Nr. 10
Die Gleichheit
übrig. Das hört man oft heraus, wenn er über Erziehungsfragen spricht. Für ihn gilt nur, wer arbeiten, lernen, schaffen, sich betätigen will. Gegen Faulheit und Unordentlichkeit ist er von unnachsichtiger Strenge.
Wie sehr liebt nämlich dieser revolutionäre Umsturzmann die Ordnung im kleinsten wie im großen! Er für seine Person ift pedantisch genau und peinlich auf Sauberfeit erpicht. Ein Fleckchen auf dem Kleide seiner Frau fann ihn schon sehr irritieren; ein weibliches Wesen aber, das schlecht gefämmt, uns fauber gekleidet vor ihm erscheint, hat von vornherein mit einer starken Antipathie von seiner Seite zu lämpfen und muß schon Respektables leisten, wenn sie diese überwinden soll. In ge wiffen Lebensgewohnheiten verleugnet sich eben Bebels Her funft niemals. Er ist das preußische Unteroffizierkind geblieben, das gewohnt ist, seine Kleider allabendlich sauber gestreckt und gefaltet auf seinen Stuhl zu legen, das kein Stäubchen auf dem Anzug sehen kann, ohne davon beleidigt zu werden. Und dieser Ordnungssinn erstreckt sich auch auf andere Dinge. Ich entsinne mich des ersten Spaziergangs, den ich mit Bebel unternahm. Wir gingen von Stuttgart nach Wangen über die niedrigen Höhenzüge, die die schwäbische Hauptstadt umgeben. Da fonnte er an feinem Baum vorübergehen, der die Spuren mangelnder Pflege trug, an dem Raupennester saßen oder deffen dürre Zweige nicht entfernt waren, ohne seinem Unwillen über die Lotterwirtschaft des Besitzers Ausdruck zu geben. Und man fann ihm nicht nachsagen, daß er sich auf unfruchtbare Kritik beschränkt. Er hat denn auch aus seinem Gärtchen in Küsnacht seinerzeit, als er noch das Malheur hatte, dort ein Wohnhaus zu besitzen, ein Musterplätzchen geschaffen, in dem das schönste, größte, prachtvollste Obst gedieh, das jene obstreiche Gegend aufzuweisen hatte.
Er ist eben durch und durch Utilitarier. Verschwendung und Mißwirtschaft auf jedem Gebiet find ihm ein Greuel, und sein Geist beschäftigt sich gerne damit, den Schaden herauszurechnen, den der Volkswohlstand durch Liederlichkeit und Nachlässigkeit erleidet. Dabei aber bekommt man von Bebel niemals den Eindruck des Kleinlichen. Auch in diesem Unwillen steckt so viel Bedürfnis, der Menschheit zu nügen, daß die geringfügigfte feiner Bemerkungen eine höhere Bedeutung gewinnt und man mit Respekt und Interesse seinen Ausführungen lauscht.
überhaupt ist es ein Vergnügen, Bebel beim Sprechen anzuhören. Ich meine natürlich nicht nur dann, wenn er als Redner vor den Massen auftritt, sondern gerade wenn er im fleinen Kreise, in dem er sich wohl fühlt, plaudert. Schier unerschöpflich ist sein Erinnerungsborn und von vielerlei weiß er
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eigene Arbeitsleistung gehört zu den gewaltigften. Berge von Briefen bringt ihm jede Post, die er aufs gewissenhafteste alle sofort erledigt. Das ganze sozialdemokratische Deutschland nicht nur, nein die ganze sozialistische Welt wendet sich an ihn, um Auskünfte und Rat in Fragen der politischen Haltung unserer Partei, in Organisations- und parlamentarischen Fragen. Aber auch außerhalb unserer Partei schätzt man in ihm den fenntnisreichen Mann, und kaum je gibt es eine Enquete über soziale Probleme, wo man nicht August Bebels Meinung hören will. Und auf allen diesen vielfachen, mannigfaltigen Gebieten weiß er Bescheid oder sucht er sich mit zähem Fleiße und ehrlichem Wollen zu orientieren, um dann mannhaft und mutig für die Menschheit in die Schranken zu treten. Wohl kennt ihn die weiteste Offentlichkeit als einen, der immer auf dem Posten ist, wenn es gilt, das Unrecht abzuwehren, den Fortschritt anzubahnen, für Recht und Gerechtigkeit einzutreten. Wohl ist es allgemein bekannt, was er leistete und heute noch leistet, nicht bekannt aber ist vielleicht, mit welchem ungeheuren Aufwand an Fleiß, Arbeitsamkeit und Gewissenhaftigkeit er es zustande bringt, so viel zu leisten. Das vermag nur der zu beurteilen, der ihn zu jeder Stunde arbeitend an seinem Schreibtisch findet, der weiß, daß er diesen nur verläßt, um in oft endlosen, er müdenden Sizungen über Parteifragen zu beraten oder als einer der eifrigften im Reichstag seiner Abgeordnetenpflicht zu genügen, die er nur dann versäumt, wenn ernstliche Krankheit ihn an der Erfüllung hindert. Und selbst in seiner fargen Erholungszeit nimmt die Arbeit immer noch einen großen Raum ein, denn die Lektüre der Parteizeitschriften und literarischen Neuerscheinungen und die nie ruhende große Korrespondenz setzt er auch in den Ferien niemals aus. Die einzige Erholung für diesen arbeitsreichen und arbeitsfrohen Mann bildet hie und da ein geselliges Beisammensein mit vertrauten, gleich gesinnten Freunden, die er getreu dem Goetheschen Spruche Tages Arbeit, abends Gäfte" gerne um sich versammelt. Wem es gegönnt ist, dem Kreise dieser Freunde zugezählt zu sein, der hat nur den einen Wunsch, das Beispiel dieses Mannes der ganzen arbeitenden Welt, insbesondere aber der arbeitenden Jugend vor die Augen zu führen und ihr zu sagen: Seht, das ist der Besten einer, ihm sollt ihr nacheifernd nachstreben, an ihm könnt ihr sehen, wie Arbeit adelt, von ihm könnt ihr lernen, was unermüdlicher Fleiß vermag! Luise Kautsky .
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Grüße ausländischer Genossinnen.
zu erzählen. Ob er nun aus seiner eigenen traurigen Kinder- Desterreichs Proletarierinnen zu Bebels Geburtstag.
zeit, ob er von den Lehr- und Wanderjahren, ob von den Anfängen der Partei, von der Gefängnis- und Festungszeit, vom Sozialistengesetz berichtet, oder seine persönlichen Erinnerungen an Jean Philipp Becker, an Engels, an Liebknecht ausframt, oder ob er die Tagesereignisse mit Lebhaftigkeit bespricht, immer erfreut man sich seines Gesprächs, immer erquickt man sich an diefer Warmherzigteit, diesem hellen Geifte und flarem Ver stand. Eine ganze Tafelrunde vermag er zu fesseln und in gespannter Aufmerksamkeit zu erhalten; es gibt feinen liebenswürdigeren Gesellschafter, keinen bescheideneren Gast, aber auch feinen aufmerksameren Gastgeber als ihn, der sich nicht für zu gut hält, auch selbst mit Hand anzulegen, wenn es gilt, den Tisch für die Behaglichkeit feiner Gäfte vorzubereiten oder sich im Hause nüßlich zu machen, wenn es not tut. Alle die vielen, die die freudig dargebotene, weitherzige Gastfreundschaft des Bebelschen Hauses genossen, werden diese Beobachtung gemacht haben. Bebel hat eben keine Faser von jenen Bourgeois philistern, die in der Leistung einer häuslichen Arbeit, die sonst gewohnheitsmäßig nur von Frauen verrichtet wird, eine Herabwürdigung sehen. Zu seinen liebsten Erinnerungen gehört es zum Beispiel, daß er seine Belle im Gefängnis oder auf der Feftung fiets musterhaft gefegt und sich dadurch das unein geschränkte Lob der Kalfaktors verdient hat. Jeder Arbeit, die er leistet, widmet er seine ganze Hingebung; vor nichts hat er so großen Respekt wie vor Fleiß und Arbeitsamkeit. Seine
Viel glänzende Namen kennt die Geschichte. Helden und Märtyrer leben im Gedächtnis der Völker fort. In den Herzen der denkenden, um ihre Befreiung ringenden Proletarierinnen aber wurzelt fein Name so fest wie der August Bebels. Was bedeuten ihnen neben ihm die leuchtendsten Namen aus der Geschichte der Frauenbewegung, die Namen all derer, die die ersten und berühmtesten Bannerträger der Forderungen der Frauenemanzipation gewesen sind? Ein John Stuart Mill , eine Mary Wollstonecraft , die unvergänglichen Gestalten der Frauen aus der großen französischen Revolution? Die Proletarierin nennt sie, sie ist voller Bewunderung, wenn sie von diesen Pionieren der Frauenrechte hört und ihre Werke und von ihren Taten liest. Aber sie stehen ihr nicht nahe. August Bebel dagegen kennen alle gleichsam persönlich. Sie nennen seinen Namen wie den eines guten Freundes, auch wenn sie ihn noch nie gesehen haben.„ Unser Bebel" hört man nicht selten Arbeiterinnen sagen, wenn sie sein Buch gelesen haben. Hat doch kein zweites Buch für die Erweckung der Frauen zum Menschenbewußtsein so viel getan wie Bebels Buch:„ Die Frau und der Sozialismus". Die deutschen Genossen nennen Auguft Bebel den Ihrigen, aber mit nicht weniger Recht betrachten wir ihn als unseren Bebel. Denn wir alle haben von ihm gelernt. Selbst jene, die sein herrliches Buch nicht gelesen haben, nehmen daran teil. Wir anderen, die wir dar aus die ganze Leidensgeschichte der Frau kennen gelernt haben,