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Die Gleichheit

vertrauen gestärkt, den Weg gezeigt, der zur Freiheit führt. Das Buch hat vielen die Erkenntnis und die sittliche Kraft ge­geben, sich der Gewerkschaftsbewegung anzuschließen und ge­werkschaftliche Kämpferinnen zu werben, welche die Sklaven­letten des Kapitalismus nicht bloß lockern, vielmehr für immer abwerfen wollen.

Wie nugbringend Bebels Pionierarbeit in dieser Beziehung gewesen ist, das lassen die Tatsachen erkennen. In den acht­In den acht ziger Jahren bis zum Falle des Sozialistengesetzes wurden trot aller Schrecken desselben immer wieder lose Arbeiterinnenvereini­gungen gegründet. Von 1891 an traten die erwerbstätigen Frauen und Mädchen, soweit ihnen die Not denken lehite, fast alle ihren Berufsorganisationen bei. 1892 waren 4355 Arbeiterinnen gewerkschaftlich organisiert, 1900 schon 22844, und 1908 betrug die betreffende Zahl 138443. Jm laufenden Jahre dürften auf rund 2 Millionen gewerkschaftlich organi­fierte Arbeiter reichlich 150000 Arbeiterinnen zu verzeichnen sein. Diese Fortschritte sind mit der bedeutsamen Lebensarbeit Bebels für die Erweckung und Hebung des weiblichen Ge­schlechtes zu danken. Sprechen wir unsere tiefempfundene An­erkennung dafür an seinem Jubiläumstag in dem Gelöbnis aus, in seinem Geiste rastlos für den Aufstieg des weiblichen Proletariats, für die Stärkung und Vertiefung der gewerk schaftlichen Organisation zu arbeiten. Wir nähern uns damit dem erhabenen Ziele, das Bebel prophezeit hat: der Unab­hängigkeit und Befreiung des weiblichen Geschlechtes durch die Befreiung der Menschheit als Werk des sieg reichen Proletariats. Helene Grünberg .

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Und als ich Ende der achtziger Jahre, als blutjunge Frau, Bebels Buch Die Frau und der Sozialismus in die Hand bekam, da ging es mir, wie es so vielen, vielen Proletarier­frauen ebenso ergangen ist: Wie Schuppen fiel es uns von den Augen, wir gewannen Verständnis für die Zusammenhänge der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, für unsere Stellung in der heutigen Gesellschaft, für unsere Klassenzugehörig­keit, für die Notwendigkeit eines solidarischen Handelns der Gesamtarbeiterschaft, um ihren Aufstieg und ihre Befreiung durchzusetzen. Der Zusammenhang von Arbeiterbewegung, Frauenfrage und Sozialismus ward uns flar. Gewiß, manche Proletarierin, so auch ich, hatten durch Unterricht oder eigenes Studium bereits erfahren, daß die Stellung der Frauen im Altertum bei den verschiedenen Bölfern, im Mittelalter und in der Neuzeit eine ganz verschiedene gewesen; wir empfanden vor allem selbst unsere Rechtlosigkeit und Abhängigkeit als empörend und demütigend, aber daß diese Stellung der Frau basiere auf dem jeweiligen Stande der Produktionsweise und der Eigen­tumsverhältnisse sowie auf der Bedeutung der Frau im Pro­duktionsprozeß; daß deshalb ihre Stellung auch nur geändert werden könne, nachdem die Produktionsweise und die in ihr wurzelnden Produktionsverhältnisse umgeändert worden sind; daß erst der Sozialismus die Frau aus Lohn- und Geschlechts­fflaverei zu befreien vermag; das alles erfuhren wir erst aus " Bebels Frau".

So vieles, was wir instinktiv empfunden, was dunkel und chaotisch in unserem Kopfe durcheinandergewogt, das fanden wir hier klar zum Ausdruck gebracht, und damit war uns dann auch der Weg gewiesen, wohin wir gehörten: In die Reihen der Sozialdemokratie. Doch nicht nur den Proletarierinnen

Was Bebel den Proletarierinnen gab. ist Bebel durch Wort und Schrift der Erwecker und der Weg­

Millionen deutscher Proletarierherzen schlagen in heißem Dante und glühender Verehrung ihrem greisen Führer August Bebel an seinem siebzigsten Geburtstag entgegen. Grüßend feuft die Internationale an seinem Ehrentag vor ihm ihre Fahnen, vor allem aber ehren die Frauen in ihm den fühnen Lichtspender und unerschrockenen Vorkämpfer. Was Bebel den Proletarierinnen gab, zur Beantwortung dieser Frage sei mir ein bescheidener Beitrag gestattet.

Bei einer Agitation in den verschiedensten Gegenden Deutsch­ lands habe ich von zahllosen Arbeiterfrauen und-töchtern mir sagen lassen: Bebel war es, der uns in die sozialistische Ideen­welt einführte. Bebel als Schriftsteller, als Redner, als Parla­mentarier. Und wenn ich alsdann interessiert weiterforschte, so erfuhr ich, daß es all diesen Frauen ähnlich ergangen wie mir, daß Bebel sie zum Bewußtsein ihrer selbst und ihrer Klassen­zugehörigkeit erweckte.

Ich fand so tausendfach bestätigt, was die eigene Erfahrung mich gelehrt: Bebels glänzende Beredsamkeit, seine einfache, populäre Art, die glühende Begeisterung und die unerschütter­liche Überzeugung, die aus seinen Worten klingt, sie verschafften ihm wie keinem anderen das Ohr der Massen, sie verliehen ihm wie feinem anderen die Fähigkeit, in Herz und Hirn der Zu­hörer das Vertrauen auf die eigene Kraft, die überzeugung von der Sieghaftigkeit des Sozialismus zu erwecken.

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Kam Bebel zu uns nach Hamburg , und es war uns, einer fleinen Schar von Frauen, gelungen bei dem Massenandrang bei dem Massenandrang zu seinen Versammlungen ein Glücksfall, ein Plätzchen im Saale zu erwischen, so sahen wir mit scheuer Ehrfurcht auf den Mann, der selbst ein Arbeiter, nur seiner Energie, seinem raft­losen Fleiße, seinem glühenden Wissensdurst es dankte, daß er die stolze Höhe geistiger Entwicklung erklimmen und zum Führer einer Millionenpartei werden konnte; so gedachten wir bewundernd der Kühnheit und Unerschrockenheit, mit der er, allen Berfolgungen durch die Schergen des Klassenstaats trotzend, für die Interessen der Unterdrückten, der Enterbten jederzeit eintrat, atemlos lauschten wir seinen Worten, die für uns ein Evangelium waren. Es war eben Bebels ganze Persönlich keit, nicht nur seine Worte, die auf uns einen unauslöschlichen Eindruck machten.

weiser gewesen, manchen Philisterzopf hat er den Genossen ab­geschnitten, manches Vorurteil gegen die Frauen in unseren eigenen Reihen bekämpft.

In seiner Stellung zur Frauenfrage blieb er sich ebenso treu als in seiner Stellung zum Sozialismus. Das spiegeln seine Schriften wider, das bezeugen seine Reden, das zeigt sich in seinem parlamentarischen Auftreten, einerlei, ob es gilt, notwendige Reformen im Interesse der Frau zu fordern, oder ob es sich darum handelt, für sie das volle Bürgerrecht zu reklamieren, das zeigt sich aber auch in seinem privaten Verhalten. Was die Frauenbewegung an pofitiven Erfolgen, an moralischen Errungenschaften zu verzeichnen hat, das dankt fie in erster Linie Bebel . Die Proletarierinnen grüßen deshalb in unserem Siebzigjährigen ihren Erwecker, ihren größten, fühnsten und ehrlichsten Vorkämpfer, ihren Freund, ihren Helfer und Berater. Sie verbinden mit diesem Gruß den herzlichsten und lebhaftesten Wunsch, daß August Bebel nach wie vor in manchem Kampfe unser sieghafter Führer und fühner Banner­Luise Zieg. träger bleiben möge.

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Auch die Unterzeichnete ist eine von denen, die durch die Greuel und Ungerechtigkeiten des Sozialistengesetzes aufgerüttelt das öffentliche Leben mit anderen Augen zu betrachten be gannen. Des Lebens bittere Not, das Übermaß von Arbeit und die bürgerliche Familienmoral hatten in mir jede Freude ertötet. Resigniert, hoffnungslos lebte ich dahin, von früh morgens bis spät abends über die Maschine gebeugt. Zu mir wie zu Tausenden, die ebenso einsam und hoffnungslos dahin­lebten, brang ba wie ein Blig die Nachricht von dem wunder­baren Buche, das der Drechsler August Bebel , der Revolu tionär, der Sozialdemokrat geschrieben hatte. Das Buch mußte beschafft werden. Es war verboten. Obgleich ich selbst mich noch nicht zur Sozialdemokratie bekannte, besaß ich Freunde, die dieser Partei angehörten. Durch sie erhielt ich das fost bare Wert. Ich las es des Nachts. Es war mein eigenes Schicksal und das vieler Tausende von Schwestern, das da ge­schildert wurde. Weder in der Familie noch in der Offentlich­feit hatte ich von all den Leiden reden gehört, die das Weib als Geschlechtswesen erdulden muß. Sein Geschlechtsleben war etwas, worüber man stillschweigend hinwegging. Bebels Buch