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Die Gleichheit
Tage einen vollen freien Tag. Für außergewöhnliche Arbeiten sind Hilfskräfte anzustellen.
4. Gesetzliche Vorschriften, gesunde, den hygienischen Verhält nissen entsprechende Schlafräume, welche von innen verschließbar sein müssen, und ständige Kontrolle derselben durch die Behörden. 5. Einführung des obligatorischen Fortbildungsschulunterrichts auch für die Dienenden bis zum 18. Lebensjahr.
6. Abschaffung der privaten Stellenvermittlungsbureaus und Einführung von paritätischen Stellennachweisen. ++
Pensionärinnen als Ersatz für Dienstpersonal. Von vertrauenswürdiger Seite wird uns geschrieben:„ Um meine Mitschwestern vor ähnlichem Mißgeschick zu bewahren, wie es mich getroffen hat, fühle ich mich verpflichtet, folgendes in die Öffent lichkeit zu bringen. Vor einiger Zeit kam ich als Pensionärin in das Haus eines Offiziers der Meyer Garnison, welcher in der Nähe der lothringischen Grenze eine Besitzung hat. Ich sollte daselbst den Haushalt erlernen und mich in der französischen Sprache weiterbilden. Ich kannte die Herrschaft nicht, sondern hatte ihre Adresse durch eine Zeitschrift erfahren. Wir traten brieflich in Verbindung miteinander, und die Mitteilungen des Herrn ließen vermuten, daß der Aufenthalt in seiner Familie allen Wünschen entsprechen und der denkbar angenehmste sein werde. Die Wirk lichkeit war aber anders. Die Pensionärinnen dienten nur dem Zwecke, das fehlende Dienstpersonal zu ersehen. Es befand sich ein einziges Dienstmädchen im Hause; es war 15 Jahre alt und wurde vom Morgen bis zum Abend herumgeheßt; wochenlang er hielt es auch Sonntags teine freie Stunde. Den Pension zahlenden Mädchen ging es aber auch nicht viel besser. Tagaus tagein wur den sie auf der umfangreichen Besitzung mit den gröbsten Arbeiten beschäftigt, welche mit dem Erlernen des Haushaltes und der fran zösischen Sprache gar nichts gemein hatten. Der Haushalt selbst bot sehr wenig, was des Lernens wert gewesen wäre. War schon höchst unschön, wie die Mädchen ausgenügt wurden, so war ihre Behandlung geradezu empörend. Diese Leute, welche sich doch zu den Gebildeten zählen, überboten sich geradezu im Gebrauch von beleidigenden und unstatthaften Ausdrücken, auch zeigten sie ein außerordentliches Geschick, die Menschen ihrer Umgebung zu quälen. Ich selbst wurde durch die Überanstrengung und besonders durch die Behandlung, welche ich erfuhr, schwer frank und hatte monatelang zu tun, bis ich mich erholt hatte. Der Fall zeigt wieder recht deutlich, welche Vorsicht solchen Herrschaften gegenüber geboten ist, welche Pensionärinnen und Dienstboten durch Inserate in ent fernten Gegenden suchen. Es sind recht häufig Herrschaften, bei denen die Klagen über Dienstbotennot nicht abreißen."
Wir möchten dieser Einsendung eine Frage hinzufügen: Die Ehre der Offiziere ist ein Rührmich nichtan eigener Art. Sie muß schon bei recht geringfügigen Anlässen durch den Duellmord weiß gewaschen werden, der dem Zivilistenpack" verboten ist. Eine Auflehnung gegen den Zwang dieser Barbarei wird mit dem Abschied geahndet. Leidet die feine Ehre der erhabenen Raste nicht, wenn in einer Offiziersfamilie Pensionärinnen und Dienstmädchen ausgenützt und behandelt werden, als ob sie-- Offiziersburschen wären, die durch Teppichklopfen das Vaterland retten müssen?
Soziale Gesetzgebung.
Her mit der Witwen- und Waisenversorgung. Vor dem Schwurgericht in Halberstadt stand am 7. März die Witwe Emma Schulze, geborene Hafſelnus, aus Aschersleben , geboren in Magdeburg . Sie wurde beschuldigt, in der Nacht vom 19. Jum 20. Mai 1909 versucht zu haben, ihre beiden drei- und zwölfjährigen Töchter durch Leuchtgas zu vergiften. Im Oktober 1908 ist der Ehemann der Angeklagten nach einem Krankenlager von zehn Monaten gestorben. Die Frau wurde dadurch mit ihren beiden Kindern in eine traurige Lage verfeht. Die geringen Mittel, die ihr zur Verfügung standen, waren durch das Krantenlager ihres Mannes bis auf einen Reft zusammengeschmolzen, so daß die bittere Not ein ständiger Gast im Hause wurde. Unermüdlich versuchte die äußerst schwäch= liche Frau irgendeine Arbeit zu erhalten, doch immer vergeblich. Als einzige Hilfe erhielt sie dann und wann von ihrem jüngsten Stiefsohn Unterstützungen. Auch mit einem Mittagstisch, den sie für junge Leute einrichtete, um sich und ihre Kinder zu ernähren, hatte sie teinen Erfolg. Zu dem Kampf ums Dasein tam noch hinzu, daß sich wieder die Anzeichen einer Lähmung bemerkbar machten, an der die Frau vor einiger Zeit ein volles Jahr auf dem Krankenbett gelegen hatte. Alle diese Umstände und die von Tag zu Tag immer größer werdenden Nahrungssorgen trieben fte zur Verzweiflung, in der bei ihr der Entschluß reifte, mit ihren Kindern vereint den Tod zu suchen. An dem fraglichen Tage hatte
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sie ihren Kindern das letzte Stückchen Brot gegeben und ver fügte über keine Mittel mehr, um am nächsten Tage den Hunger stillen zu können. Gegen 11 Uhr abends, nachdem sie vorher thre Kinder zu Bette gebracht hatte, öffnete sie in der Schlafstube die Gashähne, um dem jammervollen Dasein ein Ende zu machen. Die Verzweiflungstat kam nicht zur Vollendung, da das ältere Mädchen in der Nacht aufwachte. Es bemerkte den Gasgeruch, öffnete die Fenster und holte eine Hausbewohnerin zu Hilfe. Während die beiden Mädchen keine nachteiligen Folgen hatten, lag die Frau in einer tiefen Bewußtlosigkeit, die bis zum Nachmittag des anderen Tages anhielt. Nur den wiederholten angestrengten Versuchen des Arztes gelang es, sie wieder zur Besinnung zu bringen. Der als Sachverständige vernommene Arzt bekundete, daß die Frau bei Begehung der Tat, unter Berücksichtigung aller Umstände, nicht voll zurechnungsfähig gewesen sei. Von dem als Sachverständigen vernommenen ärztlichen Leiter der Anstalt Uchtspringe , in der die Frau zur Bes obachtung ihres Geisteszustandes untergebracht war, wurde angeführt, daß in der Familie der Frau ein Fall von Geisteskrankheit zu verzeichnen ist. Auch die vor der Tat sich bemerkbar machende Lähmung, die in den Beinen der Frau zum Teil noch vorhanden ist, habe auf ihr ohnehin schwaches Nervensystem eingewirkt. Nach seinen Beobachtungen hält er es für wahrscheinlich, daß sich die Frau zur Zeit der Tat in einem krankhaften Zustand von Geistesgestörtheit befunden habe. Staatsanwalt und Verteidiger beantragten auf Grund der Beweisaufnahme die Freisprechung der Angeklagten. Von den Geschworenen wurden die gestellten Schuldfragen ver neint, worauf die Freisprechung erfolgte. Die Witwe hat also in all ihrem furchtbaren Unglück noch Glück gehabt. Nun wird ihr auch sicher die entwürdigende Armenunterstützung zuteil. Ehe sie aber Aussicht darauf hat, mußte sie sich und die Kinder an den Rand des Grabes bringen, mußte sie die Qualen der Untersuchungs haft und des Prozesses erdulden. Von den Zehntausenden Witwen, die unter ähnlichen Verhältnissen sich mit den Kindern durchhungern, spricht man nicht. Staat und Reich rühren sich nicht, um ihnen zu gewähren, was sie als Recht von der Gesellschaft verlangen können. Denn die Witwen- und Waisenfürsorge, wie der Entwurf der Reichsregierung zur Reichsversicherung sie vorsieht, ist eine Verhöhnung, feine Versorgung solch Armer.
Frauenstimmrecht.
W. r.
Der Landesverband für Frauenstimmrecht in Schweden hielt seine letzte Generalversammlung in Jonköping ab. Die Tagung, an der viele Mitglieder des Zentralvorstandes teilnahmen, kann in jeder Hinsicht als Erfolg betrachtet werden. Sie erregte am Drte großes Aufsehen und wirkte dadurch agitatorisch, und da alle größeren Blätter eigene Berichterstatter gesandt hatten, wurde diese Wirkung auch in das Land hinausgetragen. Die General versammlung verhandelte über eine erweiterte Agitation und die Gründung neuer Frauenstimmrechtsvereine. Dabei fand ein anregender Meinungsaustausch statt über die Verbreitung von Flugblättern und Schriften, die der Sache des Frauenwahlrechts dienen. Die Vorsitzende, Dr. Lydia Wahlström , berichtete, daß die Ver einsleitung bei der Regierung angefragt habe, ob sie während der laufenden Session des Parlaments eine Vorlage einbringen werde, welche dem weiblichen Geschlecht politische Gleichberechtigung ge währe. Die Antwort war eine verneinende. Die Generalversamm lung befaßte sich des weiteren mit der internationalen Stimm rechtsbewegung und beschloß, der Leitung des Weltbundes für Frauenstimmrecht die Einladung zu übermitteln, den 1911 statt. findenden Kongreß in Stockholm abzuhalten. Andere Verhandlungen betrafen die Stellung der Frauenstimmrechtsbewegung zur Tagespolitik und verschiedene taktische Fragen. Betont wurde, daß eine energische Beteiligung der Frauen an den kommunalen Wahlen ein wirksames Mittel sei, indirekten Einfluß auf die Erste Kammer auszuüben und dadurch den langersehnten Sieg des politischen Frauenwahlrechts vorzubereiten. Eine öffentliche Abendversamm lung krönte die Arbeit der Generalversammlung. Frau Wicksell sprach über das neue Kommunalgesetz, das seit 1. Januar ds. Js. in Kraft besteht. Für die verheirateten Frauen, die nach den Vor schriften des Gemeindegesetzes Bürgerrecht besitzen, ist Stimmrecht und Wählbarkeit an ein persönliches besteuertes Einkommen ge bunden. Frau Wicksell zeigte durch Beispiele, daß sich jede ver heiratete Frau auf Grund eines persönlichen Einkommens von nicht mehr als 10 Kronen einen eigenen Steuerzettel verschaffen kann. Sie betonte bie große Bedeutung, die die lebhafte und energische Beteiligung der Frauen an den kommunalen Wahlen für die Stimm rechtsfrage hat. Fast allgemein hatte man bisher geglaubt, daß bas besteuerte persönliche Einkommen der verheirateten Frau fich