Nr. 19
Die Gleichheit
kam ich auf den Gedanken: wenn du krank würdest, holte dich bestimmt die Mutter. Nun ließ ich alle Abende die beiden kleinen Fenster meiner Kammer offenstehen, um mich zu erkälten, aber vers geblich, ich wurde nicht krank.
So verging die Zeit, und es fehlten nur noch 14 Tage bis zum Termin der Versetzung. Die große Wäsche war vorüber, und in den nächsten Tagen sollte mit Packen angefangen werden. Da kam plötzlich die Nachricht, daß auf Bitten des Barons und des Pastors in J. die„ Schwester" in ihrem Wirkungskreis bleiben sollte. Wer war froher als fie, denn eine solch gute Stelle.gab es nicht leicht wieder. Bu mir sagte sie höhnisch:" Nun bist du gewiß recht be trübt, daß die bessere" Schwester nicht kommt, nicht wahr?" Jch war nicht nur betrübt, sondern der Verzweiflung nahe, aber wohl oder übel mußte ich aushalten. Zwar schrieb mein Vater, dem ich alles mitgeteilt hatte, die„ Schwester" möchte mich doch schon im April ziehen lassen. Die aber sagte talt lächelnd zu mir:„ Das könnte dir wohl so gefallen, wenn ich dich jetzt gehen ließe, aber nein, mein Freundchen, am 15. Juni ist deine Zeit um, nicht einen Tag früher."
-
"
Wie eine Ewigkeit kamen mir die Wochen vor, die ich noch bei der Schwester verbringen mußte. Endlich aber gingen sie doch vorüber. Ich atmete auf. Mit dem Gefühl eines Soldaten, der seine zwei Jahre Dienstzeit hinter sich hat, verließ ich um manche Erfahrung reicher das Haus der„ frommen Schwester". Wenn ich jetzt in den Beitungen lese, wie die sozialistischen Ideen auf dem Lande immer mehr Eingang finden und wie auch die Hausangestellten anfangen, sich zu organisieren, so denke ich manchmal zurück an jene böse Zeit im Hause der Schwester. Ich freue mich, daß in Zukunft durch die Organisation vielen jungen Mädchen solch trübe Erfahrungen erspart bleiben werden.
295
und allerlei Rohstoffe. Der von nichts weniger als idealen Motiven geleitete Entdecker Kolumbus erhielt von den Bewohnern von Guanahani Baumwolle als Geschenk und aus dem Innern von Hispaniola wurden ihm alle drei Monate 25 Pfund Baumwolle als Tribut geliefert. In gleich frühen Perioden der Entwicklung dürfte die Menschheit auch auf anderen Kontinenten die Zweckmäßigkeit der Bearbeitung der Pflanzenfasern erkannt haben. Und auch Hilfsmittel wurden ausfindig gemacht, Hilfsmittel, deren Bedeutung wir heute im Zeitalter des Selfaktors leicht zu unterschätzen geneigt sind, die aber nur das Resultat gehäufter Erfahrung und erhöhter geistiger Tätigkeit des Menschen sein konnten. Die Spille oder Handspindel, das älteste und einfachste Spinngerät, das wir kennen, wurde Gemeingut der Menschheit. Sie besteht aus einem etwa 28 bis 35 Zentimeter langen, runden Stück harten Holzes und ist ungefähr der Spindel am alten Handspulrad vergleichbar. Sowohl unter den prähistorischen Funden wie bei lebenden wilden Völkerschaften trifft man große und kleine Spindeln an. Etwa 6 Bentimeter vom unteren Ende aus ist die Spindel 15 Millimeter dick. Von hier aus läuft sie nach beiden Enden, allmählich schwächer werdend, spitz aus. Ein wenig unter der dicksten Stelle des Holzes steckt ein schwerer Ring aus Stein, Knochen, Zinn, Blei oder anderen Materialien, dessen Durchmesser zwischen 25 und 65 Millimeter schwankt: der Wirtel. Soweit im Balkan und in Ostindien jetzt noch mit Handspindeln Fasern zu Faden gedreht werden, pflegt der Wirtel eine 15 Millimeter hohe und 25 Millimeter dicke Kugel von Blei oder Bein zu sein. Das letztere wird verwandt, wenn der auf der Spindel aufgewickelte
Vom Spinnen und Weben in alter Zeit. Fadenknäuel schon so dick ist, daß er allein genügt, um der
I.
Es ist ein langer, holperiger Weg, den die Menschheit in mühsamem Ringen bisher zurückgelegt hat. Jahrhunderttausende waren erforderlich, um jene Höhe der Kultur zu erreichen, die erflommen zu haben wir Menschen von heute uns rühmen. Auf der niedrigsten Stufe der Wildheit, inmitten einer durchaus un verstandenen Natur, ohne jede Ausbildung seiner Verstandes fräfte und aller, auch der primitivsten Hilfsmittel zur Beschaffung der notwendigsten Lebensnahrung ermangelnd, beginnt der Mensch den nimmer ruhenden Kampf ums Dasein. Im Kampfe ums Dasein entwickelt er die Elemente fünftiger gesellschaftlicher Organisationen und erringt höhere, bessere Bedingungen fürs Leben; Erfindungen, Entdeckungen, Fertigkeiten bezeichnen die Etappen seines Vorwärtsmarsches und begründen den Wandel des Gefüges seiner Organisation. Die Erfahrung, unterstützt vom Zufall, lehrt den Menschen den einfachen Stab, ein wichtiges Werkzeug zum Suchen und Ausgraben von Wurzeln, Knollen und Früchten, zu werten. Der Stab wird zum Grabscheit in der Hand der Frau, zur Waffe in der Hand des Mannes. Neue Bedürfnisse machen sich mit veränderten klimatischen und anderen Verhältnissen geltend. Der an den Hals über die Schultern, an den Gürtel um die Hüften gehängte Schmuck entwickelt sich zur Hülle, zum Kleid. Nicht nur das umgehängte, mit Dornen zusammen gehaltene Tierfell dient zur Bekleidung, auch der gewebte, aus breiten Bändern zusammengenähte Stoff. Die vordem am mensch lichen Körper selbst angebrachten Verzierungen werden übertragen auf die den Körper einhüllenden Zeuge. Mit Einfügung von Stickereien, Anbringung verzierenden Saums und Besazes, und schließlich mit der verschiedensten Musterung in Bindung und Farbenstellung entwickelt sich eine Ornamentit( Schmuck funft) der Gewebe.
Lange bevor der Mensch sich zur Zivilisation durchgerungen hat, sind Gewebe zum Bedürfnis geworden.„ Alter als die Töpfer kunst ist die Fingerweberei mit Fasern von Bast"( Morgan), und älter muß jene Fertigkeit sein, welche wir" Spinnen" nennen, jene Fertigkeit, durch Zusammendrehen kurzer Fasern einen beliebig langen Faden zu bilden. Hanf, Leinen, Baumwolle und andere Pflanzen gaben das Material. Die zur Zeit ihrer Entdeckung auf der Unterstufe der Barbarei stehenden Stämme Südamerikas kannten Baumwollgespinste und Baum wollgewebe. Desgleichen fand man auf Kuba Baumwollgewebe
-
aus
Spindel die Rotation zu erhalten. Solche Wirtel sind in großer Zahl in Gräbern der antifen Welt gefunden worden. Die in römischen, vor und nachrömischen Gräbern gefundenen Wirtel sind durchschnittlich größer als die, von denen oben die Rede war, und aus Ton, Glas oder Steinmasse hergestellt. Schlies mann fand bei seinen Ausgrabungen von Troja gleichfalls in großer Zahl mehr oder weniger verzierte Spinnwirtel. Je größer der Wirtel, um so länger kann die Notation der Spindel er halten und um so stärker kann auch den gröberen Faden die Drehung gegeben werden. Der Spinnprozeß vollzieht sich in folgender Weise: Der Faserstoff wird an einen hölzernen Stock, den sogenannten Rocken" gebunden. Die spinnende Person stellt ihn neben sich auf oder steckt ihn in ihren Gürtel. Im letzteren Falle ist sie in der Lage, im Gehen und Liegen zu spinnen. Mit der linken Hand werden die Fasern aus dem Rocken herausgezogen und nebeneinander geordnet, immer so viel, daß ein gleichmäßiger Faden sich bilden kann. Der so ausgezogene und mit der Hand etwas gedrehte Faden wird sodann an der oberen Spitze der Spindel befestigt; es geschieht dies mittels einer einfachen Schlinge und des Speichels Abbildungen ist zu sehen, daß manche Spinnerinnen den Faden in seiner ganzen Länge durch den Mund laufen ließen. Damit wird verhindert, daß sich der auf die Spindel gewickelte Faden wieder abrollt. Die Spindel hängt nun frei herab. An ihrer oberen Spize wird sie mit den Fingern der rechten Hand ge faßt und rasch um ihre Achse gedreht, sich drehend bleibt sie hängen. Der Wirtel gibt der Drehung Kraft und Dauer. Durch diese Drehung der Spindel erhält auch der Faden seine Drehung. Nicht überall wird indessen die Spindel durch Drehen mit den Fingern in Rotation versetzt. Nach einem anderen Verfahren rollt man die Spindel, respektive den daran steckenden Wirtel auf dem Oberschenkel hin und her und läßt dann das Ganze frei in die Luft hängen. Dadurch wird ebenfalls eine rotierende Bewegung erzielt. So oft als nötig wird der Antrieb der Spindel wiederholt, so daß diese in beständiger Umdrehung verharrt. Dabei wird mit der linken Hand immer neuer Faserstoff dem Rocken entnommen und dem Faden angegliedert. Der Faden wird dadurch länger und länger, bis endlich die Spindel die Erde berührt. Der fertige Faden wird nunmehr auf die Spindel mit der Hand aufgewickelt, das Ende wiederum durch eine Schlinge an der Spitze befestigt, und der Spinnprozeß beginnt aufs neue.