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Die Gleichheit
Die Wählerinnen zum Parlament des englischen Kolonial landes Viktoria, haben ihr Recht eifriger ausgenügt als die Männer. Die letzten Parlamentswahlen waren die ersten, an denen Frauen teilnehmen durften, denn von allen australischen Kolonial ländern Großbritanniens war Viktoria das lehte, das den Frauen ihr Bürgerrecht gewährte. Von den wahlberechtigten Frauen sind 83 Prozent, von den wahlberechtigten Männern nur 64 Prozent zur Urne gegangen. Die starke Beteiligung der Frauen an den Wahlen ist um so bemerkenswerter, als eine Organisation von Antifrauenrechtlerinnen, die sich der Gleichberechtigung des weib lichen Geschlechts widersetzt hatte, nun mit aller Rührigkeit des Fanatismus dafür agitierte, daß die Frauen ihr Wahlrecht nicht ausnutzen sollten. Diese Damen sind gründlich abgebligt und da mit das Gerede, daß die Frauen das Wahlrecht nicht wollen und nicht gebrauchen werden.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
I. K. Die sozialistische Frauenorganisation vor dem Kongreß der belgischen Arbeiterpartei. Anfang Februar fand in Brüssel ein außerordentlicher Kongreß der sozialistischen Arbeiters partei Belgiens statt, der sich auch mit der Frage der Frauen organisation beschäftigte. Genossin Tilmans hatte über den Stand des Verbandes sozialistischer Frauen im„ Peuple " einen Bericht veröffentlicht, den sie auf dem Kongreß noch ergänzte. Der Bericht muß leider Rückschritte verzeichnen. Unsere Leserinnen wissen, daß der Stand der sozialistischen Frauenbewegung in Bel gien noch nie recht befriedigend gewesen ist, aber es hat sich in letzter Zeit noch verschlechtert. Der nationale ,, Verband sozialistischer Frauen" führt in Wirklichkeit nur noch eine papierene Existenz: er kann keine statistischen Angaben über seine Tätigkeit und ihre Erfolge machen, er erhebt keine Beiträge mehr, er hat sein wirken so gut wie völlig eingestellt. Das in französischer Sprache er scheinende Organ der sozialistischen Frauen,„ La Femme Socialiste", fann schon seit einigen Monaten nicht mehr erscheinen, die vlämische , Stem de Frouw" vegetiert fümmerlich dahin und hat ein großes Defizit, obgleich in Flandern , zumal in Gent , noch die verhältnis. mäßig besten Ansäge zur Organisation der proletarischen Frauen sind. Der„ Vooruit" hat eine ständige Agitatorin angestellt. Ein fleiner Stamm opferbereiter Genossinnen läßt es an Bemühungen nicht fehlen, eine sozialistische Frauenbewegung in Fluß zu bringen, welche die Jdeale des Sozialismus unter die Proletarierinnen trägt und sie den gewerkschaftlichen und politischen Organisationen zu führt. Wieder und wieder entfalten sie eine Agitation durch Vers sammlungen und schrecken vor den Schwierigkeiten nicht zurück, in den reaktionärsten verpfafften Gegenden den Frauen sozialistische Aufklärung zu bringen. Leider finden diese Tapferen nicht die genügende Unterstützung seitens der Partei und der Sekretäre der verschiedenen provinziellen Verbände. Daß trok aller Hindernisse Erfolge erzielt werden können, zeigt die Tatsache, daß es gelungen ist, im Bezirk Turnhout , einer Hochburg des Klerikalismus, 150 Frauen zu organisieren. Die klerikale Partei bekundet feines Verständnis dafür, wie wichtig es ist, die Frauen in geistiger Stumpfheit zu halten. Sie hat ihrerseits einen nationalen Frauenverband gegründet, deren Zweck ist, der sozialistischen Frauenbewegung entgegenzuarbeiten. Das ist vielsagend genug. Genossin Tilmans schlug zur Unterstützung der sozialistischen Frauenbewegung besonders zwei Mittel vor: 1. der Generalrat der Partei soll ein Sekretariat gründen, dessen Aufgabe wäre, die politische, gewerkschaftliche und genossenschaftliche Dr. ganisierung der Frauen zu betreiben; 2. die Parteiorganisationen sollen die beiden oben genannten sozialistischen Frauenblätter tatTräftig dadurch fördern, daß sie diese für ihre weiblichen oder auch männlichen Mitglieder abonnieren. Ihre Vorschläge lagen dem Kongreß in einer Reſolution vor. Die Diskussion über Bericht und Resolution war nicht lang. Genosse Demblon trat für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts und die Förderung der Frauenbewegung ein; Genosse De Visch befürwortete, dem Bei spiel des Genter Vooruit" zu folgen, der eine ständige Agitatorin besolde. Besonders eindringlich befürwortete Genosse Huysmans eine tatkräftige Förderung der sozialistischen Frauenorganisation. Er legte den Finger auf die Wurzel der unerquicklichen Situation, indem er darauf hinwies, daß diese im letzten Grunde aufs engste mit der mangelhaften Organisation der Arbeiterpartei selbst zu sammenhänge. Die Unterhaltung des Frauensekretariats würde 3000 Frs. jährlich kosten. Es ist aber nicht die geringste Aussicht vorhanden, diesen Betrag aus Parteimitteln decken zu können, so lange es an einer ernsthaften zentralisierten Parteiorganisation fehlt.
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Nr. 11
Der letzte Rongreß hat es wiederum abgelehnt, den Parteibeitrag zu erhöhen, dieser beträgt noch immer die lächerlich unzureichenden 10 Centimes( 8 Pf.) pro Mitglied und Jahr. Genosse Huysmans schlug angesichts dieser Sachlage folgende Lösung vor. Die drei größten Genossenschaften Vooruit in Gent , Maison du Peuple in Brüssel und Progrès in Jolimont sollten zu den Kosten des Sekretariats je 500 Frs. jährlich beisteuern, die restlichen 1500 Frs. wären durch die Prévoyance Sociale zu decken, die Lebensversiche rungstasse der Parteimitglieder. Die Resolution der Genossin Tilmans ist zusammen mit dem Vorschlag des Genossen Huysmans in Form eines Wunsches" einstimmig angenommen worden. Das besagt leider noch nicht, daß der Beschluß ausgeführt worden ist. Ahnliche Beschlüsse sind schon oft von den Kongressen der belgischen Arbeiterpartei mit schönster Einstimmigkeit gefaßt und ebenso mit Einstimmigkeit, wieder vergessen worden". Bessere Vorbedingungen für die Entwicklung der sozialistischen Frauenbewegung in Belgien werden erst erstehen, wenn die Arbeiterpartei selbst gut organisiert und von der überzeugung durchdrungen ist, daß auch außerhalb des Parlamentarismus ein weites, fruchtbares Feld für ihre Be tätigung liegt, ein Feld, zu dessen eifrigster Bestellung die Lebensinteressen des Proletariats zwingen.
Soziale Elendsbilder.
Die traurige Lage der Glasarbeiter in Wirges zeigt, was die kapitalistische Ausbeutung fündigt. Infolge der Krise ist der Betrieb der dortigen Glasfabrik eingeschränkt worden. Die Arbeiter werden nur drei Tage in der Woche beschäftigt. Vermittels des Affordsystems werden sie jedoch so ausgebeutet, daß schon nach drei Tagen ihre Kräfte aufgebraucht, ihre Glieder müde sind, als hätten sie die ganze Woche gearbeitet. Affordarbeit- Mordarbeit heißt es nicht umsonst. Da für jedes fehlerhafte Stück Arbeit nichts gezahlt wird, so gelingt es den meisten Arbeitern nur mit Mühe und Not, in den drei Tagen 14 Mt. aus ihrer Arbeit herauszu schlagen. Damit heißt es denn sich einrichten". Das will so viel besagen: alles Verpfändbare ins Leihhaus tragen, Schulden machen und fleißig hungern. Die Arbeiter in Wirges müssen diesem Gebot mit Weib und Kind folgen. Schmalhans ist bei ihnen Küchenmeister, die Kinder laufen zu Hause nur halb bekleidet herum und blicken mit großen, hungrigen Augen in die schönste aller Welten. Wo die Not wie bei den Arbeiterfamilien in Wirges ein ständiger Gast ist, da fehlt es nicht an Krankheit und häufigen Sterbefällen. An den Ausbeutern sieht man keine Spuren der Krise. Ste facken Dividende ein, obwohl sie nach wie vor die ganze Woche faulenzen. Unsere Agitation fällt daher in der Gegend auf einen guten Boden, die sozialistische Saat sprießt luftig in die Höhe. Und das ist der lichte Ausblick inmitten des grauen Elends.
Linchen Baumann.
Zur Beachtung.&
Zur Versendung liegen bereit:
Einbanddecken zur Gleichheit
Jahrgang 1908/1909
in einfacher, aber guter Ausstattung.
a. Die Decke in 4° für das Hauptblatt und die Beilage Für unsere Mütter und Hausfrauen.
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Preis zusammen 1 Mart.
Bei Einzelbestellungen 30 Pfennig mehr für Porto. Titelblatt und Inhaltsverzeichnis werden den Decken gratis beigegeben.
Es empfiehlt sich, die Bestellungen bald an den Verlag gelangen zu lassen. Die organisierten Genoffinnen sollten dafür sorgen, daß die Neuerung in den weitesten Leserkreisen bekannt wird.
Expedition der Gleichheit.