282
Aus der Bewegung.
Die Gleichheit
Von der Agitation. Die Leitung der sozialdemokratischen Organisation für Magdeburg hatte die Unterzeichnete beauftragt, in einer Reihe von Orten Versammlungen abzuhalten, die die AufIlärung der Frauen fördern sollten. Die Tagesordnung lautete: " Hat die Frau als Mutter und Arbeiterin Interesse an den Forderungen der Sozialdemokratie?" Versammlungen wurden einberufen in Magdeburg , Fermersleben, Diesdorf, Salbke- Wester hüsen, Lemsdorf, Groß- und Klein- Ottersleben, Staß furt, Neuhaldensleben, Wernigerode , Burg, Oschers leben und Aken a. d. Elbe. Sie waren meist recht gut besucht, es wohnten ihnen wohl durchschnittlich 250 bis 350 Frauen und Mädchen bei. In Ottersleben , wo fast nur Landarbeiterinnen in Betracht kommen, fanden sich 300 Zuhörerinnen ein. Zu gleicher Zeit hatte die Landarbeiterorganisation versucht, dort Fuß zu fassen. Die Existenzbedingungen der Arbeiterschaft sind in der Gegend so. elend, daß unsere Agitation auf empfänglichen Boden fallen mußte. Speziell die Einkommensverhältnisse sind äußerst verbesserungsbedürftig. Trotz der Nähe der Großstadt werden für schwere Landarbeiten die niedrigsten Löhne gezahlt. In der Versammlung zu Ottersleben griffen auch zwei Frauen mit großem Geschick in die Debatte ein. Sie schilderten, wie schwer ihre Arbeit sei, und klagten besonders über die meist schlechte Behandlung und die niedrigen Löhne. Voll Begeisterung ging die Versammlung auseinander. In Salbke- Westerhüsen hätte der Besuch besser sein dürfen. In diesem großen Industriezentrum, wo Aufklärung und Einigkeit unter der Arbeiterschaft recht not tun, hätte eine bessere vorbereitende Kleinarbeit für einen stärkeren Besuch der Versammlung sorgen sollen. Die Überzeugung muß Play greifen, daß die Agitation nicht nur die Sache einiger Weniger sein darf, sondern Pflicht aller Parteigenossen ist. Die Versammlung in Magdeburg gestaltete sich zu einer imposanten Kundgebung der proletarischen Klassensolidarität mit den bereits ausgesperrten Bauarbeitern. Auch zur Unterstützung der von der Aussperrung bedrohten Bäcker wurden die Versammlungsteilnehmer aufgerufen und bekannt gegeben, daß die Gewerkschaftsvertreter aller Berufe diesem Kampfe bereits ihre Unterstützung zugesagt haben. In gleichem Sinne äußerten sich die Genossinnen Bühring, Undeutsch und Döbler. Genossin Döbler, die bei Bäckern gedient hat, schilderte die Verhältnisse auf Grund eigener Erfahrung. Im Verlauf der Versammlung wurden die Frauen aufgefordert, mehr als je die Konsumvereine zu unterstützen. Die gleiche Aufforderung erging an die Genossinnen in Diesdorf und Fermersleben. Hier beteiligten sich die Genossinnen Ziehle und Undeutsch an der Diskussion und ernteten lebhaften Beifall. In Staßfurt wie in Salbke- Westerhüsen verlangten die Genossinnen dringend eine energische Unterstützung der Agitation unter den Proletarierinnen auch von seiten der Genossen. Sie wurden mit ihren Klagen und Anregungen an das Frauenbureau verwiesen. Alle Versammlungen zeugten dafür, daß bei den Frauen das Selbstbewußtsein und damit das Klassen bewußtsein mehr und mehr erwacht. Die Schüchternheit, die sie früher vom Besuch öffentlicher Versammlungen zurückhielt, fängt an zu weichen. Die Arbeiterfrauen wie Arbeiterinnen zeigen lebhaftes Interesse für die Fragen des wirtschaftlichen und politischen Lebens und werden sich ihrer Pflicht immer klarer bewußt, mitzukämpfen für die Befreiung ihrer Klasse. Marie Wackwit.
Die Parteileitung für Württemberg hatte für 25 Orte Verfammlungen anberaumt, die vornehmlich der Agitation unter dem weiblichen Proletariat dienen sollten. Die Unterzeichnete referierte über das Thema„ Die Frau im politischen Leben". Versammlungen fanden statt in Stuttgart und seinen Vororten Gablenberg , Heslach und Cannstatt , ferner in Gmünd, Feuerbach , Fell bach , Backnang , Hechingen , Schwenningen , Tuttlingen , Ebingen , Reutlingen , Buffenhausen, Weilimdorf , Mezingen, Göppingen , Böckingen , Neckargartach, Heil bronn , Friedrichshafen , Ravensburg , Biberach , Ulm und Heidenheim . Mit wenigen Ausnahmen war der Besuch von feiten der Frauen ein guter. Verhältnismäßig am meisten ließ die Beteiligung der Frauen in Stuttgart zu wünschen übrig. Auch hier sehen sich die Proletarierinnen immer mehr zur Erwerbsarbeit gezwungen, und infolge der sehr teuren Lebenshaltung und besonders der außerordentlich hohen Wohnungsmieten haben sie im allgemeinen einen weit schwereren Existenzkampf als ihre Schwestern auf dem Lande und in den kleineren Städten. Diese Tatsachen müssen zu einer weit regeren Beteiligung an dem proletarischen Klassenkampf führen, müssen aber auch die Genossen veranlassen, die Aufklärungsarbeit unter dem weiblichen Proletariat eifrigst zu fördern. In allen Orten, welche die Unterzeichnete auf ihrer Agi
Nr. 18
tationstour berührte, waren industrielle Arbeiterinnen vorhanden, die es zu erwecken und zu organisieren gilt. Besonders umfangreich ist die Frauenarbeit in den Fabriken der Textilindustrie, die Trifotwebereien inbegriffen. Doch auch in der Musikinstrumentenund Uhrenindustrie, in den Schuhwaren- und Kartonnagefabriken, den Buchbindereien und Buchdruckereien und in der Goldwarenund Bijouterieindustrie, sowie in vielen anderen Gewerben noch sind Frauen in großer Zahl beschäftigt. Fast überall im Lande frondet ein großer Teil der ärmeren Bevölkerung in der Heimindustrie. Die Unternehmer verlegen ihre Betriebe sehr gern auf das Land, weil sie dort höhere Profite herauswirtschaften tönnen. Die Arbeitsfräfte sind billig, da die meisten in der Land- und Gartenwirtschaft noch eine fleine Hilfsquelle haben. Die landwirtschaftliche Arbeit muß allerdings meist von der Frau und den schulpflichtigen Kindern verrichtet werden. Der Vater und die älteren Kinder gehen dem Verdienst in der Stadt, in der Fabrit nach. Die vielgepriesene Scholle bringt der ärmeren ländlichen Bevölkerung meist außer niedrigem Lohne doppelte Arbeitslast und doppelte Abhängigkeit. Tausende müssen tagtäglich stundenlange Wege zwischen Heim und Arbeitsstatt zurücklegen. Kommen sie abends abgerackert und todmüde nach Hause, dann muß die Arbeiterfrau womöglich noch die Hauswirtschaft versehen und die Kinder versorgen. So bleibt den Frauen keine Zeit zur Erholung, zu geistiger Beschäftigung und nur wenig Zeit zur Ruhe. Dadurch wird die Agitation unter ihnen und ihre Organisierung sehr erschwert. Trotzdem befunden sie Interesse für das öffentliche Leben, und so ist es fast überall gelungen, der Partei neue weibliche Mitglieder zuzuführen. Probenummern der„ Gleichheit" wurden an alle Versammlungsbesucher verteilt und dadurch Leserinnen gewonnen. Aufgabe der leitenden Genossen ist es, Hand in Hand mit erfahrenen Genossinnen dafür zu sorgen, daß die Frauenbewegung in Württemberg im Fluß bleibt. Linchen Baumann.
In Hamburg , Altona und Wandsbek wurden am 23., 24. und 25. Mai fünf große öffentliche Frauen- respektive Volksversamm lungen abgehalten. Genossin Zietz- Berlin referierte im ersten, zweiten und dritten Hamburger Wahlkreis( hier im Distrikt Barmbet) über„ Die Stellung der Frau im öffentlichen Leben und das Wahlrecht". Leider waren diese drei Versammlungen durchweg nicht so besucht, wie das besonders wichtige und zeitgemäße Thema es hätte vermuten lassen. Ähnliche Klage wurde betreffs des Besuchs der beiden öffentlichen Frauenversammlungen in Altona und Wandsbet laut, in denen Genossin Schlomer- Lübeck über Frauenrechte und Frauenpflichten" sprach. Schuld an dem unbefriedigenden Besuch der Versammlungen tragen vermutlich die Frühlingsabende mit dem Drang: hinaus ins Freie zum Genuß der erwachenden Natur, einem Drang, der jetzt jede Menschenbrust erfüllt. Die trefflichen Ausführungen der beiden Referentinnen haben in allen Versammlungen lebhafte Zustimmung und volles Verständnis gefunden. Das beweist ihr gutes, greifbares Resultat: der Partei wurden eine stattliche Anzahl neuer, besonders weiblicher Mitglieder zugeführt,„ Gleichheit" und" Hamburger Echo" erweiterten ihren Leserkreis. Unter den Massen der uns noch Fernstehenden ist der Boden durch die Vorgänge des wirtschaftlichen und politischen Lebens gelockert worden. Wann und wo immer wir die Saat der sozialistischen Ideen ausstreuen, beginnt sie in die Halme zu schießen.
e. g.
Maifeier in Braunschweig . In Braunschweig Stadt und Land ist der Weltfeiertag der kämpfenden Proletarier würdig begangen worden. In 27 Orten des Landes fand eine Maifeier statt, die einen erhebenden und ermutigenden Eindruck hinterließ. In Ermanglung eines Saales mußte die Veranstaltung in vier Orten unter freiem Himmel stattfinden. In Badenhausen befanden sich unter den Zuhörern viele Bürgerliche, die gerade vom Kirchgang heimkehrten. Selbst der Ortsgeistliche traf auf seinem Weg zur Kirche wohl unfreiwillig mit der nach Hunderten zählenden Volksmenge zusammen. In Helmstedt und Königslutter mußte der schon genehmigte Ausflug auf Befehl der Kreisdirektion unterbleiben. Trotz der Beschränkung durch die Polizeistunde nahm in Königslutter die Feier einen glänzenden Verlauf. In Wolfen büttel , Negenborn- Stadtoldendorf, Holzminden , Wrescherode und anderen Orten hatten einige Wagehälse an den Drähten der elektrischen Zentrale, an Telegraphendrähten oder auch an hohen Tannen und Aussichtstürmen in der Nacht vor dem 1. Mai rote Fahnen befestigt, die lustig im Winde flatterten, bis „ der Arm des Gesetzes" ihrem„ umstürzlerischen" Wehen ein Ende machte. In einzelnen Orten, so in Wrescherode- Ganders heim , Schlewecke usw. wurde zugunsten der ausgesperrten Bauarbeiter eine Tellersammlung veranstaltet. In der Stadt Braun schweig selbst strömte am 1. Mai eine nach vielen Tausenden