168 Die Gleichheit Nr. II ehelicher Kinder 29 934 in der Landwirtschaft beschäftigt warm und 21559 in häuslichen Diensten. Demnach waren also 51484 uneheliche Mütter lebend geborener Kinder, gleich 54 Prozent, in der Hauswirtschaft in weiterem Sinne berufstätig. Nun wurden aber auch noch für 13372 uneheliche lebend geborener Kinder Mütter ohne Berufsangabe gezählt, die vorwiegend in öffentlichen Anstalten ihre schwere Stunde überstanden. 5915 uneheliche Mütter gehörten ferner zur Gruppe: Lohnarbeit wechselnder Art. Der größte Teil davon rekrutiert sich jeden« falls auch aus Dienstboten und Mädchen vom Lande, die kurz vor der Niederkunft die Heimat verließen, um dieSchande" zu verbergen oder in der Stadt eine Existenz für sich und das zu erwartende Kind zu finden. Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet, fällt ein höchst eigm- tümliches Licht auf die Häuslichkeit, speziell auf die gepriesene Idylle des ländlichen Familienlebens, auf die väterliche Beauf« sichtignng und Beschützung der Mädchen durch den Dienstherrn, auf die mütterliche Fürsorge der gnädigen Frau um das Wohl und Wehe der Dienstboten, die unter dem schützmden Dache des christlichen Heims leben. Man läßt die Armenschuldig" werden, überläßt sie dann der Sorgenpein, jagt sie hinaus auf die Straße, und die Herren Väter unehelicher Kinder suchen neue Opfer! Gesellschaftliche Moral, wirtschaftliche und recht- liche Umstände sind ihnen bei der Ausnutzung ihres geschlecht- lichen tzerrenrechls freundliche Kuppler, willige Zutteiber des gehetzten Wildes. Das heuchlerische Getue von der ländlichen Sittlichkeit, der Geborgenheit weiblicher Unschuld in der Häus- lichkeit des mit der Gesindeordnung regierenden bourgeoisen Hauspaschas, und das pharisäerhaste Geschrei über die Sitten- losigkeit in den Städten, besonders in den Fabriken und in den Werkstätten, wird weiter wirkungsvoll illustriert durch die Tatsache, daß den Gruppen Industrie, Handwerk, Handel und Gewerbe insgesamt nur 18453 arbeitende uneheliche Mütter lebend geborener Kinder entstammen. Bringt man die unehelichen Geburten in Beziehung zur Zahl der Berufszugehörigen, dann ergibt sich folgendes Resultat. Die Gruppe: Häusliche Dienste, einschließlich persönliche Be- dienung(ohne das ländliche Gesinde), umfaßte nach der Zählung vom Juni 1907 209508 weibliche Personen, auf die im Berichts- jähr 1908 nicht weniger als 22 555, gleich 19,76 Prozent, un- ehelicher Mütter entfielen. Die Gesamtzahl der unehelichen 99 598 auf die Summe aller gezählten weiblichen Er- werbstätigen und berufslosen Selbständigen   5 762930 verteilt, ergibt eine Prozentziffer von nur 1,73. Die sitte  - bewahrenden Mauern des christlich-dentschen Hauses scheinen arg löcherig zu sein. Die Verhältnisse schreien fönnlich nach durchgreifendem Mutterschutz. Bisher fand diese Forderung in der öffentlichen Agitation erst wenig Berücksichtigung. Das ist erklärlich! Die Schäden des fehlenden Mutterschutzes sind noch lange nicht allgemein erkannt. Hemmend wirkt auch der Mangel an genügendem, leichtverständlichem, aufreizendem Dcmonstrationsmaterial, das in der Agitation verwendet die Massen packt und die weniger interessierten Kreise aus ihrer behaglichen Ruhe aufscheucht. Wohl ist niassenhaft Material vorhanden, aber es liegt meist unverarbeitet in Statistiken oder auch in wissenschaftlichen, nicht populären Abhandlungen und Untersuchungen vergraben. Dort muß es ausgehoben imd ans Tageslicht gefördert, in leicht faßlicher Bearbeitung Gemeingut unserer Agitatorinnen werden. Wenn erst die Augen geöffnet sind ftir die Massenuermch- tung blühenden Lebens, die Unsummen von Qual und Pein, Sorgen und Elend, die als Folgen fehlender und unzuläng« licher Fürsorge für Schwangere, Wöchnerinnen und Säug- linge auftreten, wenn aufgeräumt ist mit einem bequemen Fatalismus, der zu wehrlosem Dulden führt: dann wird die Forderung des Mutterschutzes sich mit in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion drängen. Tie Gesellschaft muß sich mit der Zeit wohl oder übel dazu verstehen, ihr Rechnung zu tragen. Die öffentliche und eingehende Erörterung der Frage in ihrem ursächlichen Zusammenhang mit der kapitalistischen Wirtschafls« weise führt aber über dieses Nechnungtta gen hinaus. Sie wird zum zwingenden Nachweis für die Notwendigkeit der Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft und der Auftichtung der sozialistischen  Ordnung. Diese allein schafft erst alle materiellen und kulturellen Vorbedingungen dafür, daß die Mutterschaft aufhört, in vielen Zehntausenden von Fällen zum Ausgangspunkt namenlosen Jammers für Mutter und Kind zu werden. w. d. Aus der Bewegung. Friedrich Lestuer ch. In London   ist am 1. Februar mit Friedrich Leßner   der älteste Vertreter der revolutionären Sozial- demokratie gestorben. In Blankenhain  (Sachsen-Weimar  ) geboren, kam er 22 jährig alS wandernder Schneidergesell nach London  , wo er sich sofort leidenschaftlich den kommunistischen   Ideen hingab. Er gehörte dem Kommunistischen Arbeiterverein und dem Geheim- bund der Gerechten an und war mit am Werke, als dies« Organi- sation in den Bund der Kommunisten umgewandelt wurde, nach- dem Marx-Engels   ihr den Entwurf des unsterblichen Kommu- nistischen Manifestes vorgelegt und als neues Programm verleidigt hatten. AIS   die Märzstürme durch Deutschland   brausten, ging er mit den beiden Begründern des wissenschaftlichen Sozialismus nach Köln  , um sich dem Dienste der Revolution, der kommunistischen  Ideen zu widnien. Diesem Dienst« blieb er auch in der Zeit der Reaktion treu, verfolgt, gehetzt von deren Schergen. 1851 wurde er verhastet, in den berühmten Kommunistenprozeß verwickelt und in qualvoller Untersuchungshaft gehalten. Stach sechswöchiger Ver- Handlung vor den Kölner   Geschworenen wurde er im Stovember 1352 zu dreijähriger Festungshaft verurteilt, die er in Graudenz  und Sitberberg verbüßte. Nach dem Ablauf seiner Strafe ging derHochverräter" wieder nach London  , wo er in innigster Freund- schaft mit Marx und Engels lebte, von denen er für seine Ent- Wicklung unendlich viel empfing, denen aber auch er gab, denn er gehörte zu den ihnen persönlich nahestehenden Arbeitern, die sie in lebendiger Fühlung mit dem Denken und Empfinden der prole- tarischen Riassen hielten. Sein Rat und seine Tat waren besonders nützlich, als die Internationale Arbeiterassoziation   entstand. An den meisten ihrer Kongresse nahm er teil und vertrat im Streite der noch ungeklärten Meinungen die scharf umrissene, Wissenschaft- liche Auffassung deS Kommunistischen Manifestes. Den Tod von Marx   und später von Engels hat er als den schwersten persön- lichen Verlust betrauert und hat die Erinnerung an diese kühnen, fruchtbaren Denker wie ein kostbares Vermächtnis gehütet. Bis vor ungefähr Jahressrist den 84 jährigen Greis Blindheil befiel, ver- folgte er die sozialistische Bewegung aller Länder mit gespannter Aufmerksamkeit. Der proletarischen Frauenbewegung bekundete er wieder und wieder seine herzliche Sympathie. Unsere älteren Leserinnen werden sich erinnern, wie oft er sie durch Worte des herzlichen Verständnisses und der Anerkennung angefeuert hat. Zum letzten Mal« hat er gelegentlich der ersten internationalen Konferenz sozialistischer Frauen zu chnen gesprochen, deren Be- deutung er erkannte. Solange ihm das Augenlicht vergönnt war, las er eifrig dieGleichheit", und noch in den traurigen Tagen der Finsternis ließ er sich daraus vorlesen. Bis hoch in das Alter hinein ist er frisch und jung im Geiste geblieben. Er hat arm ge- lebt und ist arm gestorben, aber sein Los ist nichtsdestoweniger köstlich gewesen, denn sein Leben hat ganz der großen Sache des revolutionären Proletariats gehört. Das Andenken dieses Tapferen und Treuen   wird bei uns in Ehren bleiben. Zur Franeukonfercuz haben die Genossinnen der drei Dres- dener Wahlkreise in einer besonderen Zusammenkunft Stellung genommen. Genossin Wackwiy leitete die Beratung durch ein eingehendes Referat«in, an das sich mehrstündige Debatten an- schlössen. Ihr Ergebnis war der einstimmige Beschluß, daß die Einberufung einer Frauenkonferenz notwendig sei. Agitation in Mecklenburg  . Was jahrhundertelange Knechtung aus den Menschen machen kann, zeigt die Bevölkerung der Junler- lande Mecklenburg  . Schwer hat es hier bisher gehalten, dem Ge- danken der Völkerbefreiung siegreich Eingang zu verschaffen. Doch eines der festen Bollwerke der Reaktion ist gesallen  : die besonderen vereinsgesetzlichen Bestimmungen, die dem Reichsvereinsgesetz weichen mußten. Mit Feuereifer ging sogleich die Mecklenburger Parteileitung daran, den Junkern das Wasser abzugraben. Bei dieser Arbeit muß jedoch mit den eigenartigen Landes- und Er- werbsverhältnissen gerechnet werden. Industrie ist in Mecklenburg  fast gar nicht vorhanden, und wo sich industrielle Anlagen befinden, find es meist nur Zwergbetriebe. Dazu betreibt jeder Einwohner in Stadt und Land Ackerbau und Viehzucht. Ein Schwein, eine