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Die Gleichheit
deutschen Gewerkschaftsorganisationen hat die Maßregel heute nicht mehr die von den Unternehmern erstrebte schnelle Wirkung. Die Bauarbeiter aber wissen, um was fie ringen. Nicht Machtfizzel trieb sie in den Kampf, sondern der Zwang zur Abwehr eines scham Losen Attentats auf ihr gewerbliches Recht. Das ist ein Kampfpreis, der Opfer mert, ein Kampfpreis, der Mut und Selbstverleugnung jedes einzelnen herausfordert.
Das schlechte Beispiel der Bauunternehmer macht bei ben Innungsmeistern eines anderen Gewerbes Schule. In Hamburg führte der Fleischerverband eine Lohnbewegung gegen einen Meister, der die geringen Forderungen der Gehilfen nicht bewilligte. Das Publikum ward dabei durch Flugblätter auf die Sache auf merksam gemacht. Die Innung verfügte nun die Aussperrung der organisierten Schlächter in Hamburg , und sie will den Kampf auf das Reich übertragen. Den Schlächtergesellen mutet die Innung zu, daß sie einen Revers unterschreiben, der ihnen die Zugehörig. feit zur Organisation verbietet. Es geht also hier um das Koalitions recht der Gehilfen, Grund genug, daß die Frauen dem Kampfe ihre besondere Aufmerksamkeit schenken, da vielleicht auch sie ein Wört lein dazu mitreden können und müssen.
Partielle Streits haben zu zwei Aussperrungen in der Metallindustrie geführt, und zwar im Kreise Hagen - Schwelm und in Lünen im Münsterlande. Die Unternehmer wollten in Hagen- Schwelm 2500 Metallarbeiter aussperren, weil die Former einer Firma fich gegen die fortwährenden Lohnabzüge wehrten; etwa 938 Arbeitern ist bereits gekündigt worden. Im frommen Münsterlande sind es meist Christliche, die die Geißel des Rapitaliften zu foften bekommen: 400 von ihnen sind auf die Schwarze Liste gesetzt worden.
In diesen Tagen fonnte der Glaserverband sein fünfunds zwanzigjähriges Jubiläum feiern. In der Sturmperiode des Sozia listengefeges gegründet, blieben auch ihm die Drangsale jener Zeit nicht erspart. Aufgelöst und verfolgt entstand die Organisation doch immer wieder aufs Neue. Der Verband hat gute gewerf schaftliche Arbeit geleistet, zu seinen beachtenswerten Verdiensten zählt, daß er das früher in dem Gewerbe noch start herrschende Roft- und Logiswesen beim Meister fast völlig beseitigt hat. Gegen wärtig ist für ihn die Frage der Verschmelzung mit einer anderen Drganisation aktuell. Der letzte Verbandstag hat sich mit geringer Majorität gegen sie erklärt.
Auch die Handlungsgehilfenzeitung fonnte in diesen Tagen auf eine fünfundzwanzigjährige Vergangenheit zurückblicken. Nach vielen Blattgründungen, die von Einzelnen oder von lokalen Bereinen ausgingen, beschloß der Pfingsten 1897 gegründete Zentral verband der Handlungsgehilfen die Herausgabe eines Verbands. organs. Seine Auflage beträgt heute 13000, und es vertritt die Interessen der Handelsangestellten mit Energie und Treue. Je Schwieriger das Arbeitsfeld zu bestellen ist, dem es sich widmet, um so anerkennenswerter sind seine Leistungen.
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Aus der Textilarbeiterbewegung. Die Zahl der Drganisierten nimmt zu. Seit Jahresbeginn haben sich dem Verband deutscher Zeptilarbeiter mindestens 9000 neue Mitglieder angeschlossen. Der christliche" Herr Schiffer fann nun weiter feststellen, daß der deutsche" Verband bankrott sei und an chronischem Mitgliederschwund leide. Jm Sumpf gärt es noch immer. In Augsburg wird eine Fabrit nach der anderen von der gelben Streifbewegung ergriffen, und die Unternehmer sind gezwungen, Bugeständnisse zu machen. Recht interessant ist der Verlauf einer Streitbewegung in Crimmitschau . Die Firma Weidemüller hatte eine neue Lohnberechnungsart eingeführt. Bisher wurde der Lohn der Weber und Weberinnen nach " Banden" berechnet. Für die Zukunft sollte die eingeschlagene Schußzahl die Grundlage der Lohnberechnung sein. Die neue Lohnberechnung an sich ist für die Arbeiter vorteilhafter. Es kann nicht betrogen werden. Herr Weidemüller hatte aber die Lohnfäge pro 1000 Schuß bei der Umrechnung zu niedrig angefeßt, so daß die Arbeiter weniger verdienten als zuvor. Dadurch kam es zum Konflift. Die Verhandlungen führten zu keinem Resultat, der Synditus bes Arbeitgeberverbandes drohte den Arbeitern mit Weiterungen. Ez sprach wieder, wie 1903, der bekannte Herr Lukas Schmidt, vom bitteren Ende", erzählte, wie die Arbeiter büßen" müßten usw. Aber die Weber und Weberinnen gingen trop alledem in den Streit. Nun sollte ber 1908 von den Unternehmern gegründete gelbe„ Nationale Arbeiterunterstützungsverein für Grimmitschau" in Aftion treten. In allen Fabriten wurden die treuen, Nationalen" gefragt, ob sie bei der Firma Weidemüller an Stelle der Streifenden arbeiten wollten. Aber o Schreck: Die Gelben versagten, fie lehnten ab. Doch Herr Lukas Schmidt wußte Rat. Man hatte ja den Nationalen" ein Statut gemacht. Dieses Statut enthielt einen Baragraphen, welcher die Mitglieder verpflichtet, im Falle eines
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Ausstandes der Roten dafür zu sorgen, daß die Stellen der Streifenden besezt würden. So wurden denn alle Stellen der streifenden Weber und Weberinnen durch„ Nationale" bescht, nachdem vorher eine Vertrauensmännerfißung stattgefunden hatte. Der Vorstand des„ Natio nalen Arbeiterunterstützungsvereins" verkündete- laut frohlockend- in einem Flugblatt, daß die Stellen der Streifenden besetzt seien, und daß in allen fünftigen Fällen der Verein wieder so handeln würde. Sie freuten sich, daß der Streit dadurch so schnell beseitigt und nun bewiesen sei, daß ihr Programm nicht„ Schall und Rauch" sei. Aber es tam anders. Die Empörung in Grimmitschau wuchs ungeheuer. Die bürgerlichen Blätter meldeten, die Stimmung er innere an 1903. Riesenversammlungen sanden statt. Die Polizei trat in Aftion, aber die Aufregung steigerte sich von Tag zu Tag. Auch die Gelben wurden davon erfaßt. Viele meldeten ihren Austritt aus dem„ Nationalen Verein" an, teilweise auf offener Karte. Jent plötzlich fündigten die Arbeitswilligen in einem großen Inferat sich als„ Abordnung" an. Sie hätten nur die Arbeitsverhältnisse prüfen wollen; Streitbrecher wären sie nicht. Das stand im Widerspruch zu dem Flugblatt des„ Nationalen Vereins". Diese " Abordnung" empfahl Herrn Weidemüller, den alten Zustand wieder einzuführen. Herr Weidemüller erklärte in einem Anhang an dieses Inserat, daß er diesem Wunsche nachkommen und die Streifenden wieder einstellen werde. Damit war der Erfolg auf der Seite der Arbeiter. Die Streiffommission verhandelte mit dem Unternehmer und die Bedingungen wurden schriftlich festgelegt. Der Streit war zu Ende. Der Nationale Verein hat seinen bisherigen eine neue Niederlage hinzugefügt. Die Gärung im Sumpfe aber ist groß. Der Streit in Gilermart wurde mit Erfolg für die Arbeiter beendet. Die Lohnreduktion ist zurückgenommen. Lohnlisten werden ausgehängt. Auch der Färberstreit in Barmen endete, wie schon gemeldet, mit Erfolg. Die Unternehmerpresse hält es seit einiger Beit mit der Praxis, vom Ausgang aller Streits zu berichten:„ Die Arbeit wurde bedingungslos wieder aufgenommen." Das meldet sie auch von Eilermart und Barmen. Auch ein Kampfmittel, aber ein sehr billiges. In Wittstock und Prizwalf wurde eine Lohnbewegung mit vollem Erfolg durchgeführt. Die Arbeiter hatten gekündigt. Bewilligt wurde 10 Prozent Lohnerhöhung, Bezahlen des Kettenandrehens usw. lij.
Was der Textilarbeiterverband zur Hebung der Lage der Braunschweiger Arbeiterschaft tut. Wie entsetzlich die Arbeitsund Lebensverhältnisse der Textilarbeiter in Braunschweig und Umgebung und besonders in Bechelde sind, haben wir schon berichtet. Eine unmittelbare Folge der geschilderten Zustände ist natürlich das überhandnehmen von Krankheiten. Der Jahresbericht der Verwaltungsstelle Braunschweig des Textilarbeiterverbandes verzeichnet für seine Mitglieder in der Stadt und Umgegend 361 Krankheitsfälle; unter anderem: ägyptische Augenkrankheit 32 ma!, Kräge 28, Lungenkrankheit 46 mal. Die hohe Krantenziffer zwingt die Organisation, verhältnismäßig beträchtliche Summen für die Unterstützung ihrer franken Mitglieder aufzuwenden. Sie veranlaßt sie aber auch, danach zu trachten, möglichst großen Einfluß auf die Verwaltung der Krankenkassen zu erlangen, damit diese den Interessen der leidenden Proletarier gerecht werden. Diesen Einfluß sucht sie durch die Aufstellung entsprechender Kandidaten für die Vertretung der Arbeiter in der Kaffe zu erlangen. Nach beiden Seiten hin hat die Organisation der Braunschweiger Textilarbeiter mit Erfolg gewirkt. Es wurden an 275 Mitglieder für 5050 Krankentage 2115,05 Mt. Unterstützung aus der Verbandskasse bezahlt. Die von dem Verband ausgestellten Kandidaten für die Vertretung in der Krankenkasse wurden gewählt.
Auch in anderer Hinsicht macht sich der Einfluß des Verbandes geltend. So betonen die Arbeiter, daß mit ihrer fortschreitenden Organisierung die Behandlung von seiten der Borgesehten bebeutend besser geworden ist. In engem Zufammenhang mit dem schlechten Gesundheitszustand stehen die elenden Wohnungsverhält nisse, die besonders in Bechelde jeder Beschreibung spotten. Der Berband hat durch eine Beschwerde bei der Kreisdirektion eine Inspektion der Wohnungen durchgesetzt. Die Folge davon war, daß Vermieter wegen gesundheitsgefährlicher Beschaffenheit der vermieteten Räume bis zu 40 Mt. Geldstrafe zudiktiert erhielten. In traffem Gegensatz zu den armseligen Verhältnissen der Arbeiterschaft, bie der Jahresbericht der Verbandszahlstelle erkennen läßt, steht die Dividende von 12 Prozent, welche die Unternehmer troh der Krise eingestrichen haben. Diese Dividende ist ein unzwei deutiger Beweis dafür, daß es nicht schlechter Geschäftsgang ist, ber die Unternehmer dazu treibt, ihre Arbeiter in solch schamloser Weise auszubeuten, wie es in der Braunschweiger Textilindustrie geschieht, sondern einzig und allein ihre unersättliche Profitwut. Diese Feststellung lenkt die Gedanken der Arbeiterinnen wieder auf