Nr. 13
Die Gleichheit
beiterklasse folgten inzwischen in den verschiedensten Orten Sonder aktionen, die dafür sorgten, daß der Reaktion feine Ruhe gegönnt war. Die Solinger Arbeiter protestierten in einer wuchtigen Kundgebung gegen den blutigen Polizeiüberfall auf ihre Demonstration am 6. März. Ihr Protest wurde nicht durch die Polizei gestört. Der folgende Sonntag fah imposante Versammlungen und Demonstrationszüge in Frankfurt a. M., Breslau , Elbing und anderen Städten mehr; am Dienstag den 15. März gab es in Kiel , wie früher schon in Frankfurt a. M., einen mutigen Halbtagstreit großer Massen von Arbeitern. Sie wurden von den scharfmacherischen Unternehmern der Werft- und Metallindustrie mit einer dreitägigen Aussperrung„ gestraft"- auch ein Beitrag zur Stellung des deutschen Bürgertums zur preußischen Wahlreform! Auf den Demonstrationszug der Arbeiter schlug die Polizei in brutalster Weise ein. Einige Stunden später floß zu Brandenburg Arbeiterblut in den Straßen. Zwei Tage später aber gab das Proletariat beider Städte der Polizei in unerschrockener Weise in neuen großen Kundgebungen zu verstehen, daß der Wahlrechtstampf durch Polizeiattacken nicht zum Stillstand zu bringen ist. Berlin hatte am 15. März 48 überfüllte Versammlungen, und am 18. März war die Beteiligung an der Ehrung der Märzgefallenen im Friedrichshain größer als je zuvor.
Die reattionäre Presse ist gegenüber diesen fräftigen Zeugnissen des Volkswillens rat- und hilflos. Sie hat alle Direktive verloren, ihre Wut und Angst verrät sich immer wieder, obgleich sie am liebsten den Demonstrationen jegliche Bedeutung absprechen möchte. Nach dem 6. März tobte ein Teil der Ordnungsblätter über die freche Nasführung des Polizeipräsidenten und über die entsegliche Gefahr, die der plögliche Aufmarsch der gewaltigen Massen von Proletariern auf Geheiß der Sozialdemokratie enthüllt habe. Der andere Teil hingegen suchte seinen Lesern ein vollständiges Fiasko der Sozialdemokratie und einen glänzenden Sieg des großen Stra tegen Jagow vorzuschwindeln. Dem Herrn Polizeipräsidenten ge= fiel aus sehr begreiflichen Gründen diese letzte Lesart besser suchte sie zu stüßen durch lächerliche Unterschätzungen der Zahl der Demonstranten. Seine Eignung zum Posten des Polizeileiters von Berlin bewies er außerdem durch die kritiklose Weitergabe einer unfäglich dummen Räubergeschichte von einem Demonstranten, der sich boshafterweise schwer verletzt stellte, um die Massen auf zureizen, und durch die Veröffentlichung des Anerkennungsschreibens eines Weinhändlers, der auf den Hoflieferantentitel spekuliert. Herr v. Jagow hat damit vor aller Welt seine Riesenblamage nur noch beutlicher gemacht die bürgerliche Presse des Auslandes hat für ihn und die preußische Polizeiwirtschaft nur beißenden Hohn und Spott.
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Jm Reichstag hat die sozialdemokratische Fraktion die Jagowsche Mißhandlung des Vereinsgesetzes durch eine Interpellation angenagelt. Die Genossen Ledebour und Heine hielten scharfe Abrechnung mit dem System Jagow und Bethmann Hollweg . Sie fanden eine gewiffe Unterstützung bei dem Freifinn der jetzt der jetzt geeinigten Fortschrittlichen Volkspartei- und selbst den Nationalliberalen. Das allerdings nur so weit, als das Verbot der Verfammlung im Treptower Park in Frage tam von einer Anerkennung des Rechtes auf Straßendemonstrationen schrecken unsere tapferen Liberalen ängstlich zurück. Sehr bezeichnend war es, daß der Zentrumsredner v. Hertling der Regierung beispsang. Zum Verrat am Wahlrecht fügten die Klerikalen also den Verrat am Vereinsrecht; sie scheuen feine Niederträchtigkeit und teine Vers leugnung ihrer früheren Haltung, wenn es gilt, ihre Regierungsfähigkeit zu erweisen und den Junkern gefällig zu sein. Die Arbeiter, die in ihrer Gefolgschaft gehen, suchen die Herren indes burch Aufstachelung des religiösen Fanatismus von der Beschäftigung mit ihren Wahlrechtsinteressen und von der Erkenntnis abzulenken, wie schamlos das Zentrum Voltsinteressen verrät. Sie veranstalten religiöse Sonntagsversammlungen, denen Kirchenfürsten Zugkraft verleihen sollen, und in denen den gläubigen Hörern von einem neuen Kulturkampf, von einer großen Gefahr vorgeschwindelt wird, in der der katholische Glaube sich angeblich befindet.
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Die drei freisinnigen Gruppen haben am 6. März ihre Verschmelzung zur Fortschrittlichen Volkspartei vollzogen. Eine Erneuerung und Erstarkung der bürgerlichen Demokratie wird damit schwerlich verbunden sein die schwankende Haltung der Partei zum Wahlrechtskampf des Proletariats bezeugt es. In Frankfurt hat sie einmal eine Beteiligung an einer großen Straßendemonstration gewagt daran hatte sie genug, für später war sie nicht mehr zu haben. In Breslau hat sie von vornherein versagt, und freisinnige Stadtverordnete und Magistrat haben die Beratung eines sozialdemokratischen Wahlrechtsantrags verweigert. Einige Stimmen aus dem fortschrittlichen
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Lager haben es zwar bis zur Billigung von Straßendemonstrationen gebracht. Dafür sind andererseits Berliner Blätter und Redner des Freisinns erbärmlich genug gewesen, der kämpfenden Arbeiterklasse feig in den Rücken zu fallen, und der große Taktiker und Freiheitsheld Naumann verwahrte sich feierlich dagegen, daß er etwa am 27. Februar einen Demonstrationszug geführt, ja daß er sich auch nur an einem solchen beteiligt habe. Allerdings dürfte es im Lager des klassenbewußten Proletariats kaum noch jemand geben, der diese Verkörperung des Dilettantismus auf allen Gebieten ernst nimmt.
Gewerkschaftliche Rundschau.
H. B.
Das Koalitionsrecht der Arbeiter ist bekanntlich in jüngster Zeit größeren Anstürmen ausgesetzt. Wir erinnern nur daran, mit welch zäher Tücke die Unternehmerverbände versuchen, die bevorstehende Reform des Strafgesetzbuchs ihren Interessen dienstbar zu machen, indem sie in Petitionen ein Verbot des Streikpostenstehens fordern. Und das, obgleich dieses Koalitionsrecht auch heute schon durch die Jurisprudenz start eingeengt ist. Immer wieder werden Versuche gemacht, die Gewerkschaften für angeblichen Boykottschaden haftbar zu machen. Zwar fehlt ihnen die Rechtsfähig. teit, tut nichts! Der Jude muß verbrannt werden! Der Versuch des Vorstoßes glückt doch hier und da. Wie erst, wenn die vielgepriesene Rechtsfähigkeit durch Gesetz den Berufsvereinen vers liehen wird? Den geringen Vorteilen, die sie unseren Gewerkschaften brächte, stehen gewichtige Nachteile gegenüber. Die Rechtsfähigkeit würde zu einer weiteren Beschränkung des Koalitionsrechts führen. Das läßt der Ausgang eines langwierigen Prozesses ers tennen, den der Berliner Bädermeister Lude gegen zwei Angestellte der Berliner Zahlstelle des Bäckerverbandes beziehungsweise gegen diese Bahlstelle angestrengt hatte. Im Berliner Bäckerstreit 1904 hatte Lude die von den Gehilfen ge stellten Forderungen erst bewilligt, danach aber seine Bewilligung wieder zurückgezogen. Dieser Treubruch wurde dem Publikum in Flugblättern bekannt gegeben, die auch etwas über die Reinlichfeit im Betrieb des Herrn meldeten, die übrigens vor Gericht Gegenstand der Erörterung war. Der Bäckermeister flagte darauf auf 6000 Mt. Schadenersatz für Gewinnausfall und Entwertung seines Geschäftes. Der Klage wurde in allen Instanzen stattgegeben. Mit diesem Entscheid wäre den Gewerkschaften das angewandte Abwehrmittel genommen, tarifuntreue Unternehmer zur Erfüllung ihres Wortes zu zwingen. Den Unternehmern aber bleibt es er laubt, durch ihre tadellos funktionierenden Arbeitsnachweise die Arbeiter in Verruf zu erklären. So etwas nennt sich Gleichheit im Staate der vollendeten Rechtsgarantien!
Im Baugewerbe spitzt sich die Situation zu; der Kampf erscheint unvermeidlich. Neuerliche Verhandlungen zwischen den Zentralvorständen beider Parteien sind abermals gescheitert. Die Differenzpunkte sind sehr zahlreich. Den größten Anstoß nehmen die Arbeiter an der Forderung der Unternehmer, daß sie deren Arbeitsnachweis tariflich anerkennen und sich verpflichten sollen, ihn ausschließlich zu benutzen. Weiter verlangen die Unternehmer die Zustimmung der Arbeiter dazu, daß während der nächsten Ver tragsdauer keine Verkürzung der Arbeitszeit unter zehn Stunden eintreten darf; daß die Bestrebungen zur Beseitigung der Atfordarbeit zu unterbleiben haben; daß der Vertragslohn, der bis jetzt in 95 Prozent der Vertragsgebiete ein Einheitslohn oder Minimal lohn war, nur für gelernte tüchtige Arbeiter gelten soll, natürlich unter der Voraussetzung, daß der Unternehmer allein darüber ent scheidet, wer tüchtig ist usw. Das Ansinnen der Bauherren be zweckt eine wesentliche Verschlechterung der Arbeits- und Tarifbedingungen, es ist daher selbstverständlich, daß sich die Bauarbeiter dagegen energisch zur Wehr sehen werden. Ebenso selbstverständ lich ist, daß sie bei dem drohenden großen Kampfe der weitesten Unterstützung der gesamten organisierten Arbeiterschaft sicher sind.
Der Streit der Buchbinder und Kartonnagearbeiter und arbeiterinnen in Plauen ist mit Erfolg für die Ausständigen beendet worden. Die Unternehmer, die sich scharf gegen die organisierten Arbeiter gewendet hatten, mußten schließlich die Organisation anerkennen und einige Lohnerhöhungen bewilligen. Lohnbewegungen bereiten sich im Gärtnergewerbe und im Friseurgewerbe vor, wo die bestehenden beiden kleineren Organisationen mit besonders schlechten Arbeitsbedingungen der Berufsangehörigen zu rechnen haben. Die Münchener Schuhmacher in Kleinbetrieben, 350 an der Zahl, traten in den Ausstand, weil ihre geringen Lohnforderungen nicht anerkannt wurden. Auch in Frankfurt streiken die Schuhmacher. In der Etuibranche in Rathenow drückte ein Streif Lohnerhöhungen von
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