266

Die Gleichheit

Das Anbringen von Gardinen an die überdachung und das Gars nieren der Wagen ist Frauenheimarbeit geworden, die ebenso. erbärmlich gelohnt wird wie irgend eine andere Art Heimarbeit. Wochenverdienste von 3 bis 4 Mt. sind nicht selten. Sehr zahlreich waren in Rothenburg   die Frauen zur Versammlung er­schienen. An der Diskussion beteiligte sich ein Lehrer, der seine Übereinstimmung mit den Ausführungen der Referentin in einigen Punkten bekundete. Die letzte der Versammlungen fand in Roth  bei Nürnberg statt. Hier waren es fast ausschließlich Frauen und Mädchen, die den großen Saal füllten und mit gespannter Auf­merksamkeit dem Referate folgten. Nach der Versammlung gingen eine ganze Anzahl Mitgliedermeldungen ein, und es wurde der Wunsch geäußert, daß öfters derartige Versammlungen veranstaltet werden möchten. Die agitatorische Bearbeitung des weiten nord­bayerischen Gebiets müssen sich Gewerkschaften und Partei mit Energie und Ausdauer angelegen sein lassen. Einen großen Teil der Arbeiterschaft gilt es hier erst zu wecken und dann systematisch aufzuklären und für den Sozialismus zu gewinnen. Emma Jhrer.

Von den Organisationen. Seit ca. 1% Jahren veranstaltet die Organisation in Hamburg   einen monatlichen Frauenbildungs­abend. Zweck dieser Veranstaltung ist die Aufklärung der organi fierten Frauen durch Vorträge und Diskussionen. Diese Einrichtung wurde von den Genossinnen freudig begrüßt. Allein immer mehr macht sich das Bedürfnis geltend nach Bildungsabenden für jeden einzelnen Diftritt des ausgedehnten Drganisationsbezirkes. Dies aus verschiedenen Gründen. Wer mit den Verhältnissen einiger maßen vertraut ist, weiß, daß viele wissensdurstige Proletarierinnen auf den Besuch der Versammlungen verzichten müssen, weil sie die damit verbundenen Kosten an Fahr- und Zehrgeld nicht aufbringen tönnen. In einer Großstadt wie Hamburg   fosten die Entfernungen ungeheuer viel Zeit. So wird es mancher Arbeiterin und Arbeiter­frau direkt unmöglich, abends noch die Versammlungen und andere Veranstaltungen zu besuchen; man bedenke dabei, wie müde und abgerackert die eine aus der Fabrik zurückkehrt, die andere von der häuslichen Arbeit ist. Durch solche rein äußerliche Umstände darf der Erfolg der Frauenbildungsabende nicht in Frage gestellt werden. Die geistige Ausbildung und Schulung der Frauen und Mädchen ist für die ganze Bewegung von großer Bedeutung. Aus der Ein­ficht in die geschichtlichen Zusammenhänge unserer Gesellschaft sollen bie Proletarierinnen Ziele und Wege des Klassentampfes tennen lernen, sollen sie Kraft und überzeugung für ihn schöpfen. Eine Überzeugung, aus der jene Opferfreudigkeit entspringt, die in so hohem Maße gerade von unseren Frauen und Müttern im täg lichen Leben gefordert wird. Erst wenn den Proletarierinnen der regelmäßige Besuch von Bildungsabenden, wissenschaftlichen Vor­trägen und Versammlungen Bedürfnis geworden ist, wenn sie ernste Leserinnen der Gleichheit" und unserer Parteipresse geworden sind, erst dann können wir sagen: Die Frau ist reif für ihren Beruf als Erzieherin unserer Jugend, die einft als tatkräftige, zielflare Männer und Frauen das Werk fortsetzen werden, das ihre Eltern unter schwersten Kämpfen und unsäglichen Opfern begonnen haben, die aber auch die Nutznießer und Erben dessen sein werden, was die Geschlechter vor ihnen errungen haben.

e. g.

Der sozialdemokratische Verein in Halle veranstaltete Mitte April eine Frauenversammlung. Der Arbeitersekretär Genosse Kleeis referierte über das Thema Die Frau in der Arbeiterversicherung". Er betonte, daß gerade die Frauen von den Schäden, welche die soziale Versicherung mildern will- Krankheit, Unfälle, Invalidität-, in hohem Maße berührt werden. Im Gegensatz zu anderen öffent­lichen Einrichtungen stelle die Arbeiterversicherung die Frauen mit den Männern rechtlich vollkommen gleich. Deshalb haben die Frauen allen Grund, sich weit mehr für die Versicherungsgesetzgebung zu interessieren, als dies gewöhnlich geschieht. Nachdem der Redner Entstehung und Zweck der Versicherung furz geschildert, besprach er diejenigen Fragen, die besonders für die Frauen von Bedeutung sind und wies auf die Reformbedürftigkeit der bestehenden Ein­richtungen hin. Es sei erwähnt: die noch fehlende allgemeine Krankenversicherung des Gesindes und der Heimarbeiter, die frei­willige Mitgliedschaft bei den Krankenkassen, die sehr zu empfehlen sei, die noch ungenügende Mutterschaftsfürsorge usw. Der Referent wies eingehend auf die Rechte der Frauen auf Beteiligung an der Verwaltung der Krankenversicherung hin. Die Frauen tönnen so gut wie die Männer zu Vertretern in den Kassenorganen Ge neralversammlung und Vorstand gewählt werden. Doch wird von diesem Recht leider viel zu wenig Gebrauch gemacht. Die Frauen verlangen das Wahlrecht in Staat und Gemeinde- hier tönnen sie in der Praxis beweisen, wie viel ihnen an diesem Recht gelegen ist. Außerdem könnten manche Einrichtungen in den Kranken­fassen für die Frauen günstiger gestaltet werden. Nachdem der

-

-

Nr. 17

Redner die Unfallversicherung( die große Zahl der Unfälle von Frauen, die Hinterbliebenenversorgung usw.) behandelt hatte, kam er auf die Invalidenversicherung zu sprechen. Von dieser wissen vielfach die Frauen nichts weiter, als daß bei der Verheiratung die geleisteten Beiträge zurückgezahlt werden. Es gäbe feine unheils vollere Einrichtung als gerade diese. Sie müsse beseitigt und die Bestimmung getroffen werden, daß ein einmal erworbener Anspruch an die Versicherung auch ohne freiwillige Fortzahlung der Beiträge bestehen bleibt. Auf die in Aussicht stehende Witwen- und Waisen­fürsorge ging der Redner nicht ein. Diese Frage soll in der nächsten Versammlung erörtert werden. Dem mit Aufmerksamkeit und Bei­fall aufgenommenen Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion, in der die Frage des Kinderschutzes und der Dienstbotenorganisation von den Genoffinnen Sperling und Sachse erörtert wurde.

Berichtigung. Der Agitationsbericht aus Braunschweig   ent hält einige unrichtige Namen. Versammlungen fanden unter an­deren statt in Breuzem, Gliesmarode  , Riddagshausen   und Hüttenrode  .

Politische Rundschau.

-

J. R.

Wenn der preußische Ministerpräsident sich mit seiner Aftion im Herrenhaus das Ziel gesetzt haben würde, die Verwirrung im Lager der bürgerlichen Parteien aufs höchste zu steigern und das Zustandekommen der Wahlrechtsvorlage aufs äußerste zu gefährden, er hätte dazu kein besseres Mittel finden können. Zur­zeit weiß kein Mensch, was werden wird nur so viel steht fest, daß die Möglichkeit eines völligen Scheiterns der sogenannten Wahlreform nähergerückt ist denn je. Die Sozialdemokratie hätte solchen Ausgang nicht zu bedauern. Die allgemeine Verwirrung und Unsicherheit im bürgerlichen Lager vermehrt für sie die Mög lichkeiten, in Wählerschichten einzudringen, die ihr noch fernstehen. Ihr muß die Unfähigkeit der preußischen Regierung und der preußischen Parlamente zugute kommen, die Frage auch nur in einem für die bürgerlichen Oberschichten halbwegs befriedigenden Sinne zu lösen. Je länger außerdem die Wahlreform auf der offi­ziellen Tagesordnung bleibt, um so leichter ist es für sie, sonst in­differente Kreise zu interessieren und allmählich in die Wahlrechts­bewegung zu ziehen. Und um so frischer bei den Reichstagswahlen des kommenden Jahres der Eindruck der preußischen Wahlrechts. frage noch in der Öffentlichkeit ist, um so besser für die Partei, die in dem Kampfe um das Volksrecht als die einzig entschiedene Rämpferin sich bewährt hat, für die Sozialdemokratie.

Alle diese Gründe müssen der Regierung einen möglichst baldigen positiven Abschluß ihrer Wahlrechtsaktion als dringend notwendig erscheinen lassen. Es fennzeichnet die grenzenlose Berfahrenheit in den Regierungsregionen, daß in dieser Situation der Ministerpräsi dent es unternommen hat, das Kompromiß der Konservativen und des Zentrums durch die Herrenhausbeschlüsse zerschlagen zu lassen und damit alles wieder in Frage zu stellen. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das nur verständlich wird durch den verzweifelten Versuch, den Zwiespalt im bürgerlichen Lager zu beheben und die Wahlrechtsfrage wenigstens für die größeren bürgerlichen Parteien für einige Zeit zu erledigen. Es handelte sich für Bethmann Hollweg   darum, die Nationalliberalen für die Wahl­rechtsvorlage mitverantwortlich zu machen. Auf diese Weise soll ein Zusammenwirken der Nationalliberalen mit dem ges einten Freifinn gegen die Konservativen bei den Reichstagswahlen verhindert werden. Zugleich gedachte der Ministerpräsident das Drängen der Nationalliberalen nach einer ihren Vorteilen ent sprechenden Anderung des preußischen Wahlrechts für absehbare Zeit stillzulegen und die Beteiligung der Bourgeoisie an der Wahlrechtsbewegung noch schwächlicher werden zu lassen, als sie ohnehin ist. Die Berechnung hatte nur den einen großen Fehler, daß sie die scharf entgegengesetzten Interessen außer acht ließ oder zu gering schätzte, die Nationalliberale und Zentrum bei der Wahl rechtsvorlage verfolgen. Das Zentrum tann um seiner Landtags mandate im Westen willen die den Geldsack begünstigende Drittes lung in größeren Bezirken nicht annehmen, wie die Nationals liberalen sie fordern und wie das Herrenhaus sie beschloß. Lieber zieht es die Hände aus dem Spiel und verliert dabei nichts, sondern stärkt damit eher seine Stellung in der Wählerschaft. Mit der gewohnten demagogischen Verwandlungskunst präsentiert es sich dann dieser wieder einmal als Verfechter eines demokratischen Wahls rechts, als energischen Bekämpfer der Geldsacks vorrechte. Daß es mit den Konservativen doch über furz oder lang wieder zusammen­kommt, daß ihm die Stellung der Regierungspartei auf die Dauer doch nicht vorenthalten bleibt: darüber kann es bei den gemein­samen Interessen nicht im Zweifel sein, die die Junker mit ihm