Nr. 19
Die Gleichheit
Wohltätigkeitsbafar zu beteiligen. Allein die Forderungen der Arbeiter haben bei ihm kein offenes Ohr gefunden. So muß die Organisation energisch für sie eintreten. Ähnliche, doch noch schlimmere Klagen wurden bei der Besprechung für die Arbeiter der Gummiwarenfabrik von Schwieder in Dresden laut. Besonders wurde über die mangelhaften hygienischen zu stände und fehlenden Schuheinrichtungen sowie über die Behand lung von seiten der Meister Beschwerde erhoben. Ein Hauptübel in dieser Fabrik ist die Affordarbeit, die in vielen Fällen zur Hausarbeit nach Feierabend führt. Eine Arbeiterin, die Absätze be schneidet, hat bei fast 16 bis 18 stündiger Arbeitszeit einen Wochenverdienst von 15 bis 20 Mt. Um den zu erzielen, muß oft noch der Mann mithelfen. In einer Versammlung, die der Metallarbeiterband für die Arbeiter und Arbeiterinnen der Firma Reiche einberufen hatte, brachten die Arbeiter ähnliche Klagen vor. Es wurde dabei besonders darauf hingewiesen, daß man häufig die Arbeiterin, die längere Zeit krant oder Wöchnerin ist, durch allerhand Tricks um die Unterstützung der Betriebskrankentasse zu bringen sucht. Die Zahlstellen des Verbandes der Blumen und Blätterarbeiter in Dresden und Sebnih hatten für Dresden zwei Versammlungen einberufen, je eine für Sebniz, Rosenthal, Krumhermersdorf, Kunnersdorf und Ulbersdorf . Auf der Tagesordnung stand die im Januar 1910 in Kraft getretene Gewerbeordnungsnovelle. In den Blumenfabriken herrschen besonders schwere Mißstände, die im Gegensatz zu den gefeßlichen Schußvorschriften stehen. Die Mitnahme von Heim arbeit nach Fabrikschluß ist hier zur Regel geworden. Doch nicht genug damit, es wird selbst in den Mittagspausen gearbeitet. In der Umgebung von Sebnitz herrscht die Heimindustrie mit all ihrem Elend und allen Folgen skrupelloser Ausbeutung. Trotz dem angestrengtesten Mühen sehen sich die Frauen gezwungen, ihre Kinder zum Mitverdienen anzuspannen, nur um die Familie vor dem Verhungern zu schützen. Für das Gros Röschen werden 20 bis 28 Pf. bezahlt, für Hyazinthen fleben 12 Pf., für Hya zinthen ziehen 7 bis 8 Pf. das Gros. Ganz zu schweigen von den Löhnen für Primeln, Vergißmeinnicht oder Flieder. Die Lage der Blätterarbeiterinnen ist tein Haar besser. Zu der Versammlung in Rosenthal hatte sich der Vertreter der Firma Rößler= Sebnis für die Ausgabestelle Rosenthal eingefunden. Er mußte die Berechtigung der vorgebrachten Anklagen durchweg anerkennen und sagte Abhilfe zu. Er entschuldigte sich damit, daß er von der Hauptfirma gedrückt werde. Weigere er sich, auf die gestellten Bedingungen einzugehen, so seien zehn andere sofort bereit, an seine Stelle zu treten. Er riet den Anwesenden, sich zu organifieren. Alle diese gewerkschaftlichen Agitationsveranstaltungen be= wiesen von neuem, wie viel noch zu tun bleibt, damit die Arbeitsbedingungen der Proletarierinnen, besonders der elendesten unter ihnen, der Heimarbeiterinnen, halbwegs zufriedenstellend werden. Hierzu bedarf es vor allem der Aufklärung und eines entschlossenen, energischen Vorgehens der Ausgebeuteten selbst. M. Wack wit. über„ Arbeiterschutz, Teuerung und Reichspolitik" sprach Genoffin Wurm in vier öffentlichen Versammlungen in Gera , Leum nih, Triebes und Göttendorf , die die sozialdemokratische Parteis organisation für Reuß j. L. einberufen hatte. Die Rednerin schilderte im allgemeinen die Lage der Arbeiterin und fam dann auf den gesetzlichen Arbeiterschuh zu sprechen. Sie unterzog seine vielen Unzulänglichkeiten einer scharfen Kritik und wies nach, daß manche der einschlägigen Vorschriften weit eher den Namen von Unternehmerschutzbestimmungen verdienen. Ein schlagender Beweis für den Charakter der deutschen Sozialpolitit von oben sei der Entwurf der Reichsversicherungsordnung, der neben einigen dringend notwendigen Reformen die einschneidende Verböserung bringt, daß die Arbeiter des Rechtes der Selbstverwaltung in den Krankentassen beraubt werden sollen. Dabei behaupten Regierung und herrschende Klassen stets, Deutschland sei in der Sozialgesetzgebung den übrigen Nationen voraus. Wer tiefer blickt, der erkennt, daß es den übrigen Nationen in einer Hinsicht voraus ist: in der Säug lingssterblichkeit. Es sterben im Deutschen Reiche ein Fünftel, in Reuß j. 2. sogar ein Viertel aller Säuglinge. Um dieser ungeheuren Säuglingssterblichkeit entgegenzuarbeiten, hat der Gemeinderat von Gera auf Antrag unseres Genossen Leven die Einführung von Stillprämien beschlossen. Nichtkassenmitglieder erhalten von der ersten bis zur achten Woche je 1,50 Mt., von der neunten bis zur dreizehnten Woche je 2 Mt.; Rassenmitglieder in der ersten bis achten Woche 1,25 Mt., von der neunten bis zur dreizehnten Woche 2 Mt. In den Monaten Juni, Juli und August erhöhen sich die Sätze um 25 Pf. in der Woche. Zum Schlusse kam die Rednerin noch auf die Teuerung und die Zoll- und Steuerpolitik des Reiches zu sprechen. Sie setzte auseinander, daß gerade die Proletarie
297
rinnen unter der Steuerpolitik am schwersten zu leiden haben. Deshalb müßten sie endlich ihre Gleichgültigkeit abschütteln und sich der sozialdemokratischen Partei anschließen, die allein die Interessen der Arbeiterklasse ernsthaft vertritt. Die gespannte Aufmerksamkeit, mit der die Anwesenden dem anderthalbstündigen Vortrag folgten, zeugte dafür, daß die Ausführungen der Referentin auf guten Boden fielen. In der Diskussion äußerten sich einige Genossinnen im Sinne der Referentin. Die sehr gut besuchten Versammlungen brachten der Partei zahlreiche neue Mitglieder. Die überzeugten Genossinnen sind sich bewußt, wie notwendig es ist, daß die Frauen sich immer mehr am politischen Leben beteiligen. Sie werden ihre ganze Kraft einsetzen, um die Aufklärung des weiblichen Proletariats zu fördern. A. Jähnert.
"
Der Frauen Kampf um ihre Rechte" lautete die Tagesordnung einer Versammlung in Kiel - Gaarden, die von vielen Frauen besucht war. Genossin Baumann hatte das Referat übernommen. Sie schilderte in fesselnder Weise die Stellung der Frau von den Zeiten des Urkommunismus, wo die Frau dem Manne als gleichberechtigte Mitarbeiterin zur Seite stand und einen ebenso wichtigen Platz im Produktionsprozeß ausfüllte wie er, bis zum Zeitalter des Kapitalismus, wo die Frau wieder unaufhaltsam in die gesellschaftliche Produktion hineingedrängt wird, doch nicht als gleichberechtigte Mitarbeiterin, sondern als unsreie, ausgebeutete Lohndrückerin, die die Männerarbeit verdrängt. Dieser verderblichen Begleiterscheinung der weiblichen Berufsarbeit kann nur durch die Organisierung der Frauen und Männer zum gemeinsamen Kampfe gegen die kapitalistische Ausbeutung entgegengewirkt werden, sie kann nur zusammen mit der Ausbeutungsordnung selbst verschwinden. Daher ist es die Pflicht jeder proletarischen Frau, an der Seite des Mannes ihrer Klasse für die Verbesserung ihrer gemeinsamen Klassenlage zu tämpfen. Die Referentin behandelte im Anschluß an diese Darlegungen die Wahlrechtsfrage und betonte, daß nur die energische Beteiligung der Frauen am Wahlrechtskampfe auch ihnen das Bürgerrecht verschaffen könne. Freiwillig werden die herrschenden Klassen so wenig den Frauen wie den Männern des werktätigen Voltes ihre politische Gleichberechtigung zugestehen. Die Rednerin wies im Verlaufe ihrer Ausführungen nach, welches Interesse die Proletarierinnen, gleichgültig ob Arbeiterinnen oder Arbeiterfrauen, an dem Besitz der politischen Rechte haben. Besonders zeigte sie, daß sie unter den Steuerlasten so schwer zu leiden haben wie der Mann. Deshalb sei es dringend geboten, daß auch die Frauen sich der politischen Organisation anschließen. Die Referentin forderte auch zur Durchführung des Schnapsboykottes auf, durch den die Junker am Geldbeutel, ihrer empfindlichsten Stelle, getroffen werden. Sie schloß mit der Mahnung zu unermüdlicher Betätigung für die Sache des Proletariats. Reicher Beifall lohnte die Rednerin. Ihrer Aufforderung, sich der Parteiorganisation anzuschließen, kamen 17 Frauen nach, für die„ Gleichheit" meldeten sich 7 Abonnentinnen, so daß die Gesamtzahl ihrer Leserinnen hier am Orte jetzt 450 be= trägt. Der Vertrieb der„ Gleichheit", sowie das Einlassieren der Mitgliederbeiträge liegt in den Händen der Genossinnen. Die Parteiorganisation zählt nunmehr 330 weibliche Mitglieder gegen 180 am 1. Oktober 1908. So geht es in Gaarden, wenn auch langsam, doch stetig vorwärts. Die Genossinnen sehen, daß ihre Arbeit Früchte trägt, und jeder Erfolg spornt sie an zu erneuten Luise Andratschte. energischen Anstrengungen.
Im 17. und 19. sächsischen Landtagswahlkreis fanden Versammlungen in den Orten statt: Hohendorf, Neudörfel, Gers dorf, Rödlig, Lichtenstein- Galnberg, Lugau , Oberwürschnis, Neuwiese und Olsnit. Die Unterzeichnete sprach zu der Tagesordnung:" Welchen Wert haben die politischen und gewerk schaftlichen Organisationen für die Frau?" Der Besuch der Versammlungen war mit wenigen Ausnahmen ein sehr guter. Gespannt folgten die Anwesenden den Ausführungen der Referentin, die an Hand eines reichen Zahlenmaterials nachwies ,, wie notwendig es ist, daß sich jeder Arbeiter und jede Arbeiterin der politischen und gewerkschaftlichen Organisation anschließt, um so dem Feind Kapitalismus und seinem politischen Schildknappen, dem„ Vater" Staat, gewappnet gegenüberzustehen. Welche Macht die Organisation ist, zeigt in diesen Tagen der Kampf im Baugewerbe. Das Proletariat des Erzgebirges, das besonders schwer unter der kapitalistischen Ausbeutung leidet, hat allen Grund, sich zusammenzuschließen. In allen Versammlungen leistete eine ganze Anzahl von Frauen der Aufforderung zur Organisation Folge. In Lugau allein traten 108, in Oberwürschnit 46 Frauen der politischen Organisation bei. Auch für die„ Chemnitzer Volksstimme" wurden Abonnenten gewonnen. So bricht sich der Organisationsgedanke im sächsischen Erzgebirge immer mehr Bahn.
Agnes Fahrenwald.