloß der Kopf, wenn auch das Herz vornehmlich spricht. Und so ist es. Am 22. Februar voll endet August Bebel das 70. Jahr seines Lebens, dessen beste Kraft er ohne um persönliches Glück zu markten und zu feilschen dem Befreiungskampf des sonnensehnsüchtigen Proletariats gegeben hat. Ihn wollen in diesem Blatte die grüßen, die dem großen Vorfämpfer, dem hochsinnigen Men­schen dankbarste Verehrung entgegenbringen: die sozialistischen Frauen.

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August Bebel! Der Name ist ein bedeutsames Stück Ge schichte, und der Name kündet einen Mann. Wenn man das Lebensschicksal Bebels nachblättert, ist es da nicht die Geschichte des kämpfenden deutschen Proletariats selbst, der Sozialdemo­fratie insbesondere, die sich aufrollt, eine Geschichte, die ihre Wellen auch Kreise ziehend in die Arbeiterbewegung anderer Länder hinübergeworfen hat? Es gibt kein wichtiges Kapitel dieser Geschichte, keine entscheidende Wendung, fein unwider rufliches Vorwärts im Ablauf des geschichtlichen Lebens der deutschen Arbeiterklasse, die nicht die starken und unverwisch baren Spuren von Bebels schöpferischer und wegweisender Hand trügen. Das gilt seit fast einem halben Jahrhundert, von den ersten schüchternen und verworrenen Anfängen an, da das deutsche Proletariat sich auf seine geschichtliche Existenz und die ihm damit gesezte Aufgabe befann, wo es auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet seinen Aufmarsch als selbständige Klasse begann, bis heute, wo es nach allen Richtungen hin stürmend gegen die bürgerliche Gesellschaft vordringt. Bebel ist mit der erste Rufer zu diesem Aufmarsch gewesen, wie er noch jetzt, nach Jahrzehnten nimmer rastender Arbeit und reifer Erfahrungen, zu den unermüdlichen Vorwärtsdrängern der proletarischen Sturmtolonnen zählt. Wir finden ihn an erster

Zuschriften an die Redaktion der Gleichbeit find zu richten an Frau Klara Zetkin ( Zundel), Wilbelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.

Stelle unter den Rüstigen, denen die deutsche Sozialdemokratie ihre feste Organisation verdankt, und die sich vor eine sehr schwierige Aufgabe gestellt sahen: unter Berücksichtigung der geschichtlichen Gestaltung in den einzelnen Bundesstaaten, unter wechselnden politischen Situationen und behördlichen Kniffen einen Organismus zu schaffen, der die erforderliche Einheit und Geschlossenheit mit der ebenso nötigen Bewegungsfreiheit verbindet, dem der weiter ausgreifenden und sich vertiefen­den Betätigung der Partei entsprechend neue Glieder ein­verleibt werden können, und der jederzeit die rasche Entfaltung der höchsten Stoßkraft ermöglicht. Und keiner hat mehr als Bebel getan, um den Parteiorganismus mit dem höchsten ge schichtlichen Leben des Proletariats zu erfüllen und ihn dessen Zwecken dienstbar zu machen. Ein scharfäugiger Steuermann, hat er das Schiff der Sozialdemokratie unter Gewitter und Wogendrang an den Klippen und Riffen der sozialistengesetz­lichen Zeit vorübergeleitet; führt er es in der Windstille, die großen Stürmen vorangeht, an den Untiefen der faulenden Gewässer des bürgerlichen Parlamentarismus vorbei. Mit dem untrüglichen Instinkt des geborenen Kämpfers und dem klaren Blick des verantwortungsbewußten Führers schöpfte er aus einer wissenschaftlich fest verankerten grundsätzlichen Auffassung die richtige Beurteilung des scheinbar oft unentwirrbaren Durch einanders der Tageserscheinungen. Er hat in der Folge jeder zeit erkannt, wie notwendig die Beweglichkeit der Taktik des politischen Kampfes ist, die Veränderlichkeit und Erneuerung seiner Methoden und Waffen. As die Bedeutung des Wahl. rechts noch von hervorragenden Führern der jungen Arbeiter bewegung Deutschlands verkannt wurde, als ganze Bruderparteien des Auslandes es als ein Mittel zur Prellerei der Massen ver femten: war es Bebel , der mit starkem Arm das von Lassalle auf­gepflanzte Banner mitten unter die stumpfen"," unreifen"," un organisierten" Massen trug, von der sicheren Einsicht geführt, daß die Geschichte ihre eigene Lehrmeisterin ist, und daß die Massen selbst durch die Praxis über die Fragen der Massenaktion ent­scheiden. Und wieder stand er an der Spitze, als es sich dar­um handelte, in wägender Beachtung der tatsächlichen Um­stände und fühler Nichtachtung rechtlicher Formeln die gleiche geschichtliche Berechtigung der ungesetzlichen wie der gesetzlichen Kampfmittel zu proflamieren. Er blieb gleichweit von einer irrlichterierenden Revolutionsromantik entfernt, die die fest gegründete, dauernde Erde unter den Füßen verliert, wie von einer genügsamen Staatsmännelei, die auf dem glatten Parkett des Parlaments ausgleitet. Darum verstand er es, die parla mentarische Aktion allen Tagesbedürfnissen des leidenden und kämpfenden Proletariats nutzbar zu machen, deren Wahrung die Massen wirbt, wie auch jener unerbittlichen grundsätzlichen Kritik an der kapitalistischen Ordnung, welche die Massen zum Kampfe für das sozialistische Endziel zusammenschweißt und schult. Schließlich war es Bebels Wort, das gewichtig in die Wag­schale fiel, als die deutsche Sozialdemokratie den Massenstreit unter die Waffen aufnahm, die unter bestimmten Voraus­setzungen angewendet werden können, ja gebraucht werden müssen.