236Die GleichheitNr. 15für einen Kulturstaat, Millionen von Arbeiterinnen all« Rechte vor»zuenthalten, und das gar in einem Falle, wo eS sich um die Ver-tretung ihrer ureigensten Jntereffen handelt. Die Versammlungfaßte eine Resolution, die den Ausführungen der Referentin ent»sprach. Sie fordert die vollständige Gleichstellung der Arbeiterinnenund weiblichen Angestellten mit ihren männlichen Berufsgenossen.Wir haben diese Resolution schon früher im Wortlaut mitgeteilt,-f—j-Jm Auftrag der Parteileitung für den Agitationsbezirl Frank-furt a. M. und Hessen-Nassau sprach die Unterzeichnete in zwölfVersammlungen. Die Tour begann im Siegerlaude, dem Wir-kungskreis des seligen Stöcker. Dort steht das Sektenwesen wienirgends in Blüte. Langsam, ganz langsam nur zieht die Erkennt-nis ein. Die alles umwälzende kapitalistische Produktionsweise räumtauch dort mit dem Althergebrachten auf. Wo die Fabrikschlote zurauchen beginnen, da wird das patriarchalische Verhältnis zwischenMeister und Geselle allmählich aufgelöst und der Jnteressengegen-sah zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten tritt stärker hervor.Ein übriges tut die auf Auspowerung der Massen abzweckendeReichssteuerpolitik. Da ist es denn kein Wunder, daß auch imSiegerlande die Köpfe und Herzen für den Sozialismus gewonnenwerden. Die Versammlungen in Siegen, Eckelshausen, Fern-dorf und Berleburg waren Beweise dafür. Die Tagesordnunglautete:»Mehr Volksrechte statt mehr Steuern!� In Siegen wurdedie Veranstaltung zu einem Protest gegen die preußische Dreiklassen-schmach. In den Dörfern Krofsdorf und Kinzenbach war dieVersammlung auch von den Frauen gut besucht. Diese arbeitenhier vielfach in Zigarrenfabriken. Der Versammlung in Wetzlarwohnten 450 Personen aus allen Bevölkerungsschichten bei. Uberhundert mögen umgekehrt sein, weil sie der Saal nicht faßte. Aufder Tagesordnung stand:„Kochtopf und Politik". Mit äußersterAufmerksamkeit folgten die Anwesenden dem Bortrag und spendetenzum Schlnsse reichen Beifall. Zur Agitation wurde die Bebelnummerder„Gleichheit" verteilt. In Gießen, Dotzheim, Frauenstadtund Bierstadt wurde das Thema behandelt:„Die Frau im poli-tischen Leben". Auch hier war der Besuch sehr zahlreich, klberallwurden neue Mitglieder für die Partei und Leserinnen für die„Gleichheit" gewonnen. In Wiesbaden sprach die Unterzeichnetenoch in einer Versammlung von Kapselarbeiterinneo und ineiner Schneiderinnenversammlung, die den in Betracht kom-Menden Verbänden Neuaufnahmen brachten. Lincheu Baumann.In Stettin fand am 17. März eine öffentliche Frauenver-s a m m l u n g statt, in der die Genossinnen gegen die Schmach derWahlrechtsvorlage und der Junkerherrschaft Protest erhoben. Ge-nossin Baader hatte das Referat übernommen. Ihre treffendenAusführungen wurden mehrmals von lebhaftem Beifall unter-brachen. Die Rednerin schilderte äußerst lebendig die Zustände imdeutschen, speziell im preußischen Klassenstaat, wo die besitzendenSchichten miteinander wetteifern, das Volk auszubeuten, und be-strebt sind, es politisch möglichst rechtlos zu erhalten, um»S be-quemer beherrschen zu können. Sie zeigte, wie die Junkersippe undihre Helfershelfer, das Zentrum, die Regierung für ihre Aus-beutungsgelüste gebrauchen. Gerät dadurch Thron und Altar insWanken, so lümmert das die Herren wenig; wir aber können unsnur freuen, daß sie uns dergestalt in die Hände arbeiten. DieRednerin schilderte, wie die ihr Recht fordernden Massen durch dieStützen der Gesellschaft, die sie selbst unterhalten, durch Polizeiund Staatsanwaltschaft niedergerungen werden sollen. Darummüssen Proletarier und Proletarierinnen Seite an Seite kämpfenfür ein wahrhast demokratisches Wahlrecht. Vor dem Ansturm desvereinigten Proletariats werden die Schranken fallen, die die real-tionären Mächte zum Schutz« der DreiNassenschmach aufgerichtethaben. Stürmischer Beifall lohnte die Ausführungen der Rednerin.Als prattisches Resultat der Versammlung ist der Beitritt von 2SProletarierinnen zum Wahlverein zu verzeichnen. Di« Zahl seinerweiblichen Mitglieder beträgt nunmehr 210. Di« Etettiner Ge-nossinnen werden nicht rasten und ruhen w ihrer Arbeit, auch dieFrauen des werktätigen Volkes um die Fahne der sozialdemokratischenPartei zu scharen. Berta Horn.Frauen»ei den Wahlrechtsdemonstratiouru. Eine bedeutsam«Erscheinung zeigten die großen Tage unserer Straßendemonstrationenfür das Wahlrecht. Man sah viele Frauen dabei. DaS ist natürlichverhältnismäßig zu nehmen. ES gibt viel« Genossinnen, die sonsttapfer mit an der Front stehe» und brennend gern bei unserenDemonstrationen dabei gewesen wären, und die doch zu Hausebleiben mußten. DaS sind die vielen, die kleine Kinder haben undkeinen, der ihnen die Wartung auf einig« Stunden abnimmt. BeiAbendversammlungen lassen st« wohl die Kleinen schlafend imBettchen und gehen fort, mst Angst im Herzen— im Konflikt derbeiden starken Antriebe: Mutterpflicht und Pflicht der klassenbewußtenProletarierin. Aber waS bei Abendversammlungen zur Not geht,das ist am Sonntagmittag unmöglich. Wie viele Frauen auch gibtes, die Sonntags viel mehr zu tun haben als wochentags. Frauen,die dem Verdienst nachgehen und Sonntags notdürftig ihr Haus-wesen instand bringen müssen. Daß der Mann und vielleicht er-wachsen« Kinder dann zu Haus« bleiben, bedeutet in den meistenFällen keine Erleichterung der Arbeitslast. Es ist auch für denproletarischen Haushalt nicht möglich, daß alle Glieder an einemSonntag in das Restaurant zum Essen gehen. Also heißt es fürdie Hausmutter: Mittagkochen. Das sind kleinliche und scheinbarunbedeutende Tatsachen, und doch sind sie geeignet, viel« Frauenvon der Teilnahme an einer Demonstration abzuhalten. Denn garmanch« können das Haupt nicht erheben über die täglichen drängen-den Erfordernisse ihrer unaufhörlichen Arbeit. Gar viel« habennicht die Kraft, ihre quälenden täglichen Pflichten einmal für da!weniger Wichtige und den Kampf draußen für das Bedeutungs-vollere anzusehen. Und diese Hunderttausende gedrückter Sklavinnender Arbeit, das sind vielfach die Frauen unserer Parteigenossen.Viele proletarisch« Frauen haben es noch nicht begriffen, wie-viel auf dem Spiele steht, wieviel geopfert werden muß an Gutund Blut. An Gut und Blut! Das ist leine Phrase bei unseremKampfe um das allgemeine Wahlrecht.Aber Hunderttausende dieser Proletarierinnen haben es instinktivempfunden, daß es um große Dinge geht. Darum haben sie ihreMänner und Söhne nicht zurückgehalten, auf die Straße zu gehenund sich entblößten Schutzmannsklingen und stampfenden Pferde-Hufen entgegenzustellen. Passiv waren sie dabei, die Massen derscheinbar stumpfen, der noch niedergedrückten Frauen. Und diese?Heer Schlafender beginnt zu erwachen. Das Äußerste an Entrechtungund Ausplünderung, das dem Proletariat mit frechem Hohn ge-boten wurde, bringt sie dazu, sich aufzubäumen. Ohne die Sym-pathie jener vielen unbewußten und ungekannten Proletarierinnenwäre die Wucht unserer Demonstrationen nicht möglich gewesen.Da? dürfen wir nicht außer acht lassen.Viele proletarische Frauen aber waren auch aktiv bei den Kund-gedungen. Es sah sich fast idyllisch an, als bei unserem Humor-vollen Spaziergang im Berliner Tiergarten Mann und Frau Armin Arm dahinschritten. Die hellen, bunten Kleider der Frauen, dieauS den Alleen leuchteten, die hohen Stimmen beim Gesang derArbeitermarseillaise: wie hübsch, wie fröhlich machte sich das alles.Bürgerliche Blätter schrieben am anderen Tage, daß die Anwesen-heit der vielen Frauen dem Heer der Demonstranten einen fallheiteren Zug verliehen hätte. Das war leine Rotte wüster Gesellenmit dem Willen zu bösen Gewalttätigleiten— mit dem Ludergeruchder Revolution! Das waren„respektable" Bürger und Bürgerinnen,die ruhig und ernst ihr Recht forderten.Die Taksache aber, daß so viele Frauen an der Demonstrationteilgenommen haben, ist im Grunde weniger stiedlich. Wir zeigtenschon, daß es für Frauen erheblich schwieriger ist als für Männer,sich am Sonntag frei zu machen und an einer Aktion in der Straßeteilzunehmen. Und dann war es gefährlich, dabei zu sein. Nie-mand konnte wissen, ob er nicht zum Krüppel geschlagen werde.Trotz der Gefahr jedoch oder sogar gerade deswegen sind die Ge-nossinnen mitgegangen! Das schwache Geschlecht ist kein furcht--sameS Geschlecht, wenn Großes auf dem Spiele steht. Noch stetsund überall in der Geschichte, wo die Not des Volkes unerträglichgeworden, wo das Maß der Herrschenden voll war, traten dieFrauen auf den Plan— oft genug mutiger, kampfentschlossener wiedie Männer. Di« Frauen sind immer das erste und das letzte Auf»gebot gewesen. Und sie haben stets gekämpft mit der verzweifeltenEntschlossenheit derer, die keinen anderen Ausweg sehen. Das Hervor-treten der Frauen ist auch jetzt ein Sturmzeichen. Ist eine Kundedavon, wie tief die Erbitterung geht, wie allgemein die Empörungist gegen die schamlose Entrechtung der breiten Massen. Es istaber auch«in Zeichen für die politische Reife der erwachten Prole-tarierin. Die Frau, der wie dem Mann vom Vampir KapitalismusdaS Lebensblut ausgesaugt wird, die die Schmach der Rechtlosig-Kit mindestens ebenso drückt wie ihn, die beginnt auch einzusehen.daß ihr Platz im Kampfe um Freiheit nur an der Seite ihres Ge-fährten in Drangsal und Not sein kann. Diese Frauen beteiligtensich an den Demonstrationen, weil sie wissen, daß es für den prole-tarischen Kampf zunächst gilt,„das Recht auf die Straße" zu er-ober». Eine Position war zu nehmen, die Frauen marschierten ingleichem Schritt und Tritt, von Kampfmut und Zielklarheit beseelt.DaS konnte jeder erwarten, der die proletarische Frauenbewegungkennt, und doch steht es uns an, uns darüber zu freuen, daß dasErwartete eingetroffen ist. Auch fortan muß es für uns Frauen gelten:Kein« Aktion der Partei mehr ohne die Frauen. Der Kampf der Sozial-demokratie ist der Weg zu unserer Freiheit! Ketty Guttmann.