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Die Gleichheit

auf Interessenvertretung, auch wenn er sich in weiblichen Händen befindet, daß aber diese Majorität versagt, wenn es sich um das Recht der in der Landwirtschaft ausgebeuteten Arbeitskräfte handelt. Es ist tennzeichnend, daß der württembergische Frauenstimmrechts verein wohl für das passive Wahlrecht der selbständigen Land­wirtinnen petitioniert hat, jedoch auch mit feinem Worte für das Recht der landwirtschaftlichen Arbeiterinnen eingetreten ist.

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Die selbständige Ausübung des kommunalen Wahlrechts der Grundbesitzerinnen in Preußen wurde in Petitionen ge­fordert, die die Gemeindekommission des preußischen Abgeordneten hauses der Regierung überwies. Die selbständige Ausübung des beschränkten Frauenwahlrechts wurde von der Kommission sehr be­fürwortet, weil sich wie es hieß aus der Ausübung keinerlei Nachteile ergeben würden, dafür spreche das Beispiel der Provinz Hannover , wo die Grundbesitzerinnen selbst das kommunale Wahlrecht ausüben dürfen. Es wurde in der Kommission weiter auf die geänderten Zeitverhältnisse verwiesen, insbesondere auf die steigende Erwerbstätigkeit der Frauen und die dabei bekundete Umsicht, Sachkenntnis und Selbständigkeit. Die Befürworter der Neuerung betonten start, daß durch diese eine bessere Ver tretung des Grundbesizes in der Gemeindeverwaltung herbeigeführt werde. Die Regierung erklärte, daß an eine Ge währung des Frauenstimmrechts vorerst nicht zu denken sei. Be­fanntermaßen besteht in den östlichen Provinzen Preußens, sowie in Westfalen, Hannover und Schleswig- Holstein das beschränkte, an den Grundbesitz gefnüpfte Wahlrecht der Frauen in der Gemeinde. Allein dieses Recht ist keineswegs eine Anerkennung der Rechte der Frau als Persönlichkeit, als Bürgerin, sondern lediglich ein Privi legium, das ihr troß ihres Geschlechts als Grundbesitzerin eignet, also weit mehr ihrem Besitz als ihrer Person zusteht. Daher darf auch die Frau, was für den Charakter des Privilegiums kenns zeichnend ist, das Wahlrecht nicht selbst ausüben, sondern muß sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Diese Art Frauen­recht ist ein überlebfel der feudalen Gesellschaft mit ihren Real­rechten des Grund und Bodens. Die günstige Aufnahme, welche die Petition bei der Kommission fand, mag zuerst überraschen. Ge hören die Kommissionsmitglieder doch eben den Parteien an, deren Vertreter im Abgeordnetenhaus die von der sozialdemokratischen Fraktion verfochtene Forderung des politischen Wahlrechts für die Frauen mit Spott und Hohn zurückgewiesen haben. Allein diese plögliche Wandlung" ist nicht unerklärlich. Es war wie offen wie offen zutage trat die Aussicht auf einen Machtzuwachs für die reat­tionären Parteien, die die Prinzipien" dieser heldenmütigen Ber­teidiger des Ewig- Weiblichen", des Familienlebens und etlicher heiligster Güter mehr so plötzlich ins Wanken brachte. Die Regierung dagegen ließ sich durch diesen Vorteil nicht blenden", sondern be­harrte auf ihrem Spießbürgerstandpunkt. Sie scheut sich unter den gegenwärtigen Umständen vor jeglicher Anderung geltender Wahl­rechtsbestimmungen selbst dann, wenn sie ihr, wenn sie den Be­fitzenden zum Vorteil gereichen würde. Die Einführung des bes schränkten Frauenwahlrechts würde doch als eine grundsäßliche Anerkennung des Frauenwahlrechts überhaupt gedeutet werden. Die Regierung befürchtet offenbar, daß die Sozialdemokratie, die im Vordertreffen des Kampfes für die Reform des Wahlrechts auf allen Gebieten steht, nicht zögern würde, die Konsequenzen aus diesem Zugeständnis zu ziehen. So wäre dem unversöhnlichen Gegner aller Vorrechte ein neues mächtiges Agitationsmittel in die Hand gegeben. Wie die Sozialdemokratie solche Waffen zu gebrauchen versteht, weiß die Regierung nur zu gut.

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Die Einführung des allgemeinen aktiven und passiven Ge meindewahlrechts für die Frauen Norwegens wurde von dem Verfassungsreformausschuß des Storthing, der die Vers einigung der Ersten und Zweiten Rammer ist, in Vorschlag ges bracht. Der Ddelsthing, die Zweite Kammer, nahm den Antrag mit 71 gegen 10 Stimmen an. Durch diese Neuerung steigt die Zahl der wahlberechtigten Frauen von ungefähr 200 000 auf 400 000, Die Hälfte der Frauen war bisher durch das seit 1901 bestehende Zensuswahlrecht sowohl des attiven als des passiven Wahlrechts beraubt. Diese weitere Demokratisierung des Wahlrechts verdantt Norwegen in erster Linie der sozialdemokratischen Arbeiterpartei und insbesondere den Genossinnen, die in ihren Reihen kämpfen. Allein den raschen Sieg der Sache haben die in Norwegen noch einflußreichen. Kleinbäuerlichen und fleinbürgerlichen Elemente nicht wenig erleichtert, die noch ziemlich ausgeprägte demokratische Ten­denzen haben.

Widerstand gegen das allgemeine Stimmrecht in jeder Form! Diese Parole haben die unionistischen und tonserva tiven Vereine für die Emanzipation der Frauen in Eng­land in ihren Satzungen ausgegeben. Ihr Beschluß hat wesentlich

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dazu beigetragen, Klarheit zwischen den einzelnen Richtungen der englischen Frauenbewegung zu schaffen und ihre Stellungnahme in dem bevorstehenden Endkampf um das Wahlrecht aller Groß­jährigen zu bestimmen. Auf der einen Seite stehen die unionistischen und konservativen Frauen, siehen die Frauenrechtlerinnen, welche einseitig für die Beseitigung der politischen Vorrechtsstellung des männlichen Geschlechts eintreten. Auf der anderen Seite finden wir alle, welche auch ein Vorrecht für eine Minderheit der Frauen zurückweisen, gegen jede Ausdehnung des Wahlrechts auf der un­demokratischen Basis des Besitzes oder der Bildung sind und für das allgemeine Wahlrecht kämpfen.

Frauenbewegung.

Eine Konferenz der liberalen Frauen ist für den 4. und 5. Oktober nach Frankfurt a. M. einberufen worden. Die An­regung dazu ist von einer Besprechung der weiblichen Delegierten ausgegangen, die gelegentlich der Parteitage der Freisinnigen Vers einigung und der Freisinnigen Voltspartei stattgefunden hat. Zur Vorbereitung der Konferenz setzten die Versammelten einen Ar­beitsausschuß ein, in den die frauenrechtlerischen Führerinnen Dr. Gertrud Bäumer, Maria Lischnewsta und Anna Blothow gewählt wurden, mit dem Recht, weitere Mitglieder zu kooptieren. Das ist geschehen. Der Arbeitsausschuß besteht aus elf Mitgliedern; außer den bereits genannten Führerinnen gehören ihm unter anderem noch Fräulein Dr. med. Agnes Bluhm , Dr. Alice Salomon und Martha Zieh an. Ihm steht ein achtzehngliedriger erweiterter Ausschuß" zur Seite, gebildet aus bekannten Frauenrechtlerinnen der verschiedensten Gegenden des Reichs. Die einberufene Konferenz soll einer Erörterung über die Stellung und die Aufgabe der Frau in der neuen Fortschrittlichen Volkspartei " dienen und dadurch die Grundlage für einheitliches Handeln" der weib. lichen Mitglieder der geeinten Lintsliberalen schaffen. Das Handeln muß nach dem vorliegenden Aufruf der Arbeit für ein doppeltes Ziel gelten: der Stärfung des Liberalismus und der Förderung der politischen Rechte der Frauen". Es heißt mit Bezug darauf: Nur wenn die Frauen innerhalb des Liberalismus und in der Arbeit für seine Ziele eine Macht werden, haben sie Aussicht, zu erreichen, was für jede politisch tätige Frau eine selbstverständliche Forderung ist: die Anerkennung der staatsbürgerlichen Gleichheit der Frau durch das Parteiprogramm. Darum fordern wir alle liberalen Frauen dringend auf zum Beitritt in die liberale Parteiorganisation ihres Ortes und zur energischen Mitarbeit in den Kämpfen des Libera lismus. Unsere politische Arbeit wird über unsere politische Zu funft entscheiden." Wie sich der fortschrittlich- volksparteiliche geeinte ,, Linksliberalismus" zu den Forderungen der Frauen stellt, dazu erklärt der Aufruf etwas kleinlaut- melancholisch:" Allerdings ge stattet die Fassung des§ 8( zur Frauenfrage) uns nicht, diese Pflicht mit ungeteilter Freude zu übernehmen. Die Anerkennung ihrer Gleichberechtigung als Staatsbürger ist den Frauen im Programm der neuen Partei versagt." Aber gleich darauf pflanzen die liberalen Frauen am Grabe noch die Hoffnung auf: Es ist aber auf dem letzten Parteitag der Freifinnigen Volts. partei die erneute Erörterung der Frauenforderungen in der ge einigten Fortschrittlichen Volkspartei durch eine Resolution in Aus sicht gestellt, während die Freisinnige Vereinigung sich gleichfalls in einer Resolution einstimmig auf den Boden der politischen Gleichberechtigung der Frauen gestellt hat. Deshalb haben die auf dem Parteitag anwesenden weiblichen Delegierten sich bereit erflärt, in den Reihen des Liberalismus zu arbeiten, in der be stimmten, auf die abgegebenen Erklärungen gegründeten Hoffnung, daß die Fortschrittliche Volkspartei die politische Gleichberechtigung der Frauen in kürzester Zeit zu ihrem Programmpunkt machen wird." Die Verhandlungen in der Zweiten württembergischen Kammer über Frauenrechte haben in diesen Tagen einen eigentümlichen Kommentar zu diesen Hoffnungen geschrieben, die ihre legte unaus. rottbare Wurzel in der Klassenlage der bürgerlichen Frauen haben.

Die Frau in öffentlichen Alemtern.

Als erste Schulärztin in Oesterreich wurde vom Wiener Fortbildungsschulrat Frau Dr. Dora Telety angestellt. Sie hat den Gesundheitszustand der Schülerinnen von vier Fortbildungs schulen für Lehrmädchen zu überwachen. Außerdem liegt ihr in diesen Schulen der Unterricht in der Gesundheitspflege ob.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmhöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart .

Drud und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .