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Die Gleichheit
schuldig? Wie war er auf böse Gedanken gekommen? Er hatte fast gar feinen Umgang mit anderen Jungen, denn dazu fehlte ihm die Zeit. War er unschuldig? Würde sich seine Unschuld beweisen lassen? Und wenn er nun unschuldig ins Gefängnis tame, fonnte er dann nicht wirklich zum Verbrecher werden? Ich hatte oft genug gehört, daß im Gefängnis junge Leute mit abgefeimten Verbrechern zufammenkommen können und dann selber zu solchen werden. Schon sah ich in meiner aufgeregten Phantasie, wie sie meinen Sohn, unseren Stolz und unsere Freude, aus einem Zuchthaus ins andere schleppten, wie er, anstatt ein Freiheitskämpfer zu werden, als gemeiner Verbrecher enden würde. Ich hielt es nicht mehr im Finstern aus und machte Licht. Bei der Betrachtung des lieben, verweinten Gesichts, das da vor mir im friedlichen Schlummer lag, wurde mir zur Gewißheit: Mein Kind ist unschuldig! Und wie ein Gebet stieg es in mir auf: Schlafe ruhig, mein Liebling, deine Mutter wird um dich kämpfen, und sollte sie es mit der ganzen Welt aufnehmen. Ehe ich dich zum Verbrecher machen lasse, gehen wir lieber mit einander aus der Welt.
Auch die längste Nacht geht zu Ende. Der grauende Morgen verscheuchte die Schreckgespenster. Es gelang mir, meine Gedanken auf das Nächstliegende zu konzentrieren. Wir schickten unseren Sohn früh, wie gewöhnlich, zur Werkstatt, nachdem ich ihn noch einmal über alle Einzelheiten ausgefragt hatte. Jede Kleinigkeit konnte für die Aufklärung des Falles von Bedeutung sein. Bald darauf ging mein Mann mit mir, um die notwendigen Erkundigungen einzuziehen. Er mußte mich öfter halten, da mir die Beine den Dienst versagten. Der erste Gang war zu Herrn Dr. M. Er bestätigte die Angaben unseres Sohnes in vollem Umfang und beauftragte uns, seine Vernehmung für denselben Tag zu fordern, da er eine längere Reise antreten wolle. Eine Last fiel uns damit vom Herzen. Eine zweite sollte ihr folgen. Die Frau im Hause des Meisters war empört über dessen Lüge. Sie stellte den Mann zur Rede, da sie überhaupt von gar nichts wußte. Der Meister ließ nun die Lehrlinge und den Gehilfen antreten, und diese bestätigten angesichts der erhobenen Meisterhand, daß unser Sohn faul, dumm, böswillig und noch einiges andere sei.
Wir lösten selbstverständlich das Lehrverhältnis und nahmen unser Kind gleich mit. Auf der Polizeiwache mußten wir von dem Beamten hören, wir hätten ein nettes Früchtchen erzogen, die Angelegenheit sei schon der Kriminalpolizei überwiesen. Dort wollte man uns erst abweisen, da ich aber schnell den Namen des Herrn Dr. M. nannte und dessen Auftrag ausrichtete, erhielten wir den Bescheid, andern Tags früh 9 Uhr wiederzukommen. Wie wir später erfuhren, war Herr Dr. M. ein hoher Justizbeamter. Jetzt hatten wir schon halb gewonnen. Abends vor dem Zubettgehen sagte ich meinem Sohne, Geh, sage deinem Vater ein gutes Wort, du siehst, wie er sich sorgt." Da ging er zum Vater und sagte, ihn offen ansehend:" Vater, du kannst dich auf mich verlassen, ich hab's nicht getan." Diese Nacht war ich ganz ruhig und schlief fest.
Am nächsten Morgen bewaffnete ich mich mit den sehr guten Schulzeugnissen meines Sohnes, die mir vielleicht wichtige Dienste leisten konnten. Bei der Vernehmung stellte es sich heraus, daß der Meister an dem fraglichen Tage mit seiner Familie bei einem Vergnügen gewesen war und die Wohnung von nachmittags 4 bis nachts 2 Uhr leer gelassen hatte. Allem Anschein nach hatte er vergessen, die Vorfaaltür zu schließen. Es schien also gar nicht unmöglich, daß irgend jemand diesen Umstand benutzt hatte, in die Wohnung einzudringen und durch meinen Sohn gestört worden war. Gestohlen war nichts. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß der Meister beim Nachhausekommen den Schlüssel zum Sekretär nicht gleich zur Hand gehabt und selber das Schloß aufgesprengt hatte. Die dunkle Geschichte ist bis heute nicht aufgeklärt worden. Der Beamte, der die Untersuchung führte, zeigte nach einem Blicke auf die Schulzeugnisse ein wärmeres Interesse für meinen Sohn. Er gab ihm die Hand und sagte, er solle immer so brav bleiben, und bei mir entschuldigte er sich für die Unannehmlichkeiten, die er und habe bereiten müssen. Seine Pflicht habe dies erfordert. Meinem Manne schickte ich sofort telegraphisch Bescheid, da er in Geschäften über Land war. Ich fonnte ihn nicht länger in Ungewißheit über den Ausgang lassen. Unser Sohn fand sehr bald eine neue Lehrstelle, und er hat unsere Hoffnungen nicht getäuscht. Er ist ein ganzer Mann und ein überzeugter Klassenfämpfer geworden. Jede proletarische Mutter, die ihr Kind in die Lehre schicken muß, kaum daß es die Schulbant verlassen hat, wird verstehen, was diefe wahre Geschichte ihr sagt. Möge eine jede die Lehre zur Tat werden lassen.
a. n.
Aus der Bewegung.
Nr. 13
Mit der Frage der Frauenkonferenz beschäftigten sich die fozialdemokratischen Frauen Mannheims in ihrer legten, gut be suchten Versammlung. Das Referat hierzu erstattete Genoffin Blase. Sie warf einen Rückblick auf die bisherige Entwicklung der sozialdemokratischen Frauenbewegung und schilderte eingehend, daß es die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse sind, die den Boden für sie bereiten, indem sie die Frauen immer mehr zwingen, sich um die Vorgänge im öffentlichen Leben zu fümmern und zur Verbesserung ihrer Lage selbst Anteil daran zu nehmen. Um die Tätigkeit der Genossinnen recht ersprießlich zu gestalten, genügt das Lesen der Parteiliteratur allein noch nicht. Es sind besondere Zusammenkünfte erforderlich, die einen Meinungsaustausch der führenden und tätigen Genofsinnen ermöglichen. Solche Ta gungen geben den einzelnen Gelegenheit, ihr Wissen zu ergänzen, sie bringen allen eine Fülle von Anregungen, die der Arbeit der Genossinnen im Dienste der Gesamtbewegung förderlich sind. Die Partei hat den Nutzen der Frauenkonferenzen anerkannt und ihnen steigendes Interesse zugewendet. Es ist geradezu unverständlich, wie Stimmen laut werden konnten, welche die heuer fällige Kon ferenz bis zum nächsten Jahr verschieben wollen. Der Hinweis auf die nächste Reichstagswahl ist für eine Vertagung nicht stichhaltig. Die gegenwärtige politische und wirtschaftliche Lage weist der sozialdemokratischen Frauenbewegung große Pflichten zu. Es ist daher zwingende Notwendigkeit, daß sich unsere Genoffinnen in diesem Jahr in Magdeburg zusammenfinden und in ernster Beratung Mittel und Wege suchen, wie am erfolgreichsten Aufklärung in die weitesten Kreise der Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen getragen werden kann, wie die Mitarbeit der Genossinnen in der Partei recht wirksam zu gestalten ist. Folgende Resolution wurde ange nommen:„ Die Versammlung ist der Meinung, daß dieses Jahr dem Parteitag in Magdeburg eine Frauenkonferenz vorangehen foll. Sie ist der Ansicht, daß es bei dem Stand der heutigen Ent wicklung immer Fragen der Organisation und Agitation gibt, au deren Klärung eine Aussprache zwischen den Genossinnen im Inter esse der Gesamtpartei notwendig ist. Alle die Gründe, welche für eine Verschiebung der Konferenz bis zum nächsten Jahr geltend ge macht werden, kann die Versammlung nicht als stichhaltig aner fennen. Sie fordert deshalb, daß die bisher geübte Praxis strifte A. G. eingehalten wird."
Zur Frage der Frauenkonferenz nahm die Frauensektion des sozialdemokratischen Arbeitervereins Meißen und Umgegend in ihrem letzten Diskussionsabend ebenfalls Stellung. In längerer Debatte sprachen sich die anwesenden Genofsinnen sämtlich dafür aus, daß die Konferenz in diesem Jahre tagen soll. Sie vertraten allgemein die Anficht, daß die Konferenz für die Weiterentwicklung der sozialdemokratischen Frauenbewegung dringend notwendig sei. J. H.
Von der Agitation. Die Parteileitung für Mecklenburg ver anlaßte die Unterzeichnete, in 26 Versammlungen über das Thema zu sprechen: Die Frauen und die Politik". In ihren Ausführungen erläuterte die Rednerin, wie Vater Staat die Frau als Steuerzahlerin ausbeutet, und wie es hauptsächlich die indirekten Steuern find, welche die Arbeiterfamilien drückend belasten und mit zu den Ursachen werden, welche die Proletarierin zwingen, so gut wie der Mann dem Erwerb nachzugehen. Hunderttausende Frauen fronden von früh bis spät dem Kapital, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Die Referentin zeigte des weiteren, wofür der Staat die den Werktätigen abgenommenen Steuergroschen ausgibt: nicht etwa für Kulturzwecke, wie Schule, Altersversorgung usw., sondern für den Moloch Militarismus, Marinismus und Kolonialpolitik. Er verschlingt mehr, als der Staat einnimmt, und endlose Pump wirtschaft des Reiches ist die Folge davon. Die Besitzenden find die Nutznießer, die Massen des Volfes die Kosten- und Leidträger dieser Politit. Das Referat wies zum Schlusse nach, daß die Sozialdemokratie die treue Verteidigerin des Wohles und der Rechte der Enterbten ist. Daß die Ausführungen Verständnis gefunden hatten, bewies der reiche Beifall, der ihnen von den Versammelten gezollt wurde, und der greifbare Erfolg für die Partei und die Arbeiterpresse. Es traten der Partei neue weibliche Mitglieder bei:. In Krakow 24, Malchow 35, Röbel 26, Goldberg 38, Stern berg 44, Bruel 80, Warin 26, Büyau 6, Warnemünde 11, Schwaan 19, Güstrow 15, Tessin 25, Sülze 23, Rostock 86, Ribniz 14, Doberau 29, Brunshaupten 24, Gehlsdorf 21, Neubutow 17, Wismar 112, Schwerin 60, Gadebusch 15, Rehna 18, Schönberg 20, Grewsmühlen 12 und Herrn burg 8. Die Versammlungen, von denen manche überfüllt waren, brachten außerdem viele Lefer für„ Gleichheit“ und„ Mecklenburgische Volkszeitung"; in Güstrow wurden zum Beispiel 25 Gleichheits