Nr. 17 Die Gleichheit 259 zu vermehren. Ein Mittel hierzu ist die Vereinigung vieler organisierter Arbeiterinnen aus den verschiedensten Landesteilen zu Besprechungen über die Lage, die Arbeit, die Behandlung der Frauen und Mädchen und über vieles andere, wofür Frauen nur bei Frauen das nötige Verständnis finden können. Diese Vereinigung der Textilarbeiterinnen hat stattgefunden. In zwölf Konferenzen in den verschiedensten Landesteilen Deutschlands  waren etwa 500 Abgesandte der Arbeiterinnen der einzelnen Orte versammelt. Jede Konferenz war von zirka 50 weiblichen Dele> gierten besucht. Arbeiterinnen- und Mutterschutz sowie die ge- sellschaftliche Stellung der Frau wurde von je einem Referenten besprochen. Jede Verbandsfiliale konnte zwei, auch drei weib- liche Delegierte entsenden, und neben diesen Abgesandten war der Vorsitzende der Filiale zugelassen, um eventuell den Delegierten bei der Berichterstattung usw. behilflich zu sein. Vor und nach jeder Konferenz wurden die organisierten Arbeiterinnen jeder Filiale zusammengerufen. Die Erwartungen, welche an die Konferenzen geknüpft wurden, sind durchaus erfüllt worden. Aufs neue wurde die alte Er- sahrung bestätigt, daß wirklich lebhaftes Interesse der Frauen und Mädchen nur geweckt und intensive Mitarbeit derselben nur erreicht werden kann, wenn Arbeiterinnenfragen von Ar- beiterinnen selbst in größerem, hauptsächlich aus Arbeiterinnen zusammengesetztem Kreise besprochen werden. In schneller Reihen- folge meldeten sich die Arbeiterinnen in den vorgeschritteneren Bezirken zum Wort, und fließend und sicher sagten sie ihre Meinung; langsamer liefen die Meldungen ein in anderen Distrikten und schüchterner und unsicherer floß dort die Rede. Aber in allen Fällen war das Interesse der Teilnehmerinnen an den Verhandlungen, die etwa neun Stunden dauerten, bis zuni Schlüsse äußerst rege. Da gab es kein Flüstern, kein Rutschen, kein Strecken und kein Dehnen, wie es sich oftmals bei Männerlonferenzen recht unliebsam bemerkbar macht. Ein großer Teil der weiblichen Delegierten hatte zum erstenmal Gelegenheit, an einer Konferenz teilzunehmen. Zum erstenmal hörten sie von Geschlechtsgenossinnen anderer Städte schildern, unter welchen Übeln die Arbeiterin leidet, und wie den Übeln zu begegnen sei. Als dann die gesellschaftliche Stellung der Frau in Vergangenheit und Gegenwart geschildert wurde, konnte es dem Beobachter nicht entgehen, daß einem großen Teil der Zuhörer sich eine neue Welt erschloß. Die kleine Kon- ferenz kann tiefer pflügen als die große Versammlung, und die ausgeworfene Saat wird reiche Frucht tragen. Die Konferenzen werden wiederholt, die gleichen Personen sollen, soweit mög- lich, daran teilnehmen, und so wird das hoffen wir ein Stamm tätiger Genossinnen erstehen. Empörende Vorkommnisse wurden in der Diskussion ge- schildert. Zahlreich sind die Fabriken, wo die Arbeiterin nicht nur als Arbeitskraft, sondern auch als Weib ausgebeutet wird. In schlichter ungekünstelter Weise wurden Vorkommnisse er- zählt, die nie in Männerversammlungen geschildert werden. Daß junge Mädchen sich müssen abküssen lassen, und daß auf ihre Beschwerde die Antwort kommt:Ich kann mir doch ein Mädchen halten/ erscheint harmlos gegenüber Vorgängen, wie sie aus Frankenberg   geschildert wurden. Junge, unerfahrene Mädchen wurden das Opfer dieser Vorgänge, die im einzelnen zu schildern wir unterlassen, die aber lebhaft an die vor kurzem von Hoensbroech geschilderten Szenen am Hofe Alexanders VI. erinneni. Und solche Klagen kamen aus allen Orten. Nur wer sich willig gefallen läßt, was lüsterne Vorgesetzte wünschen, be- kommt gute Arbeit, hat höheren Verdienst und kommt als Tüchtige" lobend ansBrett". Alle anderen werden zurück- gesetzt, schikaniert, bis auch sie sich williger zeigen. Das sind Ubelstände, unter denen nur die Frau zu leiden hat. An anderen Übeln fehlt es nicht. In Grüna wird das Brot, das Arbeiterinnen mit in den Arbeitsraum nehmen, vom Meister abgefordert und einfach zum Fenster hinausgeworfen. Hundert Mädchen haben einen Abort, aber ein anderer Abort ist re- serviert für fünf Vorgesetzte. In Chemnitz   kommen in einem Falle auf 800 Frauen und 200 Männer zwei Aborte. In Thalheim geht eine schwangere Frau nach dem Abort, gibt von nie­mand bemerkt einem Kinde das Leben und geht mit dem Kinde wieder aus dem Abort an die Arbeit. Bald hören die Mitarbeiter das Schreien des Neugeborenen. Sie erfahren, was sich ereignet hat, und lassen Mutter und Kind nach Hause fahren. In einer Fabrik Osnabrücks   haben die Arbeiterinnen über schlechtes Material zu klagen. Einige besonders schlechte Spulen mögen in die Düngergrube geworfen worden sein. Da werden in die Decken der Aborte Löcher gebohrt und Arbeiter und Arbeiterinnen von oben beobachtet, während sie den Abort benutzen. Die Diskussion brachte des weiteren erschütternde Schilderungen der Schmerzen der arbeitenden Mütter.Meine zwei Ältesten gab ich in die Ziehe. Ich mußte mit verdienen. Sie sind in der Entwicklung zurückgeblieben. Mein Jüngstes pflege ich selbst. Es entwickelt sich normal." So sagt eine Frau aus Grünberg i. Schl. Eine Frau aus Hemelingen   schafft ihr Kind morgens fort und holt es abends wieder.Man sieht, daß das Kind geschlagen worden ist. Man ist empört und sucht sich eine andere Ziehfrau." Während eine Mutter in Vechelde   in der Fabrik arbeitete, mußten die geliebten Kinderchen fürchterlich verbrennen. Es wird auf der Konferenz geklagt über die Konkurrenz der Arbeiterinnen untereinander und ihren Unverstand, der sich gegen das eigene Interesse ver« schließt. In Oberhausen   ließen sich Arbeiterinnen bis halb 10 Uhr in die Fabrik einschließen, um Qbcrarbeit leisten zu können. Einer Wirkerin(Heimarbeiterin) in Chemnitz   wurden für eine Arbeit 90 Pf. geboten. In der Fabrik gab es dafür 1,90 Mk. Die Arbeiterin lehnte ab. Eine andere machte die Arbeit für 50 Pf. In den Jutefabriken legen Arbeiterinnen zusammen und kaufen Schinken, Wein usw. für den Vorgesetzten. Dann wurde der schlechte Verdienst von vielen Rednerinnen besprochen. Eine Frau in Landeshut   bedient 12 Nortroph- stühle. Für 110 Meter Ware gibt es 54 Pf., für 1940 Meter Ware verschiedener Qualität gab es 19 Mk. Lohn. Geklagt ward über die Gleichgültigkeit und Einstchtslosigkeit der organi« sierten Männer anderer Berufe: Maurer  , Zimmerer, Metall- arbeiter.Sie schicken ihre Frauen und Töchter als Arbeite« rinnen in die Textilindustrie. Es fällt ihnen aber nicht ein, diese auch dem Verband zuzuführen." Solche Behauptungen werden durch Tatsachen belegt. Und nach dem Vortrag all der Mißstände zeitigten die Konferenzen Anregungen für die Arbeit der Zukunft. Die Teilnehmerinnen gingen auseinander mit dem festen Vorsatz zu arbeiten, weil gearbeitet werden muß, um die empörenden übelständc zu beseitigen, deren Wiedergabe ein Buch füllen würde. Viel empörender als der einzelne Vorgang am einzelnen Orte wirkte die Bekanntgabe so vieler gleicher Vov> gänge an vielen Orten. Die Empörung der Konferenzteilnehmer wird sich übertragen auf die der Bewegung noch Fernstehenden in den Fabriken. Immer mehr Arbeiterinnen werden zum Be- wußtsein ihrer Lage kommen. Der Druck, unter welchem di» Arbeiterinnen seufzen mehr seufzen als die Männer, weil er größer ist, wird schwinden. Die Sklavinnen werden frei, wenn sie erwachen, wenn sie selbst handeln und kämpfen. H. Jäckel, Berlin  . Die Frauen und der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch. Die zum Gefühl ihrer Menschenwürde erwachte proletarische Frau ist nicht so einseitig wie die Mehrzahl der bürgerliche« Frauenrechtlerinnen, daß sie etwa einen neuen Strafgesetzent« wurf nur danach beurteilt, wie er sich zu den besonderen Forde- rungen des weiblichen Geschlechts stellt. Sie prüft vielmehr bei jedem Vorschlag zuerst, welche Wirkungen er auf den prole- tarischen Emanzipationskamps hat, der ja den Befreiungskampf der Frau in sich birgt. Von diesem Gesichtspunkt aus genügt es für die sozialistische Frau, zu wissen, daß der im Herbste des Vorjahres veröffentlichte amtliche Vorentivurs zu einem deutschen Strafgesetzbuch ein bisher unerreichtes Ausnahmegesetz ist gegen den politischen und gewerkschaftlichen Kampf der Ar- beiterklasse. Diese Tatsache allein die in diesem Blatte schon