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Die Gleichheit

willigen Verletzungen des Wahlgeheimnisses durch Einführung amtlicher Wahlurnen zu steuern, die nicht eher geöffnet werden fönnen, bevor nicht der Inhalt durcheinandergeworfen ist. Aber es fällt ihr gar nicht ein, den Junkern und Junkergenossen dieses feine Geschäft zu verderben. Um so empörender ist die Heuchelei, die in dem zitierten Sage und in dem anderen zum Ausdruck fommt, daß nur die Erziehung zur Achtung und Duldung fremder Überzeugung wirksamen Schuh bietet gegen unlautere Beeinflussungen bei der Wahl!

Dies ganze schamlose und verlogene Gerede ist im Grunde ein scharfer Angriff auf das Reichstagswahlrecht, und es fehlt auch nicht an direkteren Vorstößen gegen dieses verhaßte Recht der Massen. In der Begründung steht der Saß, daß die ge­heime Wahl die heimliche Verbreitung von Unzufriedenheit fördert, das politische Verantwortlichkeitsgefühl abstumpft und staatsfeindlichen Bestrebungen den Schein einer Stärke und Verbreitung verleiht, die sie nicht besitzen.

Der Ministerpräsident Bethmann Hollweg hat diese An griffe auf das erste und bedeutendste Staatsbürgerrecht des Deutschen noch sehr kräftig in der Rede unterstrichen, mit welcher er am 10. Februar die erste Beratung seiner Vorlage im Drei­flaffenhaus einleitete! Diese Rede war im ganzen ein elender Schwaz , dessen traurige Inhaltlosigkeit der Herr durch allerlei hochtönende philosophische" Wendungen und Abschweisungen zu bemänteln suchte. Sie erhielt aber Bedeutung durch die direkten und indirekten Angriffe auf das Reichstagswahlrecht, die ihren einzigen faßbaren Kern bilden. Dieser preußische Ministerpräsident, der auch der Kanzler des Reiches ist, hetzte gegen das demokratische Wahlrecht, indem er behauptete, daß es die politischen Sitten verderbe, daß es die politische Ers ziehung des Volfes schädige. Mit anderen Worten: er be kannte sich als der erbitterte Feind des gleichen und geheimen Wahlrechts. Er scheute sich nicht, den Terrorismus der öffent­lichen Wahl mit Bismarcks Wort von den gottgegebenen Ab­hängigkeiten" zu rechtfertigen, so daß er den Terrorismus von oben als ein Stück der göttlichen Ordnung" feierte. Er, der " Philosoph", tat den Ausspruch:" Das ganze Leben besteht aus Abhängigkeiten!" Er schämte sich nicht, damit den angeb lichen Schwindel zu verkünden, wenn der Mann seine Stimme von seiner Überzeugung, von seiner Parteistellung abhängig mache, so sei dies dasselbe, als wenn er von wirtschaftlich Mächtigen zur Stimmabgabe wider seine überzeugung gezwungen

werde!

Die Rede Bethmann Hollwegs ist höchst wertvoll für das Proletariat, weil sie ihm die Feindschaft der Herrschenden wider das Reichstagswahlrecht in unverhüllter Form zeigt. Verstärkt wird ihr Eindruck durch die frechen Angriffe des freifonservas tiven Sprechers v. Zedlig, der den Staatsstreich wider das Wolfsrecht noch deutlicher an die Wand malte, als es wenige Tage vorher der Junter v. Oldenburg im Reichstag getan hatte. Freilich hat seitdem der Reichskanzler im Reichstag auf bie Interpellation der Sozialdemokratie erklärt, die verbündeten Regierungen dächten nicht daran, das Reichstagswahlrecht zu ändern. Aber diese Erklärung besagt nur, daß den herrschenden besitzenden Klassen die Trauben noch zu sauer sind, daß ihnen zurzeit ein Staatsstreich noch nicht dringlich und aussichtsvoll genug erscheint. Sie läßt bestehen, daß diese Klassen, von bitterer Feindschaft gegen das demokratische Wahlrecht erfüllt, jede günstige Gelegenheit ergreifen werden, um ihm an die Gurgel zu springen. Das deutsche Proletariat muß ständig auf der Wacht stehen für sein erstes Staatsbürgerrecht; es muß fich bewußt bleiben, daß es über Nacht gezwungen sein kann, dieses Volksrecht gegen heimtückischen, gefährlichen Angriff mit der Einsetzung aller seiner Kräfte zu verteidigen. Die Dinge liegen eben so, daß dieses Recht nicht bloß von den Junkern bedroht wird, sondern auch in den politisch einflußreichen Schichten der Bourgeoisie heimliche Feinde, auf keinen Fall zuverlässige Schützer besitzt.

Die beste Verteidigung des Reichstagswahlrechts aber ist der Hieb, ist der Angriff auf das Dreitlassenwahlrecht in Preußen, ber Angriff auf die Wahlreformlüge der Junkerregierung. Daß

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diese Verhöhnung der Massen Aussichten hat, Gesetz zu werden, das haben die Reden der bürgerlichen Parteien bei der ersten Lesung der Vorlage im Dreiflaffenhaus ziemlich deutlich ec­kennen lassen. Die kleine sozialdemokratische Fraktion hat da bei tapfer ihren Mann gestanden. Sie hat dem Ministerpräsi benten mit lauten Pfuirufen einen Empfang bereitet, der ihm und den konfternierten und wütenden bürgerlichen Parteien einen fleinen Begriff davon geben fonnte, welcher Zorn und welche Empörung im Proletariat aufzuflammen beginnen. Eine große, kräftige Rede des Genossen Ströbel brachte die Forde rungen der entrechteten Massen und ihren Grimm darüber, daß die Regierung Steine statt Brot bietet, zum lebendigen Ausdruck. Das Beste zur Beseitigung der Dreiflassenschmach muß natürlich außerhalb des Parlaments geleistet werden. Lauter und lauter muß der Donner der Volksbewegung rollen. Die proletarischen Massen müssen durch ihren entschiedenen Vormarsch, durch ihre Entschlossenheit, alles einzusetzen, was die Stunde fordern fann, den Junkern mitsamt den Bourgeois die Erkenntnis einpaufen, daß der Wahlrechtskampf in Preußen nicht eher enden wird, bis das gleiche Recht erobert ist! H. B.

Zur Frauenkonferenz.

I.

Man scheint in den Kreisen der Genossen verschiedentlich der Ansicht zu huldigen, daß die Frauenkonferenzen lediglich ein veraltetes überbleibsel aus der früheren Vereinsrechtspraxis darstellen, daß ihnen heute der Kern innerer Berechtigung fehle. Man betrachtet sie als eine Art Zopf, an dem leicht einmal die demokratischen Grundsätze unserer Partei aufgebaumelt werden könnten. Ängstliche Gemüter mögen vielleicht gar in diesen Tagungen die ersten Ansätze einer erstrebten fünftigen Weiberdiftatur" innerhalb der Partei erblicken. Sie wollen dem übel vorbeugen und schütten das Kind mit dem Bade aus, indem sie Frauenkonferenzen für überflüssig, ja schädlich erklären.

"

Es braucht an dieser Stelle nicht näher beleuchtet zu werden, daß derlei romantische Ansichten und die ihnen entspringenden Befürchtungen gänzlich haltlos sind. Die Genossinnen sind viel zu tief von der demokratischen oder richtiger gesagt der sozial demokratischen Ideologie durchdrungen, als daß sie danach streben sollten, sich den Genoffen gegenüber eine bevorzugtere Stellung zu erringen. Aber aus eben diesem demokratischen Gefühl heraus verwahren ste sich auch ganz entschieden gegen jede Beeinträchtigung ihrer guten Rechte, fie zeige fich in der oder jener Form. Denn eine solche Beeinträchtigung ist gleich bedeutend mit einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit, die sie innerhalb der Partei haben müssen, um ihr trotz der ge­schichtlichen Daseinsbedingungen des weiblichen Proletariats mit aller Kraft dienen zu können. Die Verschleppung der dieses Jahr fälligen Frauenkonferenz wäre aber eine Beschränkung von Recht und Bewegungsfreiheit. Will man auch nur die Form der Demokratie wahren, so müssen zum mindesten die Genossinnen befragt werden, bevor ein bindender Beschluß gefaßt wird.

Ich will nicht Eulen nach Athen tragen und die sachlichen und praktischen Gründe erörtern, die für die Dringlichkeit der Konferenz sprechen. Es sind ihrer vorläufig genug in Nr. 8 und 9 der Gleichheit" angeführt worden. Wir werden bei Bedarf aus der Fülle der unserer harrenden Aufgaben leicht noch mehr schöpfen können.

Solange wir Frauen im Staats- und Gesellschaftsleben niedriger bewertet, den Männern, auch denen unserer Klasse, nicht gleichberechtigt sind, so lange wird es auch eine spezielle Frauenfrage geben. Sie ist ein Teil der allgemeinen sozialen Frage und wird mit dieser erst ihre Lösung im Sozialismus finden. Naturnotwendig zeitigt der heutige Stand der Dinge eine Reihe von Folgeerscheinungen auf wirtschaftlichem und poli tischem Gebiet, die uns immer klarer vor Augen, treten und eingehende Berücksichtigung heischen, weil fie uns Arbeit, Kampf zuweisen. Diese Berücksichtigung können wir ihnen am besten auf unseren besonderen Tagungen angedeihen lassen. Die Ge