252Die GleichheitNr. 16fanden außerdem statt in Hüttenroda, Hasselfelde, Zorge,Blankenburg a. Harz, Veltenhof, Rüningen, Oelper,Leh n d orf, Querum, Brentzen,Vechelade,Bienrode,Glo es-marode und Roddachshausen, llberall wurden neue Kämpferund Kämpferinnen für unsere Sache gewonnen. In Duttenstedtmußte die Versammlung leider ausfallen, weil die Genossen keinenSaal erhalten konnten.— In Braunschweig war eine Versamm-lung unter freiem Himmel als Protest gegen die Wahlrechtsvorlagepolizeilich genehmigt worden; verboten war jedoch die Dekorierungdes Versammlungsplatzes, die Bildung von Zügen nach dem Wegezur Versammlung, das Tragen von Fahnen oder sonstigen auf-fälligen Abzeichen. Die Frauen bewiesen durch ihr zahlreiches Er-scheinen lebhaftes Interesse an der Wahlrechtsfrage. Die Zahl derDemonstranten belief sich auf weit über 25000. Von drei Tribünenherab wurde die Forderung einer demokratischen Wahlrechtsreformerhoben. Nach Absingen der Arbeitermarseillaise zogen die Ver-sammlungsbesucher, unter ihnen viele Frauen, in kleinen Truppsdurch Nebenstraßen nach Hause. Seit dem 26. Januar, dem Demon-strationsabend der braunschweigischen Arbeiterschaft, bei dem diePolizei die Willenskundgebung für das Wahlrecht im Blute er-sticken wollte, hat der„Volksfreund" 1350 neue Abonnenten ge-wonnen. Hier wie überall hat der Wahlrechtskamps den Bodenfür die Aussaat der sozialistischen Ideen bereitet, die lustig in dieHalme schießen. Ida Rauhe.Di« Frauen des sächsischen Erzgebirges beginnen sich zu rühren,sie suchen Fühlung zu bekommen mit dem politischen Leben. IhreAufrüttelung verdanken wir in nicht geringem Maße der famosenReichsfinanzreform. Auch die unerwartet großen Erfolge der Sozial-demokraten im Landtagswahlkampf haben nicht wenig beigetragenzur Stärkung des Selbstbewußtseins und der Siegeszuversicht inden Reihen des Proletariats im Erzgebirge. Es galt, diese günstigeSituation auszunutzen, um die Erwachten aufzuklären über dasWesen des Klassenkampfes und sein Ziel, und sie einzuführen indie Welt des Sozialismus. Denn durch die Einsicht in das Wesendes Klassenkampfes muß das Proletariat zur Erkenntnis kommen,daß es nickt genügt, bei den Wahlen einen sozialdemokratischenStimmzettel abzugeben, daß sie zu dem großen historischen Kampfeeiner festgefügten Organisation, eines straff disziplinierten und ziel-klaren Arbeiterheeres bedürfen. Mehr und mehr setzt sich der Or-ganisationsgedanke auch in den entlegensten Orten des Gebirgesdurch. Der Kapitalismus selbst ist es, der die Vorbedingungen dazuTag für Tag schafft. In seinem Bestreben, an Arbeitslöhnen zusparen, errichtet das Kapital Fabriken im Gebirge, wohl wissend,daß die bedürfnislosen erzgebirgischen Arbeiter und Arbeiterinnenihre Arbeitskraft weit billiger verkaufen als ihre Arbeitsbrüder inden Städten. Es ist namentlich die jüngere Generation, die Arbeits-gelegenheit in den Fabriken sucht und dort für wahre Hungerlöhneund unter äußerst gesnndheitschädlichen Verhältnissen schanzt. DieAlten dagegen können sich nur schwer entschließen, der überliefertenErwerbsform, der Heimarbeit, zu entsagen, weil sie sich einbilden,so mehr ihr„eigener Herr" zu sein. Allein das Kapital nährt geradedurch die Befriedigung seines Ausbeutungstriebs zugleich seinenTodfeind, das klassenbewußte Proletariat. Sind die isolierten Ar-beiter der Heimindustrie naturgemäß sehr schwer zu einem gemein-samen Vorgehen gegen ihre Ausbeuter zu bewegen, so erkennen diein großen Scharen zusammenarbeitenden Lohnsklaven in den Fabrikenbald die Gemeinsamkeit ihrer Interessen und damit auch die Not-wendigkeit des Zusammenschluffes zum wirtschaftlichen und poli-tischen Kampfe. Man kann sich die traurige Lage der Bevölkerungdes Erzgebirges vorstellen, wenn man bedenkt, daß der Lohn oftweit unter dem Durchschnittslohn der städtischen Arbeiter zurück-bleibt, die Lebensmittelpreise dagegen und die Transportkosten höherfind. Es ist fast unbegreiflich, wie diese Leute bei dem knappenVerdienst auch nur das nackte Leben fristen können. Mehr alsirgend wo anders haben hier die Frauen unter der doppelten Aus-beutung als Arbeiterin und Hausfrau zu leiden. Sie sind zu wahrenLasttieren herabgesunken. Von der bitteren Not gepeitscht, müssensie als Heimarbeiterinnen enisig die Hände rühren von früh bisspät. Oft tragen noch, wo die Art der Arbeit es einigermaßenmöglich macht, wie zum Beispiel in der Spielwarenindustrie, dieKinder zu dem kargen Lohne bei. Doch wird auch die ganze Familievom Kapital ausgebeutet, reicht dennoch oft der Verdienst nichtzum Allernotwendigsten. Diese Geknechteten aufzurufen, sich mitihren Klassengenossen ein sonnigeres Dasein zu erkämpfen, sollte derZweck der Agitationstour sein, die die Unterzeichnete Ende Februarim Auftrag des 20. und 21. sächsischen Wahlkreises unternahm.Es war das erstemal, daß man hier speziell unter den Frauenagitierte. Di« Genossen anerkennen wohl, daß eS im Interesse derGesamtbewegung nötig ist, die Frauen aufzuklären, sie standen aberdoch der Agitation etwas pessimistisch gegenüber und glaubten nicht,daß wir einen nennenswerten Erfolg erzielen würden. Die Arbeitunter den Frauen des Erzgebirges sei mit hunderterlei Schwierig-leiten verknüpft. Sie sollten jedoch recht angenehm enttäuscht werden.Die Versammlungen, die überall gut vorbereitet wurden, erfreutensich eines überaus starken Besuchs und waren zum Teil sogar über-füllt. Durchschnittlich fanden sich ungefähr 300 Personen ein. Diemeisten der Besucher waren Frauen und Mädchen. Es zeugt fürdie Regsamkeit der Frauen, daß sie den oft stundenweiten Wegzum Versammlungslokal nicht scheuten und mit großer Aufmerk-samkeit den Ausführungen folgten über die Themata:„Die Frauund der Sozialismus" und„Die Frauen und die gegenwärtigepolitische Situation". Es sind gerade die Frauen, welche die Folgender Steuer-, sowie der Zoll- und Handelspolitik der Reichsregierungam empfindlichsten verspüren und doppelt daran interessiert sind,daß dieses System der Volksausplünderung aufgehoben wird. Dabeierkennen die Arbeiter des Erzgebirges als Grenzbewohner viel klarerden ungeheuren Einfluß, den die Zölle auf die Verteuerung derLebensmittel haben. In den Orten des Erzgebirges, die hart ander böhmischen Grenze liegen, wandern die Leute nach Böhmenund kaufen dort ihre Lebensmittel, wo sie besonders das PfundFleisch um 30 bis 35 Pf. billiger bekommen als im lieben Vater-land. Sicher genügt es nicht, diese Politik der herrschenden Klassenund ihre Folgen für die Arbeiterschaft nur zu kritisieren. Es kommtvor allem darauf an, die Proletarierinnen darüber aufzuklären,warum sie die Enterbten sind, und sie zum Kampfe gegen die Ur-fache ihrer Entrechtung zu rufen: gegen das Wirtschaftssystem,das auf der Ausbeulung der unteren Klassen beruht. Haben wirauch die Frauen für diesen Kampf gewonnen, dann werden wir umso eher zum Ziele gelangen.— Der Versuch mit diesen Versamm-lungen, auch hier im Erzgebirge eine proletarische Frauenbewegungins Leben zu rufen, war von schönem Erfolg gekrönt. Es sind imganzen 499 Aufnahmen in die Partei und Abonnenten für die„Gleichheit" zu verzeichnen. Elfriede Gewehr.In Potsdam, Rathenow, Eberswalde, Hennigsdorf(Ost-Havelland) und Frankfurt a. O. fanden Agitationsversammlungenstatt, in denen Genossin Friedländer, Berlin, über das Thema„Die Frau im politischen Kampf" referierte. Infolge der äugen-blicklichen politischen Lage waren die Versammlungen mit einerAusnahme sehr gut besucht. Die Ausführungen der Referentin, diebesonders auf den Kampf um das preußische Wahlrecht einging,fielen auf guten Boden. 190 Personen, darunter 40 Männer, schloffensich der Organisation an. Besonders erfreulich waren die Resultatein Rathenow(68 Aufnahmen) und Hennigsdorf(46 Aufnahmen).Bisher waren hier nur zwei oder drei Frauen organisiert. So ist esuns geglückt, auch hier unter den Frauen festen Fuß zu fassen. K. F.Politische Rundschau.Die Feudalen des Herrenhauses haben ihr schändliches Vor-recht ausgenützt, um die Wahlrechtsvorlage vollends zu einer brutalenVerhöhnung des Volkes zu machen. Das Schandwerk des blau-schwarzen Blockes war ihnen noch nicht schändlich genug, sie habenes noch mehr verschlechtert, sie haben unter dem Namen einer Wahl-reform eine Vorlage geschaffen, die dem arbeitenden Volke jede Ver-tretung in der preußischen Duma rauben soll— anstatt Wahlreformbieten sie ihm hohnlachend den Mandatsraub.Die Driltelung in den Urwahlbezirken ist den Herren zu demo-kratisch. Sie bringt— zwar nur in einigen ganz wenigen Aus-nahmekreisen mit großen ausgesprochenen Proletariervierteln—Arbeiter in die zweite, ja in die erste Klasse in einer solchen An-zahl, daß sie ihr Scheinwahlrecht in ein wirkliches Wahlrecht ver-wandeln können. Aber das geht den preußischen Granden zu weit.Sie haben bestimmt, daß die Drittelung nicht in Bezirken mit1749 Einwohnern, sondern in solchen von 10000 bis 20000 statt-finden soll. Dadurch können die Proletarier in allen Urwahlbezirkendurch die schwerreichen Steuerzahler der benachbarten Bezirke indie dritte Klasse hinabgedrückt werden. Damit haben die Herrendie Forderung der freikonservativen und nationalliberalen Arbeiter-feinde erfüllt, die ja die Drittelung in den Urwahlbezirken aufswütendste bekämpft haben. Damit haben sie aber auch das Zentrumaufs schwerste herausgefordert, denn dieses hat ein lebhaftes Jnter-esse an der Urwahlbezirksdrittelung. Handelte es sich nur um dieInteressen der Arbeiter, so würde das Zentrum sie sicherlich gemüts-ruhig auch in diesem Punkte verraten, wie ja seine ganze Haltungim Wahlrechtskampf und zur Wahlrechtsvorlage ein einziger Arbeiter-verrat war. Jedoch hier handelt es sich auch um Zentrumsmandate,und die gibt diese Partei nicht so leicht auf bloß um des Vorteilswillen, mit den Konservativen zusammenarbeiten zu können und