Nr. 15 Die Gleichheit 239 geben, als dieselben in einer vernünftig bemessenen Arbeitszeit pro Tag fertigzustellen in der Lage sind. AlS Maßstab hierfür gilt die durchschnittliche Leistung der Mehrheit der in der Branche und in dem betreffenden Arbeitszweig tätigen Arbeiterinnen. Der Zweck dieser Bestimmungen ist, die übermäßige Ausdehnung der Arbeits- zeit für Heiniarbeiterinnen entgegenzuwirken. Sie scheinen unS nicht gerade vorbildlich formuliert, und ob sie ausreichen werden, daS übel zu bekäinpfen, muß die Zukunft lehren, überhaupt bleibt ja abzuwarten, wie die Unternehmer den Vertrag auslegen und re- spektieren werden. Jedenfalls wird die Organisation der Arbeiter alles tun, um die Jnnehaltung deS Vertrags zu erzwingen, aber sie kann nicht nur für die Arbeiterschaft, sondern st« muß durch sie wirken. Die Arbeiterinnen der Braunschweiger Konservenindustrie haben leider, trotz der Verbesserungen, die der Verband für sie er- rungen hat, bis jetzt zum großen Teil den Anschluß an die Organi- sation noch nicht gefunden. Hoffentlich betreten sie nun endlich den Weg, der zu verbesserten Arbeitsbedingungen, zu einer kultur- würdigen Existenz führt. d. ocli. Ans der Textilindustrie. Wir haben in Nr. IS der»Bleich- heit" schon über den Mißstand der Spulerinnen in Hüningen berichtet. Trotz der anfänglich schlechten Aussichten verlief der Streik dank dem Eingreifen des Textilarbeiterverbandes doch nicht ganz erfolglos. Der Taglohn der Arbeiterinnen wurde zwar nicht um 20 Pf. pro Tag, wohl aber um 16 bis 18 Pf. erhöht. Die Arbeiterinnen haben infolge dieses Vorganges«ingesehen, daß sie ohne Organisafton machtlos sind, und sind durchweg dem Textil- arbciterverband beigetreten. Auch bei der Firma Uhde-Hüningen kam eS kürzlich zu einer Auseinandersetzung. Hier trieben vor allem schwere Mißstände moralischer Art in einen Ausstand. Der Spulermeister pflegte die Arbeiterinnen mit unsittlichen Anträgen zu verfolgen. Wurde er abgewiesen, so suchte er sich als Vor- gesetzter auf jede Weise zu rächen. Zwei Arbeiterinnen hatten seinen abgewiesenen Gelüsten die Kündigung zu verdanken, eine dritte war davongelaufen, um sich allen Weiterungen zu entziehen. Dazu kam, daß die Spulmeisterin, die schon lange bei der Firma be- schäftigt war, durch allerlei Schikanen dazu getrieben wurde, die Arbeit niederzulegen. Daraufhin stellten die Arbeiterinnen ihrer- seits ebenfalls die Arbeit ein. Sie forderten die Entlassung deS Meisters und die Wiedereinstellung der entlassenen Arbeiterinnen sowie der Spulmeisterin. Da die Mehrzahl der Arbeiterinnen or- ganisiert ist, griff die Gewerkschaft ein. Der Geschäftsführer deS Textilarbeiterverbandes wurde mit drei Spulerinnen bei der Direk- tion vorstellig. Diese lehnte es jedoch ab, mit dem Beauftragten der Gewerkschaft zu verhandeln. Da im Betrieb kein Arbeiter- ausschuß besteht, vertraten nun die drei Spulerinnen allein die Cache ihrer Kolleginnen. Tie Verhandlungen vom Ausstand unterstützt hatten Erfolg. Dem Meister wurde gekündigt, die entlassenen Arbeiterinnen und die Meisterin wurden wieder ein- gestellt. Der Streik hatte noch ein kleines Nachspiel. Tin Arbester wurde entlassen, weil er zu einer Arbeitswilligen gesagt hatte, eS sei nicht schön von ihr, daß sie den Streikenden in den Rücken falle. Es ist daher Pflicht der Genossinnen, ihren Einfluß geltend zu machen, um Zuzug von Seidenwebern und Spulern fernzuhalten. Von dem Streitfall abgesehen, ist auch die Lage der Seidenweber und Spuler' im Betrieb Uhde keine so glänzende, wie sie die Firma in den Zeitungen schildert.* n- Genossenschaftliche Rundschau« Im Herzogtum Gotha hat die Regierung dem Landtag ein Cteuergesetz vorgelegt, da? unter anderem auch eine unerhörte Conderbesteuerung der Konsumvereine bezweckt, denen fast nur arme Arbeiter angehören. Der Gesetzentwurf, so schreibt die »Konsumvereins-Korrespondenz�, läßt erkennen,»wie rapide der Liberalismus abwirtschaftet, der vor Zeiten einmal hier Heimat- berechtigt war. Die armen Holzfäller, Waldarbeiter, Kleinbauern und Heimindustriellm des Herzogtums verfügen nur über ein sehr schmales Einkommen. Die Not zwingt sie zu sparsamster Lebens- führung. Sie bildete auch die unmittelbare Veranlassung zur Ent- stehung zahlreicher Konsumvereine, die man in den kleinste», weit- entlegensten Dörfern findet, wo oft sämtliche Gemeindemitglieder dem Konsumverein angehören. Früher wurde von der Regierung der Wert der Konsumvereine für die Wirtschaftsführung dieser schlecht entlohnten, vom Verkehr abgeschnittenen Bevölkerung offen anerkannt. Zahlreiche Kundgebungen zugunsten der Konsumvereine sind vom Regierungstisch aus schon in Gotha erfolgt. Aber nun hat sich das Blatt gedreht.... Die Regierung glaubt die Wähler- stimmen der paar Tausend Lebensmittelhändler nicht entbehren zu können, und um diese Krämer bei guter Laune zu erhalten, sollen nun die Zehntausende Konsumvereinsmitglieder unter ein Ausnahme- steuerrecht gestellt werden. Im Entwurf des Gemeindeabgaben- gesetzeS wird die Einführung einer nach dem Umsatz bemessenen Betriebssteuer für Warenhäuser und Konsumvereine vorgeschlagen. Während aber für die Warenhäuser eine Höchstgrenze festgesetzt wird, soll die Umsatzsteuer für Konsumvereine in chrer Höhe nicht begrenzt sein. Handwerkergenossenschaften und Genossenschaften der Landwirte werden von der Umsatzsteuer ausdrücklich ausgenommen. Diese Genossenschaften erhalten sogar Staatssubventionen. Der Plan ist charakteristisch für die Beurteilung, die das Konsumvereins- wesen gegenwärtig in Gotha erfährt. Er stellt nicht? anderes dar als«inen Versuch, die Konsumverein« zu erdrosseln. Der genossen- schastlichen Betätigung der breiten Massen de? Volkes soll jede Er- folgsmöglichkeit geraubt werden, der SteuerfiskuS trägt Verlangen nach den Sparpfennigen der Ärmsten des gothaischen Volkes.... Wird der Landtag des Herzogtums Gotha sich dabei als willfähriger Helfer der Regierung erweisen? Di« Gefahr, daß dieses geschieht, ist groß, wenn nicht die Konsumvereine alles aufbieten, um dem Lande die wahre Natur des für sie in Aussicht genommenen Aus- nahmesteuerrechts klarzumachen". In derselben Zeit, da die gewiß nicht im Geruch freiheitlicher Allüren stehende sächsische Regierung ein« Landesumsatzsteuer mit Nachdruck ablehnt, kommt man in Gotha mit einem unglaublich ungerechten derartigen Vorschlag! Das ist bezeichnend! Der Breslauer Konsumverein, der nach seiner Mitglieder- zahl der größte der Welt ist, unterhält nach seinem Jahresbericht für 1909 neben einem Hauptlager 7£> Warenabgabestellen und vier Kohlenlager. Er betreibt außerdem eine Destillation und Likör« fabrik, Kaffeerösterei, Gewürzmühle, Brotfabrik, Mineralwasser- fabrik und Abfüllerei für Honig und Ole. Die Mitgliederzahl des Verein? betrug 93100, der Erlös für Waren 21437678,37 Wik. Der Nettoüberschuß belief sich auf 2 312 739,62 Mk., von denen 41493 Mk. zur Verzinsung der Geschäftsguthaben der Mitglieder dienen sollen. 85330 Mk.(!) sind bestimmt zu Tantiemen für Direktion und Verwaltungsrat, 2339430 Mk. zur Zahlung einer Rückvergütung von 11 Prozent. An Steuern und Gebühren zahlte der Verein 1909 insgesamt 325 930 Mk. Dieser Konsum- verein steht unter bürgerlicher Leitung. In einer modernen, von Arbeitern beeinflußten Genossenschaft wäre«ine so enorm hohe Vergütung für Gefchästsführung und Aussichtsrat unmöglich. Der Durchschnittsumsatz auf das Mitglied ist(231 Mk.) sehr nieder. Ende 1909 wurde im österreichischen Abgeordnetenhaus die Frage der Teuerung der Lebensmittel behandelt. Das Parka- ment wählte eine Kommission, die als der»Teuerungsausschuß" weiterleben wird. In diesemTeuerungsausschuß" sind nun ver- schieden« Vorschläge zur Bekämpfung der Teuerung gemacht worden. Uns interessiert vornehmlich ein Vorschlag, der von dem sozialdemokratischen Abgeordneten Or. Renner herrührt. Dieser hat in der Kommission folgenden Antrag gestellt:»Die Regierung wird aufgefordert, den Interessen der Konsumenten jenen Schutz und jene Förderung, welche bisher die Produzenten genossen haben, durch legislative und budgetäre Maßnahmen zuzuwenden. Als solche Maßnahmen sind vor allem anzusehen: Die Errichtung von Beiräten für Konsumenteninteressen durch Berufung von Fach- männern deS ApprovisionierungswefenS und der Konsumenten- organisationen und die Aufwendung staatlicher Mittel für die Konsumgenossenschaften. Alle gesetzlichen und admini« strativen Benachteiligungen dieser Art von Genossenschaften sind zu beseitigen, und die Anschläge der organisierten Händler und Zwischenhändler auf diese wirtschaftliche Assoziationsform sind ab- zulehnen und zurückzuweisen. Die Regierung wird aufgefordert, diesen Grundsätzen entsprechende Vorlagen dem Abgeordnetenhaus unverzüglich zu unterbreiten und angemessene Beträge in das Budget für 1910 einzusetzen." Bei dem innigen Verhältnis, das in Öfter- reich zwischen unserer Partei und den Konsumvereinen der Arbeiter besteht, ist selbstverständlich, daß dieser Antrag im Einverständnis mit den maßgebenden Instanzen der letzteren gestellt wurde. DaS ergibt sich auch aus einem Artikel des Organs des Zentralverbandes österreichischer Konsumvereine, in dem der Antrag zustimmend be- handelt wird. Der Vorgang verdient insofern Beachtung, als nicht nur in Deutschland , sondern in allen Ländern mit starker Konsumvereins- bewegung die materielle Hilfe oeS Staates für die Genossenschaften prinzipiell abgelehnt wird. Da wo der Staat für bestimmte Genossenschaftsarten Mittel aufwendet in Sachsen und Preußen zum Beispiel für die agrarischen und Handwerkergenossenschaften, wird dief« Ctaatshilfe bekämpft. Unsere Genossen in Osterreich scheinen, dem Inhalt des erwähnten Artikels nach, entgegengesetzt zu argumentieren: weil der Staat für die bürgerlichen Genossen-